Daß die Sammlung wunderbarer Erzählungen welche unter Aristoteles Schriften erhalten ist, sein Werk nicht seyn kann, beweißt für den, dem Sprache und Geist des Buchs nicht vernehmlich genug reden möchten, wenig- stens die Erwähnung des Agathokles und Kleonymus. Aber sie muß vor dem Ende des ersten Punischen Kriegs geschrieben seyn, weil der Karthaginiensischen Provinz in Sicilien darin gedacht wird. Vieles in dieser Samm- lung, besonders Erzählungen über das westliche Europa, scheint entlehnt aus Timäus, dessen Historie voll Wun- dergeschichten war. Timäus schrieb um das Jahr oder nach 480; und dieses Werk möchte wohl in Hinsicht dieser Untersuchung als gleichzeitig betrachtet werden können. Hier nun erscheint Italien in einer weit größeren Ausdeh- nung: die Sirenusen, Kuma und Circeji werden nament- lich dazu gerechnet; Tyrrhenien aber und das Land der Ombriker abgesondert genannt: und so scheint Italien bey dieser zweiten Ausdehnung seines Inbegriffs, zwar wohl nicht mit genau bezeichneten Gränzen, damals bis ungefähr an die Tiber und Aesis erweitert zu seyn 23). Daß in der That unter den östlich von dieser Linie belege-
23) Daß dieses um das Ende des fünften Jahrhunderts Sprach- gebrauch war, wird auch durch die Gränzen bestätigt, welche Lykophron, unter Ptolemäus Philadelphus, seinem Ausonien setzt. (S. unten Anm. 34.) Er bezeichnete den Begriff seiner Zeit, wie jung er auch war, mit einem veralteten Nahmen. Timäus selbst würde, in seiner Römischen Geschichte, keine Etymologie des Nahmens Italien gegeben haben, wenn er nicht schon damals in weiteren Gränzen gegolten hätte. (S. Anm. 27.)
Daß die Sammlung wunderbarer Erzaͤhlungen welche unter Ariſtoteles Schriften erhalten iſt, ſein Werk nicht ſeyn kann, beweißt fuͤr den, dem Sprache und Geiſt des Buchs nicht vernehmlich genug reden moͤchten, wenig- ſtens die Erwaͤhnung des Agathokles und Kleonymus. Aber ſie muß vor dem Ende des erſten Puniſchen Kriegs geſchrieben ſeyn, weil der Karthaginienſiſchen Provinz in Sicilien darin gedacht wird. Vieles in dieſer Samm- lung, beſonders Erzaͤhlungen uͤber das weſtliche Europa, ſcheint entlehnt aus Timaͤus, deſſen Hiſtorie voll Wun- dergeſchichten war. Timaͤus ſchrieb um das Jahr oder nach 480; und dieſes Werk moͤchte wohl in Hinſicht dieſer Unterſuchung als gleichzeitig betrachtet werden koͤnnen. Hier nun erſcheint Italien in einer weit groͤßeren Ausdeh- nung: die Sirenuſen, Kuma und Circeji werden nament- lich dazu gerechnet; Tyrrhenien aber und das Land der Ombriker abgeſondert genannt: und ſo ſcheint Italien bey dieſer zweiten Ausdehnung ſeines Inbegriffs, zwar wohl nicht mit genau bezeichneten Graͤnzen, damals bis ungefaͤhr an die Tiber und Aeſis erweitert zu ſeyn 23). Daß in der That unter den oͤſtlich von dieſer Linie belege-
23) Daß dieſes um das Ende des fuͤnften Jahrhunderts Sprach- gebrauch war, wird auch durch die Graͤnzen beſtaͤtigt, welche Lykophron, unter Ptolemaͤus Philadelphus, ſeinem Auſonien ſetzt. (S. unten Anm. 34.) Er bezeichnete den Begriff ſeiner Zeit, wie jung er auch war, mit einem veralteten Nahmen. Timaͤus ſelbſt wuͤrde, in ſeiner Roͤmiſchen Geſchichte, keine Etymologie des Nahmens Italien gegeben haben, wenn er nicht ſchon damals in weiteren Graͤnzen gegolten haͤtte. (S. Anm. 27.)
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Daß die Sammlung wunderbarer Erzaͤhlungen welche
unter Ariſtoteles Schriften erhalten iſt, ſein Werk nicht
ſeyn kann, beweißt fuͤr den, dem Sprache und Geiſt des
Buchs nicht vernehmlich genug reden moͤchten, wenig-
ſtens die Erwaͤhnung des Agathokles und Kleonymus.
Aber ſie muß vor dem Ende des erſten Puniſchen Kriegs
geſchrieben ſeyn, weil der Karthaginienſiſchen Provinz in
Sicilien darin gedacht wird. Vieles in dieſer Samm-
lung, beſonders Erzaͤhlungen uͤber das weſtliche Europa,
ſcheint entlehnt aus Timaͤus, deſſen Hiſtorie voll Wun-
dergeſchichten war. Timaͤus ſchrieb um das Jahr oder
nach 480; und dieſes Werk moͤchte wohl in Hinſicht dieſer
Unterſuchung als gleichzeitig betrachtet werden koͤnnen.
Hier nun erſcheint Italien in einer weit groͤßeren Ausdeh-
nung: die Sirenuſen, Kuma und Circeji werden nament-
lich dazu gerechnet; Tyrrhenien aber und das Land der
Ombriker abgeſondert genannt: und ſo ſcheint Italien
bey dieſer zweiten Ausdehnung ſeines Inbegriffs, zwar
wohl nicht mit genau bezeichneten Graͤnzen, damals bis
ungefaͤhr an die Tiber und Aeſis erweitert zu ſeyn 23).
Daß in der That unter den oͤſtlich von dieſer Linie belege-
23) Daß dieſes um das Ende des fuͤnften Jahrhunderts Sprach-
gebrauch war, wird auch durch die Graͤnzen beſtaͤtigt, welche
Lykophron, unter Ptolemaͤus Philadelphus, ſeinem Auſonien
ſetzt. (S. unten Anm. 34.) Er bezeichnete den Begriff ſeiner
Zeit, wie jung er auch war, mit einem veralteten Nahmen.
Timaͤus ſelbſt wuͤrde, in ſeiner Roͤmiſchen Geſchichte, keine
Etymologie des Nahmens Italien gegeben haben, wenn er
nicht ſchon damals in weiteren Graͤnzen gegolten haͤtte.
(S. Anm. 27.)
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/51>, abgerufen am 16.02.2025.
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