Hat der Erziehungsunterricht nur die Bil- dung des Lehrlings zum Menschen zu seinem Zwecke, so ist unstreitig schon deshalb keine große Zahl von Lehrgegenständen aufzunehmen, weil diese Bildung, wie oben erinnert worden ist, überhaupt im Wissen allein nicht besteht, am allerwenigsten aber in der Masse von Kenntnissen und in der Vielwisserei, welche vielmehr unausbleiblich Verbildung nach sich zieht. Wie alle Bildung nur durch energischen Gebrauch der Kräfte erzeugt wird, dadurch daß man etwas rechtes und tüchtiges leistet, so kann auch die Bildung, die durch Wissen erworben werden soll, nicht durch das viel und oberflächlich Wissen, das den Geist vielmehr zer- streut als anstrengt, sondern nur durch das recht und gründlich Wissen erlangt werden; und es ergiebt sich daraus für die Bestimmung der Zahl von Lehrgegen- ständen des Erziehungsunterrichts das unverwerfliche Regulativ: nicht mehrere Gegenstände aufzu- nehmen, als zufolge der Entwickelungsstufe der Lehrlinge und der gegebenen Unter- richtsfrist gründlich gelernt werden können. Da das gründliche Wissen zwar zunächst auf Erschöpfung eines Gegenstandes und seiner bestimmten Sphäre gerichtet seyn muß, jedoch auch die Ausbrei- tung auf die nächstverwandten Gegegenstände und ihre Kreise nicht nur nicht ausschließt, sondern vielmehr -- sofern die Erschöpfung eines Gegenstandes dadurch be- dingt ist -- ausdrücklich fordert: so werden selbst die, die dem entgegengesetzten Systeme zugethan sind, dieses Regulativ nicht ganz verwerflich finden.
Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
Hat der Erziehungsunterricht nur die Bil- dung des Lehrlings zum Menſchen zu ſeinem Zwecke, ſo iſt unſtreitig ſchon deshalb keine große Zahl von Lehrgegenſtaͤnden aufzunehmen, weil dieſe Bildung, wie oben erinnert worden iſt, uͤberhaupt im Wiſſen allein nicht beſteht, am allerwenigſten aber in der Maſſe von Kenntniſſen und in der Vielwiſſerei, welche vielmehr unausbleiblich Verbildung nach ſich zieht. Wie alle Bildung nur durch energiſchen Gebrauch der Kraͤfte erzeugt wird, dadurch daß man etwas rechtes und tuͤchtiges leiſtet, ſo kann auch die Bildung, die durch Wiſſen erworben werden ſoll, nicht durch das viel und oberflaͤchlich Wiſſen, das den Geiſt vielmehr zer- ſtreut als anſtrengt, ſondern nur durch das recht und gruͤndlich Wiſſen erlangt werden; und es ergiebt ſich daraus fuͤr die Beſtimmung der Zahl von Lehrgegen- ſtaͤnden des Erziehungsunterrichts das unverwerfliche Regulativ: nicht mehrere Gegenſtaͤnde aufzu- nehmen, als zufolge der Entwickelungsſtufe der Lehrlinge und der gegebenen Unter- richtsfriſt gruͤndlich gelernt werden koͤnnen. Da das gruͤndliche Wiſſen zwar zunaͤchſt auf Erſchoͤpfung eines Gegenſtandes und ſeiner beſtimmten Sphaͤre gerichtet ſeyn muß, jedoch auch die Ausbrei- tung auf die naͤchſtverwandten Gegegenſtaͤnde und ihre Kreiſe nicht nur nicht ausſchließt, ſondern vielmehr — ſofern die Erſchoͤpfung eines Gegenſtandes dadurch be- dingt iſt — ausdruͤcklich fordert: ſo werden ſelbſt die, die dem entgegengeſetzten Syſteme zugethan ſind, dieſes Regulativ nicht ganz verwerflich finden.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><pbfacs="#f0171"n="159"/><fwplace="top"type="header">Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.</fw><lb/><p>Hat der <hirendition="#g">Erziehungsunterricht</hi> nur die Bil-<lb/>
dung des Lehrlings zum <hirendition="#g">Menſchen</hi> zu ſeinem Zwecke,<lb/>ſo iſt unſtreitig ſchon deshalb keine große Zahl von<lb/>
Lehrgegenſtaͤnden aufzunehmen, weil dieſe Bildung, wie<lb/>
oben erinnert worden iſt, uͤberhaupt im Wiſſen allein<lb/>
nicht beſteht, am allerwenigſten aber in der Maſſe von<lb/>
Kenntniſſen und in der Vielwiſſerei, welche vielmehr<lb/>
unausbleiblich Verbildung nach ſich zieht. Wie alle<lb/>
Bildung nur durch energiſchen Gebrauch der Kraͤfte<lb/>
erzeugt wird, dadurch daß man etwas rechtes und<lb/>
tuͤchtiges leiſtet, ſo kann auch die Bildung, die durch<lb/>
Wiſſen erworben werden ſoll, nicht durch das viel<lb/>
und oberflaͤchlich Wiſſen, das den Geiſt vielmehr zer-<lb/>ſtreut als anſtrengt, ſondern nur durch das recht und<lb/>
gruͤndlich Wiſſen erlangt werden; und es ergiebt ſich<lb/>
daraus fuͤr die Beſtimmung der Zahl von Lehrgegen-<lb/>ſtaͤnden des Erziehungsunterrichts das unverwerfliche<lb/>
Regulativ: <hirendition="#g">nicht mehrere Gegenſtaͤnde aufzu-<lb/>
nehmen, als zufolge der Entwickelungsſtufe<lb/>
der Lehrlinge und der gegebenen Unter-<lb/>
richtsfriſt gruͤndlich gelernt werden koͤnnen</hi>.<lb/>
Da das <hirendition="#g">gruͤndliche Wiſſen</hi> zwar zunaͤchſt auf<lb/>
Erſchoͤpfung eines Gegenſtandes und ſeiner beſtimmten<lb/>
Sphaͤre gerichtet ſeyn muß, jedoch auch die Ausbrei-<lb/>
tung auf die naͤchſtverwandten Gegegenſtaͤnde und ihre<lb/>
Kreiſe nicht nur nicht ausſchließt, ſondern vielmehr —<lb/>ſofern die Erſchoͤpfung eines Gegenſtandes dadurch be-<lb/>
dingt iſt — ausdruͤcklich fordert: ſo werden ſelbſt die,<lb/>
die dem entgegengeſetzten Syſteme zugethan ſind, dieſes<lb/>
Regulativ nicht ganz verwerflich finden.</p><lb/></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[159/0171]
Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
Hat der Erziehungsunterricht nur die Bil-
dung des Lehrlings zum Menſchen zu ſeinem Zwecke,
ſo iſt unſtreitig ſchon deshalb keine große Zahl von
Lehrgegenſtaͤnden aufzunehmen, weil dieſe Bildung, wie
oben erinnert worden iſt, uͤberhaupt im Wiſſen allein
nicht beſteht, am allerwenigſten aber in der Maſſe von
Kenntniſſen und in der Vielwiſſerei, welche vielmehr
unausbleiblich Verbildung nach ſich zieht. Wie alle
Bildung nur durch energiſchen Gebrauch der Kraͤfte
erzeugt wird, dadurch daß man etwas rechtes und
tuͤchtiges leiſtet, ſo kann auch die Bildung, die durch
Wiſſen erworben werden ſoll, nicht durch das viel
und oberflaͤchlich Wiſſen, das den Geiſt vielmehr zer-
ſtreut als anſtrengt, ſondern nur durch das recht und
gruͤndlich Wiſſen erlangt werden; und es ergiebt ſich
daraus fuͤr die Beſtimmung der Zahl von Lehrgegen-
ſtaͤnden des Erziehungsunterrichts das unverwerfliche
Regulativ: nicht mehrere Gegenſtaͤnde aufzu-
nehmen, als zufolge der Entwickelungsſtufe
der Lehrlinge und der gegebenen Unter-
richtsfriſt gruͤndlich gelernt werden koͤnnen.
Da das gruͤndliche Wiſſen zwar zunaͤchſt auf
Erſchoͤpfung eines Gegenſtandes und ſeiner beſtimmten
Sphaͤre gerichtet ſeyn muß, jedoch auch die Ausbrei-
tung auf die naͤchſtverwandten Gegegenſtaͤnde und ihre
Kreiſe nicht nur nicht ausſchließt, ſondern vielmehr —
ſofern die Erſchoͤpfung eines Gegenſtandes dadurch be-
dingt iſt — ausdruͤcklich fordert: ſo werden ſelbſt die,
die dem entgegengeſetzten Syſteme zugethan ſind, dieſes
Regulativ nicht ganz verwerflich finden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/171>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.