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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht!
Aber noch weniger würdet ihr des Geistes Bescheiden¬
heit ertragen, wenn sie einmal reden wollte!

Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine
Grube von Schnee werfen: ihr seid nicht heiss genug
dazu! So kennt ihr auch die Entzückungen seiner Kälte
nicht.

In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem
Geiste; und aus der Weisheit machtet ihr oft ein
Armen- und Krankenhaus für schlechte Dichter.

Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das
Glück im Schrecken des Geistes nicht. Und wer kein
Vogel ist, soll sich nicht über Abgründen lagern.

Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tiefe
Erkenntniss. Eiskalt sind die innersten Brunnen des
Geistes: ein Labsal heissen Händen und Handelnden.

Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem
Rücken, ihr berühmten Weisen! -- euch treibt kein
starker Wind und Wille.

Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, ge¬
ründet und gebläht und zitternd vor dem Ungestüm
des Windes?

Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm
des Geistes, geht meine Weisheit über das Meer --
meine wilde Weisheit!

Aber ihr Diener des Volkes, ihr berühmten Weisen,
-- wie könntet ihr mit mir gehn! --.

Also sprach Zarathustra.


Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht!
Aber noch weniger würdet ihr des Geistes Bescheiden¬
heit ertragen, wenn sie einmal reden wollte!

Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine
Grube von Schnee werfen: ihr seid nicht heiss genug
dazu! So kennt ihr auch die Entzückungen seiner Kälte
nicht.

In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem
Geiste; und aus der Weisheit machtet ihr oft ein
Armen- und Krankenhaus für schlechte Dichter.

Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das
Glück im Schrecken des Geistes nicht. Und wer kein
Vogel ist, soll sich nicht über Abgründen lagern.

Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tiefe
Erkenntniss. Eiskalt sind die innersten Brunnen des
Geistes: ein Labsal heissen Händen und Handelnden.

Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem
Rücken, ihr berühmten Weisen! — euch treibt kein
starker Wind und Wille.

Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, ge¬
ründet und gebläht und zitternd vor dem Ungestüm
des Windes?

Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm
des Geistes, geht meine Weisheit über das Meer —
meine wilde Weisheit!

Aber ihr Diener des Volkes, ihr berühmten Weisen,
— wie könntet ihr mit mir gehn! —.

Also sprach Zarathustra.


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[34/0044] Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger würdet ihr des Geistes Bescheiden¬ heit ertragen, wenn sie einmal reden wollte! Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee werfen: ihr seid nicht heiss genug dazu! So kennt ihr auch die Entzückungen seiner Kälte nicht. In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der Weisheit machtet ihr oft ein Armen- und Krankenhaus für schlechte Dichter. Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Glück im Schrecken des Geistes nicht. Und wer kein Vogel ist, soll sich nicht über Abgründen lagern. Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt sind die innersten Brunnen des Geistes: ein Labsal heissen Händen und Handelnden. Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Rücken, ihr berühmten Weisen! — euch treibt kein starker Wind und Wille. Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, ge¬ ründet und gebläht und zitternd vor dem Ungestüm des Windes? Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm des Geistes, geht meine Weisheit über das Meer — meine wilde Weisheit! Aber ihr Diener des Volkes, ihr berühmten Weisen, — wie könntet ihr mit mir gehn! —. Also sprach Zarathustra.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/44>, abgerufen am 21.11.2024.