Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.

unterrichts, sondern der unmittelbare Zweck dessel-
ben ist ausschließend Menschenbildung.

Nicht darinn hat der Humanismus unrecht, daß
er die Menschenbildung zum ausschließenden Zweck
des Erziehungsunterrichts bestimmte, sondern nur darinn,
daß er, seiner Grundtendenz ungetreu, geistige Berufs-
bildung
mit Menschenbildung verwechselte, und
die Lehrlinge mehr zu Gelehrten als zu Menschen
bildete. Inzwischen ist es eine in der That nicht bloß dem
Humanismus eigene, sondern auch von dem Philan-
thropinismus verschuldete Verwechselung von Begriffen,
die sich in der vorherrschenden Richtung unsrer ganzen
modernen Cultur auf die möglich größte Masse von
Kenntnissen sogar als allgemein verbreitet zeigt, daß
die Menschenbildung oder -- wie sie nach dem
gewöhnlicheren Sprachgebrauche der Pädagogik heißt --
die allgemeine Bildung, im Gegensatze von Be-
rufsbildung
, fast ganz als gleichbedeutend mit
gelehrter Bildung behandelt wird. Aber es ist
deshalb nur um so nöthiger, beides schärfer von einan-
der zu unterscheiden, und vorzüglich den Begriff der
Menschenbildung, die wir als ausschließenden
Zweck des Erziehungsunterrichts betrachten, genauer zu
bestimmen.

Im Allgemeinen begreift man unter Menschen-
bildung
Bildung des Menschen als Menschen,
abgesehen von aller Verschiedenheit individueller Be-
schaffenheiten und Beziehungen desselben, oder die

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.

unterrichts, ſondern der unmittelbare Zweck deſſel-
ben iſt ausſchließend Menſchenbildung.

Nicht darinn hat der Humaniſmus unrecht, daß
er die Menſchenbildung zum ausſchließenden Zweck
des Erziehungsunterrichts beſtimmte, ſondern nur darinn,
daß er, ſeiner Grundtendenz ungetreu, geiſtige Berufs-
bildung
mit Menſchenbildung verwechſelte, und
die Lehrlinge mehr zu Gelehrten als zu Menſchen
bildete. Inzwiſchen iſt es eine in der That nicht bloß dem
Humaniſmus eigene, ſondern auch von dem Philan-
thropiniſmus verſchuldete Verwechſelung von Begriffen,
die ſich in der vorherrſchenden Richtung unſrer ganzen
modernen Cultur auf die moͤglich groͤßte Maſſe von
Kenntniſſen ſogar als allgemein verbreitet zeigt, daß
die Menſchenbildung oder — wie ſie nach dem
gewoͤhnlicheren Sprachgebrauche der Paͤdagogik heißt —
die allgemeine Bildung, im Gegenſatze von Be-
rufsbildung
, faſt ganz als gleichbedeutend mit
gelehrter Bildung behandelt wird. Aber es iſt
deshalb nur um ſo noͤthiger, beides ſchaͤrfer von einan-
der zu unterſcheiden, und vorzuͤglich den Begriff der
Menſchenbildung, die wir als ausſchließenden
Zweck des Erziehungsunterrichts betrachten, genauer zu
beſtimmen.

Im Allgemeinen begreift man unter Menſchen-
bildung
Bildung des Menſchen als Menſchen,
abgeſehen von aller Verſchiedenheit individueller Be-
ſchaffenheiten und Beziehungen deſſelben, oder die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p>
                    <pb facs="#f0195" n="183"/>
                    <fw place="top" type="header">Von d. Grund&#x017F;. d. Erziehungsunterr. im Allgem.</fw><lb/> <hi rendition="#et">unterrichts, &#x017F;ondern der unmittelbare Zweck de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben i&#x017F;t aus&#x017F;chließend <hi rendition="#g">Men&#x017F;chenbildung</hi>.</hi> </p><lb/>
                  <p>Nicht darinn hat der Humani&#x017F;mus unrecht, daß<lb/>
er die <hi rendition="#g">Men&#x017F;chenbildung</hi> zum aus&#x017F;chließenden Zweck<lb/>
des Erziehungsunterrichts be&#x017F;timmte, &#x017F;ondern nur darinn,<lb/>
daß er, &#x017F;einer Grundtendenz ungetreu, <hi rendition="#g">gei&#x017F;tige Berufs-<lb/>
bildung</hi> mit <hi rendition="#g">Men&#x017F;chenbildung</hi> verwech&#x017F;elte, und<lb/>
die Lehrlinge mehr zu <hi rendition="#g">Gelehrten</hi> als zu <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi><lb/>
bildete. Inzwi&#x017F;chen i&#x017F;t es eine in der That nicht bloß dem<lb/>
Humani&#x017F;mus eigene, &#x017F;ondern auch von dem Philan-<lb/>
thropini&#x017F;mus ver&#x017F;chuldete Verwech&#x017F;elung von Begriffen,<lb/>
die &#x017F;ich in der vorherr&#x017F;chenden Richtung un&#x017F;rer ganzen<lb/>
modernen Cultur auf die mo&#x0364;glich gro&#x0364;ßte Ma&#x017F;&#x017F;e von<lb/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ogar als allgemein verbreitet zeigt, daß<lb/>
die <hi rendition="#g">Men&#x017F;chenbildung</hi> oder &#x2014; wie &#x017F;ie nach dem<lb/>
gewo&#x0364;hnlicheren Sprachgebrauche der Pa&#x0364;dagogik heißt &#x2014;<lb/>
die <hi rendition="#g">allgemeine Bildung</hi>, im Gegen&#x017F;atze von <hi rendition="#g">Be-<lb/>
rufsbildung</hi>, fa&#x017F;t ganz als gleichbedeutend mit<lb/><hi rendition="#g">gelehrter Bildung</hi> behandelt wird. Aber es i&#x017F;t<lb/>
deshalb nur um &#x017F;o no&#x0364;thiger, beides &#x017F;cha&#x0364;rfer von einan-<lb/>
der zu unter&#x017F;cheiden, und vorzu&#x0364;glich den Begriff der<lb/><hi rendition="#g">Men&#x017F;chenbildung</hi>, die wir als aus&#x017F;chließenden<lb/>
Zweck des Erziehungsunterrichts betrachten, genauer zu<lb/>
be&#x017F;timmen.</p><lb/>
                  <p>Im Allgemeinen begreift man unter <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen-<lb/>
bildung</hi> Bildung des Men&#x017F;chen als <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi>,<lb/>
abge&#x017F;ehen von aller Ver&#x017F;chiedenheit individueller Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheiten und Beziehungen de&#x017F;&#x017F;elben, oder die<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0195] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. unterrichts, ſondern der unmittelbare Zweck deſſel- ben iſt ausſchließend Menſchenbildung. Nicht darinn hat der Humaniſmus unrecht, daß er die Menſchenbildung zum ausſchließenden Zweck des Erziehungsunterrichts beſtimmte, ſondern nur darinn, daß er, ſeiner Grundtendenz ungetreu, geiſtige Berufs- bildung mit Menſchenbildung verwechſelte, und die Lehrlinge mehr zu Gelehrten als zu Menſchen bildete. Inzwiſchen iſt es eine in der That nicht bloß dem Humaniſmus eigene, ſondern auch von dem Philan- thropiniſmus verſchuldete Verwechſelung von Begriffen, die ſich in der vorherrſchenden Richtung unſrer ganzen modernen Cultur auf die moͤglich groͤßte Maſſe von Kenntniſſen ſogar als allgemein verbreitet zeigt, daß die Menſchenbildung oder — wie ſie nach dem gewoͤhnlicheren Sprachgebrauche der Paͤdagogik heißt — die allgemeine Bildung, im Gegenſatze von Be- rufsbildung, faſt ganz als gleichbedeutend mit gelehrter Bildung behandelt wird. Aber es iſt deshalb nur um ſo noͤthiger, beides ſchaͤrfer von einan- der zu unterſcheiden, und vorzuͤglich den Begriff der Menſchenbildung, die wir als ausſchließenden Zweck des Erziehungsunterrichts betrachten, genauer zu beſtimmen. Im Allgemeinen begreift man unter Menſchen- bildung Bildung des Menſchen als Menſchen, abgeſehen von aller Verſchiedenheit individueller Be- ſchaffenheiten und Beziehungen deſſelben, oder die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/195
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/195>, abgerufen am 23.11.2024.