Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Erster Abschnitt. als den rollenden Wagen durch Eingreifen in ein Radaufhalten zu wollen? Wie sollte auch nur eine solche Theorie Eingang finden? Wie soll die gegenwärtige Generation zu dem Willen gelangen, die kommende an- ders zu erziehen, so lange sie ihr Wollen und Thun, ihr Streben und Treiben für das rechte und wahre hält? Will man hoffen, daß die Regierungen einer solchen Theorie durch gesetzliche Vorschrift Eingang ver- schaffen, so ist wöhl zu bedenken, ob nicht vielmehr die Schulen leer stehen werden, wenn sie den Forderungen des Zeitgeschmackes so wenig entsprechen? -- Und dann, empfängt nicht die Cultur jetzt ihre Richtung von der Noth der Zeit? Man muß jetzt für den Augen- blick nur sorgen; der Vater will nur das vom Sohn erlernt, was ihm im Augenblick zu Brod verhilft; es wird nicht helfen, wenn wir etwas anders lehren las- sen; und es würde selbst nicht billig seyn, da ideale Bildung zu verlangen, wo mit realer Noth ein schwe- rer Kampf um Subsistenz zu kämpfen ist." So scheinbar aber auch diese historischen Einwen- Erſter Abſchnitt. als den rollenden Wagen durch Eingreifen in ein Radaufhalten zu wollen? Wie ſollte auch nur eine ſolche Theorie Eingang finden? Wie ſoll die gegenwaͤrtige Generation zu dem Willen gelangen, die kommende an- ders zu erziehen, ſo lange ſie ihr Wollen und Thun, ihr Streben und Treiben fuͤr das rechte und wahre haͤlt? Will man hoffen, daß die Regierungen einer ſolchen Theorie durch geſetzliche Vorſchrift Eingang ver- ſchaffen, ſo iſt woͤhl zu bedenken, ob nicht vielmehr die Schulen leer ſtehen werden, wenn ſie den Forderungen des Zeitgeſchmackes ſo wenig entſprechen? — Und dann, empfaͤngt nicht die Cultur jetzt ihre Richtung von der Noth der Zeit? Man muß jetzt fuͤr den Augen- blick nur ſorgen; der Vater will nur das vom Sohn erlernt, was ihm im Augenblick zu Brod verhilft; es wird nicht helfen, wenn wir etwas anders lehren laſ- ſen; und es wuͤrde ſelbſt nicht billig ſeyn, da ideale Bildung zu verlangen, wo mit realer Noth ein ſchwe- rer Kampf um Subſiſtenz zu kaͤmpfen iſt.“ So ſcheinbar aber auch dieſe hiſtoriſchen Einwen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0044" n="32"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/> als den rollenden Wagen durch Eingreifen in ein Rad<lb/> aufhalten zu wollen? Wie ſollte auch nur eine ſolche<lb/> Theorie Eingang finden? Wie ſoll die gegenwaͤrtige<lb/> Generation zu dem Willen gelangen, die kommende an-<lb/> ders zu erziehen, ſo lange ſie ihr Wollen und Thun,<lb/> ihr Streben und Treiben fuͤr das rechte und wahre<lb/> haͤlt? Will man hoffen, daß die Regierungen einer<lb/> ſolchen Theorie durch geſetzliche Vorſchrift Eingang ver-<lb/> ſchaffen, ſo iſt woͤhl zu bedenken, ob nicht vielmehr die<lb/> Schulen leer ſtehen werden, wenn ſie den Forderungen<lb/> des Zeitgeſchmackes ſo wenig entſprechen? — Und<lb/> dann, empfaͤngt nicht die Cultur jetzt ihre Richtung von<lb/> der Noth der Zeit? Man muß jetzt fuͤr den Augen-<lb/> blick nur ſorgen; der Vater will nur das vom Sohn<lb/> erlernt, was ihm im Augenblick zu Brod verhilft; es<lb/> wird nicht helfen, wenn wir etwas anders lehren laſ-<lb/> ſen; und es wuͤrde ſelbſt nicht billig ſeyn, da ideale<lb/> Bildung zu verlangen, wo mit realer Noth ein ſchwe-<lb/> rer Kampf um Subſiſtenz zu kaͤmpfen iſt.“</p><lb/> <p>So ſcheinbar aber auch dieſe hiſtoriſchen Einwen-<lb/> dungen ſich moͤgen machen laſſen, ſo ſind ſie doch kaum<lb/> mehr als ein Glaukom. Fuͤrs erſte iſt die Noth der<lb/> Zeit ſo furchtbar nicht, als Traͤgheit und Gleichguͤltig-<lb/> keit gegen das Beſſere, die zu allen Zeiten den durch-<lb/> greifenden Reformen aͤhnliche Wehklagen entgegenzuſtel-<lb/> len geſucht haben, in uͤbertriebnen Schilderungen vor-<lb/> ſpiegeln moͤchten: und eine Regierung, die das Rechte<lb/> will, kann jenes Herandraͤngen zum fruͤhen Brod und<lb/> Gewinn nicht zum Maßſtab der oͤffentlichen Erziehung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0044]
Erſter Abſchnitt.
als den rollenden Wagen durch Eingreifen in ein Rad
aufhalten zu wollen? Wie ſollte auch nur eine ſolche
Theorie Eingang finden? Wie ſoll die gegenwaͤrtige
Generation zu dem Willen gelangen, die kommende an-
ders zu erziehen, ſo lange ſie ihr Wollen und Thun,
ihr Streben und Treiben fuͤr das rechte und wahre
haͤlt? Will man hoffen, daß die Regierungen einer
ſolchen Theorie durch geſetzliche Vorſchrift Eingang ver-
ſchaffen, ſo iſt woͤhl zu bedenken, ob nicht vielmehr die
Schulen leer ſtehen werden, wenn ſie den Forderungen
des Zeitgeſchmackes ſo wenig entſprechen? — Und
dann, empfaͤngt nicht die Cultur jetzt ihre Richtung von
der Noth der Zeit? Man muß jetzt fuͤr den Augen-
blick nur ſorgen; der Vater will nur das vom Sohn
erlernt, was ihm im Augenblick zu Brod verhilft; es
wird nicht helfen, wenn wir etwas anders lehren laſ-
ſen; und es wuͤrde ſelbſt nicht billig ſeyn, da ideale
Bildung zu verlangen, wo mit realer Noth ein ſchwe-
rer Kampf um Subſiſtenz zu kaͤmpfen iſt.“
So ſcheinbar aber auch dieſe hiſtoriſchen Einwen-
dungen ſich moͤgen machen laſſen, ſo ſind ſie doch kaum
mehr als ein Glaukom. Fuͤrs erſte iſt die Noth der
Zeit ſo furchtbar nicht, als Traͤgheit und Gleichguͤltig-
keit gegen das Beſſere, die zu allen Zeiten den durch-
greifenden Reformen aͤhnliche Wehklagen entgegenzuſtel-
len geſucht haben, in uͤbertriebnen Schilderungen vor-
ſpiegeln moͤchten: und eine Regierung, die das Rechte
will, kann jenes Herandraͤngen zum fruͤhen Brod und
Gewinn nicht zum Maßſtab der oͤffentlichen Erziehung
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