Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Anwendung der allgemeinen Grundsätze etc. der verständige Erzieher nicht zum Dichter bilden wol-len, so wie den zum Dichter bestimmten nicht zum Ma- thematiker. Jenem also muß er eine andre Bildung ge- ben als diesem. Wenn er nun für beide das Studium der Philologie z. B. bestimmt, weil er es um der stren- gen, der Mathematik am nächsten kommenden, Metho- de willen für jenen, um der, die Darstellung durch Rede als Kunst einprägenden, Musterhaftigkeit willen für diesen zweckmäßig hält: so ist auch in dieser An- wendung des Mittels nicht ein Grad-, sondern ein Art-Unterschied. Den Mathematiker bloß weni- ger als den Dichter mit Philologie beschäftigen, wäre eine verächtliche Stümperei der Didaktik! Den Phil- anthropinisten aber bleibt kein anderer Ausweg. Da sie einmal dem Erziehungsunterricht den Zweck geben, daß sich die Lehrlinge des ganzen Gebietes der Erkennt- niß so viel als möglich ist bemächtigen, so kön- nen sie, ohne inconsequent zu werden, bei keinem einzelnen Lehrling einen einzelnen Lehrgegenstand aus- nehmen, sondern müssen jedem alle Lehrgegenstände mit- theilen, und sonach -- wo es an Zeit und Kraft für alle gebricht -- sich in allen gleichmäßig mit einem Minimum erlangter Kenntniß befriedigen: welches dann ohne Zweifel nichts anders heißt als, die Stümperei organisiren. Wollte man dagegen nun noch einwenden, daß Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc. der verſtaͤndige Erzieher nicht zum Dichter bilden wol-len, ſo wie den zum Dichter beſtimmten nicht zum Ma- thematiker. Jenem alſo muß er eine andre Bildung ge- ben als dieſem. Wenn er nun fuͤr beide das Studium der Philologie z. B. beſtimmt, weil er es um der ſtren- gen, der Mathematik am naͤchſten kommenden, Metho- de willen fuͤr jenen, um der, die Darſtellung durch Rede als Kunſt einpraͤgenden, Muſterhaftigkeit willen fuͤr dieſen zweckmaͤßig haͤlt: ſo iſt auch in dieſer An- wendung des Mittels nicht ein Grad-, ſondern ein Art-Unterſchied. Den Mathematiker bloß weni- ger als den Dichter mit Philologie beſchaͤftigen, waͤre eine veraͤchtliche Stuͤmperei der Didaktik! Den Phil- anthropiniſten aber bleibt kein anderer Ausweg. Da ſie einmal dem Erziehungsunterricht den Zweck geben, daß ſich die Lehrlinge des ganzen Gebietes der Erkennt- niß ſo viel als moͤglich iſt bemaͤchtigen, ſo koͤn- nen ſie, ohne inconſequent zu werden, bei keinem einzelnen Lehrling einen einzelnen Lehrgegenſtand aus- nehmen, ſondern muͤſſen jedem alle Lehrgegenſtaͤnde mit- theilen, und ſonach — wo es an Zeit und Kraft fuͤr alle gebricht — ſich in allen gleichmaͤßig mit einem Minimum erlangter Kenntniß befriedigen: welches dann ohne Zweifel nichts anders heißt als, die Stuͤmperei organiſiren. Wollte man dagegen nun noch einwenden, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0341" n="329"/><fw place="top" type="header">Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.</fw><lb/> der verſtaͤndige Erzieher nicht zum Dichter bilden wol-<lb/> len, ſo wie den zum Dichter beſtimmten nicht zum Ma-<lb/> thematiker. Jenem alſo muß er eine andre Bildung ge-<lb/> ben als dieſem. Wenn er nun fuͤr beide das Studium<lb/> der Philologie z. B. beſtimmt, weil er es um der ſtren-<lb/> gen, der Mathematik am naͤchſten kommenden, Metho-<lb/> de willen fuͤr jenen, um der, die Darſtellung durch<lb/> Rede als Kunſt einpraͤgenden, Muſterhaftigkeit willen<lb/> fuͤr dieſen zweckmaͤßig haͤlt: ſo iſt auch in dieſer An-<lb/> wendung des Mittels nicht ein <hi rendition="#g">Grad-</hi>, ſondern ein<lb/><hi rendition="#g">Art-Unterſchied</hi>. Den Mathematiker bloß <hi rendition="#g">weni-<lb/> ger</hi> als den Dichter mit Philologie beſchaͤftigen, waͤre<lb/> eine veraͤchtliche Stuͤmperei der Didaktik! Den Phil-<lb/> anthropiniſten aber bleibt kein anderer Ausweg. Da<lb/> ſie einmal dem Erziehungsunterricht den Zweck geben,<lb/> daß ſich die Lehrlinge des ganzen Gebietes der Erkennt-<lb/> niß ſo viel als moͤglich iſt bemaͤchtigen, ſo koͤn-<lb/> nen ſie, ohne inconſequent zu werden, bei keinem<lb/> einzelnen Lehrling einen einzelnen Lehrgegenſtand aus-<lb/> nehmen, ſondern muͤſſen jedem alle Lehrgegenſtaͤnde mit-<lb/> theilen, und ſonach — wo es an Zeit und Kraft fuͤr<lb/> alle gebricht — ſich in allen gleichmaͤßig mit einem<lb/> Minimum erlangter Kenntniß befriedigen: welches dann<lb/> ohne Zweifel nichts anders heißt als, die Stuͤmperei<lb/> organiſiren.</p><lb/> <p>Wollte man dagegen nun noch einwenden, daß<lb/> nach der obigen Anſicht fuͤr jedes Individuum — da<lb/> es in dem Begriff des Individuums liege, daß keines<lb/> dem andern vollkommen gleich ſey — ein ganz eigner<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [329/0341]
Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
der verſtaͤndige Erzieher nicht zum Dichter bilden wol-
len, ſo wie den zum Dichter beſtimmten nicht zum Ma-
thematiker. Jenem alſo muß er eine andre Bildung ge-
ben als dieſem. Wenn er nun fuͤr beide das Studium
der Philologie z. B. beſtimmt, weil er es um der ſtren-
gen, der Mathematik am naͤchſten kommenden, Metho-
de willen fuͤr jenen, um der, die Darſtellung durch
Rede als Kunſt einpraͤgenden, Muſterhaftigkeit willen
fuͤr dieſen zweckmaͤßig haͤlt: ſo iſt auch in dieſer An-
wendung des Mittels nicht ein Grad-, ſondern ein
Art-Unterſchied. Den Mathematiker bloß weni-
ger als den Dichter mit Philologie beſchaͤftigen, waͤre
eine veraͤchtliche Stuͤmperei der Didaktik! Den Phil-
anthropiniſten aber bleibt kein anderer Ausweg. Da
ſie einmal dem Erziehungsunterricht den Zweck geben,
daß ſich die Lehrlinge des ganzen Gebietes der Erkennt-
niß ſo viel als moͤglich iſt bemaͤchtigen, ſo koͤn-
nen ſie, ohne inconſequent zu werden, bei keinem
einzelnen Lehrling einen einzelnen Lehrgegenſtand aus-
nehmen, ſondern muͤſſen jedem alle Lehrgegenſtaͤnde mit-
theilen, und ſonach — wo es an Zeit und Kraft fuͤr
alle gebricht — ſich in allen gleichmaͤßig mit einem
Minimum erlangter Kenntniß befriedigen: welches dann
ohne Zweifel nichts anders heißt als, die Stuͤmperei
organiſiren.
Wollte man dagegen nun noch einwenden, daß
nach der obigen Anſicht fuͤr jedes Individuum — da
es in dem Begriff des Individuums liege, daß keines
dem andern vollkommen gleich ſey — ein ganz eigner
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