Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Dritter Abschnitt. Gottheit Genius Geweihten, dürfen ungestraft die Handnach jenem Preiß ausstrecken. Wir andern wollen, selbst mit Gefahr so Vielen als Pedanten zu erscheinen, uns bescheiden, vor allem andern ganz das Wenige zu wissen, was wir zu treiben in der Welt von Gott be- rufen sind, und uns nicht lassen zu dem Frevel bereden, des Berufs vergessend nach jenem Alles Wissen auszu- schweifen. Die Breite des Wissens steht mit der Tiefe desselben für die endliche Kraft des Menschen im um- gekehrten Verhältniß, und bei den Meisten muß es in dem Maße flacher werden, in welchem es an Umfang wächst. Von Allem tief zu schöpfen, übersteigt die Kraft und Zeit der Meisten: von Allem aber nur die Oberfläche fassen, macht fad und leer, und mag viel- leicht den Schein der Politur verschaffen, wird aber lächerlicher Wahn, wenn sichs als hohe Bildung brüstet. Sodann, haben wir denn mit unserm Alleslernen Dritter Abſchnitt. Gottheit Genius Geweihten, duͤrfen ungeſtraft die Handnach jenem Preiß ausſtrecken. Wir andern wollen, ſelbſt mit Gefahr ſo Vielen als Pedanten zu erſcheinen, uns beſcheiden, vor allem andern ganz das Wenige zu wiſſen, was wir zu treiben in der Welt von Gott be- rufen ſind, und uns nicht laſſen zu dem Frevel bereden, des Berufs vergeſſend nach jenem Alles Wiſſen auszu- ſchweifen. Die Breite des Wiſſens ſteht mit der Tiefe deſſelben fuͤr die endliche Kraft des Menſchen im um- gekehrten Verhaͤltniß, und bei den Meiſten muß es in dem Maße flacher werden, in welchem es an Umfang waͤchſt. Von Allem tief zu ſchoͤpfen, uͤberſteigt die Kraft und Zeit der Meiſten: von Allem aber nur die Oberflaͤche faſſen, macht fad und leer, und mag viel- leicht den Schein der Politur verſchaffen, wird aber laͤcherlicher Wahn, wenn ſichs als hohe Bildung bruͤſtet. Sodann, haben wir denn mit unſerm Alleslernen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0160" n="148"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/> Gottheit Genius Geweihten, duͤrfen ungeſtraft die Hand<lb/> nach jenem Preiß ausſtrecken. Wir andern wollen,<lb/> ſelbſt mit Gefahr ſo Vielen als Pedanten zu erſcheinen,<lb/> uns beſcheiden, vor allem andern ganz das Wenige zu<lb/> wiſſen, was wir zu treiben in der Welt von Gott be-<lb/> rufen ſind, und uns nicht laſſen zu dem Frevel bereden,<lb/> des Berufs vergeſſend nach jenem Alles Wiſſen auszu-<lb/> ſchweifen. Die Breite des Wiſſens ſteht mit der Tiefe<lb/> deſſelben fuͤr die endliche Kraft des Menſchen im um-<lb/> gekehrten Verhaͤltniß, und bei den Meiſten muß es in<lb/> dem Maße flacher werden, in welchem es an Umfang<lb/> waͤchſt. Von Allem tief zu ſchoͤpfen, uͤberſteigt die<lb/> Kraft und Zeit der Meiſten: von Allem aber nur die<lb/> Oberflaͤche faſſen, macht fad und leer, und mag viel-<lb/> leicht den Schein der Politur verſchaffen, wird aber<lb/> laͤcherlicher Wahn, wenn ſichs als hohe Bildung<lb/> bruͤſtet.</p><lb/> <p>Sodann, haben wir denn mit unſerm Alleslernen<lb/> den boͤſen Daͤmon des Pedantiſmus wirklich ausge-<lb/> trieben, oder iſt er nicht mit mehr als ſieben andern<lb/> boͤſen Geiſtern zuruͤckgekehrt? Der Maͤnner Pedantiſmus<lb/> wurde ſonſt doch noch durch der Frauen unverkuͤnſteltes<lb/> Gemuͤth und ihren freien Sinn gemildert: aber jetzt?<lb/> Sind nicht ſie ſelbſt, die Alleswiſſerinnen, von dem<lb/> allerſchlimmſten Pedantiſmus ergriffen? Koͤnnen wir<lb/> denn noch die Studirſtube in ihrer Geſellſchaft ver-<lb/> geſſen? Koͤnnen wir denn noch bei ihnen unſer Wiſſen<lb/> gegen reines Gold natuͤrlichen Gefuͤhls und unver-<lb/> ſchrobnen Urtheils austauſchen? Zahlen ſie nicht jetzt<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [148/0160]
Dritter Abſchnitt.
Gottheit Genius Geweihten, duͤrfen ungeſtraft die Hand
nach jenem Preiß ausſtrecken. Wir andern wollen,
ſelbſt mit Gefahr ſo Vielen als Pedanten zu erſcheinen,
uns beſcheiden, vor allem andern ganz das Wenige zu
wiſſen, was wir zu treiben in der Welt von Gott be-
rufen ſind, und uns nicht laſſen zu dem Frevel bereden,
des Berufs vergeſſend nach jenem Alles Wiſſen auszu-
ſchweifen. Die Breite des Wiſſens ſteht mit der Tiefe
deſſelben fuͤr die endliche Kraft des Menſchen im um-
gekehrten Verhaͤltniß, und bei den Meiſten muß es in
dem Maße flacher werden, in welchem es an Umfang
waͤchſt. Von Allem tief zu ſchoͤpfen, uͤberſteigt die
Kraft und Zeit der Meiſten: von Allem aber nur die
Oberflaͤche faſſen, macht fad und leer, und mag viel-
leicht den Schein der Politur verſchaffen, wird aber
laͤcherlicher Wahn, wenn ſichs als hohe Bildung
bruͤſtet.
Sodann, haben wir denn mit unſerm Alleslernen
den boͤſen Daͤmon des Pedantiſmus wirklich ausge-
trieben, oder iſt er nicht mit mehr als ſieben andern
boͤſen Geiſtern zuruͤckgekehrt? Der Maͤnner Pedantiſmus
wurde ſonſt doch noch durch der Frauen unverkuͤnſteltes
Gemuͤth und ihren freien Sinn gemildert: aber jetzt?
Sind nicht ſie ſelbſt, die Alleswiſſerinnen, von dem
allerſchlimmſten Pedantiſmus ergriffen? Koͤnnen wir
denn noch die Studirſtube in ihrer Geſellſchaft ver-
geſſen? Koͤnnen wir denn noch bei ihnen unſer Wiſſen
gegen reines Gold natuͤrlichen Gefuͤhls und unver-
ſchrobnen Urtheils austauſchen? Zahlen ſie nicht jetzt
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