gäbe es keine Beyspiele, daß Menschen, die mit nicht wenigern Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hätten, doch viel weiter in der Tugend gekommen wären, so würden wir zu entschuldigen seyn. Aber das eine Beyspiel Jesu benimmt uns schon alle Ent- schuldigungen. Indem wir uns erinnern, daß er gerade wie wir geboren, gerade wie wir Mensch ge- worden, stufenweise herangewachsen, in einer eben solchen, gewiß auch schon sehr verdorbenen Weit ge- lebt als wir, und von keiner Versuchung zum Bö- sen seiner Natur nach frey gewesen, und dennoch das geworden ist, was uns sein Leben sagt, daß er war -- so erinnern wir uns auch an die großen Kräfte und an die herrlichen Anlagen, die in unsrer der seinen ähnlichen Natur liegen, und hier ist wie- der Beschämung und Aufmunterung für jeden, der die Betrachtung weiter verfolgen und auf sich anwen- den will. Ich will eine kurze Anleitung dazu geben. Möchte doch ihr Gebrauch die Beschäfftigung einiger stillen und einsamen Stunden dieses Festes seyn!
Jesus hatte einen Körper wie der meine; Em- pfindung von Vergnügen und Schmerz, so gut als ich; Bedürfnisse, die so gut als die meinigen ver- mehrt werden konnten, und deren Befriedigung ihm sein Leben so gut als das meinige leichter, be-
quemer,
gäbe es keine Beyſpiele, daß Menſchen, die mit nicht wenigern Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hätten, doch viel weiter in der Tugend gekommen wären, ſo würden wir zu entſchuldigen ſeyn. Aber das eine Beyſpiel Jeſu benimmt uns ſchon alle Ent- ſchuldigungen. Indem wir uns erinnern, daß er gerade wie wir geboren, gerade wie wir Menſch ge- worden, ſtufenweiſe herangewachſen, in einer eben ſolchen, gewiß auch ſchon ſehr verdorbenen Weit ge- lebt als wir, und von keiner Verſuchung zum Bö- ſen ſeiner Natur nach frey geweſen, und dennoch das geworden iſt, was uns ſein Leben ſagt, daß er war — ſo erinnern wir uns auch an die großen Kräfte und an die herrlichen Anlagen, die in unſrer der ſeinen ähnlichen Natur liegen, und hier iſt wie- der Beſchämung und Aufmunterung für jeden, der die Betrachtung weiter verfolgen und auf ſich anwen- den will. Ich will eine kurze Anleitung dazu geben. Möchte doch ihr Gebrauch die Beſchäfftigung einiger ſtillen und einſamen Stunden dieſes Feſtes ſeyn!
Jeſus hatte einen Körper wie der meine; Em- pfindung von Vergnügen und Schmerz, ſo gut als ich; Bedürfniſſe, die ſo gut als die meinigen ver- mehrt werden konnten, und deren Befriedigung ihm ſein Leben ſo gut als das meinige leichter, be-
quemer,
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[86[98]/0102]
gäbe es keine Beyſpiele, daß Menſchen, die mit
nicht wenigern Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt
hätten, doch viel weiter in der Tugend gekommen
wären, ſo würden wir zu entſchuldigen ſeyn. Aber
das eine Beyſpiel Jeſu benimmt uns ſchon alle Ent-
ſchuldigungen. Indem wir uns erinnern, daß er
gerade wie wir geboren, gerade wie wir Menſch ge-
worden, ſtufenweiſe herangewachſen, in einer eben
ſolchen, gewiß auch ſchon ſehr verdorbenen Weit ge-
lebt als wir, und von keiner Verſuchung zum Bö-
ſen ſeiner Natur nach frey geweſen, und dennoch das
geworden iſt, was uns ſein Leben ſagt, daß er
war — ſo erinnern wir uns auch an die großen
Kräfte und an die herrlichen Anlagen, die in unſrer
der ſeinen ähnlichen Natur liegen, und hier iſt wie-
der Beſchämung und Aufmunterung für jeden, der
die Betrachtung weiter verfolgen und auf ſich anwen-
den will. Ich will eine kurze Anleitung dazu geben.
Möchte doch ihr Gebrauch die Beſchäfftigung einiger
ſtillen und einſamen Stunden dieſes Feſtes ſeyn!
Jeſus hatte einen Körper wie der meine; Em-
pfindung von Vergnügen und Schmerz, ſo gut als
ich; Bedürfniſſe, die ſo gut als die meinigen ver-
mehrt werden konnten, und deren Befriedigung ihm
ſein Leben ſo gut als das meinige leichter, be-
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 86[98]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/102>, abgerufen am 16.02.2025.
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