Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
Gährung der Naturwissenschaften ist ein Punkt, an
dem sich die Forscher orientiren mögen, unentbehrlich:
in diesem allgemeinen Kampfe, dessen Versohnung erst
in einer fernen Zukunft zu hoffen steht, bedürfen die
Kämpfer einen Ruhepunkt, der sie wenigstens zu
momentaner Versöhnung vereinige. Welchen andern
Punkt aber, das unruhige Streben wenigstens auf Au-
genblicke zu besänftigen, könnten sie finden, als eben
jene ruhige noch nicht zum Streit entzündete Ansicht
der Natur, die uns als Muster in den Ueberresten
der alten classischen Zeit aufbewahrt ist?

Daß nicht auch in Absicht auf die Form der
Darstellung unsre Naturforscher von den Alten sollten
zu lernen haben, und die Letzteren auch in dieser Rück-
sicht unentbehrliche Muster für uns seyen: wer möchte
daran zweifeln? Welche moderne Schrift dieser Art
ließe sich denn aufweisen, in der die Form mit der
Sache so ganz Eines wäre, wie wir auch dies in
jenen Mustern des Alterthums finden?

Sehen wir aber auf die ideellen Gegenstände
des Unterrichts, so kann das Bedürfniß, sich an die
Muster des Alterthums zu halten, noch weit weniger
zweifelhaft seyn. Unstreitig haben auch wir in diesem
Gebiete des Ideellen, in Absicht auf Innhalt und
Form, unsre Classiker, und es wäre eine offenbare
Ungerechtigkeit gegen die Schriftsteller unsrer Nation, zu
behaupten, daß man nichts Mustermäßiges bei ihnen
finde. Allein fürs erste wird doch auch darinn kein

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
Gaͤhrung der Naturwiſſenſchaften iſt ein Punkt, an
dem ſich die Forſcher orientiren moͤgen, unentbehrlich:
in dieſem allgemeinen Kampfe, deſſen Verſohnung erſt
in einer fernen Zukunft zu hoffen ſteht, beduͤrfen die
Kaͤmpfer einen Ruhepunkt, der ſie wenigſtens zu
momentaner Verſoͤhnung vereinige. Welchen andern
Punkt aber, das unruhige Streben wenigſtens auf Au-
genblicke zu beſaͤnftigen, koͤnnten ſie finden, als eben
jene ruhige noch nicht zum Streit entzuͤndete Anſicht
der Natur, die uns als Muſter in den Ueberreſten
der alten claſſiſchen Zeit aufbewahrt iſt?

Daß nicht auch in Abſicht auf die Form der
Darſtellung unſre Naturforſcher von den Alten ſollten
zu lernen haben, und die Letzteren auch in dieſer Ruͤck-
ſicht unentbehrliche Muſter fuͤr uns ſeyen: wer moͤchte
daran zweifeln? Welche moderne Schrift dieſer Art
ließe ſich denn aufweiſen, in der die Form mit der
Sache ſo ganz Eines waͤre, wie wir auch dies in
jenen Muſtern des Alterthums finden?

Sehen wir aber auf die ideellen Gegenſtaͤnde
des Unterrichts, ſo kann das Beduͤrfniß, ſich an die
Muſter des Alterthums zu halten, noch weit weniger
zweifelhaft ſeyn. Unſtreitig haben auch wir in dieſem
Gebiete des Ideellen, in Abſicht auf Innhalt und
Form, unſre Claſſiker, und es waͤre eine offenbare
Ungerechtigkeit gegen die Schriftſteller unſrer Nation, zu
behaupten, daß man nichts Muſtermaͤßiges bei ihnen
finde. Allein fuͤrs erſte wird doch auch darinn kein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0245" n="233"/><fw place="top" type="header">Von d. Grund&#x017F;. d. Erziehungsunterr. im Allgem.</fw><lb/>
Ga&#x0364;hrung der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften i&#x017F;t ein Punkt, an<lb/>
dem &#x017F;ich die For&#x017F;cher orientiren mo&#x0364;gen, unentbehrlich:<lb/>
in die&#x017F;em allgemeinen Kampfe, de&#x017F;&#x017F;en Ver&#x017F;ohnung er&#x017F;t<lb/>
in einer fernen Zukunft zu hoffen &#x017F;teht, bedu&#x0364;rfen die<lb/>
Ka&#x0364;mpfer einen Ruhepunkt, der &#x017F;ie wenig&#x017F;tens zu<lb/>
momentaner Ver&#x017F;o&#x0364;hnung vereinige. Welchen andern<lb/>
Punkt aber, das unruhige Streben wenig&#x017F;tens auf Au-<lb/>
genblicke zu be&#x017F;a&#x0364;nftigen, ko&#x0364;nnten &#x017F;ie finden, als eben<lb/>
jene ruhige noch nicht zum Streit entzu&#x0364;ndete An&#x017F;icht<lb/>
der Natur, die uns als Mu&#x017F;ter in den Ueberre&#x017F;ten<lb/>
der alten cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Zeit aufbewahrt i&#x017F;t?</p><lb/>
                  <p>Daß nicht auch in Ab&#x017F;icht auf die <hi rendition="#g">Form</hi> der<lb/>
Dar&#x017F;tellung un&#x017F;re Naturfor&#x017F;cher von den Alten &#x017F;ollten<lb/>
zu lernen haben, und die Letzteren auch in die&#x017F;er Ru&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;icht unentbehrliche Mu&#x017F;ter fu&#x0364;r uns &#x017F;eyen: wer mo&#x0364;chte<lb/>
daran zweifeln? Welche moderne Schrift die&#x017F;er Art<lb/>
ließe &#x017F;ich denn aufwei&#x017F;en, in der die <hi rendition="#g">Form</hi> mit der<lb/><hi rendition="#g">Sache</hi> &#x017F;o ganz Eines wa&#x0364;re, wie wir auch dies in<lb/>
jenen Mu&#x017F;tern des Alterthums finden?</p><lb/>
                  <p>Sehen wir aber auf die <hi rendition="#g">ideellen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde</hi><lb/>
des Unterrichts, &#x017F;o kann das Bedu&#x0364;rfniß, &#x017F;ich an die<lb/>
Mu&#x017F;ter des Alterthums zu halten, noch weit weniger<lb/>
zweifelhaft &#x017F;eyn. Un&#x017F;treitig haben auch wir in die&#x017F;em<lb/>
Gebiete des Ideellen, in Ab&#x017F;icht auf <hi rendition="#g">Innhalt</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Form</hi>, un&#x017F;re Cla&#x017F;&#x017F;iker, und es wa&#x0364;re eine offenbare<lb/>
Ungerechtigkeit gegen die Schrift&#x017F;teller un&#x017F;rer Nation, zu<lb/>
behaupten, daß man nichts Mu&#x017F;terma&#x0364;ßiges bei ihnen<lb/>
finde. Allein fu&#x0364;rs er&#x017F;te wird doch auch darinn kein<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0245] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. Gaͤhrung der Naturwiſſenſchaften iſt ein Punkt, an dem ſich die Forſcher orientiren moͤgen, unentbehrlich: in dieſem allgemeinen Kampfe, deſſen Verſohnung erſt in einer fernen Zukunft zu hoffen ſteht, beduͤrfen die Kaͤmpfer einen Ruhepunkt, der ſie wenigſtens zu momentaner Verſoͤhnung vereinige. Welchen andern Punkt aber, das unruhige Streben wenigſtens auf Au- genblicke zu beſaͤnftigen, koͤnnten ſie finden, als eben jene ruhige noch nicht zum Streit entzuͤndete Anſicht der Natur, die uns als Muſter in den Ueberreſten der alten claſſiſchen Zeit aufbewahrt iſt? Daß nicht auch in Abſicht auf die Form der Darſtellung unſre Naturforſcher von den Alten ſollten zu lernen haben, und die Letzteren auch in dieſer Ruͤck- ſicht unentbehrliche Muſter fuͤr uns ſeyen: wer moͤchte daran zweifeln? Welche moderne Schrift dieſer Art ließe ſich denn aufweiſen, in der die Form mit der Sache ſo ganz Eines waͤre, wie wir auch dies in jenen Muſtern des Alterthums finden? Sehen wir aber auf die ideellen Gegenſtaͤnde des Unterrichts, ſo kann das Beduͤrfniß, ſich an die Muſter des Alterthums zu halten, noch weit weniger zweifelhaft ſeyn. Unſtreitig haben auch wir in dieſem Gebiete des Ideellen, in Abſicht auf Innhalt und Form, unſre Claſſiker, und es waͤre eine offenbare Ungerechtigkeit gegen die Schriftſteller unſrer Nation, zu behaupten, daß man nichts Muſtermaͤßiges bei ihnen finde. Allein fuͤrs erſte wird doch auch darinn kein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/245
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/245>, abgerufen am 04.12.2024.