Räthselhaft ist im Jahr 406 die Erscheinung einer griechischen Flotte, welche den ganzen Sommer an der la- tinischen Küste verweilte, und häufige plündernde Landun- gen unternahm. Die Römer haben hier zum erstenmal ge- gen Griechen gefochten. Wer und woher diese Fremden waren, fand sich in den Annalen nicht. Livius Vermuthun- gen haben kein Gewicht bey einer Sache über die sich nur aus der übrigen gleichzeitigen Geschichte urtheilen läßt. Hier räth er auf sicilische Tyrannen: ganz gewiß irrig, denn in diesen Jahren waren die Sikelioten in sich zerris- sen, kraftlos, ohne Flotten, völlig unfähig eine Unterneh- mung über die See zu wagen welche Karthago beherrschte.
In demselben Jahr worin Latium diesen Raubzug er- fuhr, (Ol. 108, 3.) schiffte sich Phaläkus nach Italien ein mit den achttausend geworbenen Soldaten für die er in Phokis auf freyen Abzug capitulirt hatte 56). Zwar er erreichte sein Ziel nicht: Meuterey zwang ihn nach Kreta zu gehen. Es war aber damals in Altgriechenland eine allgemeine Zeit unruhiger Bewegung: allenthalben liefen Schaaren den Werbern zu: der Krieg nährte den Krieg, die Männer aus zerstörten Städten und veröde- ten Landschaften wurden Soldaten und entschädigten sich für ihr Elend, indem sie es auf andere Gegenden brachten. Oft trieb Unglück oder Rastlosigkeit die edelsten Jüng- linge unter diese wilden Rotten, oder sie waren genö- thigt sie zu versammeln: also that es Archidamus von Sparta. Oft waren sie unbeschäftigt, und damit sie sich nicht verliefen mußten die Anführer eine Unterneh-
56) Diodor XVI. c. 62.
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Raͤthſelhaft iſt im Jahr 406 die Erſcheinung einer griechiſchen Flotte, welche den ganzen Sommer an der la- tiniſchen Kuͤſte verweilte, und haͤufige pluͤndernde Landun- gen unternahm. Die Roͤmer haben hier zum erſtenmal ge- gen Griechen gefochten. Wer und woher dieſe Fremden waren, fand ſich in den Annalen nicht. Livius Vermuthun- gen haben kein Gewicht bey einer Sache uͤber die ſich nur aus der uͤbrigen gleichzeitigen Geſchichte urtheilen laͤßt. Hier raͤth er auf ſiciliſche Tyrannen: ganz gewiß irrig, denn in dieſen Jahren waren die Sikelioten in ſich zerriſ- ſen, kraftlos, ohne Flotten, voͤllig unfaͤhig eine Unterneh- mung uͤber die See zu wagen welche Karthago beherrſchte.
In demſelben Jahr worin Latium dieſen Raubzug er- fuhr, (Ol. 108, 3.) ſchiffte ſich Phalaͤkus nach Italien ein mit den achttauſend geworbenen Soldaten fuͤr die er in Phokis auf freyen Abzug capitulirt hatte 56). Zwar er erreichte ſein Ziel nicht: Meuterey zwang ihn nach Kreta zu gehen. Es war aber damals in Altgriechenland eine allgemeine Zeit unruhiger Bewegung: allenthalben liefen Schaaren den Werbern zu: der Krieg naͤhrte den Krieg, die Maͤnner aus zerſtoͤrten Staͤdten und veroͤde- ten Landſchaften wurden Soldaten und entſchaͤdigten ſich fuͤr ihr Elend, indem ſie es auf andere Gegenden brachten. Oft trieb Ungluͤck oder Raſtloſigkeit die edelſten Juͤng- linge unter dieſe wilden Rotten, oder ſie waren genoͤ- thigt ſie zu verſammeln: alſo that es Archidamus von Sparta. Oft waren ſie unbeſchaͤftigt, und damit ſie ſich nicht verliefen mußten die Anfuͤhrer eine Unterneh-
56) Diodor XVI. c. 62.
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Raͤthſelhaft iſt im Jahr 406 die Erſcheinung einer
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tiniſchen Kuͤſte verweilte, und haͤufige pluͤndernde Landun-
gen unternahm. Die Roͤmer haben hier zum erſtenmal ge-
gen Griechen gefochten. Wer und woher dieſe Fremden
waren, fand ſich in den Annalen nicht. Livius Vermuthun-
gen haben kein Gewicht bey einer Sache uͤber die ſich nur
aus der uͤbrigen gleichzeitigen Geſchichte urtheilen laͤßt.
Hier raͤth er auf ſiciliſche Tyrannen: ganz gewiß irrig,
denn in dieſen Jahren waren die Sikelioten in ſich zerriſ-
ſen, kraftlos, ohne Flotten, voͤllig unfaͤhig eine Unterneh-
mung uͤber die See zu wagen welche Karthago beherrſchte.
In demſelben Jahr worin Latium dieſen Raubzug er-
fuhr, (Ol. 108, 3.) ſchiffte ſich Phalaͤkus nach Italien
ein mit den achttauſend geworbenen Soldaten fuͤr die er
in Phokis auf freyen Abzug capitulirt hatte 56). Zwar
er erreichte ſein Ziel nicht: Meuterey zwang ihn nach
Kreta zu gehen. Es war aber damals in Altgriechenland
eine allgemeine Zeit unruhiger Bewegung: allenthalben
liefen Schaaren den Werbern zu: der Krieg naͤhrte den
Krieg, die Maͤnner aus zerſtoͤrten Staͤdten und veroͤde-
ten Landſchaften wurden Soldaten und entſchaͤdigten ſich
fuͤr ihr Elend, indem ſie es auf andere Gegenden brachten.
Oft trieb Ungluͤck oder Raſtloſigkeit die edelſten Juͤng-
linge unter dieſe wilden Rotten, oder ſie waren genoͤ-
thigt ſie zu verſammeln: alſo that es Archidamus von
Sparta. Oft waren ſie unbeſchaͤftigt, und damit ſie
ſich nicht verliefen mußten die Anfuͤhrer eine Unterneh-
56) Diodor XVI. c. 62.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/483>, abgerufen am 22.11.2024.
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