gen. Es wird hinreichend seyn, den angegebnen Gründen nur die wichtigsten Einwendungen entgegen- zustellen.
Erstens, was den Nachtheil für die Gesundheit betrifft, welchen die frühe große Anstrengung der Kin- der zum Lernen haben soll, so ist die Uebertreibung ganz offenbar. Man dürfte sich dagegen nur auf die Erfahrung berufen, wie viele Gelehrte, die von ihrer zartesten Kindheit an in geistiger Anstrengung zugebracht haben, langer Lebensdauer und der vollsten Gesundheit genießen. Freilich fehlt es auch nicht an Beispielen solcher, die früher sterben, oder doch an schwächlicher Ge- sundheit leiden. Allein man vergleiche nur die Zahl von jenen und diesen, und vergesse nur nicht, wie viele der Letztern von der Geburt an so schwächlich waren, daß sie bei jeder andern Lebensart wahrschein- lich sich noch früher verzehrt hätten, und zum Theil um dieser Schwächlichkeit willen den Gelehrten-Stand erwählt haben: so wird man noch immer ein großes Mißverhältniß zum Vortheil der Erstern finden. Wollte man dagegen auch auf der andern Seite abrechnen, daß die Gelehrten durch frugale Lebensart, die ihnen meist durch kümmerliche Verhältnisse von Jugend an zur Nothwendigkeit geworden ist, an Gesundheit und Lebensdauer gewinnen, und man nicht als Beweis von allgemeiner Unschädlichkeit früher geistiger Anstrengung aufstellen dürfe, was auf ganz andern Gründen beruhe; so könnte doch selbst diese Berechnung jenes Verhältniß nicht so zum Nachtheil ändern, daß man nicht noch
Dritter Abſchnitt.
gen. Es wird hinreichend ſeyn, den angegebnen Gruͤnden nur die wichtigſten Einwendungen entgegen- zuſtellen.
Erſtens, was den Nachtheil fuͤr die Geſundheit betrifft, welchen die fruͤhe große Anſtrengung der Kin- der zum Lernen haben ſoll, ſo iſt die Uebertreibung ganz offenbar. Man duͤrfte ſich dagegen nur auf die Erfahrung berufen, wie viele Gelehrte, die von ihrer zarteſten Kindheit an in geiſtiger Anſtrengung zugebracht haben, langer Lebensdauer und der vollſten Geſundheit genießen. Freilich fehlt es auch nicht an Beiſpielen ſolcher, die fruͤher ſterben, oder doch an ſchwaͤchlicher Ge- ſundheit leiden. Allein man vergleiche nur die Zahl von jenen und dieſen, und vergeſſe nur nicht, wie viele der Letztern von der Geburt an ſo ſchwaͤchlich waren, daß ſie bei jeder andern Lebensart wahrſchein- lich ſich noch fruͤher verzehrt haͤtten, und zum Theil um dieſer Schwaͤchlichkeit willen den Gelehrten-Stand erwaͤhlt haben: ſo wird man noch immer ein großes Mißverhaͤltniß zum Vortheil der Erſtern finden. Wollte man dagegen auch auf der andern Seite abrechnen, daß die Gelehrten durch frugale Lebensart, die ihnen meiſt durch kuͤmmerliche Verhaͤltniſſe von Jugend an zur Nothwendigkeit geworden iſt, an Geſundheit und Lebensdauer gewinnen, und man nicht als Beweis von allgemeiner Unſchaͤdlichkeit fruͤher geiſtiger Anſtrengung aufſtellen duͤrfe, was auf ganz andern Gruͤnden beruhe; ſo koͤnnte doch ſelbſt dieſe Berechnung jenes Verhaͤltniß nicht ſo zum Nachtheil aͤndern, daß man nicht noch
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Dritter Abſchnitt.
gen. Es wird hinreichend ſeyn, den angegebnen
Gruͤnden nur die wichtigſten Einwendungen entgegen-
zuſtellen.
Erſtens, was den Nachtheil fuͤr die Geſundheit
betrifft, welchen die fruͤhe große Anſtrengung der Kin-
der zum Lernen haben ſoll, ſo iſt die Uebertreibung
ganz offenbar. Man duͤrfte ſich dagegen nur auf die
Erfahrung berufen, wie viele Gelehrte, die von ihrer
zarteſten Kindheit an in geiſtiger Anſtrengung zugebracht
haben, langer Lebensdauer und der vollſten Geſundheit
genießen. Freilich fehlt es auch nicht an Beiſpielen
ſolcher, die fruͤher ſterben, oder doch an ſchwaͤchlicher Ge-
ſundheit leiden. Allein man vergleiche nur die Zahl
von jenen und dieſen, und vergeſſe nur nicht, wie
viele der Letztern von der Geburt an ſo ſchwaͤchlich
waren, daß ſie bei jeder andern Lebensart wahrſchein-
lich ſich noch fruͤher verzehrt haͤtten, und zum Theil
um dieſer Schwaͤchlichkeit willen den Gelehrten-Stand
erwaͤhlt haben: ſo wird man noch immer ein großes
Mißverhaͤltniß zum Vortheil der Erſtern finden. Wollte
man dagegen auch auf der andern Seite abrechnen,
daß die Gelehrten durch frugale Lebensart, die ihnen
meiſt durch kuͤmmerliche Verhaͤltniſſe von Jugend an
zur Nothwendigkeit geworden iſt, an Geſundheit und
Lebensdauer gewinnen, und man nicht als Beweis von
allgemeiner Unſchaͤdlichkeit fruͤher geiſtiger Anſtrengung
aufſtellen duͤrfe, was auf ganz andern Gruͤnden beruhe;
ſo koͤnnte doch ſelbſt dieſe Berechnung jenes Verhaͤltniß
nicht ſo zum Nachtheil aͤndern, daß man nicht noch
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/252>, abgerufen am 22.11.2024.
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