Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Leipzig, 1872.logie beider ist, dessen Erkenntniss erfordert wird, um jene logie beider ist, dessen Erkenntniss erfordert wird, um jene <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0101" n="88"/> logie beider ist, dessen Erkenntniss erfordert wird, um jene<lb/> Analogie einzusehen. Die Musik ist demnach, wenn als Aus¬<lb/> druck der Welt angesehen, eine im höchsten Grad allge¬<lb/> meine Sprache, die sich sogar zur Allgemeinheit der Begriffe<lb/> ungefähr verhält wie diese zu den einzelnen Dingen. Ihre<lb/> Allgemeinheit ist aber keineswegs jene leere Allgemeinheit<lb/> der Abstraction, sondern ganz anderer Art und ist verbunden<lb/> mit durchgängiger deutlicher Bestimmtheit. Sie gleicht hierin<lb/> den geometrischen Figuren und den Zahlen, welche als die<lb/> allgemeinen Formen aller möglichen Objecte der Erfahrung<lb/> und auch alle a priori anwendbar, doch nicht abstract, son¬<lb/> dern anschaulich und durchgängig bestimmt sind. Alle<lb/> möglichen Bestrebungen, Erregungen und Aeusserungen des<lb/> Willens, alle jene Vorgänge im Innern des Menschen, welche<lb/> die Vernunft in den weiten negativen Begriff Gefühl wirft,<lb/> sind durch die unendlich vielen möglichen Melodien auszu¬<lb/> drücken, aber immer in der Allgemeinheit blosser Form,<lb/> ohne den Stoff, immer nur nach dem Ansich, nicht nach<lb/> der Erscheinung, gleichsam die innerste Seele derselben,<lb/> ohne Körper. Aus diesem innigen Verhältniss, welches die<lb/> Musik zum wahren Wesen aller Dinge hat, ist auch dies<lb/> zu erklären, dass, wenn zu irgend einer Scene, Handlung,<lb/> Vorgang, Umgebung, eine passende Musik ertönt, diese<lb/> uns den geheimsten Sinn derselben aufzuschliessen scheint<lb/> und als der richtigste und deutlichste Commentar dazu auf¬<lb/> tritt; imgleichen, dass es Dem, der sich dem Eindruck einer<lb/> Symphonie ganz hingiebt, ist, als sähe er alle möglichen<lb/> Vorgänge des Lebens und der Welt an sich vorüberziehen:<lb/> dennoch kann er, wenn er sich besinnt, keine Aehnlichkeit<lb/> angeben zwischen jenem Tonspiel und den Dingen, die ihm<lb/> vorschwebten. Denn die Musik ist, wie gesagt, darin von<lb/> allen anderen Künsten verschieden, dass sie nicht Abbild<lb/> der Erscheinung, oder richtiger, der adäquaten Objectität<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [88/0101]
logie beider ist, dessen Erkenntniss erfordert wird, um jene
Analogie einzusehen. Die Musik ist demnach, wenn als Aus¬
druck der Welt angesehen, eine im höchsten Grad allge¬
meine Sprache, die sich sogar zur Allgemeinheit der Begriffe
ungefähr verhält wie diese zu den einzelnen Dingen. Ihre
Allgemeinheit ist aber keineswegs jene leere Allgemeinheit
der Abstraction, sondern ganz anderer Art und ist verbunden
mit durchgängiger deutlicher Bestimmtheit. Sie gleicht hierin
den geometrischen Figuren und den Zahlen, welche als die
allgemeinen Formen aller möglichen Objecte der Erfahrung
und auch alle a priori anwendbar, doch nicht abstract, son¬
dern anschaulich und durchgängig bestimmt sind. Alle
möglichen Bestrebungen, Erregungen und Aeusserungen des
Willens, alle jene Vorgänge im Innern des Menschen, welche
die Vernunft in den weiten negativen Begriff Gefühl wirft,
sind durch die unendlich vielen möglichen Melodien auszu¬
drücken, aber immer in der Allgemeinheit blosser Form,
ohne den Stoff, immer nur nach dem Ansich, nicht nach
der Erscheinung, gleichsam die innerste Seele derselben,
ohne Körper. Aus diesem innigen Verhältniss, welches die
Musik zum wahren Wesen aller Dinge hat, ist auch dies
zu erklären, dass, wenn zu irgend einer Scene, Handlung,
Vorgang, Umgebung, eine passende Musik ertönt, diese
uns den geheimsten Sinn derselben aufzuschliessen scheint
und als der richtigste und deutlichste Commentar dazu auf¬
tritt; imgleichen, dass es Dem, der sich dem Eindruck einer
Symphonie ganz hingiebt, ist, als sähe er alle möglichen
Vorgänge des Lebens und der Welt an sich vorüberziehen:
dennoch kann er, wenn er sich besinnt, keine Aehnlichkeit
angeben zwischen jenem Tonspiel und den Dingen, die ihm
vorschwebten. Denn die Musik ist, wie gesagt, darin von
allen anderen Künsten verschieden, dass sie nicht Abbild
der Erscheinung, oder richtiger, der adäquaten Objectität
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