Allgemeine Zeitung, Nr. 3, 3. Januar 1872.[Spaltenumbruch]
Grundsätze über Bord geworfen worden. So hat man sich nicht zur Abschaffung Großbritannien. London, 31 Dec. * Die gesammte Wochenpresse beschäftigt sich nun auch mit der Depesche des Die Eröffnung des österreichischen Reichsraths wird von allen großen Frankreich. Paris, 31 Des. Hr. Thiers gab gestern in Versailles dem Kaiser von Brasilien ein Deiner, zu "Hr. Gambetta bereist in diesem Augenblick den Süden; er wurde in Marseille In der Rue d'Arras kann man sich noch immer nicht darüber trösten daß Die Commission zur Prüfung der Acte der Regierung vom 4 September hat An den Straßenecken von Paris erschien gestern folgende Kundmachung: Der Gouverneur von Paris verfügt kraft der ihm durch den Belagerungsstand [Spaltenumbruch]
Grundſätze über Bord geworfen worden. So hat man ſich nicht zur Abſchaffung Großbritannien. London, 31 Dec. * Die geſammte Wochenpreſſe beſchäftigt ſich nun auch mit der Depeſche des Die Eröffnung des öſterreichiſchen Reichsraths wird von allen großen Frankreich. Paris, 31 Des. Hr. Thiers gab geſtern in Verſailles dem Kaiſer von Braſilien ein Dîner, zu „Hr. Gambetta bereist in dieſem Augenblick den Süden; er wurde in Marſeille In der Rue d’Arras kann man ſich noch immer nicht darüber tröſten daß Die Commiſſion zur Prüfung der Acte der Regierung vom 4 September hat An den Straßenecken von Paris erſchien geſtern folgende Kundmachung: Der Gouverneur von Paris verfügt kraft der ihm durch den Belagerungsſtand <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0006" n="30"/><cb/> Grundſätze über Bord geworfen worden. So hat man ſich nicht zur Abſchaffung<lb/> des Ohmgeldes entſchließen können, obſchon dasſelbe zum größten Theil auf dem<lb/> Arbeiterſtand laſtet und eine ungerechte Steuer gegen unten iſt. Von der größten<lb/> Wichtigkeit für den Arbeiterſtand wäre ferner die volle Durchführung des Schwei-<lb/> zerbürgerrechts, aber auch hier iſt man in der reactionären Luft von Bern zu<lb/> einem kläglichen Ergebniß gelangt.“ Auf beide Artikel verlangt der Aufrnf zu-<lb/> rückzukommen und beantragt, um ſich über gemeinſame Schritte gegenüber den<lb/> eidgenöſſiſchen Räthen zu einigen, Abhaltung eines allgemeinen Arbeitercongreſſes<lb/> im Laufe des Monats Januar. „Arbeiter aller Kantone! — ſchließt der Auf-<lb/> ruf — es iſt Zeit daß wir über die Arbeiter einer Verſammlung wachen welche<lb/> zu glauben ſcheint daß wir ſchlafen.“ — In ſeiner letzten Sitzung genehmigte der<lb/> Bundesrath die Vorlagen der St. Galler Regierung für die Rheincorrectionsbau-<lb/> ten im Jahr 1872, deren Koſten auf 1,000,000 Fr. fixirt ſind. — Im Kanton<lb/> Graubünden iſt die Abſtimmung über die 9 Millionen-Subvention <hi rendition="#aq">à fonds perdu</hi><lb/> für die Splügen-Bahn flott im Gange. Die Stimmung iſt ſelbſt in den dem<lb/> Splügen-Trac<hi rendition="#aq">é</hi> fern liegenden Landestheilen eine günſtige, ſo daß man eine faſt<lb/> an Einſtimmigkeit gränzende Mehrheit erwartet. — Mazzini, welcher ſeit einiger<lb/> Zeit wieder in Lugano weilt und an ſeinen alten Leiden erkrankt iſt, befindet ſich<lb/> auf dem Wege der Beſſerung. — Laut der „Suiſſe Radicale“ wird der Graf<lb/> Chambord in Genf erwartet, wo die Villa Artichauds für ihn behufs längeren<lb/> Aufenthalts gemiethet ſein ſoll. — In ſchweizeriſchen Blättern wird beſtritten<lb/> daß Oberſt Rüſtow Hrn. Thiers Plane für die Befeſtigung von Paris vorgelegt<lb/> habe. Allerdings ſei er im Auftrag des eidgenöſſiſchen Militärdepar tements in<lb/> Paris geweſen, habe aber keine Rückſprache mit Hrn. Thiers, ſondern mit dem<lb/> Kriegsminiſter genommen. Uebrigens ſei er ſchon längſt nach Zürich zu-<lb/> rückgekehrt, während die Blätter ihn noch immer als <hi rendition="#aq">persona grata</hi> in Verſailles<lb/> weilen ließen. — Mina Puccinelli, die berüchtigte ſocialdemokrat iſche ſpaniſche<lb/> Doña, welche kürzlich auch in Baſel und Zürich als Sendlingin der „Internatio-<lb/> nalen“ auftrat und Vorträge hielt, hat die Sache ſo toll getrieben, daß ſie von<lb/> ihren eigenen Leuten verläugnet wurde. Bürger Gräulich, der Chef der Züricher<lb/> Internationalen, unter deſſen Protectorat die Bürgerin Puccinelli ihr erſtes Auftre-<lb/> ten in Zürich feierte, hat dieſelbe bei ihrer zweiten Vorſtellung geradezu als<lb/> „Landſtreicherin“ bezeichnet, mit der die Internationale nichts zu thun habe. —<lb/> Am 10 Jan. treten in Bern die Aſſiſen zuſammen zur Verhandlung der Proceſſe<lb/> des ehemaligen eidgenöſſiſchen Staatscaſſiers Eggimann, des flüchtigen Berner<lb/> Handelsbankdirectors Muralt und des Schwindelgeſchäfts „Felicitas.“ Beiläuſig<lb/> ſei bemerkt daß das der eidgenöſſiſchen Staatscaſſe durch die Veruntreuungen<lb/> Eggimanns zugefügte Deficit im Betrage von 560,000 Fr. in Folge Vergleichs<lb/> mit deſſen Amtsbürgen vollſtändig gedeckt iſt, was das Urtheil der Richter einiger-<lb/> maßen mildern wird.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Großbritannien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 31 Dec.</dateline><lb/> <p>* Die geſammte Wochenpreſſe beſchäftigt ſich nun auch mit der Depeſche des<lb/> Fürſten Bismarck, und es läßt ſich zuſammenfaſſend von den drei namhafteſten<lb/> Blättern „Saturday Review,“ „Economiſt“ und „Spectator“ ſagen daß ſie in<lb/> der Entrüſtung gegen die in Rede ſtehenden Verbrechen vollſtändig übereinſtimmen.<lb/> Im übrigen aber gehen die Anſichten einigermaßen auseinander. Eigenthümlicher-<lb/> weiſe iſt es dießmal der philoſophiſch-radicale „Spectator,“ der ſonſt eine gewiſſe<lb/> Schwachheit für Frankreich und die Republik hat, welcher in dieſem Fall mit Rück-<lb/> ſicht auf die ganze Lage in Deutſchland und Frankreich einerſeits, andrerſeits auch<lb/> im Rückblick auf die Möglichkeiten der Zukunft in Frankreich, die Schärfe der De-<lb/> peſche erklärt und begründet. Der „Economiſt“ räumt allerdings auch ein daß<lb/> den momentanen Verhältniſſen gegenüber der Schritt der deutſchen Regierung am<lb/> Ende geboten ſei, hält aber auf der anderen Seite feſt daß dergleichen Vorkomm-<lb/> niſſe bei einer Occupation unvermeidlich ſeien, und führt aus daß Deutſchland<lb/> ſich derartige Folgen ſelbſt zuzuſchreiben habe, weil es eine Kriegsentſchädigung<lb/> beanſpruchte welche eine lange Beſetzung franzöſiſchen Bodens nothwendig machte.<lb/> Die „Saturday Review“ betont dieſe Einwände noch bedeutend ſchärfer, und<lb/> wendet ſich namentlich gegen die vom Fürſten Bismarck an die franzöſiſche Nation<lb/> gerichteten Vorwürfe. Im einzelnen mag folgendes hervorgehoben werden: <cit><quote>„Es<lb/> war — ſagt der „Spectator“ — wie wir glauben, nothwendig daß Fürſt Bismarck<lb/> ſeine meiſterhafte Depeſche ſchrieb, allein dieſe Nothwendigkeit wurde augenſchein-<lb/> lich von ihm mit einiger Befriedigung hingenommen. Wir ſind alle ein wenig zu<lb/> ſehr geneigt zu vergeſſen daß der große Kanzler nicht nur eine europäiſche Perſön-<lb/> lichkeit, ſondern auch ein deutſcher Miniſter iſt. Das ganze deutſche Volk rief in<lb/> dieſem Fall in der Preſſe nach Genugthuung, die Armee war wüthend, der Kaiſer<lb/> entſchloſſen, Frankreich hoffnungslos im Unrecht, und Fürſt Bismarck mußte ſich<lb/> vernehmen laſſen, und da er einmal Fürſt Bismarck iſt, ſo ließ er ſich mit lauter<lb/> Stimme ſtolz und im Tone des Herrn vernehmen.“ „Wir können nicht ſehen,<lb/> ſchreibt der „Economiſt,“ wie Graf Bismarck in anderem Tone ſprechen konnte,<lb/> wenn er überhaupt ſeinen Halt über die öffentliche Meinung bewahren wollte. Es<lb/> gibt Gelegenheiten wo die ſtärkſte und ſtolzeſte Ausdrucksweiſe die allerfriedlichſte<lb/> iſt, und wir glauben der Reichskanzler rechnet darauf durch ſeine kräftige Sprache<lb/> gleichzeitig die deutſche Ungeduld zu zügeln und die franzöſiſche Furcht vor einem<lb/> neuen Krieg zu mehren.“</quote></cit></p><lb/> <p>Die Eröffnung des öſterreichiſchen Reichsraths wird von allen großen<lb/> Blättern mehr oder weniger eingehend erörtert. In der Hauptſache ſind die ſämmt-<lb/> lichen Leitartikel vielmehr erklärender als kritiſcher Natur, was ſeinen Grund in<lb/> der Thatſache findet daß die Bekanntſchaft des engliſchen Leſers mit den einiger-<lb/> maßen verwickelten Verhältniſſen der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie eine ſehr<lb/> beſchränkte iſt. Darin ſtimmen übrigens alle überein daß die Leiter des öſter-<lb/> reichiſchen Staatsverbandes, vorzugsweiſe der Kaiſer, bei ihrer ſchwierigen Auf-<lb/> gabe alle mögliche Theilnahme verdienen, wie denn überhaupt die wenigen Worte<lb/> der Beurtheilung welche ſich in die Darſtellung der Lage miſchen überall freund-<lb/> lich und wohlwollend lauten. Geht man zu einer Ueberſicht der verſchiedenen Be-<lb/> trachtungen im einzelnen über, ſo iſt zuerſt die „Times„ zu erwähnen, welche, nach<lb/> Hindeutung auf das lange Programm der Thronrede, die Lage in der Bemerkung<lb/> kennzeichnet: daß die Hauptfrage darauf hinaus laufe ob ein Reichsrath zu Stande<lb/> komme, oder nicht. Im weiteren wird dann aus einem kurzen geſchichtlichen Rück-<lb/> blick die heutige Conſtellation der Dinge entwickelt, und ausdrücklich hervorgehoben<lb/> daß das Uebergewicht der Deutſchen über alle anderen Stämme des Reichs ſo un-<lb/> zweifelhaft und auf ſo viele geiſtige, moraliſche und geſellſchaftliche Vorzüge be-<lb/> gründet ſei, daß eine Oppoſition nie das Maß des Unbedeutenden überſchreiten<lb/><cb/> könne, ſolange die Deutſchen nur feſt zuſammenhalten wollten. Gerade jenen<lb/> Deutſchen welche ſich von den Centraliſten den Föderaliſten zugewandt haben,<lb/> mißt die „Times“ die Schuld an vielem Unheil bei, und ſie zeigt daß es dieſe<lb/> Herren geweſen welche vor kurzem erſt den Kaiſer auf eine irrige Bahn geleitet,<lb/> von der ihn die zeitigen Warnungen der Grafen Beuſt und Andraſſy zurück-<lb/> gebracht haben. Nicht minder reichlich ſpendet „Daily News“ dem Kaiſer den Zoll<lb/> der Anerkennung. Sie faßt ihr Urtheil dahin zuſammen: <cit><quote>„Wenn man die ſehr<lb/> ſchwierigen Umſtände betrachtet unter welchen der Kaiſer ſeine Rede hielt, ſo muß<lb/> man dieſelbe als eine kluge und verſtändliche Botſchaft bezeichnen, allein wir<lb/> können aus derſelben nicht den Schluß ableiten daß der Kaiſer oder ſeine heutigen<lb/> Rathgeber hoffnungsvoll in die nächſte Zukunft blicken.“</quote></cit> Ganz ähnlich äußert ſich der<lb/> „Daily Telegraph:“ <cit><quote>„Der würdige und feſte, zugleich aber beſorgte und verſöhn-<lb/> liche Ton in welchem Kaiſer Franz Joſeph zu dem Reichsrath geſprochen, wird<lb/> weit über die Gränzen Oeſterreichs hinaus den ernſten Wunſch wachrufen daß ſein<lb/> Streben, das ihm, wie wir glauben, deutlich am Herzen liegt, mit Erfolg gekrönt<lb/> werden möge.“ Selbſt die „Morning Poſt,“ die ſonſt nicht gerade dem Centralis-<lb/> mus hold iſt, erklärt: „Wir können nicht umhin die herzlichſten Wünſche für den<lb/> Reichsrath zur Erfüllung ſeiner wirklich unzähligen Pflichten zu äußern. Wir<lb/> werden indeſſen nicht ſehr überraſcht ſein wenn viele der Projecte in mehr als<lb/> einer künftigen Thronrede noch als unerfüllt figuriren werden.“</quote></cit></p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 31 Des.</dateline><lb/> <p>Hr. Thiers gab geſtern in Verſailles dem Kaiſer von Braſilien ein Dîner, zu<lb/> welchem von Diplomaten Lord Lyons, Graf Arnim, Hr. Olozaga, Hr. v. Moltke-<lb/> Hvitfeld, von Gelehrten die HH. N<hi rendition="#aq">é</hi>laton, Leverrier, L. Dequesne, Sainte-Clair-<lb/> Deville und mehrere andere Mitglieder des Inſtituts, ferner Marſchall Mac-Mahon,<lb/> General Appert und der Präfect Cochin geladen waren.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <cit> <quote>„Hr. Gambetta bereist in dieſem Augenblick den Süden; er wurde in Marſeille<lb/> mit Wärme und in dem radicalen Toulon mit wahrer Begeiſterung empfangen.<lb/> Sein Einzug in die letztere Stadt geſtaltete ſich zu einem wahren Volksfeſte, er<lb/> wurde im Triumph nach ſeinem H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel geführt, und dort durch die enthuſiaſtiſchen<lb/> Rufe der Menge genöthigt mehrmals auf dem Balcon zu erſcheinen. Des Abends<lb/> gab man ihm ein Bankett, welchem der Maire der Stadt und die meiſten Gemeinde-<lb/> räthe beiwohnten. Der Hauptzweck dieſer Rundreiſe iſt allem Anſchein nach die<lb/> Unterſtützung mehrerer befreundeten Candidaturen, ſo des Hrn. Challemel-Lacour<lb/> für Marſeille und des Hrn. Freycinet für Toulon; doch ſoll Hr. Gambetta, ehe er<lb/> nach Paris zurückkehrt, in Marſeille noch eine große politiſche Rede halten.“</quote> </cit> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>In der Rue d’Arras kann man ſich noch immer nicht darüber tröſten daß<lb/> Victor Hugo ſich weigert vor dem ſouveränen Volke zu erſcheinen. Ein Herr<lb/> Duram machte noch in der letzten Verſammlung dem Dichter nicht ohne Talent<lb/> und namentlich nicht ohne Erfolg den Proceß. Er führte zunächſt aus daß es<lb/> durchaus nicht gleichgültig ſei ob man das Mandat ein „imperatives“ oder ein<lb/> „contractuelles“ nenne. Hr. Victor Hugo definire die Sache als einen ſynallag-<lb/> matiſchen Vertrag, der alſo beiden Theilen gleiche Pflichten auferlege. Das ſei<lb/> aber keineswegs die wahre demokratiſche Lehre. Das Volk, ſagt der Redner,<lb/> contrahirt nicht, es verpflichtet ſich nicht, es befiehlt, denn es iſt der Herr, der<lb/> Souverän. (Donnernder Beifall.) Das Mandat iſt ſeiner Natur nach ein impera-<lb/> tives, und es hieße ſich gegen die Majeſtät des Volkes und die Unverletzlichkeit der<lb/> Principien vergehen wenn man daraus einen Contract machen wollte. (Bravs!)<lb/> Redner ſchließt, beſtändig von lebhaftem Beifall unterbrochen: <cit><quote>„Das Volk hat<lb/> dermalen zwei Revanchen zu nehmen, die eine gegen Berlin, die zweite gegen eine<lb/> andere Hauptſtadt, die ich nicht zu nennen brauche. Welcher Waffen ſoll das<lb/> Volk ſich da bedienen? Man bietet ihm einen Degen (Cremer), ein Handwerkzeug<lb/> (Nadaud) und — eine Lyra. Es möge nun ſelbſt wählen! — Ein anderer Redner,<lb/> der nicht minder gegen Victor Hugo eingenommen iſt, wirft demſelben ſeine Hab-<lb/> ſucht vor. Welche Opfer, ſagt er, hat Victor Hugo dem Volke gebracht? Er hat<lb/> bewundernswerthe Bücher geſchrieben; aber machte er dieſelben dem Volke zu<lb/> gänglich? Nein, er verkaufte ſie ſo theuer, daß das Volk ſie nicht leſen konnte und<lb/> in der That nicht geleſen hat.“</quote></cit> Worauf ein Verehrer des Dichters mit folgender<lb/> ſinnreichen Entſchuldigung replicirte: Die politiſchen Schriften Victor Hugo’s ſeine<lb/> Reden z. B., ſind ſtets zu billigen Preiſen und ſogar unentgeltlich verbreitet wor-<lb/> den; was aber ſeine Dichtungen und ſonſtigen literariſchen Erzeugniſſe betrifft, ſo<lb/> waren dieſelben namentlich von den vermögenden Claſſen begehrt, von jener Bour-<lb/> geoiſie in welcher Victor Hugo einen Feind erblickte; hatte er da nicht Recht die-<lb/> ſem Feind einen möglichſt hohen Preis aufzuerlegen? Er erhob eine Steuer von<lb/> den Reichen, um dann ſpäter billige Volksausgaben herſtellen zu können. Dieſe<lb/> Rechtfertigung wurde ſelbſt in der Rue d’Arras ausgelacht, und in dieſen Wähler-<lb/> gruppen iſt der Stern Victor Hugo’s ſichtlich im Erbleichen, was aber in Ermange-<lb/> lung eines ernſtlichen Mitbewerbers von radicalem Programm auf die Wahlen<lb/> keinen beſonderen Einfluß üben wird.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>Die Commiſſion zur Prüfung der Acte der Regierung vom 4 September hat<lb/> geſtern Hrn. Tolhauſen, bei Beginn des Kriegs franzöſiſcher Conſul in Köln, und<lb/> den Herzog v. Gramont vernommen. Hr. Tolhauſen beklagte ſich bitter daß alle<lb/> ſeine Warnungsrufe, an denen er es jahrelang nicht fehlen ließ, erbarmungslos<lb/> in den Archiven des Miniſteriums des Aeußern begraben worden ſeien. Die<lb/> ganze Ausſage dieſes Mannes, eines Elſäßers, war nur ein motivirter Anklage-Act<lb/> gegen den Herzog v. Gramont. Dieſer letztere wiederum, welcher Hrn. Tolhauſen<lb/> im Verhöre folgte, ergieng ſich in heftigen Recriminationen gegen Hrn. Benedetti.<lb/> Scharfe Kreuzfragen brachten Hrn. v. Gramont aber bald aus der Faſſung, und<lb/> namentlich auf die ſcharfen Vorwürfe des Hrn. Antonin Lefevre-Pontalis, welcher<lb/> nachwies daß Gramont durch ſein leichtſinniges Auftreten im geſetzgebenden Kör-<lb/> per den Krieg erſt eigentlich unvermeidlich gemacht habe, vermochte der Ex-Mini-<lb/> ſter nichts mehr zu erwiedern. Er bat ſeine weitere Vernehmung auf ein nächſtes-<lb/> mal zu vertagen, und in der That wurde er zu dieſem Behuf auf nächſten Donners-<lb/> tag vorgeladen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>An den Straßenecken von Paris erſchien geſtern folgende Kundmachung:</p><lb/> <floatingText> <body> <div n="1"> <p>Der Gouverneur von Paris verfügt kraft der ihm durch den Belagerungsſtand<lb/> übertragenen Gewalten, auf Grund des Art. 9 vom 9 — 11 Aug. 1849, in Erwä-<lb/> gung daß man Zeichnungen und Embleme welche geeignet ſind die öffentliche Ruhe zu<lb/> ſtören, in den Gewölben und auf offener Straße feilbietet: Art. 1. Die Ausſtellung, Feil-<lb/> bietung und Colportage aller Zeichnungen, Photographien oder Embleme welche ge-<lb/> eignet ſind die öffentliche Ruhe zu ſtören werden verboten. Insbeſondere gilt dieſes<lb/> Verbot von den Porträten der Individuen welche wegen Theilnahme an dem letzten Auf-<lb/> ſtande verfolgt oder verurtheilt worden ſind. Art. 2. Die Uebertretungen dieſes Ver-<lb/> botes ſollen von den Organen der Polizei conſtatirt und an die competenten Gerichte<lb/> verwieſen werden.</p> <dateline><hi rendition="#g">Paris,</hi> 28 Dec. 1871. </dateline> <byline>Der Gouverneur von Paris, General<lb/> v. <hi rendition="#g">Ladmirault.</hi></byline> </div> </body> </floatingText><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0006]
Grundſätze über Bord geworfen worden. So hat man ſich nicht zur Abſchaffung
des Ohmgeldes entſchließen können, obſchon dasſelbe zum größten Theil auf dem
Arbeiterſtand laſtet und eine ungerechte Steuer gegen unten iſt. Von der größten
Wichtigkeit für den Arbeiterſtand wäre ferner die volle Durchführung des Schwei-
zerbürgerrechts, aber auch hier iſt man in der reactionären Luft von Bern zu
einem kläglichen Ergebniß gelangt.“ Auf beide Artikel verlangt der Aufrnf zu-
rückzukommen und beantragt, um ſich über gemeinſame Schritte gegenüber den
eidgenöſſiſchen Räthen zu einigen, Abhaltung eines allgemeinen Arbeitercongreſſes
im Laufe des Monats Januar. „Arbeiter aller Kantone! — ſchließt der Auf-
ruf — es iſt Zeit daß wir über die Arbeiter einer Verſammlung wachen welche
zu glauben ſcheint daß wir ſchlafen.“ — In ſeiner letzten Sitzung genehmigte der
Bundesrath die Vorlagen der St. Galler Regierung für die Rheincorrectionsbau-
ten im Jahr 1872, deren Koſten auf 1,000,000 Fr. fixirt ſind. — Im Kanton
Graubünden iſt die Abſtimmung über die 9 Millionen-Subvention à fonds perdu
für die Splügen-Bahn flott im Gange. Die Stimmung iſt ſelbſt in den dem
Splügen-Tracé fern liegenden Landestheilen eine günſtige, ſo daß man eine faſt
an Einſtimmigkeit gränzende Mehrheit erwartet. — Mazzini, welcher ſeit einiger
Zeit wieder in Lugano weilt und an ſeinen alten Leiden erkrankt iſt, befindet ſich
auf dem Wege der Beſſerung. — Laut der „Suiſſe Radicale“ wird der Graf
Chambord in Genf erwartet, wo die Villa Artichauds für ihn behufs längeren
Aufenthalts gemiethet ſein ſoll. — In ſchweizeriſchen Blättern wird beſtritten
daß Oberſt Rüſtow Hrn. Thiers Plane für die Befeſtigung von Paris vorgelegt
habe. Allerdings ſei er im Auftrag des eidgenöſſiſchen Militärdepar tements in
Paris geweſen, habe aber keine Rückſprache mit Hrn. Thiers, ſondern mit dem
Kriegsminiſter genommen. Uebrigens ſei er ſchon längſt nach Zürich zu-
rückgekehrt, während die Blätter ihn noch immer als persona grata in Verſailles
weilen ließen. — Mina Puccinelli, die berüchtigte ſocialdemokrat iſche ſpaniſche
Doña, welche kürzlich auch in Baſel und Zürich als Sendlingin der „Internatio-
nalen“ auftrat und Vorträge hielt, hat die Sache ſo toll getrieben, daß ſie von
ihren eigenen Leuten verläugnet wurde. Bürger Gräulich, der Chef der Züricher
Internationalen, unter deſſen Protectorat die Bürgerin Puccinelli ihr erſtes Auftre-
ten in Zürich feierte, hat dieſelbe bei ihrer zweiten Vorſtellung geradezu als
„Landſtreicherin“ bezeichnet, mit der die Internationale nichts zu thun habe. —
Am 10 Jan. treten in Bern die Aſſiſen zuſammen zur Verhandlung der Proceſſe
des ehemaligen eidgenöſſiſchen Staatscaſſiers Eggimann, des flüchtigen Berner
Handelsbankdirectors Muralt und des Schwindelgeſchäfts „Felicitas.“ Beiläuſig
ſei bemerkt daß das der eidgenöſſiſchen Staatscaſſe durch die Veruntreuungen
Eggimanns zugefügte Deficit im Betrage von 560,000 Fr. in Folge Vergleichs
mit deſſen Amtsbürgen vollſtändig gedeckt iſt, was das Urtheil der Richter einiger-
maßen mildern wird.
Großbritannien.
London, 31 Dec.
* Die geſammte Wochenpreſſe beſchäftigt ſich nun auch mit der Depeſche des
Fürſten Bismarck, und es läßt ſich zuſammenfaſſend von den drei namhafteſten
Blättern „Saturday Review,“ „Economiſt“ und „Spectator“ ſagen daß ſie in
der Entrüſtung gegen die in Rede ſtehenden Verbrechen vollſtändig übereinſtimmen.
Im übrigen aber gehen die Anſichten einigermaßen auseinander. Eigenthümlicher-
weiſe iſt es dießmal der philoſophiſch-radicale „Spectator,“ der ſonſt eine gewiſſe
Schwachheit für Frankreich und die Republik hat, welcher in dieſem Fall mit Rück-
ſicht auf die ganze Lage in Deutſchland und Frankreich einerſeits, andrerſeits auch
im Rückblick auf die Möglichkeiten der Zukunft in Frankreich, die Schärfe der De-
peſche erklärt und begründet. Der „Economiſt“ räumt allerdings auch ein daß
den momentanen Verhältniſſen gegenüber der Schritt der deutſchen Regierung am
Ende geboten ſei, hält aber auf der anderen Seite feſt daß dergleichen Vorkomm-
niſſe bei einer Occupation unvermeidlich ſeien, und führt aus daß Deutſchland
ſich derartige Folgen ſelbſt zuzuſchreiben habe, weil es eine Kriegsentſchädigung
beanſpruchte welche eine lange Beſetzung franzöſiſchen Bodens nothwendig machte.
Die „Saturday Review“ betont dieſe Einwände noch bedeutend ſchärfer, und
wendet ſich namentlich gegen die vom Fürſten Bismarck an die franzöſiſche Nation
gerichteten Vorwürfe. Im einzelnen mag folgendes hervorgehoben werden: „Es
war — ſagt der „Spectator“ — wie wir glauben, nothwendig daß Fürſt Bismarck
ſeine meiſterhafte Depeſche ſchrieb, allein dieſe Nothwendigkeit wurde augenſchein-
lich von ihm mit einiger Befriedigung hingenommen. Wir ſind alle ein wenig zu
ſehr geneigt zu vergeſſen daß der große Kanzler nicht nur eine europäiſche Perſön-
lichkeit, ſondern auch ein deutſcher Miniſter iſt. Das ganze deutſche Volk rief in
dieſem Fall in der Preſſe nach Genugthuung, die Armee war wüthend, der Kaiſer
entſchloſſen, Frankreich hoffnungslos im Unrecht, und Fürſt Bismarck mußte ſich
vernehmen laſſen, und da er einmal Fürſt Bismarck iſt, ſo ließ er ſich mit lauter
Stimme ſtolz und im Tone des Herrn vernehmen.“ „Wir können nicht ſehen,
ſchreibt der „Economiſt,“ wie Graf Bismarck in anderem Tone ſprechen konnte,
wenn er überhaupt ſeinen Halt über die öffentliche Meinung bewahren wollte. Es
gibt Gelegenheiten wo die ſtärkſte und ſtolzeſte Ausdrucksweiſe die allerfriedlichſte
iſt, und wir glauben der Reichskanzler rechnet darauf durch ſeine kräftige Sprache
gleichzeitig die deutſche Ungeduld zu zügeln und die franzöſiſche Furcht vor einem
neuen Krieg zu mehren.“
Die Eröffnung des öſterreichiſchen Reichsraths wird von allen großen
Blättern mehr oder weniger eingehend erörtert. In der Hauptſache ſind die ſämmt-
lichen Leitartikel vielmehr erklärender als kritiſcher Natur, was ſeinen Grund in
der Thatſache findet daß die Bekanntſchaft des engliſchen Leſers mit den einiger-
maßen verwickelten Verhältniſſen der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie eine ſehr
beſchränkte iſt. Darin ſtimmen übrigens alle überein daß die Leiter des öſter-
reichiſchen Staatsverbandes, vorzugsweiſe der Kaiſer, bei ihrer ſchwierigen Auf-
gabe alle mögliche Theilnahme verdienen, wie denn überhaupt die wenigen Worte
der Beurtheilung welche ſich in die Darſtellung der Lage miſchen überall freund-
lich und wohlwollend lauten. Geht man zu einer Ueberſicht der verſchiedenen Be-
trachtungen im einzelnen über, ſo iſt zuerſt die „Times„ zu erwähnen, welche, nach
Hindeutung auf das lange Programm der Thronrede, die Lage in der Bemerkung
kennzeichnet: daß die Hauptfrage darauf hinaus laufe ob ein Reichsrath zu Stande
komme, oder nicht. Im weiteren wird dann aus einem kurzen geſchichtlichen Rück-
blick die heutige Conſtellation der Dinge entwickelt, und ausdrücklich hervorgehoben
daß das Uebergewicht der Deutſchen über alle anderen Stämme des Reichs ſo un-
zweifelhaft und auf ſo viele geiſtige, moraliſche und geſellſchaftliche Vorzüge be-
gründet ſei, daß eine Oppoſition nie das Maß des Unbedeutenden überſchreiten
könne, ſolange die Deutſchen nur feſt zuſammenhalten wollten. Gerade jenen
Deutſchen welche ſich von den Centraliſten den Föderaliſten zugewandt haben,
mißt die „Times“ die Schuld an vielem Unheil bei, und ſie zeigt daß es dieſe
Herren geweſen welche vor kurzem erſt den Kaiſer auf eine irrige Bahn geleitet,
von der ihn die zeitigen Warnungen der Grafen Beuſt und Andraſſy zurück-
gebracht haben. Nicht minder reichlich ſpendet „Daily News“ dem Kaiſer den Zoll
der Anerkennung. Sie faßt ihr Urtheil dahin zuſammen: „Wenn man die ſehr
ſchwierigen Umſtände betrachtet unter welchen der Kaiſer ſeine Rede hielt, ſo muß
man dieſelbe als eine kluge und verſtändliche Botſchaft bezeichnen, allein wir
können aus derſelben nicht den Schluß ableiten daß der Kaiſer oder ſeine heutigen
Rathgeber hoffnungsvoll in die nächſte Zukunft blicken.“ Ganz ähnlich äußert ſich der
„Daily Telegraph:“ „Der würdige und feſte, zugleich aber beſorgte und verſöhn-
liche Ton in welchem Kaiſer Franz Joſeph zu dem Reichsrath geſprochen, wird
weit über die Gränzen Oeſterreichs hinaus den ernſten Wunſch wachrufen daß ſein
Streben, das ihm, wie wir glauben, deutlich am Herzen liegt, mit Erfolg gekrönt
werden möge.“ Selbſt die „Morning Poſt,“ die ſonſt nicht gerade dem Centralis-
mus hold iſt, erklärt: „Wir können nicht umhin die herzlichſten Wünſche für den
Reichsrath zur Erfüllung ſeiner wirklich unzähligen Pflichten zu äußern. Wir
werden indeſſen nicht ſehr überraſcht ſein wenn viele der Projecte in mehr als
einer künftigen Thronrede noch als unerfüllt figuriren werden.“
Frankreich.
Paris, 31 Des.
Hr. Thiers gab geſtern in Verſailles dem Kaiſer von Braſilien ein Dîner, zu
welchem von Diplomaten Lord Lyons, Graf Arnim, Hr. Olozaga, Hr. v. Moltke-
Hvitfeld, von Gelehrten die HH. Nélaton, Leverrier, L. Dequesne, Sainte-Clair-
Deville und mehrere andere Mitglieder des Inſtituts, ferner Marſchall Mac-Mahon,
General Appert und der Präfect Cochin geladen waren.
„Hr. Gambetta bereist in dieſem Augenblick den Süden; er wurde in Marſeille
mit Wärme und in dem radicalen Toulon mit wahrer Begeiſterung empfangen.
Sein Einzug in die letztere Stadt geſtaltete ſich zu einem wahren Volksfeſte, er
wurde im Triumph nach ſeinem Hôtel geführt, und dort durch die enthuſiaſtiſchen
Rufe der Menge genöthigt mehrmals auf dem Balcon zu erſcheinen. Des Abends
gab man ihm ein Bankett, welchem der Maire der Stadt und die meiſten Gemeinde-
räthe beiwohnten. Der Hauptzweck dieſer Rundreiſe iſt allem Anſchein nach die
Unterſtützung mehrerer befreundeten Candidaturen, ſo des Hrn. Challemel-Lacour
für Marſeille und des Hrn. Freycinet für Toulon; doch ſoll Hr. Gambetta, ehe er
nach Paris zurückkehrt, in Marſeille noch eine große politiſche Rede halten.“
In der Rue d’Arras kann man ſich noch immer nicht darüber tröſten daß
Victor Hugo ſich weigert vor dem ſouveränen Volke zu erſcheinen. Ein Herr
Duram machte noch in der letzten Verſammlung dem Dichter nicht ohne Talent
und namentlich nicht ohne Erfolg den Proceß. Er führte zunächſt aus daß es
durchaus nicht gleichgültig ſei ob man das Mandat ein „imperatives“ oder ein
„contractuelles“ nenne. Hr. Victor Hugo definire die Sache als einen ſynallag-
matiſchen Vertrag, der alſo beiden Theilen gleiche Pflichten auferlege. Das ſei
aber keineswegs die wahre demokratiſche Lehre. Das Volk, ſagt der Redner,
contrahirt nicht, es verpflichtet ſich nicht, es befiehlt, denn es iſt der Herr, der
Souverän. (Donnernder Beifall.) Das Mandat iſt ſeiner Natur nach ein impera-
tives, und es hieße ſich gegen die Majeſtät des Volkes und die Unverletzlichkeit der
Principien vergehen wenn man daraus einen Contract machen wollte. (Bravs!)
Redner ſchließt, beſtändig von lebhaftem Beifall unterbrochen: „Das Volk hat
dermalen zwei Revanchen zu nehmen, die eine gegen Berlin, die zweite gegen eine
andere Hauptſtadt, die ich nicht zu nennen brauche. Welcher Waffen ſoll das
Volk ſich da bedienen? Man bietet ihm einen Degen (Cremer), ein Handwerkzeug
(Nadaud) und — eine Lyra. Es möge nun ſelbſt wählen! — Ein anderer Redner,
der nicht minder gegen Victor Hugo eingenommen iſt, wirft demſelben ſeine Hab-
ſucht vor. Welche Opfer, ſagt er, hat Victor Hugo dem Volke gebracht? Er hat
bewundernswerthe Bücher geſchrieben; aber machte er dieſelben dem Volke zu
gänglich? Nein, er verkaufte ſie ſo theuer, daß das Volk ſie nicht leſen konnte und
in der That nicht geleſen hat.“ Worauf ein Verehrer des Dichters mit folgender
ſinnreichen Entſchuldigung replicirte: Die politiſchen Schriften Victor Hugo’s ſeine
Reden z. B., ſind ſtets zu billigen Preiſen und ſogar unentgeltlich verbreitet wor-
den; was aber ſeine Dichtungen und ſonſtigen literariſchen Erzeugniſſe betrifft, ſo
waren dieſelben namentlich von den vermögenden Claſſen begehrt, von jener Bour-
geoiſie in welcher Victor Hugo einen Feind erblickte; hatte er da nicht Recht die-
ſem Feind einen möglichſt hohen Preis aufzuerlegen? Er erhob eine Steuer von
den Reichen, um dann ſpäter billige Volksausgaben herſtellen zu können. Dieſe
Rechtfertigung wurde ſelbſt in der Rue d’Arras ausgelacht, und in dieſen Wähler-
gruppen iſt der Stern Victor Hugo’s ſichtlich im Erbleichen, was aber in Ermange-
lung eines ernſtlichen Mitbewerbers von radicalem Programm auf die Wahlen
keinen beſonderen Einfluß üben wird.
Die Commiſſion zur Prüfung der Acte der Regierung vom 4 September hat
geſtern Hrn. Tolhauſen, bei Beginn des Kriegs franzöſiſcher Conſul in Köln, und
den Herzog v. Gramont vernommen. Hr. Tolhauſen beklagte ſich bitter daß alle
ſeine Warnungsrufe, an denen er es jahrelang nicht fehlen ließ, erbarmungslos
in den Archiven des Miniſteriums des Aeußern begraben worden ſeien. Die
ganze Ausſage dieſes Mannes, eines Elſäßers, war nur ein motivirter Anklage-Act
gegen den Herzog v. Gramont. Dieſer letztere wiederum, welcher Hrn. Tolhauſen
im Verhöre folgte, ergieng ſich in heftigen Recriminationen gegen Hrn. Benedetti.
Scharfe Kreuzfragen brachten Hrn. v. Gramont aber bald aus der Faſſung, und
namentlich auf die ſcharfen Vorwürfe des Hrn. Antonin Lefevre-Pontalis, welcher
nachwies daß Gramont durch ſein leichtſinniges Auftreten im geſetzgebenden Kör-
per den Krieg erſt eigentlich unvermeidlich gemacht habe, vermochte der Ex-Mini-
ſter nichts mehr zu erwiedern. Er bat ſeine weitere Vernehmung auf ein nächſtes-
mal zu vertagen, und in der That wurde er zu dieſem Behuf auf nächſten Donners-
tag vorgeladen.
An den Straßenecken von Paris erſchien geſtern folgende Kundmachung:
Der Gouverneur von Paris verfügt kraft der ihm durch den Belagerungsſtand
übertragenen Gewalten, auf Grund des Art. 9 vom 9 — 11 Aug. 1849, in Erwä-
gung daß man Zeichnungen und Embleme welche geeignet ſind die öffentliche Ruhe zu
ſtören, in den Gewölben und auf offener Straße feilbietet: Art. 1. Die Ausſtellung, Feil-
bietung und Colportage aller Zeichnungen, Photographien oder Embleme welche ge-
eignet ſind die öffentliche Ruhe zu ſtören werden verboten. Insbeſondere gilt dieſes
Verbot von den Porträten der Individuen welche wegen Theilnahme an dem letzten Auf-
ſtande verfolgt oder verurtheilt worden ſind. Art. 2. Die Uebertretungen dieſes Ver-
botes ſollen von den Organen der Polizei conſtatirt und an die competenten Gerichte
verwieſen werden.
Paris, 28 Dec. 1871. Der Gouverneur von Paris, General
v. Ladmirault.
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(2022-03-29T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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