schleppen. Appius wußte daß ein Haufe den, ohne in- nere Vereinigung, Mitgefühl über fremdes Unglück be- waffnete, ohne Gewalt zerstreut über Nacht erkaltet; daß Bedenklichkeiten und Furchtsamkeit erwachen, und die Menge zitternd ausführen sieht worüber sie im er- sten Gefühl bis auf den Tod gekämpft haben würde. Er konnte am folgenden Tage eine bedeutende Macht aufbieten: durch seine Mitschuldigen, und die Schaaren ihrer Clienten -- sein Geschlecht allein zählte deren Tausende -- konnte er auch offenbare Gewalt wagen, da die meisten der Waffenfähigen aus dem Volk im Felde standen. Mit der Mine des väterlichen Herr- schers, welcher die wilde Gährung einer irregeleiteten Menge gern übersieht, und mit Schonung beruhigt, that er den Ausspruch: Virginia möge im väterlichen Hause bleiben, und bis zum Gericht von denen ver- bürgt werden die sich als die Ihrigen eindrängten: aber bey dieser Begünstigung der Beklagten sey es nöthig den Rechtsspruch zu beschleunigen, und er setze den mor- genden Tag dafür an. Wenn dann der Vater nicht erscheine, so werde er die Gesetze und seine Würde zur Bekräftigung des Ausspruchs zu behaupten verstehen, den er dann ohne Menschenfurcht wie es Rechtens sey zu geben wissen werde. Er kenne diesen Icilius, und diese ehemaligen Tribunen; er wisse daß ihr vorgegebe- nes Gefühl nichts als Meuterey und ein ohnmächtiges Wüthen sey über den Verlust ihrer Gewalt: er aber werde auch zu thun wissen was der Verfassung, der Republik und ihm selber gebühre.
ſchleppen. Appius wußte daß ein Haufe den, ohne in- nere Vereinigung, Mitgefuͤhl uͤber fremdes Ungluͤck be- waffnete, ohne Gewalt zerſtreut uͤber Nacht erkaltet; daß Bedenklichkeiten und Furchtſamkeit erwachen, und die Menge zitternd ausfuͤhren ſieht woruͤber ſie im er- ſten Gefuͤhl bis auf den Tod gekaͤmpft haben wuͤrde. Er konnte am folgenden Tage eine bedeutende Macht aufbieten: durch ſeine Mitſchuldigen, und die Schaaren ihrer Clienten — ſein Geſchlecht allein zaͤhlte deren Tauſende — konnte er auch offenbare Gewalt wagen, da die meiſten der Waffenfaͤhigen aus dem Volk im Felde ſtanden. Mit der Mine des vaͤterlichen Herr- ſchers, welcher die wilde Gaͤhrung einer irregeleiteten Menge gern uͤberſieht, und mit Schonung beruhigt, that er den Ausſpruch: Virginia moͤge im vaͤterlichen Hauſe bleiben, und bis zum Gericht von denen ver- buͤrgt werden die ſich als die Ihrigen eindraͤngten: aber bey dieſer Beguͤnſtigung der Beklagten ſey es noͤthig den Rechtsſpruch zu beſchleunigen, und er ſetze den mor- genden Tag dafuͤr an. Wenn dann der Vater nicht erſcheine, ſo werde er die Geſetze und ſeine Wuͤrde zur Bekraͤftigung des Ausſpruchs zu behaupten verſtehen, den er dann ohne Menſchenfurcht wie es Rechtens ſey zu geben wiſſen werde. Er kenne dieſen Icilius, und dieſe ehemaligen Tribunen; er wiſſe daß ihr vorgegebe- nes Gefuͤhl nichts als Meuterey und ein ohnmaͤchtiges Wuͤthen ſey uͤber den Verluſt ihrer Gewalt: er aber werde auch zu thun wiſſen was der Verfaſſung, der Republik und ihm ſelber gebuͤhre.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0151"n="135"/>ſchleppen. Appius wußte daß ein Haufe den, ohne in-<lb/>
nere Vereinigung, Mitgefuͤhl uͤber fremdes Ungluͤck be-<lb/>
waffnete, ohne Gewalt zerſtreut uͤber Nacht erkaltet;<lb/>
daß Bedenklichkeiten und Furchtſamkeit erwachen, und<lb/>
die Menge zitternd ausfuͤhren ſieht woruͤber ſie im er-<lb/>ſten Gefuͤhl bis auf den Tod gekaͤmpft haben wuͤrde.<lb/>
Er konnte am folgenden Tage eine bedeutende Macht<lb/>
aufbieten: durch ſeine Mitſchuldigen, und die Schaaren<lb/>
ihrer Clienten —ſein Geſchlecht allein zaͤhlte deren<lb/>
Tauſende — konnte er auch offenbare Gewalt wagen,<lb/>
da die meiſten der Waffenfaͤhigen aus dem Volk im<lb/>
Felde ſtanden. Mit der Mine des vaͤterlichen Herr-<lb/>ſchers, welcher die wilde Gaͤhrung einer irregeleiteten<lb/>
Menge gern uͤberſieht, und mit Schonung beruhigt,<lb/>
that er den Ausſpruch: Virginia moͤge im vaͤterlichen<lb/>
Hauſe bleiben, und bis zum Gericht von denen ver-<lb/>
buͤrgt werden die ſich als die Ihrigen eindraͤngten: aber<lb/>
bey dieſer Beguͤnſtigung der Beklagten ſey es noͤthig<lb/>
den Rechtsſpruch zu beſchleunigen, und er ſetze den mor-<lb/>
genden Tag dafuͤr an. Wenn dann der Vater nicht<lb/>
erſcheine, ſo werde er die Geſetze und ſeine Wuͤrde zur<lb/>
Bekraͤftigung des Ausſpruchs zu behaupten verſtehen, den<lb/>
er dann ohne Menſchenfurcht wie es Rechtens ſey zu<lb/>
geben wiſſen werde. Er kenne dieſen Icilius, und<lb/>
dieſe ehemaligen Tribunen; er wiſſe daß ihr vorgegebe-<lb/>
nes Gefuͤhl nichts als Meuterey und ein ohnmaͤchtiges<lb/>
Wuͤthen ſey uͤber den Verluſt ihrer Gewalt: er aber<lb/>
werde auch zu thun wiſſen was der Verfaſſung, der<lb/>
Republik und ihm ſelber gebuͤhre.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[135/0151]
ſchleppen. Appius wußte daß ein Haufe den, ohne in-
nere Vereinigung, Mitgefuͤhl uͤber fremdes Ungluͤck be-
waffnete, ohne Gewalt zerſtreut uͤber Nacht erkaltet;
daß Bedenklichkeiten und Furchtſamkeit erwachen, und
die Menge zitternd ausfuͤhren ſieht woruͤber ſie im er-
ſten Gefuͤhl bis auf den Tod gekaͤmpft haben wuͤrde.
Er konnte am folgenden Tage eine bedeutende Macht
aufbieten: durch ſeine Mitſchuldigen, und die Schaaren
ihrer Clienten — ſein Geſchlecht allein zaͤhlte deren
Tauſende — konnte er auch offenbare Gewalt wagen,
da die meiſten der Waffenfaͤhigen aus dem Volk im
Felde ſtanden. Mit der Mine des vaͤterlichen Herr-
ſchers, welcher die wilde Gaͤhrung einer irregeleiteten
Menge gern uͤberſieht, und mit Schonung beruhigt,
that er den Ausſpruch: Virginia moͤge im vaͤterlichen
Hauſe bleiben, und bis zum Gericht von denen ver-
buͤrgt werden die ſich als die Ihrigen eindraͤngten: aber
bey dieſer Beguͤnſtigung der Beklagten ſey es noͤthig
den Rechtsſpruch zu beſchleunigen, und er ſetze den mor-
genden Tag dafuͤr an. Wenn dann der Vater nicht
erſcheine, ſo werde er die Geſetze und ſeine Wuͤrde zur
Bekraͤftigung des Ausſpruchs zu behaupten verſtehen, den
er dann ohne Menſchenfurcht wie es Rechtens ſey zu
geben wiſſen werde. Er kenne dieſen Icilius, und
dieſe ehemaligen Tribunen; er wiſſe daß ihr vorgegebe-
nes Gefuͤhl nichts als Meuterey und ein ohnmaͤchtiges
Wuͤthen ſey uͤber den Verluſt ihrer Gewalt: er aber
werde auch zu thun wiſſen was der Verfaſſung, der
Republik und ihm ſelber gebuͤhre.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/151>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.