Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Einleitung. zudehnen, und das Grundprincip der Opposition im Gan-zen zu fassen. Derselbige Gegensatz der Pädagogik, der in Ansehung des Gymnasialunterrichts als verderblich angeklagt worden, hat auch in dem übrigen Schulunterricht wie in dem Privatunterricht das Uebergewicht gewonnen, und wirkt nur um so nachtheiliger, weil die Meisten das Uebel nicht einmal recht kennen, und für Gesundheit halten, was die ei- gentliche Krankheit ist. Dem pädagogischen Bedürfniß der Zeit wäre sonach durch bloße Beilegung des über nicht ganz gewöhnlichen Ausdrucks zu sagen. Erstens, daß er mit Er-
ziehungslehre verwechselt und als Anweisung zum Erzie- hen verstanden werde, ist zwar nicht geradezu unmöglich, wie die analoge Zusammensetzung des Wortes Erziehungslehre selbst be- weist; aber doch schon deshalb kaum zu besorgen, weil das Wort Unterricht stäts nur von der Praxis des Unterrichtens selbst, nie- mals aber, wie das Wort Lehre in der obigen Zusammensetzung, von einer Theorie gebraucht wird. Zweitens hat das Wort Erzie- hungsunterricht, in der ihm hier beigelegten Bedeutung, die Analogie der Worter Schulunterricht, Kinderunterricht, Jugendunterricht für sich, in welchen ebenfalls das erste Wort der Zusammensetzung nicht sowohl dem allgemeinen Begriff des Unter- richts einen bestimmten Gegenstand, als vielmehr einer bestimmten Art des Unterrichts die Periode ihrer Dauer bezeichnet. Da es nun für den Zweck dieser Abhandlung darauf ankam, ein Wort zu finden, welches den Begriff des Unterrichts, soweit er die allgemeine Bildung umfaßt, nicht nur in seinem ganzen Umfang, sondern zugleich auch in seinem bestimmten Gegensatze zu der speciellen Bildung (der Be- rufserlernung, des Fachstudiums etc.) deutlich bezeichnete: so schien die Zusammensetzung des Ausdruckes Erziehungsunterricht verant- wortlich und selbst des Bürgerrechts in der Sprache um so eher würdig zu seyn, da keiner der drei obengenannten Ausdrücke jenen Begriff ganz erschöpft, dagegen aber der Ausdruck Erziehungsunter- richt, sofern die eigentliche Erziehung mit dem Uebergang des Lehrlings zum Berufsunterricht geendigt ist, die Periode der allgemeinen Bildung vollkommen richtig bezeichnet. Einleitung. zudehnen, und das Grundprincip der Oppoſition im Gan-zen zu faſſen. Derſelbige Gegenſatz der Paͤdagogik, der in Anſehung des Gymnaſialunterrichts als verderblich angeklagt worden, hat auch in dem uͤbrigen Schulunterricht wie in dem Privatunterricht das Uebergewicht gewonnen, und wirkt nur um ſo nachtheiliger, weil die Meiſten das Uebel nicht einmal recht kennen, und fuͤr Geſundheit halten, was die ei- gentliche Krankheit iſt. Dem paͤdagogiſchen Beduͤrfniß der Zeit waͤre ſonach durch bloße Beilegung des uͤber nicht ganz gewöhnlichen Ausdrucks zu ſagen. Erſtens, daß er mit Er-
ziehungslehre verwechſelt und als Anweiſung zum Erzie- hen verſtanden werde, iſt zwar nicht geradezu unmöglich, wie die analoge Zuſammenſetzung des Wortes Erziehungslehre ſelbſt be- weiſt; aber doch ſchon deshalb kaum zu beſorgen, weil das Wort Unterricht ſtäts nur von der Praxis des Unterrichtens ſelbſt, nie- mals aber, wie das Wort Lehre in der obigen Zuſammenſetzung, von einer Theorie gebraucht wird. Zweitens hat das Wort Erzie- hungsunterricht, in der ihm hier beigelegten Bedeutung, die Analogie der Worter Schulunterricht, Kinderunterricht, Jugendunterricht für ſich, in welchen ebenfalls das erſte Wort der Zuſammenſetzung nicht ſowohl dem allgemeinen Begriff des Unter- richts einen beſtimmten Gegenſtand, als vielmehr einer beſtimmten Art des Unterrichts die Periode ihrer Dauer bezeichnet. Da es nun für den Zweck dieſer Abhandlung darauf ankam, ein Wort zu finden, welches den Begriff des Unterrichts, ſoweit er die allgemeine Bildung umfaßt, nicht nur in ſeinem ganzen Umfang, ſondern zugleich auch in ſeinem beſtimmten Gegenſatze zu der ſpeciellen Bildung (der Be- rufserlernung, des Fachſtudiums ꝛc.) deutlich bezeichnete: ſo ſchien die Zuſammenſetzung des Ausdruckes Erziehungsunterricht verant- wortlich und ſelbſt des Bürgerrechts in der Sprache um ſo eher würdig zu ſeyn, da keiner der drei obengenannten Ausdrücke jenen Begriff ganz erſchöpft, dagegen aber der Ausdruck Erziehungsunter- richt, ſofern die eigentliche Erziehung mit dem Uebergang des Lehrlings zum Berufsunterricht geendigt iſt, die Periode der allgemeinen Bildung vollkommen richtig bezeichnet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0016" n="4"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> zudehnen, und das Grundprincip der Oppoſition im Gan-<lb/> zen zu faſſen. Derſelbige Gegenſatz der Paͤdagogik,<lb/> der in Anſehung des <hi rendition="#g">Gymnaſialunterrichts</hi> als<lb/> verderblich angeklagt worden, hat auch in dem uͤbrigen<lb/><hi rendition="#g">Schulunterricht</hi> wie in dem <hi rendition="#g">Privatunterricht</hi><lb/> das Uebergewicht gewonnen, und wirkt nur um ſo<lb/> nachtheiliger, weil die Meiſten das Uebel nicht einmal<lb/> recht kennen, und fuͤr Geſundheit halten, was die ei-<lb/> gentliche Krankheit iſt. Dem paͤdagogiſchen Beduͤrfniß<lb/> der Zeit waͤre ſonach durch bloße Beilegung des uͤber<lb/><note xml:id="note-0016" prev="#note-0015" place="foot" n="*)">nicht ganz gewöhnlichen Ausdrucks zu ſagen. Erſtens, daß er mit <hi rendition="#g">Er-<lb/> ziehungslehre</hi> verwechſelt und als <hi rendition="#g">Anweiſung zum Erzie-<lb/> hen</hi> verſtanden werde, iſt zwar nicht geradezu unmöglich, wie die<lb/> analoge Zuſammenſetzung des Wortes <hi rendition="#g">Erziehungslehre</hi> ſelbſt be-<lb/> weiſt; aber doch ſchon deshalb kaum zu beſorgen, weil das Wort<lb/><hi rendition="#g">Unterricht</hi> ſtäts nur von der Praxis des Unterrichtens ſelbſt, nie-<lb/> mals aber, wie das Wort <hi rendition="#g">Lehre</hi> in der obigen Zuſammenſetzung,<lb/> von einer Theorie gebraucht wird. Zweitens hat das Wort <hi rendition="#g">Erzie-<lb/> hungsunterricht</hi>, in der ihm hier beigelegten Bedeutung, die<lb/> Analogie der Worter <hi rendition="#g">Schulunterricht, Kinderunterricht,<lb/> Jugendunterricht</hi> für ſich, in welchen ebenfalls das erſte Wort<lb/> der Zuſammenſetzung nicht ſowohl dem allgemeinen Begriff des Unter-<lb/> richts einen beſtimmten Gegenſtand, als vielmehr einer beſtimmten Art<lb/> des Unterrichts die Periode ihrer Dauer bezeichnet. Da es nun für den<lb/> Zweck dieſer Abhandlung darauf ankam, ein Wort zu finden, welches<lb/> den Begriff des Unterrichts, ſoweit er die <hi rendition="#g">allgemeine Bildung</hi><lb/> umfaßt, nicht nur in ſeinem ganzen Umfang, ſondern zugleich auch in<lb/> ſeinem beſtimmten Gegenſatze zu der <hi rendition="#g">ſpeciellen Bildung</hi> (der Be-<lb/> rufserlernung, des Fachſtudiums ꝛc.) deutlich bezeichnete: ſo ſchien die<lb/> Zuſammenſetzung des Ausdruckes <hi rendition="#g">Erziehungsunterricht</hi> verant-<lb/> wortlich und ſelbſt des Bürgerrechts in der Sprache um ſo eher würdig<lb/> zu ſeyn, da keiner der drei obengenannten Ausdrücke jenen Begriff<lb/> ganz erſchöpft, dagegen aber der Ausdruck <hi rendition="#g">Erziehungsunter-<lb/> richt</hi>, ſofern die eigentliche <hi rendition="#g">Erziehung</hi> mit dem Uebergang des<lb/> Lehrlings zum <hi rendition="#g">Berufsunterricht</hi> geendigt iſt, die Periode der<lb/><hi rendition="#g">allgemeinen Bildung</hi> vollkommen richtig bezeichnet.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0016]
Einleitung.
zudehnen, und das Grundprincip der Oppoſition im Gan-
zen zu faſſen. Derſelbige Gegenſatz der Paͤdagogik,
der in Anſehung des Gymnaſialunterrichts als
verderblich angeklagt worden, hat auch in dem uͤbrigen
Schulunterricht wie in dem Privatunterricht
das Uebergewicht gewonnen, und wirkt nur um ſo
nachtheiliger, weil die Meiſten das Uebel nicht einmal
recht kennen, und fuͤr Geſundheit halten, was die ei-
gentliche Krankheit iſt. Dem paͤdagogiſchen Beduͤrfniß
der Zeit waͤre ſonach durch bloße Beilegung des uͤber
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*) nicht ganz gewöhnlichen Ausdrucks zu ſagen. Erſtens, daß er mit Er-
ziehungslehre verwechſelt und als Anweiſung zum Erzie-
hen verſtanden werde, iſt zwar nicht geradezu unmöglich, wie die
analoge Zuſammenſetzung des Wortes Erziehungslehre ſelbſt be-
weiſt; aber doch ſchon deshalb kaum zu beſorgen, weil das Wort
Unterricht ſtäts nur von der Praxis des Unterrichtens ſelbſt, nie-
mals aber, wie das Wort Lehre in der obigen Zuſammenſetzung,
von einer Theorie gebraucht wird. Zweitens hat das Wort Erzie-
hungsunterricht, in der ihm hier beigelegten Bedeutung, die
Analogie der Worter Schulunterricht, Kinderunterricht,
Jugendunterricht für ſich, in welchen ebenfalls das erſte Wort
der Zuſammenſetzung nicht ſowohl dem allgemeinen Begriff des Unter-
richts einen beſtimmten Gegenſtand, als vielmehr einer beſtimmten Art
des Unterrichts die Periode ihrer Dauer bezeichnet. Da es nun für den
Zweck dieſer Abhandlung darauf ankam, ein Wort zu finden, welches
den Begriff des Unterrichts, ſoweit er die allgemeine Bildung
umfaßt, nicht nur in ſeinem ganzen Umfang, ſondern zugleich auch in
ſeinem beſtimmten Gegenſatze zu der ſpeciellen Bildung (der Be-
rufserlernung, des Fachſtudiums ꝛc.) deutlich bezeichnete: ſo ſchien die
Zuſammenſetzung des Ausdruckes Erziehungsunterricht verant-
wortlich und ſelbſt des Bürgerrechts in der Sprache um ſo eher würdig
zu ſeyn, da keiner der drei obengenannten Ausdrücke jenen Begriff
ganz erſchöpft, dagegen aber der Ausdruck Erziehungsunter-
richt, ſofern die eigentliche Erziehung mit dem Uebergang des
Lehrlings zum Berufsunterricht geendigt iſt, die Periode der
allgemeinen Bildung vollkommen richtig bezeichnet.
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