Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Anfang unnatürlich und unerträglich finden, na-
türlich und erträglich, und es bedarf oft wenig Zeit,
um eben so zu denken, zu urtheilen, zu handeln,
wie die, deren Gesinnungen uns vormals noch so
sehr befremdeten.

Wie viel ist aus dieser so gemeinen Erfahrung
zu lernen! Von diesem Vielen will ich nur Einiges
nennen.

In welchem Stande wir auch leben mögen --
in jedem laßt uns das Gute, das aus der schönen
Mäßigkeit quillt, zu nutzen suchen. Es ist nicht
unmöglich, ob es wohl in den höhern Ständen
schwerer ist. Unsre Seele trachte nie nach hohen
Dingen; nie nach zu viel schimmernder Ehre und
glänzenden Vorzügen; nie nach zu viel Vermögen,
oder Einfiuß, oder Ruhm. Die Lasten, die dies
alles hat, sind das geringste Uebel. Die Gefahr,
die es bringen würde, und vor der auch die be-
festigte Tugend nicht ganz sicher ist, ist das größere,
mit dem wir vielleicht ein kleines, zum Theil nur
in der Einbildung bestehendes Gut, viel zu theuer
kaufen könnten. Es wird uns wohl thun, wenn
wir uns diese Gefahren im Einzelnen vorstellen, und
durch diese Vorstellung den Eindruck ihrer Reizungen
schwächen.

Wenn

Anfang unnatürlich und unerträglich finden, na-
türlich und erträglich, und es bedarf oft wenig Zeit,
um eben ſo zu denken, zu urtheilen, zu handeln,
wie die, deren Geſinnungen uns vormals noch ſo
ſehr befremdeten.

Wie viel iſt aus dieſer ſo gemeinen Erfahrung
zu lernen! Von dieſem Vielen will ich nur Einiges
nennen.

In welchem Stande wir auch leben mögen —
in jedem laßt uns das Gute, das aus der ſchönen
Mäßigkeit quillt, zu nutzen ſuchen. Es iſt nicht
unmöglich, ob es wohl in den höhern Ständen
ſchwerer iſt. Unſre Seele trachte nie nach hohen
Dingen; nie nach zu viel ſchimmernder Ehre und
glänzenden Vorzügen; nie nach zu viel Vermögen,
oder Einfiuß, oder Ruhm. Die Laſten, die dies
alles hat, ſind das geringſte Uebel. Die Gefahr,
die es bringen würde, und vor der auch die be-
feſtigte Tugend nicht ganz ſicher iſt, iſt das größere,
mit dem wir vielleicht ein kleines, zum Theil nur
in der Einbildung beſtehendes Gut, viel zu theuer
kaufen könnten. Es wird uns wohl thun, wenn
wir uns dieſe Gefahren im Einzelnen vorſtellen, und
durch dieſe Vorſtellung den Eindruck ihrer Reizungen
ſchwächen.

Wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0108" n="92[104]"/>
Anfang unnatürlich und unerträglich finden, na-<lb/>
türlich und erträglich, und es bedarf oft wenig Zeit,<lb/>
um eben &#x017F;o zu denken, zu urtheilen, zu handeln,<lb/>
wie die, deren Ge&#x017F;innungen uns vormals noch &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr befremdeten.</p><lb/>
          <p>Wie viel i&#x017F;t aus die&#x017F;er &#x017F;o gemeinen Erfahrung<lb/>
zu lernen! Von die&#x017F;em Vielen will ich nur Einiges<lb/>
nennen.</p><lb/>
          <p>In welchem Stande wir auch leben mögen &#x2014;<lb/>
in jedem laßt uns das Gute, das aus der &#x017F;chönen<lb/>
Mäßigkeit quillt, zu nutzen &#x017F;uchen. Es i&#x017F;t nicht<lb/>
unmöglich, ob es wohl in den höhern Ständen<lb/>
&#x017F;chwerer i&#x017F;t. Un&#x017F;re Seele trachte nie nach hohen<lb/>
Dingen; nie nach zu viel &#x017F;chimmernder Ehre und<lb/>
glänzenden Vorzügen; nie nach zu viel Vermögen,<lb/>
oder Einfiuß, oder Ruhm. Die La&#x017F;ten, die dies<lb/>
alles hat, &#x017F;ind das gering&#x017F;te Uebel. Die Gefahr,<lb/>
die es bringen würde, und vor der auch die be-<lb/>
fe&#x017F;tigte Tugend nicht ganz &#x017F;icher i&#x017F;t, i&#x017F;t das größere,<lb/>
mit dem wir vielleicht ein kleines, zum Theil nur<lb/>
in der Einbildung be&#x017F;tehendes Gut, viel zu theuer<lb/>
kaufen könnten. Es wird uns wohl thun, wenn<lb/>
wir uns die&#x017F;e Gefahren im Einzelnen vor&#x017F;tellen, und<lb/>
durch die&#x017F;e Vor&#x017F;tellung den Eindruck ihrer Reizungen<lb/>
&#x017F;chwächen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92[104]/0108] Anfang unnatürlich und unerträglich finden, na- türlich und erträglich, und es bedarf oft wenig Zeit, um eben ſo zu denken, zu urtheilen, zu handeln, wie die, deren Geſinnungen uns vormals noch ſo ſehr befremdeten. Wie viel iſt aus dieſer ſo gemeinen Erfahrung zu lernen! Von dieſem Vielen will ich nur Einiges nennen. In welchem Stande wir auch leben mögen — in jedem laßt uns das Gute, das aus der ſchönen Mäßigkeit quillt, zu nutzen ſuchen. Es iſt nicht unmöglich, ob es wohl in den höhern Ständen ſchwerer iſt. Unſre Seele trachte nie nach hohen Dingen; nie nach zu viel ſchimmernder Ehre und glänzenden Vorzügen; nie nach zu viel Vermögen, oder Einfiuß, oder Ruhm. Die Laſten, die dies alles hat, ſind das geringſte Uebel. Die Gefahr, die es bringen würde, und vor der auch die be- feſtigte Tugend nicht ganz ſicher iſt, iſt das größere, mit dem wir vielleicht ein kleines, zum Theil nur in der Einbildung beſtehendes Gut, viel zu theuer kaufen könnten. Es wird uns wohl thun, wenn wir uns dieſe Gefahren im Einzelnen vorſtellen, und durch dieſe Vorſtellung den Eindruck ihrer Reizungen ſchwächen. Wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/108
Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 92[104]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/108>, abgerufen am 21.11.2024.