Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite
Von den Verächtern des Leibes.

Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort
sagen. Nicht umlernen und umlehren sollen sie mir,
sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen --
und also stumm werden.

"Leib bin ich und Seele" -- so redet das Kind.
Und warum sollte man nicht wie die Kinder reden?

Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin
ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele
ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe.

Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit
mit Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine
Heerde und ein Hirt.

Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine
Vernunft, mein Bruder, die du "Geist" nennst, ein
kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft.

"Ich" sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber
das Grössere ist, woran du nicht glauben willst, -- dein
Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich,
aber thut Ich.

Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das
hat niemals in sich sein Ende. Aber Sinn und Geist

Von den Verächtern des Leibes.

Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort
sagen. Nicht umlernen und umlehren sollen sie mir,
sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen —
und also stumm werden.

„Leib bin ich und Seele“ — so redet das Kind.
Und warum sollte man nicht wie die Kinder reden?

Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin
ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele
ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe.

Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit
mit Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine
Heerde und ein Hirt.

Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine
Vernunft, mein Bruder, die du „Geist“ nennst, ein
kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft.

„Ich“ sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber
das Grössere ist, woran du nicht glauben willst, — dein
Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich,
aber thut Ich.

Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das
hat niemals in sich sein Ende. Aber Sinn und Geist

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0048" n="42"/>
        <div n="2">
          <head>Von den Verächtern des Leibes.<lb/></head>
          <p>Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort<lb/>
sagen. Nicht umlernen und umlehren sollen sie mir,<lb/>
sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen &#x2014;<lb/>
und also stumm werden.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Leib bin ich und Seele&#x201C; &#x2014; so redet das Kind.<lb/>
Und warum sollte man nicht wie die Kinder reden?</p><lb/>
          <p>Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin<lb/>
ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele<lb/>
ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe.</p><lb/>
          <p>Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit<lb/>
mit Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine<lb/>
Heerde und ein Hirt.</p><lb/>
          <p>Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine<lb/>
Vernunft, mein Bruder, die du &#x201E;Geist&#x201C; nennst, ein<lb/>
kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich&#x201C; sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber<lb/>
das Grössere ist, woran du nicht glauben willst, &#x2014; dein<lb/>
Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich,<lb/>
aber thut Ich.</p><lb/>
          <p>Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das<lb/>
hat niemals in sich sein Ende. Aber Sinn und Geist<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0048] Von den Verächtern des Leibes. Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort sagen. Nicht umlernen und umlehren sollen sie mir, sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen — und also stumm werden. „Leib bin ich und Seele“ — so redet das Kind. Und warum sollte man nicht wie die Kinder reden? Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt. Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du „Geist“ nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft. „Ich“ sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grössere ist, woran du nicht glauben willst, — dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich. Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich sein Ende. Aber Sinn und Geist

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/48
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/48>, abgerufen am 03.12.2024.