Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

"Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht
und Strafe. Oh wo ist die Erlösung vom Fluss der
Dinge und der Strafe "Dasein"? Also predigte der
Wahnsinn.

"Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges
Recht giebt? Ach, unwälzbar ist der Stein "Es war":
ewig müssen auch alle Strafen sein!" Also predigte
der Wahnsinn.

"Keine That kann vernichtet werden: wie könnte
sie durch die Strafe ungethan werden! Diess, diess
ist das Ewige an der Strafe "Dasein", dass das Dasein
auch ewig wieder That und Schuld sein muss!

"Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber
erlöste und Wollen zu Nicht-Wollen würde --": doch
ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied des Wahnsinns!

Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als
ich euch lehrte: "der Wille ist ein Schaffender."

Alles "Es war" ist ein Bruchstück, ein Räthsel,
ein grauser Zufall -- bis der schaffende Wille dazu
sagt: "aber so wollte ich es!"

-- Bis der schaffende Wille dazu sagt: "Aber so
will ich es! So werde ich's wollen!"

Aber sprach er schon so? Und wann geschieht
diess? Ist der Wille schon abgeschirrt von seiner
eignen Thorheit?

Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und
Freudebringer? Verlernte er den Geist der Rache und
alles Zähneknirschen?

Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und
Höheres als alle Versöhnung ist?

„Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht
und Strafe. Oh wo ist die Erlösung vom Fluss der
Dinge und der Strafe „Dasein“? Also predigte der
Wahnsinn.

„Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges
Recht giebt? Ach, unwälzbar ist der Stein „Es war“:
ewig müssen auch alle Strafen sein!“ Also predigte
der Wahnsinn.

„Keine That kann vernichtet werden: wie könnte
sie durch die Strafe ungethan werden! Diess, diess
ist das Ewige an der Strafe „Dasein“, dass das Dasein
auch ewig wieder That und Schuld sein muss!

„Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber
erlöste und Wollen zu Nicht-Wollen würde —“: doch
ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied des Wahnsinns!

Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als
ich euch lehrte: „der Wille ist ein Schaffender.“

Alles „Es war“ ist ein Bruchstück, ein Räthsel,
ein grauser Zufall — bis der schaffende Wille dazu
sagt: „aber so wollte ich es!“

— Bis der schaffende Wille dazu sagt: „Aber so
will ich es! So werde ich's wollen!“

Aber sprach er schon so? Und wann geschieht
diess? Ist der Wille schon abgeschirrt von seiner
eignen Thorheit?

Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und
Freudebringer? Verlernte er den Geist der Rache und
alles Zähneknirschen?

Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und
Höheres als alle Versöhnung ist?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0100" n="90"/>
        <p>&#x201E;Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht<lb/>
und Strafe. Oh wo ist die Erlösung vom Fluss der<lb/>
Dinge und der Strafe &#x201E;Dasein&#x201C;? Also predigte der<lb/>
Wahnsinn.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges<lb/>
Recht giebt? Ach, unwälzbar ist der Stein &#x201E;Es war&#x201C;:<lb/>
ewig müssen auch alle Strafen sein!&#x201C; Also predigte<lb/>
der Wahnsinn.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Keine That kann vernichtet werden: wie könnte<lb/>
sie durch die Strafe ungethan werden! Diess, diess<lb/>
ist das Ewige an der Strafe &#x201E;Dasein&#x201C;, dass das Dasein<lb/>
auch ewig wieder That und Schuld sein muss!</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber<lb/>
erlöste und Wollen zu Nicht-Wollen würde &#x2014;&#x201C;: doch<lb/>
ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied des Wahnsinns!</p><lb/>
        <p>Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als<lb/>
ich euch lehrte: &#x201E;der Wille ist ein Schaffender.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Alles &#x201E;Es war&#x201C; ist ein Bruchstück, ein Räthsel,<lb/>
ein grauser Zufall &#x2014; bis der schaffende Wille dazu<lb/>
sagt: &#x201E;aber so wollte ich es!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; Bis der schaffende Wille dazu sagt: &#x201E;Aber so<lb/>
will ich es! So werde ich's wollen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Aber sprach er schon so? Und wann geschieht<lb/>
diess? Ist der Wille schon abgeschirrt von seiner<lb/>
eignen Thorheit?</p><lb/>
        <p>Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und<lb/>
Freudebringer? Verlernte er den Geist der Rache und<lb/>
alles Zähneknirschen?</p><lb/>
        <p>Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und<lb/>
Höheres als alle Versöhnung ist?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0100] „Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die Erlösung vom Fluss der Dinge und der Strafe „Dasein“? Also predigte der Wahnsinn. „Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, unwälzbar ist der Stein „Es war“: ewig müssen auch alle Strafen sein!“ Also predigte der Wahnsinn. „Keine That kann vernichtet werden: wie könnte sie durch die Strafe ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe „Dasein“, dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss! „Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erlöste und Wollen zu Nicht-Wollen würde —“: doch ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied des Wahnsinns! Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: „der Wille ist ein Schaffender.“ Alles „Es war“ ist ein Bruchstück, ein Räthsel, ein grauser Zufall — bis der schaffende Wille dazu sagt: „aber so wollte ich es!“ — Bis der schaffende Wille dazu sagt: „Aber so will ich es! So werde ich's wollen!“ Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon abgeschirrt von seiner eignen Thorheit? Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und Freudebringer? Verlernte er den Geist der Rache und alles Zähneknirschen? Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und Höheres als alle Versöhnung ist?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/100
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/100>, abgerufen am 21.11.2024.