Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore Da riss ein brausender Wind seine Flügel aus Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zer¬ Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Aber der eigne Schrei weckte mich auf: -- und Also erzählte Zarathustra seinen Traum und "Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bos¬ Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore Da riss ein brausender Wind seine Flügel aus Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zer¬ Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Aber der eigne Schrei weckte mich auf: — und Also erzählte Zarathustra seinen Traum und „Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bos¬ Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0092" n="82"/> <p>Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore<lb/> und mühte mich. Aber noch keinen Fingerbreit stand<lb/> es offen:</p><lb/> <p>Da riss ein brausender Wind seine Flügel aus<lb/> einander: pfeifend, schrillend und schneidend warf er<lb/> mir einen schwarzen Sarg zu:</p><lb/> <p>Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zer¬<lb/> barst der Sarg und spie tausendfältiges Gelächter aus.</p><lb/> <p>Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln,<lb/> Eulen, Narren und kindergrossen Schmetterlingen<lb/> lachte und höhnte und brauste es wider mich.</p><lb/> <p>Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder.<lb/> Und ich schrie vor Grausen, wie nie ich schrie.</p><lb/> <p>Aber der eigne Schrei weckte mich auf: — und<lb/> ich kam zu mir. —</p><lb/> <p>Also erzählte Zarathustra seinen Traum und<lb/> schwieg dann: denn er wusste noch nicht die Deutung<lb/> seines Traumes. Aber der Jünger, den er am meisten<lb/> lieb hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand Zara¬<lb/> thustra's und sprach:</p><lb/> <p>„Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh<lb/> Zarathustra!</p><lb/> <p>Bist du nicht selber der Wind mit schrillem<lb/> Pfeifen, der den Burgen des Todes die Thore aufreisst?</p><lb/> <p>Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bos¬<lb/> heiten und Engelsfratzen des Lebens?</p><lb/> <p>Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter<lb/> kommt Zarathustra in alle Todtenkammern, lachend<lb/> über diese Nacht- und Grabwächter, und wer sonst<lb/> mit düstern Schlüsseln rasselt.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [82/0092]
Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore
und mühte mich. Aber noch keinen Fingerbreit stand
es offen:
Da riss ein brausender Wind seine Flügel aus
einander: pfeifend, schrillend und schneidend warf er
mir einen schwarzen Sarg zu:
Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zer¬
barst der Sarg und spie tausendfältiges Gelächter aus.
Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln,
Eulen, Narren und kindergrossen Schmetterlingen
lachte und höhnte und brauste es wider mich.
Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder.
Und ich schrie vor Grausen, wie nie ich schrie.
Aber der eigne Schrei weckte mich auf: — und
ich kam zu mir. —
Also erzählte Zarathustra seinen Traum und
schwieg dann: denn er wusste noch nicht die Deutung
seines Traumes. Aber der Jünger, den er am meisten
lieb hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand Zara¬
thustra's und sprach:
„Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh
Zarathustra!
Bist du nicht selber der Wind mit schrillem
Pfeifen, der den Burgen des Todes die Thore aufreisst?
Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bos¬
heiten und Engelsfratzen des Lebens?
Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter
kommt Zarathustra in alle Todtenkammern, lachend
über diese Nacht- und Grabwächter, und wer sonst
mit düstern Schlüsseln rasselt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/92 |
Zitationshilfe: | Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/92>, abgerufen am 16.02.2025. |