Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite

Denn offen ist es bei dir und hell; und auch
die Stunden laufen hier auf leichteren Füssen. Im
Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als
im Lichte.

Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-
Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles
Werden will hier von mir reden lernen.

Da unten aber -- da ist alles Reden umsonst!
Da ist Vergessen und Vorübergehn die beste Weisheit:
Das -- lernte ich nun!

Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte,
der müsste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu
reinliche Hände.

Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach,
dass ich so lange unter ihrem Lärm und üblem Athem
lebte!

Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um
mich! Oh wie aus tiefer Brust diese Stille reinen
Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille!

Aber da unten -- da redet Alles, da wird Alles
überhört. Man mag seine Weisheit mit Glocken ein¬
läuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit
Pfennigen überklingeln!

Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu
verstehn. Alles fällt in's Wasser, Nichts fällt mehr
in tiefe Brunnen.

Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und
kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch
still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?

Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und
was gestern noch zu hart war für die Zeit selber und

4

Denn offen ist es bei dir und hell; und auch
die Stunden laufen hier auf leichteren Füssen. Im
Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als
im Lichte.

Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-
Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles
Werden will hier von mir reden lernen.

Da unten aber — da ist alles Reden umsonst!
Da ist Vergessen und Vorübergehn die beste Weisheit:
Das — lernte ich nun!

Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte,
der müsste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu
reinliche Hände.

Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach,
dass ich so lange unter ihrem Lärm und üblem Athem
lebte!

Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um
mich! Oh wie aus tiefer Brust diese Stille reinen
Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille!

Aber da unten — da redet Alles, da wird Alles
überhört. Man mag seine Weisheit mit Glocken ein¬
läuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit
Pfennigen überklingeln!

Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu
verstehn. Alles fällt in's Wasser, Nichts fällt mehr
in tiefe Brunnen.

Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und
kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch
still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?

Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und
was gestern noch zu hart war für die Zeit selber und

4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0059" n="49"/>
        <p>Denn offen ist es bei dir und hell; und auch<lb/>
die Stunden laufen hier auf leichteren Füssen. Im<lb/>
Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als<lb/>
im Lichte.</p><lb/>
        <p>Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-<lb/>
Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles<lb/>
Werden will hier von mir reden lernen.</p><lb/>
        <p>Da unten aber &#x2014; da ist alles Reden umsonst!<lb/>
Da ist Vergessen und Vorübergehn die beste Weisheit:<lb/><hi rendition="#g">Das</hi> &#x2014; lernte ich nun!</p><lb/>
        <p>Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte,<lb/>
der müsste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu<lb/>
reinliche Hände.</p><lb/>
        <p>Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach,<lb/>
dass ich so lange unter ihrem Lärm und üblem Athem<lb/>
lebte!</p><lb/>
        <p>Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um<lb/>
mich! Oh wie aus tiefer Brust diese Stille reinen<lb/>
Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille!</p><lb/>
        <p>Aber da unten &#x2014; da redet Alles, da wird Alles<lb/>
überhört. Man mag seine Weisheit mit Glocken ein¬<lb/>
läuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit<lb/>
Pfennigen überklingeln!</p><lb/>
        <p>Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu<lb/>
verstehn. Alles fällt in's Wasser, Nichts fällt mehr<lb/>
in tiefe Brunnen.</p><lb/>
        <p>Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und<lb/>
kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch<lb/>
still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?</p><lb/>
        <p>Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und<lb/>
was gestern noch zu hart war für die Zeit selber und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0059] Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier auf leichteren Füssen. Im Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als im Lichte. Hier springen mir alles Seins Worte und Wort- Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen. Da unten aber — da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und Vorübergehn die beste Weisheit: Das — lernte ich nun! Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der müsste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Hände. Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter ihrem Lärm und üblem Athem lebte! Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh wie aus tiefer Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille! Aber da unten — da redet Alles, da wird Alles überhört. Man mag seine Weisheit mit Glocken ein¬ läuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit Pfennigen überklingeln! Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fällt in's Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen. Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten? Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu hart war für die Zeit selber und 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/59
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/59>, abgerufen am 21.11.2024.