Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Leipzig, 1872.vermag, denn damit ist es gleichsam entweltlicht und zeigt Diesem Zustande haben wir uns, seit der Wieder¬ vermag, denn damit ist es gleichsam entweltlicht und zeigt Diesem Zustande haben wir uns, seit der Wieder¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0148" n="135"/> vermag, denn damit ist es gleichsam entweltlicht und zeigt<lb/> seine unbewusste innerliche Ueberzeugung von der Relativität<lb/> der Zeit und von der wahren, d. h. der metaphysischen<lb/> Bedeutung des Lebens. Das Gegentheil davon tritt ein,<lb/> wenn ein Volk anfängt, sich historisch zu begreifen und die<lb/> mythischen Bollwerke um sich herum zu zertrümmern: wo¬<lb/> mit gewöhnlich eine entschiedene Verweltlichung, ein Bruch<lb/> mit der unbewussten Metaphysik seines früheren Daseins,<lb/> in allen ethischen Consequenzen, verbunden ist. Die grie¬<lb/> chische Kunst und vornehmlich die griechische Tragödie hielt<lb/> vor Allem die Vernichtung des Mythus auf: man musste sie<lb/> mit vernichten, um, losgelöst von dem heimischen Boden,<lb/> ungezügelt in der Wildniss des Gedankens, der Sitte und der<lb/> That leben zu können. Auch jetzt noch versucht jener<lb/> metaphysische Trieb, sich eine, wenngleich abgeschwächte<lb/> Form der Verklärung zu schaffen, in dem zum Leben drän¬<lb/> genden Sokratismus der Wissenschaft: aber auf den niederen<lb/> Stufen führte derselbe Trieb nur zu einem fieberhaften Suchen,<lb/> das sich allmählich in ein Pandämonium überallher zusammen¬<lb/> gehäufter Mythen und Superstitionen verlor: in dessen Mitte<lb/> der Hellene dennoch ungestillten Herzens sass, bis er es<lb/> verstand, mit griechischer Heiterkeit und griechischem Leicht¬<lb/> sinn, als Graeculus, jenes Fieber zu maskiren oder in irgend<lb/> einem orientalisch dumpfen Aberglauben sich völlig zu be¬<lb/> täuben.</p><lb/> <p>Diesem Zustande haben wir uns, seit der Wieder¬<lb/> erweckung des alexandrinisch-römischen Alterthums im fünf¬<lb/> zehnten Jahrhundert, nach einem langen schwer zu beschrei¬<lb/> benden Zwischenacte, in der auffälligsten Weise angenähert.<lb/> Auf den Höhen dieselbe überreiche Wissenslust, dasselbe<lb/> ungesättigte Finderglück, dieselbe ungeheure Verweltlichung,<lb/> daneben ein heimatloses Herumschweifen, ein gieriges Sich¬<lb/> drängen an fremde Tische, eine leichtsinnige Vergötterung<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [135/0148]
vermag, denn damit ist es gleichsam entweltlicht und zeigt
seine unbewusste innerliche Ueberzeugung von der Relativität
der Zeit und von der wahren, d. h. der metaphysischen
Bedeutung des Lebens. Das Gegentheil davon tritt ein,
wenn ein Volk anfängt, sich historisch zu begreifen und die
mythischen Bollwerke um sich herum zu zertrümmern: wo¬
mit gewöhnlich eine entschiedene Verweltlichung, ein Bruch
mit der unbewussten Metaphysik seines früheren Daseins,
in allen ethischen Consequenzen, verbunden ist. Die grie¬
chische Kunst und vornehmlich die griechische Tragödie hielt
vor Allem die Vernichtung des Mythus auf: man musste sie
mit vernichten, um, losgelöst von dem heimischen Boden,
ungezügelt in der Wildniss des Gedankens, der Sitte und der
That leben zu können. Auch jetzt noch versucht jener
metaphysische Trieb, sich eine, wenngleich abgeschwächte
Form der Verklärung zu schaffen, in dem zum Leben drän¬
genden Sokratismus der Wissenschaft: aber auf den niederen
Stufen führte derselbe Trieb nur zu einem fieberhaften Suchen,
das sich allmählich in ein Pandämonium überallher zusammen¬
gehäufter Mythen und Superstitionen verlor: in dessen Mitte
der Hellene dennoch ungestillten Herzens sass, bis er es
verstand, mit griechischer Heiterkeit und griechischem Leicht¬
sinn, als Graeculus, jenes Fieber zu maskiren oder in irgend
einem orientalisch dumpfen Aberglauben sich völlig zu be¬
täuben.
Diesem Zustande haben wir uns, seit der Wieder¬
erweckung des alexandrinisch-römischen Alterthums im fünf¬
zehnten Jahrhundert, nach einem langen schwer zu beschrei¬
benden Zwischenacte, in der auffälligsten Weise angenähert.
Auf den Höhen dieselbe überreiche Wissenslust, dasselbe
ungesättigte Finderglück, dieselbe ungeheure Verweltlichung,
daneben ein heimatloses Herumschweifen, ein gieriges Sich¬
drängen an fremde Tische, eine leichtsinnige Vergötterung
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