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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Dritter Abschnitt.
der Lehrgegenstände und ihrem Ineinandergreifen ein
schnellerer Fortschritt des Lernens zu erwarten sey, so
fragt sich erst noch, ob denn auch diese Ansicht für
so ganz unbezweifelt gelten könne? In der That liegt
dabei eine Täuschung zu Grunde. Man kann aller-
dings durch Verbindung einzelner Lehrgegenstände das
gleichzeitige Erlernen derselben befördern; man kann
z. B. das Lesenlernen durch gleichzeitig angestellte
Schreibübungen unterstützen, man kann Arithmetik mit
Geometrie, Physik mit Mathematik, Mathematik und
Naturkunde mit Geographie, auch Logik mit Mathe-
matik, u. s. w. verbinden: und es läßt sich sogar ein
wichtiger Grund für dergleichen Vereinigungen von
Lehrgegenständen aus der psychologischen Beobachtung
ableiten: daß die Lehrlinge nicht selten das, was nur
als Nebenbemerkung, oft bloß beispielsweise eingeschaltet,
im Unterricht vorkömmt, schärfer fassen, als das,
worauf man direct ihre Aufmerksamkeit richten will.
Allein fürs erste kann, was bei den unmittelbar ver-
wandten Unterrichtsbeschäftigungen statt findet, nicht
als eine in der ganzen Ausdehnung auf den gesammten
Umkreis der Lehrgegenstände gültige Regel aufgestellt
werden; denn, obgleich alle Theile des Wissens ver-
wandt sind, so wird doch der Vortheil, den die ent-
fernteren Verwandtschaften anbieten, zu unbedeutend,
um den Schwierigkeiten, die sich in jedem einzelnen
Theile finden, in ihrer Zusammenhäufung das Gleich-
gewicht zu halten. Fürs zweite ist nicht zu übersehen,
daß man sogar bei sehr nahe verwandt scheinenden
Beschäftigungen sich in den Hoffnungen eines großen

Dritter Abſchnitt.
der Lehrgegenſtaͤnde und ihrem Ineinandergreifen ein
ſchnellerer Fortſchritt des Lernens zu erwarten ſey, ſo
fragt ſich erſt noch, ob denn auch dieſe Anſicht fuͤr
ſo ganz unbezweifelt gelten koͤnne? In der That liegt
dabei eine Taͤuſchung zu Grunde. Man kann aller-
dings durch Verbindung einzelner Lehrgegenſtaͤnde das
gleichzeitige Erlernen derſelben befoͤrdern; man kann
z. B. das Leſenlernen durch gleichzeitig angeſtellte
Schreibuͤbungen unterſtuͤtzen, man kann Arithmetik mit
Geometrie, Phyſik mit Mathematik, Mathematik und
Naturkunde mit Geographie, auch Logik mit Mathe-
matik, u. ſ. w. verbinden: und es laͤßt ſich ſogar ein
wichtiger Grund fuͤr dergleichen Vereinigungen von
Lehrgegenſtaͤnden aus der pſychologiſchen Beobachtung
ableiten: daß die Lehrlinge nicht ſelten das, was nur
als Nebenbemerkung, oft bloß beiſpielsweiſe eingeſchaltet,
im Unterricht vorkoͤmmt, ſchaͤrfer faſſen, als das,
worauf man direct ihre Aufmerkſamkeit richten will.
Allein fuͤrs erſte kann, was bei den unmittelbar ver-
wandten Unterrichtsbeſchaͤftigungen ſtatt findet, nicht
als eine in der ganzen Ausdehnung auf den geſammten
Umkreis der Lehrgegenſtaͤnde guͤltige Regel aufgeſtellt
werden; denn, obgleich alle Theile des Wiſſens ver-
wandt ſind, ſo wird doch der Vortheil, den die ent-
fernteren Verwandtſchaften anbieten, zu unbedeutend,
um den Schwierigkeiten, die ſich in jedem einzelnen
Theile finden, in ihrer Zuſammenhaͤufung das Gleich-
gewicht zu halten. Fuͤrs zweite iſt nicht zu uͤberſehen,
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[252/0264] Dritter Abſchnitt. der Lehrgegenſtaͤnde und ihrem Ineinandergreifen ein ſchnellerer Fortſchritt des Lernens zu erwarten ſey, ſo fragt ſich erſt noch, ob denn auch dieſe Anſicht fuͤr ſo ganz unbezweifelt gelten koͤnne? In der That liegt dabei eine Taͤuſchung zu Grunde. Man kann aller- dings durch Verbindung einzelner Lehrgegenſtaͤnde das gleichzeitige Erlernen derſelben befoͤrdern; man kann z. B. das Leſenlernen durch gleichzeitig angeſtellte Schreibuͤbungen unterſtuͤtzen, man kann Arithmetik mit Geometrie, Phyſik mit Mathematik, Mathematik und Naturkunde mit Geographie, auch Logik mit Mathe- matik, u. ſ. w. verbinden: und es laͤßt ſich ſogar ein wichtiger Grund fuͤr dergleichen Vereinigungen von Lehrgegenſtaͤnden aus der pſychologiſchen Beobachtung ableiten: daß die Lehrlinge nicht ſelten das, was nur als Nebenbemerkung, oft bloß beiſpielsweiſe eingeſchaltet, im Unterricht vorkoͤmmt, ſchaͤrfer faſſen, als das, worauf man direct ihre Aufmerkſamkeit richten will. Allein fuͤrs erſte kann, was bei den unmittelbar ver- wandten Unterrichtsbeſchaͤftigungen ſtatt findet, nicht als eine in der ganzen Ausdehnung auf den geſammten Umkreis der Lehrgegenſtaͤnde guͤltige Regel aufgeſtellt werden; denn, obgleich alle Theile des Wiſſens ver- wandt ſind, ſo wird doch der Vortheil, den die ent- fernteren Verwandtſchaften anbieten, zu unbedeutend, um den Schwierigkeiten, die ſich in jedem einzelnen Theile finden, in ihrer Zuſammenhaͤufung das Gleich- gewicht zu halten. Fuͤrs zweite iſt nicht zu uͤberſehen, daß man ſogar bei ſehr nahe verwandt ſcheinenden Beſchaͤftigungen ſich in den Hoffnungen eines großen

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/264>, abgerufen am 22.11.2024.