Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierter Abschnitt.
lange über des Weibes eigentliche Bestimmung
eine theils so unsichere, theils so unrichtige Meinung
herrscht, als unsre moderne Cultur verbreitet hat. Ich
muß also auch diesen Punkt hier mit in unsre Untersu-
chung ziehen.

Der Berufskreis für das ganze weibliche Geschlecht
ist der häusliche Kreis. Vor allem andern gehört zum
Berufe der Frau, was sie als Gattin und als Mutter
leisten, was sie für den Mann und für die Kinder seyn
soll. Dies aber nicht allein, sondern auch das ganze
Hauswesen überhaupt gehört zu dem Berufskreise des
Weibes. Von dem untersten Grade an, auf dem die
Frau alle häuslichen Geschäfte mit eigner Hand verrich-
ten muß, bis zu dem höchsten, auf dem sie keine Hand
mehr selbst anlegt, von dem einfachsten Haushalt der
ärmlichsten Hütte bis zum reichsten und glänzendsten in
unsern Palästen, gebührt der Frau die innere Verwal-
tung des Hauswesens, Anordnung, Leitung und Re-
gierung des Ganzen, sofern es eine Familie bilden soll.
Der Mann, dessen Bestimmung das öffentliche Leben
oder sonst das Wirken nach außen ist, kann jene Ge-
schäfte nicht übernehmen. Es ist sonst schon als Grund-
satz ausgesprochen worden: das Weib soll erhalten, was
der Mann erwirbt. Man kann hinzusetzen: sie soll
auch anwenden und umtreiben, was er durch sein Ver-
dienst gewinnt. Daß dies nicht überall anwendbar und
ausführbar ist, beweist nichts gegen die Richtigkeit der
Ansicht, sondern deutet nur auf einen Mangel der Bil-
dung oder auf ein Verderbniß des Charakters mancher

Vierter Abſchnitt.
lange uͤber des Weibes eigentliche Beſtimmung
eine theils ſo unſichere, theils ſo unrichtige Meinung
herrſcht, als unſre moderne Cultur verbreitet hat. Ich
muß alſo auch dieſen Punkt hier mit in unſre Unterſu-
chung ziehen.

Der Berufskreis fuͤr das ganze weibliche Geſchlecht
iſt der haͤusliche Kreis. Vor allem andern gehoͤrt zum
Berufe der Frau, was ſie als Gattin und als Mutter
leiſten, was ſie fuͤr den Mann und fuͤr die Kinder ſeyn
ſoll. Dies aber nicht allein, ſondern auch das ganze
Hausweſen uͤberhaupt gehoͤrt zu dem Berufskreiſe des
Weibes. Von dem unterſten Grade an, auf dem die
Frau alle haͤuslichen Geſchaͤfte mit eigner Hand verrich-
ten muß, bis zu dem hoͤchſten, auf dem ſie keine Hand
mehr ſelbſt anlegt, von dem einfachſten Haushalt der
aͤrmlichſten Huͤtte bis zum reichſten und glaͤnzendſten in
unſern Palaͤſten, gebuͤhrt der Frau die innere Verwal-
tung des Hausweſens, Anordnung, Leitung und Re-
gierung des Ganzen, ſofern es eine Familie bilden ſoll.
Der Mann, deſſen Beſtimmung das oͤffentliche Leben
oder ſonſt das Wirken nach außen iſt, kann jene Ge-
ſchaͤfte nicht uͤbernehmen. Es iſt ſonſt ſchon als Grund-
ſatz ausgeſprochen worden: das Weib ſoll erhalten, was
der Mann erwirbt. Man kann hinzuſetzen: ſie ſoll
auch anwenden und umtreiben, was er durch ſein Ver-
dienſt gewinnt. Daß dies nicht uͤberall anwendbar und
ausfuͤhrbar iſt, beweiſt nichts gegen die Richtigkeit der
Anſicht, ſondern deutet nur auf einen Mangel der Bil-
dung oder auf ein Verderbniß des Charakters mancher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0352" n="340"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vierter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
lange u&#x0364;ber <hi rendition="#g">des Weibes eigentliche Be&#x017F;timmung</hi><lb/>
eine theils &#x017F;o un&#x017F;ichere, theils &#x017F;o unrichtige Meinung<lb/>
herr&#x017F;cht, als un&#x017F;re moderne Cultur verbreitet hat. Ich<lb/>
muß al&#x017F;o auch die&#x017F;en Punkt hier mit in un&#x017F;re Unter&#x017F;u-<lb/>
chung ziehen.</p><lb/>
              <p>Der Berufskreis fu&#x0364;r das ganze weibliche Ge&#x017F;chlecht<lb/>
i&#x017F;t der ha&#x0364;usliche Kreis. Vor allem andern geho&#x0364;rt zum<lb/>
Berufe der Frau, was &#x017F;ie als Gattin und als Mutter<lb/>
lei&#x017F;ten, was &#x017F;ie fu&#x0364;r den Mann und fu&#x0364;r die Kinder &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;oll. Dies aber nicht allein, &#x017F;ondern auch das ganze<lb/>
Hauswe&#x017F;en u&#x0364;berhaupt geho&#x0364;rt zu dem Berufskrei&#x017F;e des<lb/>
Weibes. Von dem unter&#x017F;ten Grade an, auf dem die<lb/>
Frau alle ha&#x0364;uslichen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte mit eigner Hand verrich-<lb/>
ten muß, bis zu dem ho&#x0364;ch&#x017F;ten, auf dem &#x017F;ie keine Hand<lb/>
mehr &#x017F;elb&#x017F;t anlegt, von dem einfach&#x017F;ten Haushalt der<lb/>
a&#x0364;rmlich&#x017F;ten Hu&#x0364;tte bis zum reich&#x017F;ten und gla&#x0364;nzend&#x017F;ten in<lb/>
un&#x017F;ern Pala&#x0364;&#x017F;ten, gebu&#x0364;hrt der Frau die innere Verwal-<lb/>
tung des Hauswe&#x017F;ens, Anordnung, Leitung und Re-<lb/>
gierung des Ganzen, &#x017F;ofern es eine Familie bilden &#x017F;oll.<lb/>
Der Mann, de&#x017F;&#x017F;en Be&#x017F;timmung das o&#x0364;ffentliche Leben<lb/>
oder &#x017F;on&#x017F;t das Wirken nach außen i&#x017F;t, kann jene Ge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fte nicht u&#x0364;bernehmen. Es i&#x017F;t &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chon als Grund-<lb/>
&#x017F;atz ausge&#x017F;prochen worden: das Weib &#x017F;oll erhalten, was<lb/>
der Mann erwirbt. Man kann hinzu&#x017F;etzen: &#x017F;ie &#x017F;oll<lb/>
auch anwenden und umtreiben, was er durch &#x017F;ein Ver-<lb/>
dien&#x017F;t gewinnt. Daß dies nicht u&#x0364;berall anwendbar und<lb/>
ausfu&#x0364;hrbar i&#x017F;t, bewei&#x017F;t nichts gegen die Richtigkeit der<lb/>
An&#x017F;icht, &#x017F;ondern deutet nur auf einen Mangel der Bil-<lb/>
dung oder auf ein Verderbniß des <choice><sic>Cbarakters</sic><corr>Charakters</corr></choice> mancher<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0352] Vierter Abſchnitt. lange uͤber des Weibes eigentliche Beſtimmung eine theils ſo unſichere, theils ſo unrichtige Meinung herrſcht, als unſre moderne Cultur verbreitet hat. Ich muß alſo auch dieſen Punkt hier mit in unſre Unterſu- chung ziehen. Der Berufskreis fuͤr das ganze weibliche Geſchlecht iſt der haͤusliche Kreis. Vor allem andern gehoͤrt zum Berufe der Frau, was ſie als Gattin und als Mutter leiſten, was ſie fuͤr den Mann und fuͤr die Kinder ſeyn ſoll. Dies aber nicht allein, ſondern auch das ganze Hausweſen uͤberhaupt gehoͤrt zu dem Berufskreiſe des Weibes. Von dem unterſten Grade an, auf dem die Frau alle haͤuslichen Geſchaͤfte mit eigner Hand verrich- ten muß, bis zu dem hoͤchſten, auf dem ſie keine Hand mehr ſelbſt anlegt, von dem einfachſten Haushalt der aͤrmlichſten Huͤtte bis zum reichſten und glaͤnzendſten in unſern Palaͤſten, gebuͤhrt der Frau die innere Verwal- tung des Hausweſens, Anordnung, Leitung und Re- gierung des Ganzen, ſofern es eine Familie bilden ſoll. Der Mann, deſſen Beſtimmung das oͤffentliche Leben oder ſonſt das Wirken nach außen iſt, kann jene Ge- ſchaͤfte nicht uͤbernehmen. Es iſt ſonſt ſchon als Grund- ſatz ausgeſprochen worden: das Weib ſoll erhalten, was der Mann erwirbt. Man kann hinzuſetzen: ſie ſoll auch anwenden und umtreiben, was er durch ſein Ver- dienſt gewinnt. Daß dies nicht uͤberall anwendbar und ausfuͤhrbar iſt, beweiſt nichts gegen die Richtigkeit der Anſicht, ſondern deutet nur auf einen Mangel der Bil- dung oder auf ein Verderbniß des Charakters mancher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/352
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/352>, abgerufen am 22.11.2024.