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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Dritter Abschnitt.
del uns nicht erholen. Wie sollen wir aber uns davon
erholen, so lange wir selbst in unserm Erziehungsun-
terricht nichts Stehendes anerkennen, so lange wir
unsern Kindern selbst die Sucht nach Varietät anbilden,
so lange wir nicht nur die Lesebücher, sondern selbst die
Katechismen in unsern Schulen ins Unendliche fort
verändern und vervielfältigen, so lange wir fortfahren,
in dem Material der Geistesbildung nicht nur Genera-
tion von Generation, und Stand von Stand, sondern
sogar Familie von Familie zu trennen, so daß nicht
nur der Vater den Sohn und die Mutter die Tochter,
sondern auch der Höhere den Niedrigern und sogar ein
Schüler den andern über gar nichts mehr versteht, was
sie gelehrt werden? Soll es mit unsrer Bildung besser
werden, so müssen wir ernstlich darauf denken, in dem
Unterrichtsmaterial feste Punkte herzustellen, die als Ver-
einigungspunkte der Bildung dienen können. Und dazu
sollten wir vor allem andern die classischen Geisteswerke
unsrer Nation anwenden. Das Herrlichste aus ihnen
müßte schon durch den Erziehungsunterricht zum Ge-
meingut der Nation erhoben werden; das müßten Alle
lernen und Alle kennen, damit unbekannt zu seyn müßte
als Beweis von Barbarei beschimpfend seyn -- Dies
selbst schon würde eine sichere Grundlage der National-
bildung seyn, zugleich aber auch noch dadurch wohlthä-
tig auf die Bildung unsrer Nation wirken, daß der
Hang zu immerwährender Veränderung geistiger Ge-
nüsse etwas gemindert, ein sichrer Maßstab des wirk-
lich Achtungswerthen gebildet, gegen das Mittelmäßige
Eckel, gegen das Platte und Frivole Abscheu erzeugt,

Dritter Abſchnitt.
del uns nicht erholen. Wie ſollen wir aber uns davon
erholen, ſo lange wir ſelbſt in unſerm Erziehungsun-
terricht nichts Stehendes anerkennen, ſo lange wir
unſern Kindern ſelbſt die Sucht nach Varietaͤt anbilden,
ſo lange wir nicht nur die Leſebuͤcher, ſondern ſelbſt die
Katechismen in unſern Schulen ins Unendliche fort
veraͤndern und vervielfaͤltigen, ſo lange wir fortfahren,
in dem Material der Geiſtesbildung nicht nur Genera-
tion von Generation, und Stand von Stand, ſondern
ſogar Familie von Familie zu trennen, ſo daß nicht
nur der Vater den Sohn und die Mutter die Tochter,
ſondern auch der Hoͤhere den Niedrigern und ſogar ein
Schuͤler den andern uͤber gar nichts mehr verſteht, was
ſie gelehrt werden? Soll es mit unſrer Bildung beſſer
werden, ſo muͤſſen wir ernſtlich darauf denken, in dem
Unterrichtsmaterial feſte Punkte herzuſtellen, die als Ver-
einigungspunkte der Bildung dienen koͤnnen. Und dazu
ſollten wir vor allem andern die claſſiſchen Geiſteswerke
unſrer Nation anwenden. Das Herrlichſte aus ihnen
muͤßte ſchon durch den Erziehungsunterricht zum Ge-
meingut der Nation erhoben werden; das muͤßten Alle
lernen und Alle kennen, damit unbekannt zu ſeyn muͤßte
als Beweis von Barbarei beſchimpfend ſeyn — Dies
ſelbſt ſchon wuͤrde eine ſichere Grundlage der National-
bildung ſeyn, zugleich aber auch noch dadurch wohlthaͤ-
tig auf die Bildung unſrer Nation wirken, daß der
Hang zu immerwaͤhrender Veraͤnderung geiſtiger Ge-
nuͤſſe etwas gemindert, ein ſichrer Maßſtab des wirk-
lich Achtungswerthen gebildet, gegen das Mittelmaͤßige
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[238/0250] Dritter Abſchnitt. del uns nicht erholen. Wie ſollen wir aber uns davon erholen, ſo lange wir ſelbſt in unſerm Erziehungsun- terricht nichts Stehendes anerkennen, ſo lange wir unſern Kindern ſelbſt die Sucht nach Varietaͤt anbilden, ſo lange wir nicht nur die Leſebuͤcher, ſondern ſelbſt die Katechismen in unſern Schulen ins Unendliche fort veraͤndern und vervielfaͤltigen, ſo lange wir fortfahren, in dem Material der Geiſtesbildung nicht nur Genera- tion von Generation, und Stand von Stand, ſondern ſogar Familie von Familie zu trennen, ſo daß nicht nur der Vater den Sohn und die Mutter die Tochter, ſondern auch der Hoͤhere den Niedrigern und ſogar ein Schuͤler den andern uͤber gar nichts mehr verſteht, was ſie gelehrt werden? Soll es mit unſrer Bildung beſſer werden, ſo muͤſſen wir ernſtlich darauf denken, in dem Unterrichtsmaterial feſte Punkte herzuſtellen, die als Ver- einigungspunkte der Bildung dienen koͤnnen. Und dazu ſollten wir vor allem andern die claſſiſchen Geiſteswerke unſrer Nation anwenden. Das Herrlichſte aus ihnen muͤßte ſchon durch den Erziehungsunterricht zum Ge- meingut der Nation erhoben werden; das muͤßten Alle lernen und Alle kennen, damit unbekannt zu ſeyn muͤßte als Beweis von Barbarei beſchimpfend ſeyn — Dies ſelbſt ſchon wuͤrde eine ſichere Grundlage der National- bildung ſeyn, zugleich aber auch noch dadurch wohlthaͤ- tig auf die Bildung unſrer Nation wirken, daß der Hang zu immerwaͤhrender Veraͤnderung geiſtiger Ge- nuͤſſe etwas gemindert, ein ſichrer Maßſtab des wirk- lich Achtungswerthen gebildet, gegen das Mittelmaͤßige Eckel, gegen das Platte und Frivole Abſcheu erzeugt,

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/250>, abgerufen am 22.11.2024.