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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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Will man einen Freund haben, so muss man auch
für ihn Krieg führen wollen: und um Krieg zu führen,
muss man Feind sein können.

Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren.
Kannst du an deinen Freund dicht herantreten, ohne
zu ihm überzutreten?

In seinem Freunde soll man seinen besten Feind
haben. Du sollst ihm am nächsten mit dem Herzen
sein, wenn du ihm widerstrebst.

Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen?
Es soll deines Freundes Ehre sein, dass du dich ihm
giebst, wie du bist? Aber er wünscht dich darum
zum Teufel!

Wer aus sich kein Hehl macht, empört: so sehr
habt ihr Grund, die Nacktheit zu fürchten! Ja, wenn
ihr Götter wäret, da dürftet ihr euch eurer Kleider
schämen!

Du kannst dich für deinen Freund nicht schön
genug putzen: denn du sollst ihm ein Pfeil und eine
Sehnsucht nach dem Übermenschen sein.

Sahst du deinen Freund schon schlafen, -- damit
du erfahrest, wie er aussieht? Was ist doch sonst
das Gesicht deines Freundes? Es ist dein eignes
Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel.

Sahst du deinen Freund schon schlafen? Er¬
schrakst du nicht, dass dein Freund so aussieht?
Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das über¬
wunden werden muss.

Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund
Meister sein: nicht Alles musst du sehn wollen. Dein

Will man einen Freund haben, so muss man auch
für ihn Krieg führen wollen: und um Krieg zu führen,
muss man Feind sein können.

Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren.
Kannst du an deinen Freund dicht herantreten, ohne
zu ihm überzutreten?

In seinem Freunde soll man seinen besten Feind
haben. Du sollst ihm am nächsten mit dem Herzen
sein, wenn du ihm widerstrebst.

Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen?
Es soll deines Freundes Ehre sein, dass du dich ihm
giebst, wie du bist? Aber er wünscht dich darum
zum Teufel!

Wer aus sich kein Hehl macht, empört: so sehr
habt ihr Grund, die Nacktheit zu fürchten! Ja, wenn
ihr Götter wäret, da dürftet ihr euch eurer Kleider
schämen!

Du kannst dich für deinen Freund nicht schön
genug putzen: denn du sollst ihm ein Pfeil und eine
Sehnsucht nach dem Übermenschen sein.

Sahst du deinen Freund schon schlafen, — damit
du erfahrest, wie er aussieht? Was ist doch sonst
das Gesicht deines Freundes? Es ist dein eignes
Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel.

Sahst du deinen Freund schon schlafen? Er¬
schrakst du nicht, dass dein Freund so aussieht?
Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das über¬
wunden werden muss.

Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund
Meister sein: nicht Alles musst du sehn wollen. Dein

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[77/0083] Will man einen Freund haben, so muss man auch für ihn Krieg führen wollen: und um Krieg zu führen, muss man Feind sein können. Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. Kannst du an deinen Freund dicht herantreten, ohne zu ihm überzutreten? In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am nächsten mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst. Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen? Es soll deines Freundes Ehre sein, dass du dich ihm giebst, wie du bist? Aber er wünscht dich darum zum Teufel! Wer aus sich kein Hehl macht, empört: so sehr habt ihr Grund, die Nacktheit zu fürchten! Ja, wenn ihr Götter wäret, da dürftet ihr euch eurer Kleider schämen! Du kannst dich für deinen Freund nicht schön genug putzen: denn du sollst ihm ein Pfeil und eine Sehnsucht nach dem Übermenschen sein. Sahst du deinen Freund schon schlafen, — damit du erfahrest, wie er aussieht? Was ist doch sonst das Gesicht deines Freundes? Es ist dein eignes Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel. Sahst du deinen Freund schon schlafen? Er¬ schrakst du nicht, dass dein Freund so aussieht? Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das über¬ wunden werden muss. Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein: nicht Alles musst du sehn wollen. Dein

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/83>, abgerufen am 21.11.2024.