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Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] von Vermögen, sondern die Verringerung aller Vermögen ohne Ausnahme; es ist
nur ein halber Ruin, aber er lastet auf allen, und da er weniger drückend und
weniger fürchterlich ist als der Ruin der uns trifft, wird man sich auch weniger
rasch davon erholen. Deutschland hat also zu Gunsten der politique d'envahisse-
ment
ein Jahr seines Lebens, ein Jahr seiner Arbeit und einen Theil seines Reich-
thums zum Opfer gebracht. Dieser Verlust wird ohne Zweifel ersetzt werden, aber
ein anderes Unglück, das auf ihm lastet, wird nicht wieder gut gemacht werden
können. Dieser Krieg wird eine unberechenbare Wirkung auf den moralischen Zu-
stand Deutschlands ausüben. Der Charakter, die Gewohnheiten, die Denkungsart
der ganzen Nation werden sich ändern. Das deutsche Volk kann nicht in ein solches
Unternehmen hineingezogen worden sein ohne seine Seele von Grund aus zu ver-
derben; bei ihm wird die Liebe zur Arbeit ersetzt werden durch die Liebe zur Er-
oberung; seine Intelligenz wird die gesunden Ideen, welche der Zweck und die Ehre
des Lebens sind, aufgeben und eine falsche Vorstellung von Ruhm an deren Stelle
setzen; man hat ihm glauben gemacht daß es für eine Nation etwas wünschens-
wertheres gibt als das arbeitsame und redliche Wohlbehagen; man hat ihm die
Krankheit des Ehrgeizes und das Fieber der Vergrößerungssucht eingeimpft. Man
glaube unserer Erfahrung: viele der Fehler die man uns Schuld gibt sind uns
durch unsere Kriege, besonders durch die glücklichen, gekommen. Die Prahlerei, die
Aufschneiderei, die naive Selbstbewunderung, die Geringschätzung des Ausländi-
schen waren in unserer Natur nicht mehr begründet als in der einer jeden anderen
Nation; sie wurden hineingebracht durch unsere Kriege, unsere Eroberungen, unsere
steten Erfolge. Jede Nation welche wie wir auf kriegerischen Ruhm erpicht ist, und
so viel Siege aufweisen kann wie wir, wird auch den gleichen Fehlern verfallen.
Deutschland wird diesem Geschick nicht entgehen. Es wird grausam dafür bestraft
werden daß es seine ganze Jugend, seine ganze männliche Bevölkerung hat aus-
ziehen lassen in diesen Eroberungs- und Invasionskrieg. Hinterlistig hat man
dieses Volk von seinen Arbeiten, seinen Gewohnheiten, seiner alten Moral, seinen
Tugenden losgerissen; man wird es nicht wieder in das alte Geleis zurückführen
können. Früher demoralisirte der Invasionskrieg doch nur die Soldaten; heut aber
demoralisirt er eine ganze Nation. Sollte man wirklich das thörichte Vertrauen hegen
daß diese Menschen, aus denen man Räuber gemacht hat, in ihre Heimath gerade
als dieselben zurückkehren wie sie fortgezogen sind? Sie werden Empfindungen und
Begierden heimbringen die sie früher nie kannten. Wie können Menschen denen man
Mord und Brandstiftung befiehlt, in ihrem Innern einen klaren Begriff von Recht
und Pflicht behalten! Die Soldaten welche sorgfältig die Flaschen aus unseren
Kellern auf Wagen laden und ihre Tornister anfüllen mit unserm Silberzeug, mit
dem Geschmeide unserer Frauen und sogar mit ihren Spitzen, werden sie in ihre
Häuslichkeit ein ebenso ruhiges und sicheres Gewissen wie früher zurückbringen?
Früher sprachen wir mit Vorliebe von den deutschen Tugenden; wo sind sie jetzt
zu finden? Das alte Deutschland existirt nicht mehr. Man glaube nur nicht daß
wir es sind die am meisten durch diesen scheußlichen Krieg gelitten haben, denn wir,
wir erheben unser Haupt, stark in unserm Recht und lauter in unserm Gewissen.
Die am meisten leiden werden sind die Länderräuber. Es ist nicht unmöglich daß
dieser Krieg der Anfang unserer Wiedergeburt sei; er ist vielleicht auch der Anfang
des Verfalles von Deutschland."

Wir sind dem Hrn. Fustel de Coulanges dankbar für die mannichfachen Auf-
klärungen welche er uns gibt; wir wollen ihm als Entgelt die einzelnen Wider-
sprüche und unlogischen Folgerungen, in die er sich hinein phantasirt hat, nicht auf-
zählen. Nur so viel sei zu seiner Beruhigung gesagt: daß von allen traurigen Folgen
die Ludwigs XIV Kriege über Frankreich heraufbeschworen, bis jetzt keine einzige
in Deutschland sich gezeigt hat; ebenso fehlte es uns während des Krieges nicht an
arbeitsamen Händen, welche dafür sorgten daß die einzige Quelle des Reichthums
und des Wohlbefindens nicht ganz versiegte. Auch dürfen wir ihn daran erinnern
daß die französische Nation sich vorzugsweise die civilisirte und geistreiche
nennt; wie sollten daher ähnliche geschichtliche Vorgänge ganz gleich auf
ein in seiner Nationalentwicklung niedriger stehendes Volk einwirken? Die
Prahlerei, die Aufschneiderei, die naive Selbstbewunderung finden bei unserem
Volke keinen Eingang; wir haben Gott gedankt daß er uns befähigte einen
Ueberfall glücklich zurückzuwerfen. Bei uns hat die Erfahrung die Besorgniß
großgezogen daß wir steten Beunruhigungen von Seiten unserer civilisirten
und geistreichen Nachbarn ausgesetzt sind, und das Bedürfniß der Ruhe hat uns
die Ueberzeugung gegeben daß hier nur durch Regelung der Gränzen geholfen wer-
den könne. Während dieses Kriegs, der uns aufgezwungen wurde, mag viel und
unverantwortlich gesündigt worden sein; so viel aber zeigt sich dem unbefangenen
Auge schon jetzt daß die von deutscher Seite begangenen tadelnswerthen Hand-
lungen die Ausschreitungen einzelner rohen Naturen waren, die sich überall vor-
finden. Geraubt und gestohlen ist nur von den eigenen französischen Mo-
bilen und dem aufsichtslosen Gesindel; von deutscher Seite hat man aus herren-
losen Häusern sich nur angeeignet was zu des Lebens Nothdurst gehörte; wo ein
Haus von seinen Insassen nicht verlassen worden war, hat der deutsche Soldat
nicht nur nichts genommen, sondern vielmehr die Bewohner durch Mittheilung von
Lebensmitteln vor dem Hungertode gerettet. Was namentlich die Umgegend von
Paris betrifft, findet sich ein Zeugniß für unsere Angaben in der Revue selbst.
Im 2. Heft vom 15 Januar 1871, S. 338--341, bespricht Hr. Albert Dumont
diese Zustände, in seiner Studie "les mobilises aux avant-postes;" was ver-
wüstet und geraubt worden, ist von Franzosen geschehen: "les pillards sont
arrives, et ce qui est plus cruel, des pillards francais; nos livres, nos
tableaux, nos ameublements, ces riens precieux que nous avions reunis,
tous ces objets amis qui nous recevaient an mois de mai, tout a ete dis-
perse."
Aber während der Verfasser so der Wahrheit die Ehre gibt, kann er doch
nicht unterlassen uns nebenbei einen Fußtritt zu versetzen: "On nous dit que les
Prussiens font garder nos maisons de campagne dans les pays en leur pou-
voir; ce n'est pas que leur humanite doive nous etre proposee pour modele,
nous savons qu'ils s'entendent an pillage en grand et methodique, an pil-
lage savant, qui ne brise pas les machines, mais les transporte demontees
avee soin en Pemeranie; on tient les comptes en regle d'une ville mise
a contribution."

(Schluß folgt)



[Spaltenumbruch]
Ludwig Lange: Römische Alterthümer.*)

[&#xfffc;] Das Erscheinen einer Fortsetzung dieses berühmten Werkes war ein Er-
eigniß, von dem im Kreise der Fachmänner sofort gebührend Notiz genommen wer-
den mußte. Die Leser der "Allg. Ztg." die diesem im engern Sinne nicht angehö-
ren, müssen wir darauf aufmerksam machen, weil sie sonst in dem neuesten Bande
der "Römischen Alterthümer" schwerlich suchen würden was er wirklich enthält; er
gibt nämlich, um es mit einem Worte zu sagen, nicht "Alterthümer," sondern
eine vollständige Geschichte der Verfassung, Gesetzgebung und Politik des römischen
Staates von den Gracchen bis zur Schlacht von Actium.

Wir gehören zu jenen Freunden des Alterthums denen der Name "Alter-
thümer" ein Gräuel ist. Er mochte angehen in einer Zeit deren Kenntniß des Alter-
thums wirklich nur auf einer öden Anhäufung, einem willkürlichen Nebeneinander
von disjecta membra beruhte; er paßt nicht mehr auf unsere zusammenfassenden
Anschauungen und noch weniger auf unsere genetische Methode der Forschung und
Darstellung. Einheit der Auffassung und Strenge der historischen Entwicklung,
das sind die beiden wesentlichen Charakterzüge unserer heutigen Alterthumswissen-
schaft, und gerade sie werden durch Namen und Begriff der "Alterthümer" aus-
geschlossen. Streng genommen war deßhalb eine Arbeit wie die vorliegende unter
solchem Titel ganz unmöglich. Der Hr. Verfasser hat die Fessel dieses Schul-
begriffs, wie eine Bemerkung auf S. VII der Vorrede zeigt, selbst sehr empfindlich
gefühlt. Wir freuen uns daß er sich durch ein sinnlos gewordenes Wort nicht hat
abhalten lassen zu leisten was wenige so zu leisten berufen waren wie er; aber
wir erwarten auch daß ihm von anderer Seite nicht auf Grund müßiger Wort-
klauberei sachlich unverdiente Vorwürfe gemacht werden. Dem heutigen Stande
der Wissenschaft entspricht es eben nicht mehr von Staats-, Kriegs-, Privat-, Sa-
cral-Alterthümern zu reden; wir kennen vielmehr -- und das ist unser Stolz --
nur noch ein Leben der Alten in Staat und Krieg, in Haus, Gesellschaft und
Cultus. Will man aber die Namen nicht fallen lassen, dann muß man sich auch
zu einer Auslegung derselben bequemen bei der die rüstig fortschreitende Wissen-
schaft bestehen kann.

Ludwig Lange hat sich zur Aufgabe gemacht den Zersetzungsproceß der rö-
mischen Republik zum erstenmal vollständig und chronologisch genau zu schildern.
Kein Kenner wird bestreiten daß gerade diese Arbeit ein höchst verdienstvolles Un-
ternehmen genannt werden muß. Wo Göttling eklektisch, Mommsen pragmatisch
verfährt, da trägt Lange Jahr für Jahr und, wo es möglich ist, Tag für Tag alles
vor was unsere im Fortlaufe der Zeit immer reicher fließenden Quellen an irgend
nennenswerthen Thatsachen des politischen Lebens der sinkenden Republik zu mel-
den haben. So treten neben Personen und Ereignissen ersten Ranges auch die
minder beachteten Details, auch die untergeordneten Persönlichkeiten auf, aus deren
Zusammenwirken mit dem Strome der großen Entscheidungen erst ein völlig klares
Bild von der Fluth und Rückfluth der Dinge gewonnen wird. So wird durch
strenge Festhaltung der Chronologie gar manches was die pragmatische Behand-
lung willkürlich getrennt oder verbunden hat, an seinen rechten Ort gestellt, und
dadurch zu neuen, richtigeren Combinationen auf überraschende Weise der Weg
gebahnt. Für die Zeit von der Revolution durch die Graechen bis zur Restau-
ration durch Sulla ist dieses Verfahren von ganz besonderm Werthe.

Das Schwergewicht der Lange'schen Darstellung ruht auf der Geschichte
der 28 Jahre zwischen dem ersten Consulat des Pompejus und dem ersten Con-
sulat des Octavianus (70 -- 43 v. Chr.). Sie füllt mehr als die Hälfte des gan-
zen Bandes. Hier ist nun unsere Hauptquelle, der Urkundenschatz der Briefe und
Reden Cicero's, in einer Weise ausgebeutet wie dieß bisher noch nicht geschehen war.
Was Lange hier gibt, ist ein unentbehrliches Hülfsmittel bei der Lectüre Dru-
manns und Mommsens, wie Cicero's selbst. Durch die fast erdrückende Fülle des
Details führt klar und sicher der Faden einer mit ebensoviel mühevollem Fleiß
als combinatorischem Scharffinn ermittelten Chronologie hindurch. Wer auf
diesem Felde jemals gearbeitet hat, der weiß was damit geleistet ist, denn er sieht
das erfüllt was er in unserer bisherigen Literatur am schmerzlichsten vermißt hat.

Lange begnügt sich nicht mit sorgfältiger Buchführung über die chronologi-
schen Data unserer Quellen, er sucht auf dem Wege der Vermuthung auch dort
wenigstens annähernde Sicherheit wo sie uns im Stiche lassen, indem er in ein-
für allemal gültigen Anhaltspunkten -- wie der dies fasti, nefasti und comitia-
les,
der Tage der verschiedenen Spiele, der Amtsantrittszeiten der Quästoren und
Tribunen -- Kriterien verwerthet die bisher noch nicht planmäßig benutzt worden
sind. Er kommt dabei im Tribunat des C. Gracchus und des M. Livius Drusus,
in der Dictatur Sulla's und im ersten Consulat des Pompejus zu neuen Ergeb-
nissen. Er selber zweifelt nicht daß diese im einzelnen Anfechtungen finden wer-
den. Aber er hofft mit Recht daß das Princip seines Verfahrens werde zugestan-
den werden. Wir stehen nicht an darin eine höchst bedeutsame Bereicherung der
Rüstzeuge unserer Methodik offen anzuerkennen, und dringend zur ausgiebigsten
Weiterbenutzung zu empfehlen. Von Lange's großer Gewissenhaftigkeit in chrono-
logischen Dingen zeugt übrigens auch der Umstand daß er sämmtliche vor die Ka-
lenderreform Cäsars fallende Tagesdata auf die Zahl der Monatstage des vor-
julianischen Jahrs zurückgeführt hat, im Widerspruch mit dem weitverbreiteten
Gebrauche sie nach der Monatslänge des Julianischen Jahres zu berechnen.

Alles in allem ist dieser neue Abschnitt des Lange'schen Werkes wieder ein-
mal ein Stück Arbeit das dem hohen Ernst, dem entsagungsvollen Fleiß und der
gediegenen Gründlichkeit zur Ehre gereicht. Der Stoff der hier behandelt ist, hat
ein großes, weittragendes Interesse. Die Verwesung der weltbeherrschenden römi-
schen Republik, ihr unter fürchterlichen Kämpfen sich vollziehender Uebergang in
die militärifche und bureaukratische Monarchie füllt eines der inhaltreichsten und
zugleich ergreifendsten Capitel der ganzen Geschichte. Für die biographische Cha-
rakteristik aller Rollenfächer in diesem gewaltigen Schauspiele hat Drumann, für
die dramatische, plastische Darstellung seiner entscheidenden Vorgänge hat Mommsen
großes geleistet; die innere Staatsgeschichte dieser Zeit, die Entwicklung ihrer Ge-
setzgebung und ihres Verfassungswesens hat Lange zuerst vollständig und chrono-
legisch genan geschrieben.

*) Der Staatsalterthümer dritter Theil, Erste Abtheilung. Berlin 1871.

[Spaltenumbruch] von Vermögen, ſondern die Verringerung aller Vermögen ohne Ausnahme; es iſt
nur ein halber Ruin, aber er laſtet auf allen, und da er weniger drückend und
weniger fürchterlich iſt als der Ruin der uns trifft, wird man ſich auch weniger
raſch davon erholen. Deutſchland hat alſo zu Gunſten der politique d’envahisse-
ment
ein Jahr ſeines Lebens, ein Jahr ſeiner Arbeit und einen Theil ſeines Reich-
thums zum Opfer gebracht. Dieſer Verluſt wird ohne Zweifel erſetzt werden, aber
ein anderes Unglück, das auf ihm laſtet, wird nicht wieder gut gemacht werden
können. Dieſer Krieg wird eine unberechenbare Wirkung auf den moraliſchen Zu-
ſtand Deutſchlands ausüben. Der Charakter, die Gewohnheiten, die Denkungsart
der ganzen Nation werden ſich ändern. Das deutſche Volk kann nicht in ein ſolches
Unternehmen hineingezogen worden ſein ohne ſeine Seele von Grund aus zu ver-
derben; bei ihm wird die Liebe zur Arbeit erſetzt werden durch die Liebe zur Er-
oberung; ſeine Intelligenz wird die geſunden Ideen, welche der Zweck und die Ehre
des Lebens ſind, aufgeben und eine falſche Vorſtellung von Ruhm an deren Stelle
ſetzen; man hat ihm glauben gemacht daß es für eine Nation etwas wünſchens-
wertheres gibt als das arbeitſame und redliche Wohlbehagen; man hat ihm die
Krankheit des Ehrgeizes und das Fieber der Vergrößerungsſucht eingeimpft. Man
glaube unſerer Erfahrung: viele der Fehler die man uns Schuld gibt ſind uns
durch unſere Kriege, beſonders durch die glücklichen, gekommen. Die Prahlerei, die
Aufſchneiderei, die naive Selbſtbewunderung, die Geringſchätzung des Ausländi-
ſchen waren in unſerer Natur nicht mehr begründet als in der einer jeden anderen
Nation; ſie wurden hineingebracht durch unſere Kriege, unſere Eroberungen, unſere
ſteten Erfolge. Jede Nation welche wie wir auf kriegeriſchen Ruhm erpicht iſt, und
ſo viel Siege aufweiſen kann wie wir, wird auch den gleichen Fehlern verfallen.
Deutſchland wird dieſem Geſchick nicht entgehen. Es wird grauſam dafür beſtraft
werden daß es ſeine ganze Jugend, ſeine ganze männliche Bevölkerung hat aus-
ziehen laſſen in dieſen Eroberungs- und Invaſionskrieg. Hinterliſtig hat man
dieſes Volk von ſeinen Arbeiten, ſeinen Gewohnheiten, ſeiner alten Moral, ſeinen
Tugenden losgeriſſen; man wird es nicht wieder in das alte Geleis zurückführen
können. Früher demoraliſirte der Invaſionskrieg doch nur die Soldaten; heut aber
demoraliſirt er eine ganze Nation. Sollte man wirklich das thörichte Vertrauen hegen
daß dieſe Menſchen, aus denen man Räuber gemacht hat, in ihre Heimath gerade
als dieſelben zurückkehren wie ſie fortgezogen ſind? Sie werden Empfindungen und
Begierden heimbringen die ſie früher nie kannten. Wie können Menſchen denen man
Mord und Brandſtiftung befiehlt, in ihrem Innern einen klaren Begriff von Recht
und Pflicht behalten! Die Soldaten welche ſorgfältig die Flaſchen aus unſeren
Kellern auf Wagen laden und ihre Torniſter anfüllen mit unſerm Silberzeug, mit
dem Geſchmeide unſerer Frauen und ſogar mit ihren Spitzen, werden ſie in ihre
Häuslichkeit ein ebenſo ruhiges und ſicheres Gewiſſen wie früher zurückbringen?
Früher ſprachen wir mit Vorliebe von den deutſchen Tugenden; wo ſind ſie jetzt
zu finden? Das alte Deutſchland exiſtirt nicht mehr. Man glaube nur nicht daß
wir es ſind die am meiſten durch dieſen ſcheußlichen Krieg gelitten haben, denn wir,
wir erheben unſer Haupt, ſtark in unſerm Recht und lauter in unſerm Gewiſſen.
Die am meiſten leiden werden ſind die Länderräuber. Es iſt nicht unmöglich daß
dieſer Krieg der Anfang unſerer Wiedergeburt ſei; er iſt vielleicht auch der Anfang
des Verfalles von Deutſchland.“

Wir ſind dem Hrn. Fuſtel de Coulanges dankbar für die mannichfachen Auf-
klärungen welche er uns gibt; wir wollen ihm als Entgelt die einzelnen Wider-
ſprüche und unlogiſchen Folgerungen, in die er ſich hinein phantaſirt hat, nicht auf-
zählen. Nur ſo viel ſei zu ſeiner Beruhigung geſagt: daß von allen traurigen Folgen
die Ludwigs XIV Kriege über Frankreich heraufbeſchworen, bis jetzt keine einzige
in Deutſchland ſich gezeigt hat; ebenſo fehlte es uns während des Krieges nicht an
arbeitſamen Händen, welche dafür ſorgten daß die einzige Quelle des Reichthums
und des Wohlbefindens nicht ganz verſiegte. Auch dürfen wir ihn daran erinnern
daß die franzöſiſche Nation ſich vorzugsweiſe die civiliſirte und geiſtreiche
nennt; wie ſollten daher ähnliche geſchichtliche Vorgänge ganz gleich auf
ein in ſeiner Nationalentwicklung niedriger ſtehendes Volk einwirken? Die
Prahlerei, die Aufſchneiderei, die naive Selbſtbewunderung finden bei unſerem
Volke keinen Eingang; wir haben Gott gedankt daß er uns befähigte einen
Ueberfall glücklich zurückzuwerfen. Bei uns hat die Erfahrung die Beſorgniß
großgezogen daß wir ſteten Beunruhigungen von Seiten unſerer civiliſirten
und geiſtreichen Nachbarn ausgeſetzt ſind, und das Bedürfniß der Ruhe hat uns
die Ueberzeugung gegeben daß hier nur durch Regelung der Gränzen geholfen wer-
den könne. Während dieſes Kriegs, der uns aufgezwungen wurde, mag viel und
unverantwortlich geſündigt worden ſein; ſo viel aber zeigt ſich dem unbefangenen
Auge ſchon jetzt daß die von deutſcher Seite begangenen tadelnswerthen Hand-
lungen die Ausſchreitungen einzelner rohen Naturen waren, die ſich überall vor-
finden. Geraubt und geſtohlen iſt nur von den eigenen franzöſiſchen Mo-
bilen und dem aufſichtsloſen Geſindel; von deutſcher Seite hat man aus herren-
loſen Häuſern ſich nur angeeignet was zu des Lebens Nothdurſt gehörte; wo ein
Haus von ſeinen Inſaſſen nicht verlaſſen worden war, hat der deutſche Soldat
nicht nur nichts genommen, ſondern vielmehr die Bewohner durch Mittheilung von
Lebensmitteln vor dem Hungertode gerettet. Was namentlich die Umgegend von
Paris betrifft, findet ſich ein Zeugniß für unſere Angaben in der Revue ſelbſt.
Im 2. Heft vom 15 Januar 1871, S. 338—341, beſpricht Hr. Albert Dumont
dieſe Zuſtände, in ſeiner Studie „les mobilisés aux avant-postes;“ was ver-
wüſtet und geraubt worden, iſt von Franzoſen geſchehen: „les pillards sont
arrivés, et ce qui est plus cruel, des pillards français; nos livres, nos
tableaux, nos ameublements, ces riens précieux que nous avions réunis,
tous ces objets amis qui nous recevaient an mois de mai, tout a été dis-
persé.“
Aber während der Verfaſſer ſo der Wahrheit die Ehre gibt, kann er doch
nicht unterlaſſen uns nebenbei einen Fußtritt zu verſetzen: „On nous dit que les
Prussiens font garder nos maisons de campagne dans les pays en leur pou-
voir; ce n’est pas que leur humanité doive nous être proposée pour modèle,
nous savons qu’ils s’entendent an pillage en grand et méthodique, an pil-
lage savant, qui ne brise pas les machines, mais les transporte démontées
avee soin en Peméranie; on tient les comptes en règle d’une ville mise
à contribution.“

(Schluß folgt)



[Spaltenumbruch]
Ludwig Lange: Römiſche Alterthümer.*)

[&#xfffc;] Das Erſcheinen einer Fortſetzung dieſes berühmten Werkes war ein Er-
eigniß, von dem im Kreiſe der Fachmänner ſofort gebührend Notiz genommen wer-
den mußte. Die Leſer der „Allg. Ztg.“ die dieſem im engern Sinne nicht angehö-
ren, müſſen wir darauf aufmerkſam machen, weil ſie ſonſt in dem neueſten Bande
der „Römiſchen Alterthümer“ ſchwerlich ſuchen würden was er wirklich enthält; er
gibt nämlich, um es mit einem Worte zu ſagen, nicht „Alterthümer,“ ſondern
eine vollſtändige Geſchichte der Verfaſſung, Geſetzgebung und Politik des römiſchen
Staates von den Gracchen bis zur Schlacht von Actium.

Wir gehören zu jenen Freunden des Alterthums denen der Name „Alter-
thümer“ ein Gräuel iſt. Er mochte angehen in einer Zeit deren Kenntniß des Alter-
thums wirklich nur auf einer öden Anhäufung, einem willkürlichen Nebeneinander
von disjecta membra beruhte; er paßt nicht mehr auf unſere zuſammenfaſſenden
Anſchauungen und noch weniger auf unſere genetiſche Methode der Forſchung und
Darſtellung. Einheit der Auffaſſung und Strenge der hiſtoriſchen Entwicklung,
das ſind die beiden weſentlichen Charakterzüge unſerer heutigen Alterthumswiſſen-
ſchaft, und gerade ſie werden durch Namen und Begriff der „Alterthümer“ aus-
geſchloſſen. Streng genommen war deßhalb eine Arbeit wie die vorliegende unter
ſolchem Titel ganz unmöglich. Der Hr. Verfaſſer hat die Feſſel dieſes Schul-
begriffs, wie eine Bemerkung auf S. VII der Vorrede zeigt, ſelbſt ſehr empfindlich
gefühlt. Wir freuen uns daß er ſich durch ein ſinnlos gewordenes Wort nicht hat
abhalten laſſen zu leiſten was wenige ſo zu leiſten berufen waren wie er; aber
wir erwarten auch daß ihm von anderer Seite nicht auf Grund müßiger Wort-
klauberei ſachlich unverdiente Vorwürfe gemacht werden. Dem heutigen Stande
der Wiſſenſchaft entſpricht es eben nicht mehr von Staats-, Kriegs-, Privat-, Sa-
cral-Alterthümern zu reden; wir kennen vielmehr — und das iſt unſer Stolz —
nur noch ein Leben der Alten in Staat und Krieg, in Haus, Geſellſchaft und
Cultus. Will man aber die Namen nicht fallen laſſen, dann muß man ſich auch
zu einer Auslegung derſelben bequemen bei der die rüſtig fortſchreitende Wiſſen-
ſchaft beſtehen kann.

Ludwig Lange hat ſich zur Aufgabe gemacht den Zerſetzungsproceß der rö-
miſchen Republik zum erſtenmal vollſtändig und chronologiſch genau zu ſchildern.
Kein Kenner wird beſtreiten daß gerade dieſe Arbeit ein höchſt verdienſtvolles Un-
ternehmen genannt werden muß. Wo Göttling eklektiſch, Mommſen pragmatiſch
verfährt, da trägt Lange Jahr für Jahr und, wo es möglich iſt, Tag für Tag alles
vor was unſere im Fortlaufe der Zeit immer reicher fließenden Quellen an irgend
nennenswerthen Thatſachen des politiſchen Lebens der ſinkenden Republik zu mel-
den haben. So treten neben Perſonen und Ereigniſſen erſten Ranges auch die
minder beachteten Details, auch die untergeordneten Perſönlichkeiten auf, aus deren
Zuſammenwirken mit dem Strome der großen Entſcheidungen erſt ein völlig klares
Bild von der Fluth und Rückfluth der Dinge gewonnen wird. So wird durch
ſtrenge Feſthaltung der Chronologie gar manches was die pragmatiſche Behand-
lung willkürlich getrennt oder verbunden hat, an ſeinen rechten Ort geſtellt, und
dadurch zu neuen, richtigeren Combinationen auf überraſchende Weiſe der Weg
gebahnt. Für die Zeit von der Revolution durch die Graechen bis zur Reſtau-
ration durch Sulla iſt dieſes Verfahren von ganz beſonderm Werthe.

Das Schwergewicht der Lange’ſchen Darſtellung ruht auf der Geſchichte
der 28 Jahre zwiſchen dem erſten Conſulat des Pompejus und dem erſten Con-
ſulat des Octavianus (70 — 43 v. Chr.). Sie füllt mehr als die Hälfte des gan-
zen Bandes. Hier iſt nun unſere Hauptquelle, der Urkundenſchatz der Briefe und
Reden Cicero’s, in einer Weiſe ausgebeutet wie dieß bisher noch nicht geſchehen war.
Was Lange hier gibt, iſt ein unentbehrliches Hülfsmittel bei der Lectüre Dru-
manns und Mommſens, wie Cicero’s ſelbſt. Durch die faſt erdrückende Fülle des
Details führt klar und ſicher der Faden einer mit ebenſoviel mühevollem Fleiß
als combinatoriſchem Scharffinn ermittelten Chronologie hindurch. Wer auf
dieſem Felde jemals gearbeitet hat, der weiß was damit geleiſtet iſt, denn er ſieht
das erfüllt was er in unſerer bisherigen Literatur am ſchmerzlichſten vermißt hat.

Lange begnügt ſich nicht mit ſorgfältiger Buchführung über die chronologi-
ſchen Data unſerer Quellen, er ſucht auf dem Wege der Vermuthung auch dort
wenigſtens annähernde Sicherheit wo ſie uns im Stiche laſſen, indem er in ein-
für allemal gültigen Anhaltspunkten — wie der dies fasti, nefasti und comitia-
les,
der Tage der verſchiedenen Spiele, der Amtsantrittszeiten der Quäſtoren und
Tribunen — Kriterien verwerthet die bisher noch nicht planmäßig benutzt worden
ſind. Er kommt dabei im Tribunat des C. Gracchus und des M. Livius Druſus,
in der Dictatur Sulla’s und im erſten Conſulat des Pompejus zu neuen Ergeb-
niſſen. Er ſelber zweifelt nicht daß dieſe im einzelnen Anfechtungen finden wer-
den. Aber er hofft mit Recht daß das Princip ſeines Verfahrens werde zugeſtan-
den werden. Wir ſtehen nicht an darin eine höchſt bedeutſame Bereicherung der
Rüſtzeuge unſerer Methodik offen anzuerkennen, und dringend zur ausgiebigſten
Weiterbenutzung zu empfehlen. Von Lange’s großer Gewiſſenhaftigkeit in chrono-
logiſchen Dingen zeugt übrigens auch der Umſtand daß er ſämmtliche vor die Ka-
lenderreform Cäſars fallende Tagesdata auf die Zahl der Monatstage des vor-
julianiſchen Jahrs zurückgeführt hat, im Widerſpruch mit dem weitverbreiteten
Gebrauche ſie nach der Monatslänge des Julianiſchen Jahres zu berechnen.

Alles in allem iſt dieſer neue Abſchnitt des Lange’ſchen Werkes wieder ein-
mal ein Stück Arbeit das dem hohen Ernſt, dem entſagungsvollen Fleiß und der
gediegenen Gründlichkeit zur Ehre gereicht. Der Stoff der hier behandelt iſt, hat
ein großes, weittragendes Intereſſe. Die Verweſung der weltbeherrſchenden römi-
ſchen Republik, ihr unter fürchterlichen Kämpfen ſich vollziehender Uebergang in
die militärifche und bureaukratiſche Monarchie füllt eines der inhaltreichſten und
zugleich ergreifendſten Capitel der ganzen Geſchichte. Für die biographiſche Cha-
rakteriſtik aller Rollenfächer in dieſem gewaltigen Schauſpiele hat Drumann, für
die dramatiſche, plaſtiſche Darſtellung ſeiner entſcheidenden Vorgänge hat Mommſen
großes geleiſtet; die innere Staatsgeſchichte dieſer Zeit, die Entwicklung ihrer Ge-
ſetzgebung und ihres Verfaſſungsweſens hat Lange zuerſt vollſtändig und chrono-
legiſch genan geſchrieben.

*) Der Staatſalterthümer dritter Theil, Erſte Abtheilung. Berlin 1871.
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[51/0011] von Vermögen, ſondern die Verringerung aller Vermögen ohne Ausnahme; es iſt nur ein halber Ruin, aber er laſtet auf allen, und da er weniger drückend und weniger fürchterlich iſt als der Ruin der uns trifft, wird man ſich auch weniger raſch davon erholen. Deutſchland hat alſo zu Gunſten der politique d’envahisse- ment ein Jahr ſeines Lebens, ein Jahr ſeiner Arbeit und einen Theil ſeines Reich- thums zum Opfer gebracht. Dieſer Verluſt wird ohne Zweifel erſetzt werden, aber ein anderes Unglück, das auf ihm laſtet, wird nicht wieder gut gemacht werden können. Dieſer Krieg wird eine unberechenbare Wirkung auf den moraliſchen Zu- ſtand Deutſchlands ausüben. Der Charakter, die Gewohnheiten, die Denkungsart der ganzen Nation werden ſich ändern. 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Sollte man wirklich das thörichte Vertrauen hegen daß dieſe Menſchen, aus denen man Räuber gemacht hat, in ihre Heimath gerade als dieſelben zurückkehren wie ſie fortgezogen ſind? Sie werden Empfindungen und Begierden heimbringen die ſie früher nie kannten. Wie können Menſchen denen man Mord und Brandſtiftung befiehlt, in ihrem Innern einen klaren Begriff von Recht und Pflicht behalten! Die Soldaten welche ſorgfältig die Flaſchen aus unſeren Kellern auf Wagen laden und ihre Torniſter anfüllen mit unſerm Silberzeug, mit dem Geſchmeide unſerer Frauen und ſogar mit ihren Spitzen, werden ſie in ihre Häuslichkeit ein ebenſo ruhiges und ſicheres Gewiſſen wie früher zurückbringen? Früher ſprachen wir mit Vorliebe von den deutſchen Tugenden; wo ſind ſie jetzt zu finden? Das alte Deutſchland exiſtirt nicht mehr. Man glaube nur nicht daß wir es ſind die am meiſten durch dieſen ſcheußlichen Krieg gelitten haben, denn wir, wir erheben unſer Haupt, ſtark in unſerm Recht und lauter in unſerm Gewiſſen. Die am meiſten leiden werden ſind die Länderräuber. Es iſt nicht unmöglich daß dieſer Krieg der Anfang unſerer Wiedergeburt ſei; er iſt vielleicht auch der Anfang des Verfalles von Deutſchland.“ Wir ſind dem Hrn. Fuſtel de Coulanges dankbar für die mannichfachen Auf- klärungen welche er uns gibt; wir wollen ihm als Entgelt die einzelnen Wider- ſprüche und unlogiſchen Folgerungen, in die er ſich hinein phantaſirt hat, nicht auf- zählen. Nur ſo viel ſei zu ſeiner Beruhigung geſagt: daß von allen traurigen Folgen die Ludwigs XIV Kriege über Frankreich heraufbeſchworen, bis jetzt keine einzige in Deutſchland ſich gezeigt hat; ebenſo fehlte es uns während des Krieges nicht an arbeitſamen Händen, welche dafür ſorgten daß die einzige Quelle des Reichthums und des Wohlbefindens nicht ganz verſiegte. Auch dürfen wir ihn daran erinnern daß die franzöſiſche Nation ſich vorzugsweiſe die civiliſirte und geiſtreiche nennt; wie ſollten daher ähnliche geſchichtliche Vorgänge ganz gleich auf ein in ſeiner Nationalentwicklung niedriger ſtehendes Volk einwirken? Die Prahlerei, die Aufſchneiderei, die naive Selbſtbewunderung finden bei unſerem Volke keinen Eingang; wir haben Gott gedankt daß er uns befähigte einen Ueberfall glücklich zurückzuwerfen. Bei uns hat die Erfahrung die Beſorgniß großgezogen daß wir ſteten Beunruhigungen von Seiten unſerer civiliſirten und geiſtreichen Nachbarn ausgeſetzt ſind, und das Bedürfniß der Ruhe hat uns die Ueberzeugung gegeben daß hier nur durch Regelung der Gränzen geholfen wer- den könne. Während dieſes Kriegs, der uns aufgezwungen wurde, mag viel und unverantwortlich geſündigt worden ſein; ſo viel aber zeigt ſich dem unbefangenen Auge ſchon jetzt daß die von deutſcher Seite begangenen tadelnswerthen Hand- lungen die Ausſchreitungen einzelner rohen Naturen waren, die ſich überall vor- finden. Geraubt und geſtohlen iſt nur von den eigenen franzöſiſchen Mo- bilen und dem aufſichtsloſen Geſindel; von deutſcher Seite hat man aus herren- loſen Häuſern ſich nur angeeignet was zu des Lebens Nothdurſt gehörte; wo ein Haus von ſeinen Inſaſſen nicht verlaſſen worden war, hat der deutſche Soldat nicht nur nichts genommen, ſondern vielmehr die Bewohner durch Mittheilung von Lebensmitteln vor dem Hungertode gerettet. Was namentlich die Umgegend von Paris betrifft, findet ſich ein Zeugniß für unſere Angaben in der Revue ſelbſt. Im 2. Heft vom 15 Januar 1871, S. 338—341, beſpricht Hr. Albert Dumont dieſe Zuſtände, in ſeiner Studie „les mobilisés aux avant-postes;“ was ver- wüſtet und geraubt worden, iſt von Franzoſen geſchehen: „les pillards sont arrivés, et ce qui est plus cruel, des pillards français; nos livres, nos tableaux, nos ameublements, ces riens précieux que nous avions réunis, tous ces objets amis qui nous recevaient an mois de mai, tout a été dis- persé.“ Aber während der Verfaſſer ſo der Wahrheit die Ehre gibt, kann er doch nicht unterlaſſen uns nebenbei einen Fußtritt zu verſetzen: „On nous dit que les Prussiens font garder nos maisons de campagne dans les pays en leur pou- voir; ce n’est pas que leur humanité doive nous être proposée pour modèle, nous savons qu’ils s’entendent an pillage en grand et méthodique, an pil- lage savant, qui ne brise pas les machines, mais les transporte démontées avee soin en Peméranie; on tient les comptes en règle d’une ville mise à contribution.“ (Schluß folgt) Ludwig Lange: Römiſche Alterthümer. *) &#xfffc; Das Erſcheinen einer Fortſetzung dieſes berühmten Werkes war ein Er- eigniß, von dem im Kreiſe der Fachmänner ſofort gebührend Notiz genommen wer- den mußte. Die Leſer der „Allg. Ztg.“ die dieſem im engern Sinne nicht angehö- ren, müſſen wir darauf aufmerkſam machen, weil ſie ſonſt in dem neueſten Bande der „Römiſchen Alterthümer“ ſchwerlich ſuchen würden was er wirklich enthält; er gibt nämlich, um es mit einem Worte zu ſagen, nicht „Alterthümer,“ ſondern eine vollſtändige Geſchichte der Verfaſſung, Geſetzgebung und Politik des römiſchen Staates von den Gracchen bis zur Schlacht von Actium. Wir gehören zu jenen Freunden des Alterthums denen der Name „Alter- thümer“ ein Gräuel iſt. Er mochte angehen in einer Zeit deren Kenntniß des Alter- thums wirklich nur auf einer öden Anhäufung, einem willkürlichen Nebeneinander von disjecta membra beruhte; er paßt nicht mehr auf unſere zuſammenfaſſenden Anſchauungen und noch weniger auf unſere genetiſche Methode der Forſchung und Darſtellung. Einheit der Auffaſſung und Strenge der hiſtoriſchen Entwicklung, das ſind die beiden weſentlichen Charakterzüge unſerer heutigen Alterthumswiſſen- ſchaft, und gerade ſie werden durch Namen und Begriff der „Alterthümer“ aus- geſchloſſen. Streng genommen war deßhalb eine Arbeit wie die vorliegende unter ſolchem Titel ganz unmöglich. Der Hr. Verfaſſer hat die Feſſel dieſes Schul- begriffs, wie eine Bemerkung auf S. VII der Vorrede zeigt, ſelbſt ſehr empfindlich gefühlt. Wir freuen uns daß er ſich durch ein ſinnlos gewordenes Wort nicht hat abhalten laſſen zu leiſten was wenige ſo zu leiſten berufen waren wie er; aber wir erwarten auch daß ihm von anderer Seite nicht auf Grund müßiger Wort- klauberei ſachlich unverdiente Vorwürfe gemacht werden. Dem heutigen Stande der Wiſſenſchaft entſpricht es eben nicht mehr von Staats-, Kriegs-, Privat-, Sa- cral-Alterthümern zu reden; wir kennen vielmehr — und das iſt unſer Stolz — nur noch ein Leben der Alten in Staat und Krieg, in Haus, Geſellſchaft und Cultus. Will man aber die Namen nicht fallen laſſen, dann muß man ſich auch zu einer Auslegung derſelben bequemen bei der die rüſtig fortſchreitende Wiſſen- ſchaft beſtehen kann. Ludwig Lange hat ſich zur Aufgabe gemacht den Zerſetzungsproceß der rö- miſchen Republik zum erſtenmal vollſtändig und chronologiſch genau zu ſchildern. Kein Kenner wird beſtreiten daß gerade dieſe Arbeit ein höchſt verdienſtvolles Un- ternehmen genannt werden muß. Wo Göttling eklektiſch, Mommſen pragmatiſch verfährt, da trägt Lange Jahr für Jahr und, wo es möglich iſt, Tag für Tag alles vor was unſere im Fortlaufe der Zeit immer reicher fließenden Quellen an irgend nennenswerthen Thatſachen des politiſchen Lebens der ſinkenden Republik zu mel- den haben. So treten neben Perſonen und Ereigniſſen erſten Ranges auch die minder beachteten Details, auch die untergeordneten Perſönlichkeiten auf, aus deren Zuſammenwirken mit dem Strome der großen Entſcheidungen erſt ein völlig klares Bild von der Fluth und Rückfluth der Dinge gewonnen wird. So wird durch ſtrenge Feſthaltung der Chronologie gar manches was die pragmatiſche Behand- lung willkürlich getrennt oder verbunden hat, an ſeinen rechten Ort geſtellt, und dadurch zu neuen, richtigeren Combinationen auf überraſchende Weiſe der Weg gebahnt. Für die Zeit von der Revolution durch die Graechen bis zur Reſtau- ration durch Sulla iſt dieſes Verfahren von ganz beſonderm Werthe. Das Schwergewicht der Lange’ſchen Darſtellung ruht auf der Geſchichte der 28 Jahre zwiſchen dem erſten Conſulat des Pompejus und dem erſten Con- ſulat des Octavianus (70 — 43 v. Chr.). Sie füllt mehr als die Hälfte des gan- zen Bandes. Hier iſt nun unſere Hauptquelle, der Urkundenſchatz der Briefe und Reden Cicero’s, in einer Weiſe ausgebeutet wie dieß bisher noch nicht geſchehen war. Was Lange hier gibt, iſt ein unentbehrliches Hülfsmittel bei der Lectüre Dru- manns und Mommſens, wie Cicero’s ſelbſt. Durch die faſt erdrückende Fülle des Details führt klar und ſicher der Faden einer mit ebenſoviel mühevollem Fleiß als combinatoriſchem Scharffinn ermittelten Chronologie hindurch. Wer auf dieſem Felde jemals gearbeitet hat, der weiß was damit geleiſtet iſt, denn er ſieht das erfüllt was er in unſerer bisherigen Literatur am ſchmerzlichſten vermißt hat. Lange begnügt ſich nicht mit ſorgfältiger Buchführung über die chronologi- ſchen Data unſerer Quellen, er ſucht auf dem Wege der Vermuthung auch dort wenigſtens annähernde Sicherheit wo ſie uns im Stiche laſſen, indem er in ein- für allemal gültigen Anhaltspunkten — wie der dies fasti, nefasti und comitia- les, der Tage der verſchiedenen Spiele, der Amtsantrittszeiten der Quäſtoren und Tribunen — Kriterien verwerthet die bisher noch nicht planmäßig benutzt worden ſind. Er kommt dabei im Tribunat des C. Gracchus und des M. Livius Druſus, in der Dictatur Sulla’s und im erſten Conſulat des Pompejus zu neuen Ergeb- niſſen. Er ſelber zweifelt nicht daß dieſe im einzelnen Anfechtungen finden wer- den. Aber er hofft mit Recht daß das Princip ſeines Verfahrens werde zugeſtan- den werden. Wir ſtehen nicht an darin eine höchſt bedeutſame Bereicherung der Rüſtzeuge unſerer Methodik offen anzuerkennen, und dringend zur ausgiebigſten Weiterbenutzung zu empfehlen. Von Lange’s großer Gewiſſenhaftigkeit in chrono- logiſchen Dingen zeugt übrigens auch der Umſtand daß er ſämmtliche vor die Ka- lenderreform Cäſars fallende Tagesdata auf die Zahl der Monatstage des vor- julianiſchen Jahrs zurückgeführt hat, im Widerſpruch mit dem weitverbreiteten Gebrauche ſie nach der Monatslänge des Julianiſchen Jahres zu berechnen. Alles in allem iſt dieſer neue Abſchnitt des Lange’ſchen Werkes wieder ein- mal ein Stück Arbeit das dem hohen Ernſt, dem entſagungsvollen Fleiß und der gediegenen Gründlichkeit zur Ehre gereicht. Der Stoff der hier behandelt iſt, hat ein großes, weittragendes Intereſſe. Die Verweſung der weltbeherrſchenden römi- ſchen Republik, ihr unter fürchterlichen Kämpfen ſich vollziehender Uebergang in die militärifche und bureaukratiſche Monarchie füllt eines der inhaltreichſten und zugleich ergreifendſten Capitel der ganzen Geſchichte. Für die biographiſche Cha- rakteriſtik aller Rollenfächer in dieſem gewaltigen Schauſpiele hat Drumann, für die dramatiſche, plaſtiſche Darſtellung ſeiner entſcheidenden Vorgänge hat Mommſen großes geleiſtet; die innere Staatsgeſchichte dieſer Zeit, die Entwicklung ihrer Ge- ſetzgebung und ihres Verfaſſungsweſens hat Lange zuerſt vollſtändig und chrono- legiſch genan geſchrieben. *) Der Staatſalterthümer dritter Theil, Erſte Abtheilung. Berlin 1871.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine04_1872/11>, abgerufen am 21.11.2024.