Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Dritter Abschnitt. daß gerade das Unsichtbare, Hohe, Göttliche, was zumganzen Menschen und zwar eminent gehört, und doch in ihm nicht durch sich selbst allein mit Sicherheit zum Leben und zur Herrschaft kömmt, durch die Erziehung zur Gewöhnung und zum festen Glauben kommen müsse, und daß, wo immer die Erziehung dies versäume, ein Zufall nur die Menschheit in dem Menschen rette, den ein überwiegendes Gewicht zur Erde niederzieht, wenn die Erziehung nicht das Gegengewicht, das allerdings auch in ihm liegt, zum kräftigen Entgegenwirken frei macht. Wo aber gar durch die Erziehung selbst das natürliche Uebergewicht im Menschen noch durch Kunst vermehrt wird, da wird man wenigstens sich nicht ver- wundern dürfen, wenn Gleichgültigkeit gegen das Höchste, Unempfänglichkeit für das Ehrwürdigste, Kaltsinn gegen Religion, Geringschätzung wahrer Geistesgröße und niedriger Sklavensinn überhand nimmt. Aus Gründen also, die in der Natur des mensch- Aber auch selbst den äußeren Umständen, unter Dritter Abſchnitt. daß gerade das Unſichtbare, Hohe, Goͤttliche, was zumganzen Menſchen und zwar eminent gehoͤrt, und doch in ihm nicht durch ſich ſelbſt allein mit Sicherheit zum Leben und zur Herrſchaft koͤmmt, durch die Erziehung zur Gewoͤhnung und zum feſten Glauben kommen muͤſſe, und daß, wo immer die Erziehung dies verſaͤume, ein Zufall nur die Menſchheit in dem Menſchen rette, den ein uͤberwiegendes Gewicht zur Erde niederzieht, wenn die Erziehung nicht das Gegengewicht, das allerdings auch in ihm liegt, zum kraͤftigen Entgegenwirken frei macht. Wo aber gar durch die Erziehung ſelbſt das natuͤrliche Uebergewicht im Menſchen noch durch Kunſt vermehrt wird, da wird man wenigſtens ſich nicht ver- wundern duͤrfen, wenn Gleichguͤltigkeit gegen das Hoͤchſte, Unempfaͤnglichkeit fuͤr das Ehrwuͤrdigſte, Kaltſinn gegen Religion, Geringſchaͤtzung wahrer Geiſtesgroͤße und niedriger Sklavenſinn uͤberhand nimmt. Aus Gruͤnden alſo, die in der Natur des menſch- Aber auch ſelbſt den aͤußeren Umſtaͤnden, unter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0106" n="94"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/> daß gerade das Unſichtbare, Hohe, Goͤttliche, was zum<lb/> ganzen Menſchen und zwar eminent gehoͤrt, und doch<lb/> in ihm nicht durch ſich ſelbſt allein mit Sicherheit zum<lb/> Leben und zur Herrſchaft koͤmmt, durch die Erziehung<lb/> zur Gewoͤhnung und zum feſten Glauben kommen muͤſſe,<lb/> und daß, wo immer die Erziehung dies verſaͤume, ein<lb/> Zufall nur die Menſchheit in dem Menſchen rette, den<lb/> ein uͤberwiegendes Gewicht zur Erde niederzieht, wenn<lb/> die Erziehung nicht das Gegengewicht, das allerdings<lb/> auch in ihm liegt, zum kraͤftigen Entgegenwirken frei<lb/> macht. Wo aber gar durch die Erziehung ſelbſt das<lb/> natuͤrliche Uebergewicht im Menſchen noch durch Kunſt<lb/> vermehrt wird, da wird man wenigſtens ſich nicht ver-<lb/> wundern duͤrfen, wenn Gleichguͤltigkeit gegen das Hoͤchſte,<lb/> Unempfaͤnglichkeit fuͤr das Ehrwuͤrdigſte, Kaltſinn gegen<lb/> Religion, Geringſchaͤtzung wahrer Geiſtesgroͤße und<lb/> niedriger Sklavenſinn uͤberhand nimmt.</p><lb/> <p>Aus Gruͤnden alſo, die in der Natur des menſch-<lb/> lichen Geiſtes ſelbſt und in dem allgemeinen Geſetze<lb/> ſeiner Entwickelung liegen, wird jene Ausſcheidung<lb/> gerechtfertiget, die der Humaniſmus macht, indem er<lb/> die <hi rendition="#g">Humanitaͤtsbildung</hi> zum <hi rendition="#g">ausſchließenden<lb/> Zweck</hi> des Erziehungsunterrichts beſtimmt.</p><lb/> <p>Aber auch ſelbſt den aͤußeren Umſtaͤnden, unter<lb/> welchen die meiſten Menſchen leben, iſt jene Forderung<lb/> des Humaniſmus angemeßner als der Grundſatz des<lb/> Philanthropiniſmus.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0106]
Dritter Abſchnitt.
daß gerade das Unſichtbare, Hohe, Goͤttliche, was zum
ganzen Menſchen und zwar eminent gehoͤrt, und doch
in ihm nicht durch ſich ſelbſt allein mit Sicherheit zum
Leben und zur Herrſchaft koͤmmt, durch die Erziehung
zur Gewoͤhnung und zum feſten Glauben kommen muͤſſe,
und daß, wo immer die Erziehung dies verſaͤume, ein
Zufall nur die Menſchheit in dem Menſchen rette, den
ein uͤberwiegendes Gewicht zur Erde niederzieht, wenn
die Erziehung nicht das Gegengewicht, das allerdings
auch in ihm liegt, zum kraͤftigen Entgegenwirken frei
macht. Wo aber gar durch die Erziehung ſelbſt das
natuͤrliche Uebergewicht im Menſchen noch durch Kunſt
vermehrt wird, da wird man wenigſtens ſich nicht ver-
wundern duͤrfen, wenn Gleichguͤltigkeit gegen das Hoͤchſte,
Unempfaͤnglichkeit fuͤr das Ehrwuͤrdigſte, Kaltſinn gegen
Religion, Geringſchaͤtzung wahrer Geiſtesgroͤße und
niedriger Sklavenſinn uͤberhand nimmt.
Aus Gruͤnden alſo, die in der Natur des menſch-
lichen Geiſtes ſelbſt und in dem allgemeinen Geſetze
ſeiner Entwickelung liegen, wird jene Ausſcheidung
gerechtfertiget, die der Humaniſmus macht, indem er
die Humanitaͤtsbildung zum ausſchließenden
Zweck des Erziehungsunterrichts beſtimmt.
Aber auch ſelbſt den aͤußeren Umſtaͤnden, unter
welchen die meiſten Menſchen leben, iſt jene Forderung
des Humaniſmus angemeßner als der Grundſatz des
Philanthropiniſmus.
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