Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Erster Abschnitt. stände Zeit gewonnen worden wäre. Da aber dieVerfassung des neu geschaffnen Reiches zugleich von allen Seiten die Bedürfnisse vermehrt, die Lasten er- höht, die Nothwendigkeit schnellen Erwerbes vergrößert, und die Unterthanen gezwungen hatte, alle ihre Kräfte für ihre Subsistenz anzustrengen; da zu eben diesem Zwecke auch die Kinder früher zur Arbeit angehalten werden mußten und alles in Amt und Brod zu kom- men eilte: da mußte nicht nur die Schulzeit abgekürzt, sondern auch unmittelbar für Erwerbszweck und Brod- wissenschaft verwendet werden; da kamen die Realien zur Tagesordnung in den Schulen, da mußte vor allem andern auf materielle Kenntnisse das Hauptgewicht gelegt, und die Uebung geistiger Lehrgegenstände hintan- gesetzt werden. In dieser Stimmung mußte man ins- besondre bald auch finden, daß es weit besser in der Welt forthelfe, lebende Sprachen zu verstehen, als jene todten, die als ein todtes Capital ohne Vortheil seyen; und man darf sich kaum noch wundern, daß die Herab- würdigung des Studiums der alten Sprachen bis zu dem Grade zunahm, daß endlich sogar laut und öffent- lich die Erlernung jener Sprachen für entbehrlich er- klärt wurde, und selbst Männer von Ansehen, die sich der einseitigen Behauptung ernstlich widersetzten, doch nicht verhindern konnten, daß nicht nur die Erlernung der alten Sprachen, sondern das philosophische Stu- dium überhaupt und die Bekanntschaft mit der alten classischen Welt, in den Schulen immer mehr vernach- lässiget wurde, und am Ende fast nur noch in einigen Closterschulen -- die aber eben deshalb als Muster des Erſter Abſchnitt. ſtaͤnde Zeit gewonnen worden waͤre. Da aber dieVerfaſſung des neu geſchaffnen Reiches zugleich von allen Seiten die Beduͤrfniſſe vermehrt, die Laſten er- hoͤht, die Nothwendigkeit ſchnellen Erwerbes vergroͤßert, und die Unterthanen gezwungen hatte, alle ihre Kraͤfte fuͤr ihre Subſiſtenz anzuſtrengen; da zu eben dieſem Zwecke auch die Kinder fruͤher zur Arbeit angehalten werden mußten und alles in Amt und Brod zu kom- men eilte: da mußte nicht nur die Schulzeit abgekuͤrzt, ſondern auch unmittelbar fuͤr Erwerbszweck und Brod- wiſſenſchaft verwendet werden; da kamen die Realien zur Tagesordnung in den Schulen, da mußte vor allem andern auf materielle Kenntniſſe das Hauptgewicht gelegt, und die Uebung geiſtiger Lehrgegenſtaͤnde hintan- geſetzt werden. In dieſer Stimmung mußte man ins- beſondre bald auch finden, daß es weit beſſer in der Welt forthelfe, lebende Sprachen zu verſtehen, als jene todten, die als ein todtes Capital ohne Vortheil ſeyen; und man darf ſich kaum noch wundern, daß die Herab- wuͤrdigung des Studiums der alten Sprachen bis zu dem Grade zunahm, daß endlich ſogar laut und oͤffent- lich die Erlernung jener Sprachen fuͤr entbehrlich er- klaͤrt wurde, und ſelbſt Maͤnner von Anſehen, die ſich der einſeitigen Behauptung ernſtlich widerſetzten, doch nicht verhindern konnten, daß nicht nur die Erlernung der alten Sprachen, ſondern das philoſophiſche Stu- dium uͤberhaupt und die Bekanntſchaft mit der alten claſſiſchen Welt, in den Schulen immer mehr vernach- laͤſſiget wurde, und am Ende faſt nur noch in einigen Cloſterſchulen — die aber eben deshalb als Muſter des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="20"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/> ſtaͤnde Zeit gewonnen worden waͤre. 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Erſter Abſchnitt.
ſtaͤnde Zeit gewonnen worden waͤre. Da aber die
Verfaſſung des neu geſchaffnen Reiches zugleich von
allen Seiten die Beduͤrfniſſe vermehrt, die Laſten er-
hoͤht, die Nothwendigkeit ſchnellen Erwerbes vergroͤßert,
und die Unterthanen gezwungen hatte, alle ihre Kraͤfte
fuͤr ihre Subſiſtenz anzuſtrengen; da zu eben dieſem
Zwecke auch die Kinder fruͤher zur Arbeit angehalten
werden mußten und alles in Amt und Brod zu kom-
men eilte: da mußte nicht nur die Schulzeit abgekuͤrzt,
ſondern auch unmittelbar fuͤr Erwerbszweck und Brod-
wiſſenſchaft verwendet werden; da kamen die Realien
zur Tagesordnung in den Schulen, da mußte vor allem
andern auf materielle Kenntniſſe das Hauptgewicht
gelegt, und die Uebung geiſtiger Lehrgegenſtaͤnde hintan-
geſetzt werden. In dieſer Stimmung mußte man ins-
beſondre bald auch finden, daß es weit beſſer in der
Welt forthelfe, lebende Sprachen zu verſtehen, als jene
todten, die als ein todtes Capital ohne Vortheil ſeyen;
und man darf ſich kaum noch wundern, daß die Herab-
wuͤrdigung des Studiums der alten Sprachen bis zu
dem Grade zunahm, daß endlich ſogar laut und oͤffent-
lich die Erlernung jener Sprachen fuͤr entbehrlich er-
klaͤrt wurde, und ſelbſt Maͤnner von Anſehen, die ſich
der einſeitigen Behauptung ernſtlich widerſetzten, doch
nicht verhindern konnten, daß nicht nur die Erlernung
der alten Sprachen, ſondern das philoſophiſche Stu-
dium uͤberhaupt und die Bekanntſchaft mit der alten
claſſiſchen Welt, in den Schulen immer mehr vernach-
laͤſſiget wurde, und am Ende faſt nur noch in einigen
Cloſterſchulen — die aber eben deshalb als Muſter des
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