Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
schiedenheit der menschlichen Individuen in allen
Eine und dieselbe ist
. Demnach wäre Men-
schenbildung
nichts anderes als Bildung der
Vernunft
in dem Individuum.

Ist aber Menschenbildung in diesem Sinne
des Wortes, als Vernunftbildung, die aus-
schließende Aufgabe des Erziehungsunterrichts, so folgt
daraus von selbst, daß dieser Unterricht sich auch nur
mit Vernunftgegenständen, also mit geistigen
Gegenständen
in der engsten Bedeutung des Wor-
tes, zu beschäftigen habe. Die Kenntnisse, die allein
nothwendig durch den Erziehungsunterricht in dem
Lehrling entwickelt werden müssen, sind die Ideen der
Gottheit, Nothwendigkeit und Freiheit,
welche das ganze Object der Vernunft umfassen.
Darinn, daß der Mensch die Idee des Ewigen und
seiner Erscheinung in dem Naturreiche und dem
Menschenstaate, oder -- wie es vielleicht populärer
ausgedrückt wird -- ein höheres Seyn überhaupt
und eine darauf gegründete und sich beziehende höhere
Bedeutung sowohl der Naturwelt als der Men-
schenwelt
erkenne, besteht die intellectuelle
Vernunftbildung
; die praktische Ver-
nunftbildung
aber einerseits in lebendigem Glau-
ben an Gott und sein unsichtbares ewiges Reich, in
festem Vertrauen auf seine Regierung der Natur- und
Menschenwelt und ihrer Schicksale, in tiefer Achtung
der uns noch unaufgedeckten Bestimmung dieser sicht-
baren Welt, und in ehrfurchtsvoller Beachtung der

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
ſchiedenheit der menſchlichen Individuen in allen
Eine und dieſelbe iſt
. Demnach waͤre Men-
ſchenbildung
nichts anderes als Bildung der
Vernunft
in dem Individuum.

Iſt aber Menſchenbildung in dieſem Sinne
des Wortes, als Vernunftbildung, die aus-
ſchließende Aufgabe des Erziehungsunterrichts, ſo folgt
daraus von ſelbſt, daß dieſer Unterricht ſich auch nur
mit Vernunftgegenſtaͤnden, alſo mit geiſtigen
Gegenſtaͤnden
in der engſten Bedeutung des Wor-
tes, zu beſchaͤftigen habe. Die Kenntniſſe, die allein
nothwendig durch den Erziehungsunterricht in dem
Lehrling entwickelt werden muͤſſen, ſind die Ideen der
Gottheit, Nothwendigkeit und Freiheit,
welche das ganze Object der Vernunft umfaſſen.
Darinn, daß der Menſch die Idee des Ewigen und
ſeiner Erſcheinung in dem Naturreiche und dem
Menſchenſtaate, oder — wie es vielleicht populaͤrer
ausgedruͤckt wird — ein hoͤheres Seyn uͤberhaupt
und eine darauf gegruͤndete und ſich beziehende hoͤhere
Bedeutung ſowohl der Naturwelt als der Men-
ſchenwelt
erkenne, beſteht die intellectuelle
Vernunftbildung
; die praktiſche Ver-
nunftbildung
aber einerſeits in lebendigem Glau-
ben an Gott und ſein unſichtbares ewiges Reich, in
feſtem Vertrauen auf ſeine Regierung der Natur- und
Menſchenwelt und ihrer Schickſale, in tiefer Achtung
der uns noch unaufgedeckten Beſtimmung dieſer ſicht-
baren Welt, und in ehrfurchtsvoller Beachtung der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0197" n="185"/><fw place="top" type="header">Von d. Grund&#x017F;. d. Erziehungsunterr. im Allgem.</fw><lb/>
&#x017F;chiedenheit der men&#x017F;chlichen Individuen <hi rendition="#g">in allen<lb/>
Eine und die&#x017F;elbe i&#x017F;t</hi>. Demnach wa&#x0364;re <hi rendition="#g">Men-<lb/>
&#x017F;chenbildung</hi> nichts anderes als <hi rendition="#g">Bildung der<lb/>
Vernunft</hi> in dem Individuum.</p><lb/>
                  <p>I&#x017F;t aber <hi rendition="#g">Men&#x017F;chenbildung</hi> in die&#x017F;em Sinne<lb/>
des Wortes, als <hi rendition="#g">Vernunftbildung</hi>, die aus-<lb/>
&#x017F;chließende Aufgabe des Erziehungsunterrichts, &#x017F;o folgt<lb/>
daraus von &#x017F;elb&#x017F;t, daß die&#x017F;er Unterricht &#x017F;ich auch nur<lb/>
mit <hi rendition="#g">Vernunftgegen&#x017F;ta&#x0364;nden</hi>, al&#x017F;o mit <hi rendition="#g">gei&#x017F;tigen<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden</hi> in der eng&#x017F;ten Bedeutung des Wor-<lb/>
tes, zu be&#x017F;cha&#x0364;ftigen habe. Die Kenntni&#x017F;&#x017F;e, die allein<lb/>
nothwendig durch den Erziehungsunterricht in dem<lb/>
Lehrling entwickelt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ind die Ideen der<lb/><hi rendition="#g">Gottheit, Nothwendigkeit und Freiheit</hi>,<lb/>
welche das ganze Object der <hi rendition="#g">Vernunft</hi> umfa&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Darinn, daß der Men&#x017F;ch die Idee des <hi rendition="#g">Ewigen</hi> und<lb/>
&#x017F;einer Er&#x017F;cheinung in dem <hi rendition="#g">Naturreiche</hi> und dem<lb/><hi rendition="#g">Men&#x017F;chen&#x017F;taate</hi>, oder &#x2014; wie es vielleicht popula&#x0364;rer<lb/>
ausgedru&#x0364;ckt wird &#x2014; ein <hi rendition="#g">ho&#x0364;heres Seyn u&#x0364;berhaupt</hi><lb/>
und eine darauf gegru&#x0364;ndete und &#x017F;ich beziehende ho&#x0364;here<lb/>
Bedeutung &#x017F;owohl der <hi rendition="#g">Naturwelt</hi> als der <hi rendition="#g">Men-<lb/>
&#x017F;chenwelt</hi> erkenne, be&#x017F;teht die <hi rendition="#g">intellectuelle<lb/>
Vernunftbildung</hi>; die <hi rendition="#g">prakti&#x017F;che Ver-<lb/>
nunftbildung</hi> aber einer&#x017F;eits in lebendigem Glau-<lb/>
ben an Gott und &#x017F;ein un&#x017F;ichtbares ewiges Reich, in<lb/>
fe&#x017F;tem Vertrauen auf &#x017F;eine Regierung der Natur- und<lb/>
Men&#x017F;chenwelt und ihrer Schick&#x017F;ale, in tiefer Achtung<lb/>
der uns noch unaufgedeckten Be&#x017F;timmung die&#x017F;er &#x017F;icht-<lb/>
baren Welt, und in ehrfurchtsvoller Beachtung der<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0197] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. ſchiedenheit der menſchlichen Individuen in allen Eine und dieſelbe iſt. Demnach waͤre Men- ſchenbildung nichts anderes als Bildung der Vernunft in dem Individuum. Iſt aber Menſchenbildung in dieſem Sinne des Wortes, als Vernunftbildung, die aus- ſchließende Aufgabe des Erziehungsunterrichts, ſo folgt daraus von ſelbſt, daß dieſer Unterricht ſich auch nur mit Vernunftgegenſtaͤnden, alſo mit geiſtigen Gegenſtaͤnden in der engſten Bedeutung des Wor- tes, zu beſchaͤftigen habe. Die Kenntniſſe, die allein nothwendig durch den Erziehungsunterricht in dem Lehrling entwickelt werden muͤſſen, ſind die Ideen der Gottheit, Nothwendigkeit und Freiheit, welche das ganze Object der Vernunft umfaſſen. Darinn, daß der Menſch die Idee des Ewigen und ſeiner Erſcheinung in dem Naturreiche und dem Menſchenſtaate, oder — wie es vielleicht populaͤrer ausgedruͤckt wird — ein hoͤheres Seyn uͤberhaupt und eine darauf gegruͤndete und ſich beziehende hoͤhere Bedeutung ſowohl der Naturwelt als der Men- ſchenwelt erkenne, beſteht die intellectuelle Vernunftbildung; die praktiſche Ver- nunftbildung aber einerſeits in lebendigem Glau- ben an Gott und ſein unſichtbares ewiges Reich, in feſtem Vertrauen auf ſeine Regierung der Natur- und Menſchenwelt und ihrer Schickſale, in tiefer Achtung der uns noch unaufgedeckten Beſtimmung dieſer ſicht- baren Welt, und in ehrfurchtsvoller Beachtung der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/197
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/197>, abgerufen am 23.11.2024.