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Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872.

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Allgemeine Zeitung.
Nr. 4.
Augsburg,Donnerstag, 4 Januar 1872.
Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


Zur Nachricht. Hierdurch die ergebene Mittheilung daß wir der Buchhandlung W. Adolf & Comp. (H. Hengst) in Berlin, 58, Unter den Linden, eine Agentur
zur Annahme von Inseraten und Abonnements für Berlin und Umgegend übertragen haben. Expedition der Allgemeinen Zeitung.




[Spaltenumbruch]
Uebersicht.
Rückblicke auf die zweite Session des ersten Dentschen Reichs-
tags. VI.
Aus Rußland.
Deutsches Reich. Aus Bayern: Das Stadelbauer'sche Religionslehrbuch.
Offene Karten der Kammermehrheit. München: Dr. Völk und die Beschwerde
wegen Verfassungsverletzung. Aus Baden: Langtagsbetrachtungen. Zur Er-
klärung der Zurückhaltung der Ultramontanen. Berlin: Neujahrs-Empfang
bei Hofe. Zur Lage. Festlichkeiten.
Oesterreichisch-ungarische Monarchie. Aus Oesterreich: Vom
Reichsrathe. Die Thronrede und die auswärtige Politik. Nationale Hetze der
Tschechenblätter. Wien: Die Schifffahrt durch die Dardanellen.
Großbritannien. Rückblick. Todtenschau. General Campbell +. Gute
Finanzen. Graf Beust und die österreichische Neutralität. Der König von
Siam.
Frankreich. Neujahrscour. Vietor Hugo und Vautrain. Bischof Dupanloup.
Aus Algerien. Ein Neujahrstag. Ein Ehrentag der Akademie. Elsaß und
Lothringen.
Spanien. Madrid: Abberufungen aus Cuba. Marschall Serrano. Die Frie-
densverträge mit den südamerikanischen Freistaaten.
Belgien. Brüssel: Scheldezoll.
Italien. Rom: Stiller Jahresschluß. Der Papst. Die Erwartungen und
Hr. Thiers. Zwei Universitäten.
Türkei. Rhodos: Weigerung der Paketboote Mekka-Pilger aufzunehmen.
Verschiedenes.
Industrie, Handel und Verkehr.
Neueste Posten. London: Die Königin. Diplomatische Actenstücke in deut-
scher Sprache. Rom: Neujahrs-Empfang.


Telegraphische Curs- und Handelsberichte.

Anmeldungen für die aufgelegten preußischen
41/2proc. Centralpfandbriefe laufen in großartigen Summen ein. Es wird eine
starke Reduction eintreten.

Vorbörse. Creditactien 336.20, Lombarden 211.80, Anglo-Austrian
329.25, Napoleons 9 201/2, Unionsbank 287.75. Stimmung: fest.

Schlußeurse. 3proc. Consols , 1882er Amerikaner
921/4, Türken , 3proc. Spanier .

Baumwollbericht. Tagesumsatz 10,000 Ballen, hievon
1000 B. für Speculation. Tendenz: stetig. Orleans 101/4. middl. Amerik. , fair
Dhollera 71/2. middl. sair Dhollera 7, good middl. Dhollera 6 1/8 , fair Bengal 6 1/8 , fair
Omra 7 5/8 , good fair Omra 8, Pernam 9 5/8 , Smyrna 81/2, Egyptian 10. Tagesumfatz
18,399 B., davon ostindische 1287 B., amerikanische 6436 B.

Garnmarkt. 12r Water Rylands 10, 12r Water
Taylor 121/2, 2 r Water Mycholls 131/2, 30r Water Gidlow 141/2, 30r Water Clayton
151/2. 40r Mule Mayoll 14, 40r Medio Wilkinson 153/4. 36r Warpcops Qualität Rowland
151/2. 40r Double Weston 17, 60r Double Weston 201/2, Printers 81/2 Psd.
138. Markt sehr fest.

Getreidemarkt. Zufuhren 134,400 Hektol.
Berkauft 18,400 Hektol. Tendenz unverändert. Irka Asoff 38 Fr. 128/124 Kuogr. schwer,
Berbianska 39 Fr. 25 C. 128/124 Kilogr. schwer, Marianopolis 37 Fr. 50 C. 128/124
Kilogr. schwer. Mehl unverändert. Preise behauptet.

Goldagio 109 1/8 , Wechsel in Gold 109 3/8 , 1882er Bonds
1101/2, neue 109 7/8 , 1904er 1101/4, Illinois 132, Eriebahn 34 3/8 , Baumwolle 20 1/8 ,
Petroleum in Philadelphia 22, Mehl 6.80.



Verloosungen.

Bei der gestrigen (4.) Gewinnziehung der Braun-
schweiger 20 Thaler-Loose fielen auf Serie 6882 Nr. 5 20,000, auf Serie 79 Nr. 22
5000, auf Serie 3596 Nr. 14 2000 und auf Serie 6190 Nr. 35 600 Thaler.

(Oesterreichische 250fl.-Loose von 1854) Ziehung am 2 Jan. Es wurden
nachstehend verzeichnete 28 Serien gezogen, und zwar: Nr. 96, 227, 232, 295, 352, 457,
729, 1081, 1308, 1347, 1413, 1581, 2206, 2292, 2302, 2641, 2773, 2839, 2948,
2985, 3180, 3184, 3281, 3446, 3514, 3738, 3768 und Nr. 3843. Die Verloosung der
in den obigen 28 Serien enthaltenen 1400 Gewinnstunmmern der Staatsschuldverschreibun-
gen wird am 1 April 1872 vorgenommen werden.



[Spaltenumbruch]
Rückblicke auf die zweite Session des ersten Deutschen
Reichstags.
VI.

Von den sonstigen Verhandlungen des
letzten Reichstags erfordert nur noch diejenige über den von Büsing (Güstrow) und
den andern Mecklenburgern beantragten Zusatz zum Art. 3 der Verfassung eine
Besprechung. Der Antrag lautet: "In jedem Bundesstaat muß eine aus Wahlen
der Bevölkerung hervorgehende Vertretung bestehen, deren Zustimmung bei jedem
Landesgesetz und bei der Feststellung des Staatshaushaltes erforderlich ist." Die
Einbringung desselben war schon in der Frühjahrs-Session beabsichtigt, aber vertagt
worden, weil man es vielfach für unpolitisch hielt sofort nach Feststellung der Reichs-
verfassung gehäufte Anträge auf Abänderung derselben zu stellen. Die Mehrheit
war aber schon damals dafür gesichert, obgleich der Werth eines solchen allgemein
gefaßten "Grundrechts" von vielen nicht hoch angeschlagen ward, und es sich im
Grunde nur um eine Verbesserung der Zustände in Mecklenburg und etwa in Lippe
handelte, dessen Regierung sich im letzten Reichstage bei Gelegenheit einer von Er-
hardt und Hausmann gestellten Interpellation über die mit der Reichsgesetzgebung
im Widerspruch stehende Lippe'sche Jagdgesetzgebung, nicht nur aus der Mitte
der Versammlung, sondern auch vom Bundesrathstisch aus, unangenehme Wahr-
heiten sagen lassen mußte. Entscheidend für die Mehrheit war die Betrachtung
daß es eine bei Berathung des Gesetzes über die Vereinigung von Elsaß Lothringen
mit dem Reiche bereits von der Bundesregierung selbst anerkannte Lücke in der
Verfassung auszufüllen galt, wobei der Art. 13 der früheren Deutschen Bundes-
acte und Bestimmungen der amerikanischen und der schweizerischen Verfassung als
Vorbild dienen konnten. Die Deutsche Reichspartei (Freiconservative) nahm
an der Fassung des Antrags Anstoß, und beabsichtigte -- wie man annimmt, auf
Veranlassung des Ministers v. Mittnacht -- zur Rettung der vermeintlich gefähr-
deten Herrenhäuser und der Sitze des Kanzlers der Universität Tübingen, der Prä-
laten, des katholischen Bischofs und des ersten Dekans in der zweiten württein-
bergischen Kammer, einen Gegenvorschlag des Inhalts einzubringen: "In jedem
Bundesstaat bedarf die Landesgesetzgebung und die Feststellung des Landeshaus-
halts der Zustimmung einer ganz oder theilweise aus Wahlen der Bevölkerung
hervorgehenden Landesvertretung." Sie fand aber weder für diesen Vorschlag
noch für eine demselben später substituirte motivirte Tagesordnung bei den andern
Fractionen Anklang, und stand deßhalb schließlich von deren Einbringung gänzlich
ab. In den sehr interessanten Debatten über den Büsing'schen Antrag spielten die
mecklenburgischen Abgeordneten, von denen er ausgieng, die schwächste Rolle, wäh-
rend der Bundesbevollmächtigte der mecklenburgischen Regierungen, Staatsminister
v. Bülow, ihn sehr würdig und sehr geschickt bekämpfte. Besonders effectvoll war
eine Rede v. Treitschke's zu Gunsten des Antrags, die von Dr. Völk und zu allge-
meiner Ueberraschung auch von P. Reichensperger (Olpe) recht gut secundirt ward,
welcher letztere sich mit den Worten: "Amicus Plato, magis amica veritas," in
dieser Sache von seiner Partei (dem Centrum) lossagte. Dasselbe, jedoch in ent-
gegengesetzter Richtung, that auch Römer (Württemberg), der seitdem die Partei-
Versammlungen seiner (der nationalliberalen) Fraction nicht wieder besucht hat.
Außer ihm müssen von den Gegnern des Antrags v. Helldorf, Frhr. v. Ketteler
und Bebel genannt werden. Die Erklärung des hochwürdigen Abgeordneten von
Tauberbischofsheim: daß der Antrag nicht weit genug gehe, weil er nicht das all-
gemeine geheime Stimmrecht zur Grundlage der Wahlen mache, rief den Eindruck
hervor als ob der Redner auch sein Heimathland Hessen-Darmstadt mit dem
suffrage universel beglückt sehen möchte. Bebel gab wieder Proben seines
glänzenden Rednertalents und davon daß er ein ganzer Mann ist. Schon weil es
wenig bekannt ist, verdient hervorgehoben zu werden daß der junge Drechsler-
meister von Leipzig sich, obgleich er völlig allein steht und seine weitgehenden An-
sichten fast einstimmig verdammt und bedauert werden, im Reichstag eine ganz
exceptionelle Stellung, und bei der Mehrzahl, namentlich auch bei den Hochconser-
vativen, achtungsvolle Anerkennung erworben hat, welche dadurch daß er seine
Mußestunden in Berlin dazu benutzt durch Arbeit bei einem Handwerksgenossen
den Unterhalt für seine Familie zu verdienen, nur vermehrt und durch die theil-
weise ungerechten Angriffe Laskers nicht beeinträchtigt werden konnte. Bebel
bietet zugleich ein Beispiel der wunderbaren Fügungen der Vorsehung. Wäre er
nicht als Knabe überaus schwächlich gewesen, so würde er als Sohn eines preußi-
schen Unterofficiers unzweifelhaft in einem preußischen Militär-Waisenhause er-
zogen worden und jetzt voraussichtlich wohldisciplinirter Wachtmeister sein. Nun
aber erhielt er seine Erziehung durch die Winckler'sche Stiftung in Wetzlar, und
seine angeborne Begabung und eigener Fleiß machten ihn zum Führer einer, trotz
ihrer beschränkten Zahl, nicht ungefährlichen Volkspartei, und zu einem hervor-
ragenden Redner im Deutschen Parlament.

Der Antrag Büsing wurde in namentlicher Abstimmung mit 183 gegen 88
Stimmen angenommen. Die Mehrzahl der Freiconservativen und des Centrums
stimmte mit der conservativen Partei dagegen, die drei liberalen Parteien fast
ausnahmslos dafür. Es ist wahrscheinlich daß der Reichstag mit seinem Beschluß

*) Die obige Depesche, am 2 Jan. um 8 Uhr 36 Min. Abds. in Frankfurt aufgegeben, ist
uns erst am 3 Jan. 12 Uhr 5 Min. Mittags zugekommen. Ein Brief hätte
jedenfalls nicht so lange Zeit gebraucht. Fortschritte des bayerischen Telegraphen-
wesens? D. R.

Allgemeine Zeitung.
Nr. 4.
Augsburg,Donnerſtag, 4 Januar 1872.
Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen.


Zur Nachricht. Hierdurch die ergebene Mittheilung daß wir der Buchhandlung W. Adolf & Comp. (H. Hengſt) in Berlin, 58, Unter den Linden, eine Agentur
zur Annahme von Inſeraten und Abonnements für Berlin und Umgegend übertragen haben. Expedition der Allgemeinen Zeitung.




[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.
Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Dentſchen Reichs-
tags. VI.
Aus Rußland.
Deutſches Reich. Aus Bayern: Das Stadelbauer’ſche Religionslehrbuch.
Offene Karten der Kammermehrheit. München: Dr. Völk und die Beſchwerde
wegen Verfaſſungsverletzung. Aus Baden: Langtagsbetrachtungen. Zur Er-
klärung der Zurückhaltung der Ultramontanen. Berlin: Neujahrs-Empfang
bei Hofe. Zur Lage. Feſtlichkeiten.
Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie. Aus Oeſterreich: Vom
Reichsrathe. Die Thronrede und die auswärtige Politik. Nationale Hetze der
Tſchechenblätter. Wien: Die Schifffahrt durch die Dardanellen.
Großbritannien. Rückblick. Todtenſchau. General Campbell †. Gute
Finanzen. Graf Beuſt und die öſterreichiſche Neutralität. Der König von
Siam.
Frankreich. Neujahrscour. Vietor Hugo und Vautrain. Biſchof Dupanloup.
Aus Algerien. Ein Neujahrstag. Ein Ehrentag der Akademie. Elſaß und
Lothringen.
Spanien. Madrid: Abberufungen aus Cuba. Marſchall Serrano. Die Frie-
densverträge mit den ſüdamerikaniſchen Freiſtaaten.
Belgien. Brüſſel: Scheldezoll.
Italien. Rom: Stiller Jahresſchluß. Der Papſt. Die Erwartungen und
Hr. Thiers. Zwei Univerſitäten.
Türkei. Rhodos: Weigerung der Paketboote Mekka-Pilger aufzunehmen.
Verſchiedenes.
Induſtrie, Handel und Verkehr.
Neueſte Poſten. London: Die Königin. Diplomatiſche Actenſtücke in deut-
ſcher Sprache. Rom: Neujahrs-Empfang.


Telegraphiſche Curs- und Handelsberichte.

Anmeldungen für die aufgelegten preußiſchen
proc. Centralpfandbriefe laufen in großartigen Summen ein. Es wird eine
ſtarke Reduction eintreten.

Vorbörſe. Creditactien 336.20, Lombarden 211.80, Anglo-Auſtrian
329.25, Napoleons 9 20½, Unionsbank 287.75. Stimmung: feſt.

Schlußeurſe. 3proc. Conſols , 1882er Amerikaner
92¼, Türken , 3proc. Spanier .

Baumwollbericht. Tagesumſatz 10,000 Ballen, hievon
1000 B. für Speculation. Tendenz: ſtetig. Orleans 10¼. middl. Amerik. , fair
Dhollera 7½. middl. ſair Dhollera 7, good middl. Dhollera 6⅛, fair Bengal 6⅛, fair
Omra 7⅝, good fair Omra 8, Pernam 9⅝, Smyrna 8½, Egyptian 10. Tagesumfatz
18,399 B., davon oſtindiſche 1287 B., amerikaniſche 6436 B.

Garnmarkt. 12r Water Rylands 10, 12r Water
Taylor 12½, 2 r Water Mycholls 13½, 30r Water Gidlow 14½, 30r Water Clayton
15½. 40r Mule Mayoll 14, 40r Medio Wilkinſon 15¾. 36r Warpcops Qualität Rowland
15½. 40r Double Weſton 17, 60r Double Weſton 20½, Printers 8½ Pſd.
138. Markt ſehr feſt.

Getreidemarkt. Zufuhren 134,400 Hektol.
Berkauft 18,400 Hektol. Tendenz unverändert. Irka Aſoff 38 Fr. 128/124 Kuogr. ſchwer,
Berbianska 39 Fr. 25 C. 128/124 Kilogr. ſchwer, Marianopolis 37 Fr. 50 C. 128/124
Kilogr. ſchwer. Mehl unverändert. Preiſe behauptet.

Goldagio 109⅛, Wechſel in Gold 109⅜, 1882er Bonds
110½, neue 109⅞, 1904er 110¼, Illinois 132, Eriebahn 34⅜, Baumwolle 20⅛,
Petroleum in Philadelphia 22, Mehl 6.80.



Verlooſungen.

Bei der geſtrigen (4.) Gewinnziehung der Braun-
ſchweiger 20 Thaler-Looſe fielen auf Serie 6882 Nr. 5 20,000, auf Serie 79 Nr. 22
5000, auf Serie 3596 Nr. 14 2000 und auf Serie 6190 Nr. 35 600 Thaler.

(Oeſterreichiſche 250fl.-Looſe von 1854) Ziehung am 2 Jan. Es wurden
nachſtehend verzeichnete 28 Serien gezogen, und zwar: Nr. 96, 227, 232, 295, 352, 457,
729, 1081, 1308, 1347, 1413, 1581, 2206, 2292, 2302, 2641, 2773, 2839, 2948,
2985, 3180, 3184, 3281, 3446, 3514, 3738, 3768 und Nr. 3843. Die Verlooſung der
in den obigen 28 Serien enthaltenen 1400 Gewinnſtunmmern der Staatsſchuldverſchreibun-
gen wird am 1 April 1872 vorgenommen werden.



[Spaltenumbruch]
Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Deutſchen
Reichstags.
VI.

Von den ſonſtigen Verhandlungen des
letzten Reichstags erfordert nur noch diejenige über den von Büſing (Güſtrow) und
den andern Mecklenburgern beantragten Zuſatz zum Art. 3 der Verfaſſung eine
Beſprechung. Der Antrag lautet: „In jedem Bundesſtaat muß eine aus Wahlen
der Bevölkerung hervorgehende Vertretung beſtehen, deren Zuſtimmung bei jedem
Landesgeſetz und bei der Feſtſtellung des Staatshaushaltes erforderlich iſt.“ Die
Einbringung desſelben war ſchon in der Frühjahrs-Seſſion beabſichtigt, aber vertagt
worden, weil man es vielfach für unpolitiſch hielt ſofort nach Feſtſtellung der Reichs-
verfaſſung gehäufte Anträge auf Abänderung derſelben zu ſtellen. Die Mehrheit
war aber ſchon damals dafür geſichert, obgleich der Werth eines ſolchen allgemein
gefaßten „Grundrechts“ von vielen nicht hoch angeſchlagen ward, und es ſich im
Grunde nur um eine Verbeſſerung der Zuſtände in Mecklenburg und etwa in Lippe
handelte, deſſen Regierung ſich im letzten Reichstage bei Gelegenheit einer von Er-
hardt und Hausmann geſtellten Interpellation über die mit der Reichsgeſetzgebung
im Widerſpruch ſtehende Lippe’ſche Jagdgeſetzgebung, nicht nur aus der Mitte
der Verſammlung, ſondern auch vom Bundesrathstiſch aus, unangenehme Wahr-
heiten ſagen laſſen mußte. Entſcheidend für die Mehrheit war die Betrachtung
daß es eine bei Berathung des Geſetzes über die Vereinigung von Elſaß Lothringen
mit dem Reiche bereits von der Bundesregierung ſelbſt anerkannte Lücke in der
Verfaſſung auszufüllen galt, wobei der Art. 13 der früheren Deutſchen Bundes-
acte und Beſtimmungen der amerikaniſchen und der ſchweizeriſchen Verfaſſung als
Vorbild dienen konnten. Die Deutſche Reichspartei (Freiconſervative) nahm
an der Faſſung des Antrags Anſtoß, und beabſichtigte — wie man annimmt, auf
Veranlaſſung des Miniſters v. Mittnacht — zur Rettung der vermeintlich gefähr-
deten Herrenhäuſer und der Sitze des Kanzlers der Univerſität Tübingen, der Prä-
laten, des katholiſchen Biſchofs und des erſten Dekans in der zweiten württein-
bergiſchen Kammer, einen Gegenvorſchlag des Inhalts einzubringen: „In jedem
Bundesſtaat bedarf die Landesgeſetzgebung und die Feſtſtellung des Landeshaus-
halts der Zuſtimmung einer ganz oder theilweiſe aus Wahlen der Bevölkerung
hervorgehenden Landesvertretung.“ Sie fand aber weder für dieſen Vorſchlag
noch für eine demſelben ſpäter ſubſtituirte motivirte Tagesordnung bei den andern
Fractionen Anklang, und ſtand deßhalb ſchließlich von deren Einbringung gänzlich
ab. In den ſehr intereſſanten Debatten über den Büſing’ſchen Antrag ſpielten die
mecklenburgiſchen Abgeordneten, von denen er ausgieng, die ſchwächſte Rolle, wäh-
rend der Bundesbevollmächtigte der mecklenburgiſchen Regierungen, Staatsminiſter
v. Bülow, ihn ſehr würdig und ſehr geſchickt bekämpfte. Beſonders effectvoll war
eine Rede v. Treitſchke’s zu Gunſten des Antrags, die von Dr. Völk und zu allge-
meiner Ueberraſchung auch von P. Reichenſperger (Olpe) recht gut ſecundirt ward,
welcher letztere ſich mit den Worten: „Amicus Plato, magis amica veritas,“ in
dieſer Sache von ſeiner Partei (dem Centrum) losſagte. Dasſelbe, jedoch in ent-
gegengeſetzter Richtung, that auch Römer (Württemberg), der ſeitdem die Partei-
Verſammlungen ſeiner (der nationalliberalen) Fraction nicht wieder beſucht hat.
Außer ihm müſſen von den Gegnern des Antrags v. Helldorf, Frhr. v. Ketteler
und Bebel genannt werden. Die Erklärung des hochwürdigen Abgeordneten von
Tauberbiſchofsheim: daß der Antrag nicht weit genug gehe, weil er nicht das all-
gemeine geheime Stimmrecht zur Grundlage der Wahlen mache, rief den Eindruck
hervor als ob der Redner auch ſein Heimathland Heſſen-Darmſtadt mit dem
suffrage universel beglückt ſehen möchte. Bebel gab wieder Proben ſeines
glänzenden Rednertalents und davon daß er ein ganzer Mann iſt. Schon weil es
wenig bekannt iſt, verdient hervorgehoben zu werden daß der junge Drechsler-
meiſter von Leipzig ſich, obgleich er völlig allein ſteht und ſeine weitgehenden An-
ſichten faſt einſtimmig verdammt und bedauert werden, im Reichstag eine ganz
exceptionelle Stellung, und bei der Mehrzahl, namentlich auch bei den Hochconſer-
vativen, achtungsvolle Anerkennung erworben hat, welche dadurch daß er ſeine
Mußeſtunden in Berlin dazu benutzt durch Arbeit bei einem Handwerksgenoſſen
den Unterhalt für ſeine Familie zu verdienen, nur vermehrt und durch die theil-
weiſe ungerechten Angriffe Laskers nicht beeinträchtigt werden konnte. Bebel
bietet zugleich ein Beiſpiel der wunderbaren Fügungen der Vorſehung. Wäre er
nicht als Knabe überaus ſchwächlich geweſen, ſo würde er als Sohn eines preußi-
ſchen Unterofficiers unzweifelhaft in einem preußiſchen Militär-Waiſenhauſe er-
zogen worden und jetzt vorausſichtlich wohldiſciplinirter Wachtmeiſter ſein. Nun
aber erhielt er ſeine Erziehung durch die Winckler’ſche Stiftung in Wetzlar, und
ſeine angeborne Begabung und eigener Fleiß machten ihn zum Führer einer, trotz
ihrer beſchränkten Zahl, nicht ungefährlichen Volkspartei, und zu einem hervor-
ragenden Redner im Deutſchen Parlament.

Der Antrag Büſing wurde in namentlicher Abſtimmung mit 183 gegen 88
Stimmen angenommen. Die Mehrzahl der Freiconſervativen und des Centrums
ſtimmte mit der conſervativen Partei dagegen, die drei liberalen Parteien faſt
ausnahmslos dafür. Es iſt wahrſcheinlich daß der Reichstag mit ſeinem Beſchluß

*) Die obige Depeſche, am 2 Jan. um 8 Uhr 36 Min. Abds. in Frankfurt aufgegeben, iſt
uns erſt am 3 Jan. 12 Uhr 5 Min. Mittags zugekommen. Ein Brief hätte
jedenfalls nicht ſo lange Zeit gebraucht. Fortſchritte des bayeriſchen Telegraphen-
weſens? D. R.
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[0001] Allgemeine Zeitung. Nr. 4. Augsburg,Donnerſtag, 4 Januar 1872. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen. Zur Nachricht. Hierdurch die ergebene Mittheilung daß wir der Buchhandlung W. Adolf & Comp. (H. Hengſt) in Berlin, 58, Unter den Linden, eine Agentur zur Annahme von Inſeraten und Abonnements für Berlin und Umgegend übertragen haben. Expedition der Allgemeinen Zeitung. Ueberſicht. Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Dentſchen Reichs- tags. VI. Aus Rußland. Deutſches Reich. Aus Bayern: Das Stadelbauer’ſche Religionslehrbuch. Offene Karten der Kammermehrheit. München: Dr. Völk und die Beſchwerde wegen Verfaſſungsverletzung. Aus Baden: Langtagsbetrachtungen. Zur Er- klärung der Zurückhaltung der Ultramontanen. Berlin: Neujahrs-Empfang bei Hofe. Zur Lage. Feſtlichkeiten. Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie. Aus Oeſterreich: Vom Reichsrathe. Die Thronrede und die auswärtige Politik. Nationale Hetze der Tſchechenblätter. Wien: Die Schifffahrt durch die Dardanellen. Großbritannien. Rückblick. Todtenſchau. General Campbell †. Gute Finanzen. Graf Beuſt und die öſterreichiſche Neutralität. Der König von Siam. Frankreich. Neujahrscour. Vietor Hugo und Vautrain. Biſchof Dupanloup. Aus Algerien. Ein Neujahrstag. Ein Ehrentag der Akademie. Elſaß und Lothringen. Spanien. Madrid: Abberufungen aus Cuba. Marſchall Serrano. Die Frie- densverträge mit den ſüdamerikaniſchen Freiſtaaten. Belgien. Brüſſel: Scheldezoll. Italien. Rom: Stiller Jahresſchluß. Der Papſt. Die Erwartungen und Hr. Thiers. Zwei Univerſitäten. Türkei. Rhodos: Weigerung der Paketboote Mekka-Pilger aufzunehmen. Verſchiedenes. Induſtrie, Handel und Verkehr. Neueſte Poſten. London: Die Königin. Diplomatiſche Actenſtücke in deut- ſcher Sprache. Rom: Neujahrs-Empfang. Telegraphiſche Curs- und Handelsberichte. &#xfffc; Frankfurt a. M., 2 Jan. *)Anmeldungen für die aufgelegten preußiſchen 4½proc. Centralpfandbriefe laufen in großartigen Summen ein. Es wird eine ſtarke Reduction eintreten. * Wien, 3 Jan.Vorbörſe. Creditactien 336.20, Lombarden 211.80, Anglo-Auſtrian 329.25, Napoleons 9 20½, Unionsbank 287.75. Stimmung: feſt. * London, 2 Jan.Schlußeurſe. 3proc. Conſols [FORMEL], 1882er Amerikaner 92¼, Türken [FORMEL], 3proc. Spanier [FORMEL]. * Liverpool, 2 Jan.Baumwollbericht. Tagesumſatz 10,000 Ballen, hievon 1000 B. für Speculation. Tendenz: ſtetig. Orleans 10¼. middl. Amerik. [FORMEL], fair Dhollera 7½. middl. ſair Dhollera 7, good middl. Dhollera 6⅛, fair Bengal 6⅛, fair Omra 7⅝, good fair Omra 8, Pernam 9⅝, Smyrna 8½, Egyptian 10. Tagesumfatz 18,399 B., davon oſtindiſche 1287 B., amerikaniſche 6436 B. (*) Mancheſter, 29 Jan.Garnmarkt. 12r Water Rylands 10, 12r Water Taylor 12½, 2 r Water Mycholls 13½, 30r Water Gidlow 14½, 30r Water Clayton 15½. 40r Mule Mayoll 14, 40r Medio Wilkinſon 15¾. 36r Warpcops Qualität Rowland 15½. 40r Double Weſton 17, 60r Double Weſton 20½, Printers [FORMEL] [FORMEL] 8½ Pſd. 138. Markt ſehr feſt. (*) Marſeille, 2 Jan., Abends 7 Uhr.Getreidemarkt. Zufuhren 134,400 Hektol. Berkauft 18,400 Hektol. Tendenz unverändert. Irka Aſoff 38 Fr. 128/124 Kuogr. ſchwer, Berbianska 39 Fr. 25 C. 128/124 Kilogr. ſchwer, Marianopolis 37 Fr. 50 C. 128/124 Kilogr. ſchwer. Mehl unverändert. Preiſe behauptet. * New-York, 2 Jan.Goldagio 109⅛, Wechſel in Gold 109⅜, 1882er Bonds 110½, neue 109⅞, 1904er 110¼, Illinois 132, Eriebahn 34⅜, Baumwolle 20⅛, Petroleum in Philadelphia 22, Mehl 6.80. Verlooſungen. Braunſchweig, 1 Jan.Bei der geſtrigen (4.) Gewinnziehung der Braun- ſchweiger 20 Thaler-Looſe fielen auf Serie 6882 Nr. 5 20,000, auf Serie 79 Nr. 22 5000, auf Serie 3596 Nr. 14 2000 und auf Serie 6190 Nr. 35 600 Thaler. (Oeſterreichiſche 250fl.-Looſe von 1854) Ziehung am 2 Jan. Es wurden nachſtehend verzeichnete 28 Serien gezogen, und zwar: Nr. 96, 227, 232, 295, 352, 457, 729, 1081, 1308, 1347, 1413, 1581, 2206, 2292, 2302, 2641, 2773, 2839, 2948, 2985, 3180, 3184, 3281, 3446, 3514, 3738, 3768 und Nr. 3843. Die Verlooſung der in den obigen 28 Serien enthaltenen 1400 Gewinnſtunmmern der Staatsſchuldverſchreibun- gen wird am 1 April 1872 vorgenommen werden. Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Deutſchen Reichstags. VI. &#xfffc; Berlin, Ende Decembers.Von den ſonſtigen Verhandlungen des letzten Reichstags erfordert nur noch diejenige über den von Büſing (Güſtrow) und den andern Mecklenburgern beantragten Zuſatz zum Art. 3 der Verfaſſung eine Beſprechung. Der Antrag lautet: „In jedem Bundesſtaat muß eine aus Wahlen der Bevölkerung hervorgehende Vertretung beſtehen, deren Zuſtimmung bei jedem Landesgeſetz und bei der Feſtſtellung des Staatshaushaltes erforderlich iſt.“ Die Einbringung desſelben war ſchon in der Frühjahrs-Seſſion beabſichtigt, aber vertagt worden, weil man es vielfach für unpolitiſch hielt ſofort nach Feſtſtellung der Reichs- verfaſſung gehäufte Anträge auf Abänderung derſelben zu ſtellen. Die Mehrheit war aber ſchon damals dafür geſichert, obgleich der Werth eines ſolchen allgemein gefaßten „Grundrechts“ von vielen nicht hoch angeſchlagen ward, und es ſich im Grunde nur um eine Verbeſſerung der Zuſtände in Mecklenburg und etwa in Lippe handelte, deſſen Regierung ſich im letzten Reichstage bei Gelegenheit einer von Er- hardt und Hausmann geſtellten Interpellation über die mit der Reichsgeſetzgebung im Widerſpruch ſtehende Lippe’ſche Jagdgeſetzgebung, nicht nur aus der Mitte der Verſammlung, ſondern auch vom Bundesrathstiſch aus, unangenehme Wahr- heiten ſagen laſſen mußte. Entſcheidend für die Mehrheit war die Betrachtung daß es eine bei Berathung des Geſetzes über die Vereinigung von Elſaß Lothringen mit dem Reiche bereits von der Bundesregierung ſelbſt anerkannte Lücke in der Verfaſſung auszufüllen galt, wobei der Art. 13 der früheren Deutſchen Bundes- acte und Beſtimmungen der amerikaniſchen und der ſchweizeriſchen Verfaſſung als Vorbild dienen konnten. Die Deutſche Reichspartei (Freiconſervative) nahm an der Faſſung des Antrags Anſtoß, und beabſichtigte — wie man annimmt, auf Veranlaſſung des Miniſters v. Mittnacht — zur Rettung der vermeintlich gefähr- deten Herrenhäuſer und der Sitze des Kanzlers der Univerſität Tübingen, der Prä- laten, des katholiſchen Biſchofs und des erſten Dekans in der zweiten württein- bergiſchen Kammer, einen Gegenvorſchlag des Inhalts einzubringen: „In jedem Bundesſtaat bedarf die Landesgeſetzgebung und die Feſtſtellung des Landeshaus- halts der Zuſtimmung einer ganz oder theilweiſe aus Wahlen der Bevölkerung hervorgehenden Landesvertretung.“ Sie fand aber weder für dieſen Vorſchlag noch für eine demſelben ſpäter ſubſtituirte motivirte Tagesordnung bei den andern Fractionen Anklang, und ſtand deßhalb ſchließlich von deren Einbringung gänzlich ab. In den ſehr intereſſanten Debatten über den Büſing’ſchen Antrag ſpielten die mecklenburgiſchen Abgeordneten, von denen er ausgieng, die ſchwächſte Rolle, wäh- rend der Bundesbevollmächtigte der mecklenburgiſchen Regierungen, Staatsminiſter v. Bülow, ihn ſehr würdig und ſehr geſchickt bekämpfte. Beſonders effectvoll war eine Rede v. Treitſchke’s zu Gunſten des Antrags, die von Dr. Völk und zu allge- meiner Ueberraſchung auch von P. Reichenſperger (Olpe) recht gut ſecundirt ward, welcher letztere ſich mit den Worten: „Amicus Plato, magis amica veritas,“ in dieſer Sache von ſeiner Partei (dem Centrum) losſagte. Dasſelbe, jedoch in ent- gegengeſetzter Richtung, that auch Römer (Württemberg), der ſeitdem die Partei- Verſammlungen ſeiner (der nationalliberalen) Fraction nicht wieder beſucht hat. Außer ihm müſſen von den Gegnern des Antrags v. Helldorf, Frhr. v. Ketteler und Bebel genannt werden. Die Erklärung des hochwürdigen Abgeordneten von Tauberbiſchofsheim: daß der Antrag nicht weit genug gehe, weil er nicht das all- gemeine geheime Stimmrecht zur Grundlage der Wahlen mache, rief den Eindruck hervor als ob der Redner auch ſein Heimathland Heſſen-Darmſtadt mit dem suffrage universel beglückt ſehen möchte. Bebel gab wieder Proben ſeines glänzenden Rednertalents und davon daß er ein ganzer Mann iſt. Schon weil es wenig bekannt iſt, verdient hervorgehoben zu werden daß der junge Drechsler- meiſter von Leipzig ſich, obgleich er völlig allein ſteht und ſeine weitgehenden An- ſichten faſt einſtimmig verdammt und bedauert werden, im Reichstag eine ganz exceptionelle Stellung, und bei der Mehrzahl, namentlich auch bei den Hochconſer- vativen, achtungsvolle Anerkennung erworben hat, welche dadurch daß er ſeine Mußeſtunden in Berlin dazu benutzt durch Arbeit bei einem Handwerksgenoſſen den Unterhalt für ſeine Familie zu verdienen, nur vermehrt und durch die theil- weiſe ungerechten Angriffe Laskers nicht beeinträchtigt werden konnte. Bebel bietet zugleich ein Beiſpiel der wunderbaren Fügungen der Vorſehung. Wäre er nicht als Knabe überaus ſchwächlich geweſen, ſo würde er als Sohn eines preußi- ſchen Unterofficiers unzweifelhaft in einem preußiſchen Militär-Waiſenhauſe er- zogen worden und jetzt vorausſichtlich wohldiſciplinirter Wachtmeiſter ſein. Nun aber erhielt er ſeine Erziehung durch die Winckler’ſche Stiftung in Wetzlar, und ſeine angeborne Begabung und eigener Fleiß machten ihn zum Führer einer, trotz ihrer beſchränkten Zahl, nicht ungefährlichen Volkspartei, und zu einem hervor- ragenden Redner im Deutſchen Parlament. Der Antrag Büſing wurde in namentlicher Abſtimmung mit 183 gegen 88 Stimmen angenommen. Die Mehrzahl der Freiconſervativen und des Centrums ſtimmte mit der conſervativen Partei dagegen, die drei liberalen Parteien faſt ausnahmslos dafür. Es iſt wahrſcheinlich daß der Reichstag mit ſeinem Beſchluß *) Die obige Depeſche, am 2 Jan. um 8 Uhr 36 Min. Abds. in Frankfurt aufgegeben, iſt uns erſt am 3 Jan. 12 Uhr 5 Min. Mittags zugekommen. Ein Brief hätte jedenfalls nicht ſo lange Zeit gebraucht. Fortſchritte des bayeriſchen Telegraphen- weſens? D. R.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine04_1872/1>, abgerufen am 21.11.2024.