Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Zu lange sehnte ich mich und schaute in die
Ferne. Zu lange gehörte ich der Einsamkeit: so ver¬
lernte ich das Schweigen.

Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen
eines Bachs aus hohen Felsen: hinab will ich meine
Rede stürzen in die Thäler.

Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames
stürzen! Wie sollte ein Strom nicht endlich den Weg
zum Meere finden!

Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer,
selbstgenugsamer; aber mein Strom der Liebe reisst
ihn mit sich hinab -- zum Meere!

Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir;
müde wurde ich, gleich allen Schaffenden, der alten
Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen
Sohlen wandeln.

Zu langsam läuft mir alles Reden: -- in deinen
Wagen springe ich, Sturm! Und auch dich will ich
noch peitschen mit meiner Bosheit!

Wie ein Schrei und ein Jauchzen will ich über
weite Meere hinfahren, bis ich die glückseligen Inseln
finde, wo meine Freunde weilen: --

Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich
nun Jeden, zu dem ich nur reden darf! Auch meine
Feinde gehören zu meiner Seligkeit.

Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen
will, so hilft mir mein Speer immer am besten hinauf:
der ist meines Fusses allzeit bereiter Diener: --

Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere!
Wie danke ich es meinen Feinden, dass ich endlich
ihn schleudern darf!

1*

Zu lange sehnte ich mich und schaute in die
Ferne. Zu lange gehörte ich der Einsamkeit: so ver¬
lernte ich das Schweigen.

Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen
eines Bachs aus hohen Felsen: hinab will ich meine
Rede stürzen in die Thäler.

Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames
stürzen! Wie sollte ein Strom nicht endlich den Weg
zum Meere finden!

Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer,
selbstgenugsamer; aber mein Strom der Liebe reisst
ihn mit sich hinab — zum Meere!

Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir;
müde wurde ich, gleich allen Schaffenden, der alten
Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen
Sohlen wandeln.

Zu langsam läuft mir alles Reden: — in deinen
Wagen springe ich, Sturm! Und auch dich will ich
noch peitschen mit meiner Bosheit!

Wie ein Schrei und ein Jauchzen will ich über
weite Meere hinfahren, bis ich die glückseligen Inseln
finde, wo meine Freunde weilen: —

Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich
nun Jeden, zu dem ich nur reden darf! Auch meine
Feinde gehören zu meiner Seligkeit.

Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen
will, so hilft mir mein Speer immer am besten hinauf:
der ist meines Fusses allzeit bereiter Diener: —

Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere!
Wie danke ich es meinen Feinden, dass ich endlich
ihn schleudern darf!

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0013" n="3"/>
        <p>Zu lange sehnte ich mich und schaute in die<lb/>
Ferne. Zu lange gehörte ich der Einsamkeit: so ver¬<lb/>
lernte ich das Schweigen.</p><lb/>
        <p>Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen<lb/>
eines Bachs aus hohen Felsen: hinab will ich meine<lb/><hi rendition="#g">Rede</hi> stürzen in die Thäler.</p><lb/>
        <p>Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames<lb/>
stürzen! Wie sollte ein Strom nicht endlich den Weg<lb/>
zum Meere finden!</p><lb/>
        <p>Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer,<lb/>
selbstgenugsamer; aber mein Strom der Liebe reisst<lb/>
ihn mit sich hinab &#x2014; zum Meere!</p><lb/>
        <p>Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir;<lb/>
müde wurde ich, gleich allen Schaffenden, der alten<lb/>
Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen<lb/>
Sohlen wandeln.</p><lb/>
        <p>Zu langsam läuft mir alles Reden: &#x2014; in deinen<lb/>
Wagen springe ich, Sturm! Und auch dich will ich<lb/>
noch peitschen mit meiner Bosheit!</p><lb/>
        <p>Wie ein Schrei und ein Jauchzen will ich über<lb/>
weite Meere hinfahren, bis ich die glückseligen Inseln<lb/>
finde, wo meine Freunde weilen: &#x2014;</p><lb/>
        <p>Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich<lb/>
nun Jeden, zu dem ich nur reden darf! Auch meine<lb/>
Feinde gehören zu meiner Seligkeit.</p><lb/>
        <p>Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen<lb/>
will, so hilft mir mein Speer immer am besten hinauf:<lb/>
der ist meines Fusses allzeit bereiter Diener: &#x2014;</p><lb/>
        <p>Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere!<lb/>
Wie danke ich es meinen Feinden, dass ich endlich<lb/>
ihn schleudern darf!</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">1*<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0013] Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehörte ich der Einsamkeit: so ver¬ lernte ich das Schweigen. Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen Felsen: hinab will ich meine Rede stürzen in die Thäler. Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames stürzen! Wie sollte ein Strom nicht endlich den Weg zum Meere finden! Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber mein Strom der Liebe reisst ihn mit sich hinab — zum Meere! Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; müde wurde ich, gleich allen Schaffenden, der alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen Sohlen wandeln. Zu langsam läuft mir alles Reden: — in deinen Wagen springe ich, Sturm! Und auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit! Wie ein Schrei und ein Jauchzen will ich über weite Meere hinfahren, bis ich die glückseligen Inseln finde, wo meine Freunde weilen: — Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun Jeden, zu dem ich nur reden darf! Auch meine Feinde gehören zu meiner Seligkeit. Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein Speer immer am besten hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter Diener: — Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es meinen Feinden, dass ich endlich ihn schleudern darf! 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/13
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/13>, abgerufen am 21.11.2024.