Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872.[Spaltenumbruch]
Beziehung sind die Nachrichten welche in der russischen Presse über ein Zwiegespräch Mit dem Hinabsinken des alten Jahrs wendet sich von selbst der Blick dem In Betreff der bevorstehenden Recrutirung, bei welcher nach dem kaiserlichen Deutsches Reich. * Aus Bayeru, 3 Jan. Viel Staub wurde in den letzten Tagen auf- [] München, 2 Jan. Der Beschwerde-Ausschuß der Kammer der Ab- * Aus Baden, 1 Januar. Die von der nationalliberalen Partei heraus- "Wie das badische Volk in seiner überwiegenden Mehrheit bei Gelegenheit der In der heutigen Nummer der "Bad. Landesztg." lesen wir eine interessante [Spaltenumbruch]
Beziehung ſind die Nachrichten welche in der ruſſiſchen Preſſe über ein Zwiegeſpräch Mit dem Hinabſinken des alten Jahrs wendet ſich von ſelbſt der Blick dem In Betreff der bevorſtehenden Recrutirung, bei welcher nach dem kaiſerlichen Deutſches Reich. * Aus Bayeru, 3 Jan. Viel Staub wurde in den letzten Tagen auf- [] München, 2 Jan. Der Beſchwerde-Ausſchuß der Kammer der Ab- * Aus Baden, 1 Januar. Die von der nationalliberalen Partei heraus- „Wie das badiſche Volk in ſeiner überwiegenden Mehrheit bei Gelegenheit der In der heutigen Nummer der „Bad. Landesztg.“ leſen wir eine intereſſante <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0003" n="43"/><cb/> Beziehung ſind die Nachrichten welche in der ruſſiſchen Preſſe über ein Zwiegeſpräch<lb/> verbreitet ſind das der Prinz im Lyceum zu Moskau mit den Gründern des-<lb/> ſelben, den HH. M. N. Katkow und P. M. Leontjew, gehabt hat. Der Inhalt<lb/> dieſes Geſprächs nach den Mittheilungen der „Ruſſ. Welt“ iſt durch alle ruſſiſchen<lb/> Blätter gegangen. Nach dieſer Darſtellung ſoll der Prinz das Geſpräch von den<lb/> Angelegenheiten des Lyceums auf die „Moskauer Ztg.“ und die deutſchfeindliche<lb/> Haltung Katkows gebracht haben, mit dem gleichzeitigen Hinweis daß derſelbe<lb/> ebenſo gefürchtet als geachtet und geliebt ſei, worauf der viel bekannte Journaliſt<lb/> geantwortet habe: daß er und Leontjew auf deutſchen Univerſitäten ſtudiert<lb/> haben und die deutſche Cultur, die deutſche Wiſſenſchaft und den ſittlichen Bau<lb/> des deutſchen Lebens zu ſchätzen wiſſen, und daß die Tendenz der Redacteure der<lb/> „Moskauer Ztg.“ darauf gerichtet ſei nicht Rußland von der europäiſchen Cultur<lb/> abzuſchließen, ſondern dem Volke diejenigen Mittel der höheren Bildung zutheil<lb/> werden zu laſſen welche die Macht der deutſchen Cultur bilden. Auf die Bemer-<lb/> kung des Prinzen daß er nach dieſen Auseinanderſetzungen erkenne wie man Kat-<lb/> kow vielfach mißverſtehe, und auf die Frage: worin denn nun eigentlich die natio-<lb/> nale Richtung Katkows beſtehe, ſoll dieſer dann geantwortet haben: „In dem<lb/> Wunſche daß Rußland in ſeinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung ſeiner<lb/> Intereſſen ſelbſtändig ſei.“ „Wir laſſen — ſoll er hinzugefügt haben — uns in<lb/> unſern Meinungen von unſerem Intereſſe leiten, obwohl wir keineswegs die enra-<lb/> girten Deutſchenfreſſer ſind für die man uns in deutſchen Blättern ausgibt!“ Der<lb/> Prinz ſoll, dieſe Richtung mit den Worten: „In dieſem Sinn würde ich an Ihrer<lb/> Stelle der enragirteſte Ruſſe ſein!“ billigend, ſchließlich noch auf die deutſchen<lb/> Siege und die Fortſchritte Rußlands das Geſpräch gelenkt und als Quelle der Un-<lb/> zufriedenheit in Deutſchland mit Rußland die Abſchließung ſeiner Gränzen und<lb/> die übermäßige Beengung des Handels durch die Strenge des Tarifs bezeichnet<lb/> haben. Man ſieht ſchon nach dieſer Darſtellung des vielbeſprochenen Zwiegeſprächs<lb/> daß Hr. Katkow ſichtlich eingelenkt haben muß, und daß in dem Mann der Con-<lb/> verſation der Mann der Preſſe nicht mehr zu erkennen iſt. Die Sache gewinnt<lb/> aber noch eine ganz andere Beleuchtung, wenn ich Ihnen mittheile daß die Dar-<lb/> ſtellung des Zwiegeſprächs in den weſentlichſten Punkten falſch iſt. Ich ſtütze mich<lb/> bei dieſer Behauptung auf die Mittheilung von Ohrenzeugen, denen ich unbedingt<lb/> glauben darf. In Wahrheit war die Unterhaltung zwiſchen dem Prinzen und<lb/> Hrn. Katkow nur ſehr kurz, und der Prinz frug nach Beſichtigung des Lyceums<lb/> den bekannten Herrn nur beiläufig: wie es komme daß er (Hr. Katkow) die Deutſchen<lb/> ſo ſehr haſſe. Hierauf erwiederte der Redacteur der „Moskauer Ztg.:“ dieſe An-<lb/> nahme entſpreche nicht der Wirklichkeit, er ſei von der größten Verehrung für die<lb/> deutſche Nation und die Deutſchen erfüllt. Als Prinz Friedrich Karl hierauf Hrn.<lb/> Katkow bemerklich machte: er habe ſelbſt die gegen Deutſchland gerichteten höchſt<lb/> feindſeligen Artikel des Hrn. Katkow in den Zeitungen geleſen, verſchanzte ſich der<lb/> berühmte Journaliſt hinter der Behauptung: „Wenn jene Artikel einen feind-<lb/> ſeligen Anſtrich gehabt haben, ſo könne das nur auf Ueberſetzungsfehlern beruhen.<lb/> Er liebe und verehre die deutſche Ration, und wenn er gegen die Deutſchen pole-<lb/> miſch aufgetreten, ſo ſeien nur die Deutſchen in den Oſtſeeprovinzen damit gemeint<lb/> geweſen!“ Sie ſehen, Hr. Katkow hat eine gewaltige Schwenkung gemacht, die<lb/> er ſchwerlich wieder redreſſiren kann. Er ſcheut ſich ſogar nicht ſeine Vergangen-<lb/> heit abzuläugnen. Der Vorfall verdient beachtet zu werden, damit man ſeiner<lb/> Zeit darauf zurückkomme.</p><lb/> <p>Mit dem Hinabſinken des alten Jahrs wendet ſich von ſelbſt der Blick dem<lb/> neuen zu. Dem Finanzpolitiker tritt hierbei die erfreuliche Mittheilung entgegen<lb/> daß das Reichsbudget nicht nur kein Deficit, ſondern dießmal einen Ueberſchuß der<lb/> Einnahmen über die Ausgaben aufweiſen wird. Ob die Steuerreform, die Reform<lb/> der Preßgeſetzgebung und die Armeereform in dieſem Jahr eine Wahrheit werden,<lb/> möchte ich ſehr bezweifeln. Die Berathungen gehen ſehr langſam und ſchwer-<lb/> fällig vor ſich, wiewohl die Blätter oft genug aus den Beſchlüſſen der drei für jene<lb/> Gegenſtände eingeſetzten Commiſſionen Einzelheiten mittheilen. Die Commiſ-<lb/> ſionsberathungen über die Armeereform ſollen noch in den wenigen Tagen welche<lb/> vom alten Jahre übrig ſind beendet werden. Die Recrutirung vom Januar<lb/> 1873 wird noch nach dem früheren Modus vorgenommen werden und erſt im Herbſt<lb/> 1873 die erſte Aushebung nach den neuen Beſtimmungen des Geſetzes über die<lb/> allgemeine Wehrpflicht ſtattfinden. Ein beſonderes Capitel bilden die Vorſchriften<lb/> über die Aushebung der Juden.</p><lb/> <p>In Betreff der bevorſtehenden Recrutirung, bei welcher nach dem kaiſerlichen<lb/> Manifeſt in beiden Zonen des Reichs und im Königreich Polen 6 Mann von je<lb/> 1000 Seelen auszuheben ſind, bemerkt die „Ruſſ. Welt:“ daß eine ſo bedeutende<lb/> Aushebung durch die Verſtärkung Preußens bedingt werde, welche von uns eine<lb/> koloſſale Anſpannung der Kräfte verlange, da die frühere Stärke unſerer Armee<lb/> von 1 Million Mann nicht mehr genüge und die Zahl der Mannſchaften verdoppelt<lb/> werden müſſe. Aus dieſer Anſicht muß der Leſer nothwendigerweiſe die allarmi-<lb/> rendſten Schlußfolgerungen ziehen. Glücklicherweiſe iſt ſie grundfalſch. Schon<lb/> vor längerer Zeit wurde darauf aufmerkſam gemacht daß die nächſte Recrutirung<lb/> ſehr ſtark (es war genau die Zahl 6 Mann von 1000 angegeben) ausfallen werde,<lb/> um den Uebergang zu den Veränderungen zu ermöglichen welche durch die Militär-<lb/> reform angebahnt worden. Es liegt darin ſicher nichts allarmirendes. Neuer-<lb/> dings ſpricht man auch von Einſetzung einer neuen Commiſſion welche ſich mit der<lb/> Frage beſchäftigen ſoll: ob es zweckmäßig ſei an Stelle der Officiere die jetzt<lb/> Civilämter bekleiden Civilbeamte einzuſetzen. Dieſe Angelegenheit iſt für Ruß-<lb/> land von großer Tragweite, da Rußland gerade in dieſer Beziehung recht eigentlich<lb/> ein Militärſtaat iſt, indem viele der wichtigſten und einflußreichſten Civilämter<lb/> und ganze Kategorien von Beamtenſtellen, die in andern Ländern mit Civilbeamten<lb/> beſetzt werden, ſich in den Händen activer oder einſtweilen zur Dispoſition geſtellter<lb/> Militärs befinden, denen natürlich jede genügende Vor- und Durchbildung zu<lb/> ihrem Poſten abgeht, wenn ſie in denſelben eintreten. Die Folgen dieſer Aemter-<lb/> beſetzung auf den Geſchäftsgang laſſen ſich unſchwer abſehen.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Deutſches Reich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Aus Bayeru,</hi> 3 Jan.</dateline> <p>Viel Staub wurde in den letzten Tagen auf-<lb/> gewirbelt durch einen Erlaß des Cultusminiſters, wodurch die neue umgearbeitete<lb/><cb/> Auflage des Stadelbauer’ſchen Lehrbuchs der katholiſchen Religion zur Einführung<lb/> an den Gymnaſien des Königreichs genehmigt ward. Dieſe neue Auflage des<lb/> ſeit Jahrzehnten an den k. Studienanſtalten gebrauchten Religionslehrbuches<lb/> ſollte nämlich von dem Domcapitular Kronaſt in München, angeblich im Sinne<lb/> der jüngſten Concilsbeſchlüſſe, umgearbeitet worden ſein und nunmehr auch die<lb/> früher darin nicht enthaltene päpſtliche Unfehlbarkeit als bindenden Glaubensſatz<lb/> lehren. In Folge dieſer Annahme wurde das Lehrbuch in der neuen Auflage vom<lb/> Regierungspräſidenten der Oberpfalz für die Studienanſtalten ſeines Kreiſes ver-<lb/> boten, und vom Studienrector Erk in Regensburg den Schülern des dortigen<lb/> Gymnaſiums, die dasſelbe bereits hatten, kürzlich weggenommen. Durch den oben<lb/> erwähnten Erlaß des Cultusminiſters iſt jetzt der Regierungspräſident gezwungen<lb/> ſein Verbot wieder aufzuheben, und der Studienrector die confiscirten Bücher<lb/> zurückzugeben. Hr. v. Lutz aber mußte von Seite der liberalen Preſſe die<lb/> bitterſten Vorwürfe hören daß ſeine früheren Worte bei Gelegenheit der Beant-<lb/> wortung der Herz’ſchen Interpellation nicht zu ſeiner jetzigen That, der Genehmigung<lb/> des Religionslehrbuches, ſtimmten. Nun ſtellt ſich jedoch beraus daß dieſe Vorwürfe<lb/> unbegründet waren; die Münchener „Neueſt. Nachr.“ beſtätigen „nach eigener<lb/> Einſicht:“ daß die neue Auflage des Stadelbauer’ſchen Lehrbuchs „bereits vor Ver-<lb/> kündigung des neuen Dogma’s gedruckt und herausgegeben“ und „das neue Jeſuiten-<lb/> Dogma von der päpſtlichen Unfehlbarkeit daher auch nicht in dasſelbe eingeſchmuggelt“<lb/> worden ſei. — Die von der vereinigten klerikalen Kammerpartei herausgegebene<lb/> autographirte Correſpondenz kommt noch einmal auf die ihrer Partei gemachte<lb/> Inſinuation zu ſprechen, als ob dieſelbe eine Adreſſe, reſp. ein Mißtrauensvotum,<lb/> nicht beliebt habe aus Furcht vor Kammerauflöſung. „Wir wollen uns — ſchreibt<lb/> die Correſpondenz — ganz offen in die Karten ſehen laſſen, und ſagen was wir<lb/> fürchteten. Wir fürchteten die Regierung möchte uns heimſchicken ehe wir nur den<lb/> Mund aufmachen könnten, um öffentlich vor dem ganzen Lande Zeugniß davon<lb/> abzulegen welche Antwort der katholiſche Theil des bayeriſchen Volkes auf all das<lb/> unqualiſicirbare Gebahren ſeines Miniſteriums zu geben habe; wir fürchteten weiter<lb/> es möchte uns zum Schaden auch noch den Spott dareingeben, und das ganze Odium<lb/> welches aus der Verwirrung der unaufſchiebbaren, aber dann unerledigten Einführung<lb/> der Reichsgeſetze hätte folgen müſſen, auf uns abladen. Dieſe Gefahr iſt nun ver-<lb/> mieden, und mag jetzt die Regierung, ehe die Beſchwerde wegen verletzter Verfaſſung zur<lb/> Debatte kommt oder während derſelben die Kammer auflöſen, dann iſt das Odium<lb/> auf ihrer Seite, weil ſie ſich nicht getraut hat das Urtheil des Landes und ſeiner<lb/> Vertreter, ob ſie ſich der eclatanten Verfaſſungsverletzung ſchuldig gemacht habe,<lb/> über ſich ergehen zu laſſen, und kommt durch eine Kammerauflöſung abermals kein<lb/> Budget zu Stande, ſo liegt die Schuld dann offenbar nicht an der Kammer, ſondern<lb/> an der Regierung ganz allein.“ — Die kürzlich erwähnte Nachricht der „Donau-<lb/> Zeitung,“ daß <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Völk im Beſchwerdeausſchuß für eine Anklage der Miniſter ge-<lb/> ſtimmt habe, ſtellt ſich, wie vorauszuſehen war, als ein abſichtliches — oder unab-<lb/> ſichtliches — Mißverſtändniß heraus. (Siehe die folgende Correſpondenz.)</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><supplied>&#xfffc;</supplied><hi rendition="#b">München,</hi> 2 Jan.</dateline> <p>Der Beſchwerde-Ausſchuß der Kammer der Ab-<lb/> geordneten hat (wie bereits gemeldet) die Beſchwerde des Biſchofs von Augsburg<lb/> und eines Theils der Bewohner Merings für begründet erklärt. Dagegen ſtimm-<lb/> ten die drei liberalen Mitglieder des Ausſchuſſes, Völk, Dürrſchmidt und Louis,<lb/> welche den erſtgenannten mit der Abfaſſung eines Minderheitsgutachtens betrau-<lb/> ten. In der Ausſchußſitzung äußerte <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Völk die Anſicht: daß es ſich bei der vor-<lb/> liegenden Beſchwerde um eine Sache von ſo großer principieller Bedeutung handle,<lb/> wie ſie dem Ausſchuß höchſtens einmal — 1849 bez. des Belagerungsſtandes in der<lb/> Pfalz — vorlag, und daß, wenn dieſelbe begründet wäre, was ſie nach ſeiner<lb/> Anſicht <hi rendition="#g">nicht</hi> iſt, es ſich um die Verletzung der conſtitutionellen Rechte nicht<lb/> eines einzelnen Staatsbürgers, ſondern jener aller Katholiken handeln würde,<lb/> welche an den Concilsbeſchlüſſen feſthalten; es hätten dann in dieſem Falle die Mi-<lb/> niſter die Verfaſſung principiell verletzt, und wenn eine ſolche Verletzung vorläge<lb/> — was er entſchieden beſtreite — dann müßte man, um den unverhohlenen Zweck,<lb/> den Sturz des Miniſteriums, zu erreichen, den Weg der Anklage beſchreiten — nur<lb/> das wäre correct geweſen. Hierauf aber hatten die Herren der Mehrheit des Aus-<lb/> ſchuſſes erklärt: daß ſie eine Miniſteranklage <hi rendition="#g">nicht</hi> erheben wollten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Aus Baden,</hi> 1 Januar.</dateline> <p>Die von der nationalliberalen Partei heraus-<lb/> gegebene „Badiſche Correſpondenz“ bringt zum Jahresſchluß „Landtagsbetrach-<lb/> tungen,“ denen wir folgende Stellen entnehmen:</p><lb/> <cit> <quote>„Wie das badiſche Volk in ſeiner überwiegenden Mehrheit bei Gelegenheit der<lb/> auf neuer weiterer Grundlage vollzogenen Wahlen der Richtung treu geblieben iſt die<lb/> ſeit Jahren als Ziel der badiſchen Politik vorgeleuchtet hat, ſo entſprach natürlich auch<lb/> das jüngſte Auftreten der großen compacten Mehrheit des neuen Landtages den Tra-<lb/> ditionen ſeiner Vorläufer. … Mit unbedeutender Verſtärkung iſt die klerikale Minder-<lb/> heit in den neuen Landtag eingetreten: die ſogenannte „katholiſche Volkspartei“ zählt<lb/> neun Mann. Die Haltung dieſer Ultramontanen, wie ſie ſich freilich nicht gern nennen<lb/> laſſen, geſtaltete ſich gleich bei Beginn der Seſſion und beſonders in der Adreßdebatte<lb/> als eine ganz eigenthümliche, die von dem früheren Auftreten der Herren weſentlich ab-<lb/> ſtach. Das war nicht mehr jene ſelbſtbewußte <hi rendition="#aq">ecclesia militans</hi> die ihrer Macht ein-<lb/> gedenk kampfesmuthig ihre Kämpen auf die Walſtatt entſendet, vielmehr gieng ein<lb/> dem Wimmern und Wehklagen ähnlicher Ton durch die Reden beſagten Häufleins,<lb/> welcher erkennen läßt daß die Getrenen des unfehlbaren Pontifer fühlen: es ſtehe nim-<lb/> mer gut mit ihrer Sache. Das Mitleid ſuchte man rege zu machen für das „arme ge-<lb/> knechtete katholiſche Volk und die beraubte Kirche,“ freilich ohne daß dieſer Ton in ſeiner<lb/> innern Unwahrheit irgendeinen gewünſchten Eindruck machen konnte. Salbungsvoll<lb/> verſtieg ſich ein klerikaler Redner zu einem draſtiſchen Bilde welches das Mitleiden er-<lb/> regen ſollte: wenn man von der Trennung der Kirche vom Staat ſpreche, ſo ſei dieß<lb/> wie wenn zwei gute Cameraden bisher mit einander in Liebe und Freundſchaft gewan-<lb/> dert ſeien, und vor beſchloſſener Trennung der eine den andern beraube und bis aufs<lb/> Hemd ausziehe, um ihn dann ſo entblößt von ſich zu weiſen. Der Vergleich hinkt;<lb/> freundſchaftlich neben einander hingehen können ja Staat und Kirche, auch wenn ſie ge-<lb/> trennt ſind, und eine Beraubung der Kirche liegt dem Staate fern. Allerdings ſind die<lb/> Anſichten darüber was der Kirche gehört verſchieden, der Infallibiliſt fordert ja für ſie<lb/> nicht viel weniger als alles bis zur Oberherrſchaft über Geſetz und Staat ſelbſt. Wenn<lb/> der Staat jegliche Einwirkung auf ſeine Gebiete der Kirche entzieht, ſo thut er nur was<lb/> er ſeinem innern Weſen nach thun muß, und thut damit zugleich der Kirche und ihrem<lb/> Zwecke, der Religion ſelber, den größten Dienſt.“</quote> </cit><lb/> <p>In der heutigen Nummer der „Bad. Landesztg.“ leſen wir eine intereſſante<lb/> Correſpondenz, in welcher die allerdings auffallend ſanftmüthige Haltung der<lb/> ultramontanen Partei in Baden durch eine in dieſer Beziehung von Rom aus er-<lb/> gangene Weiſung erklärt wird. In Rom habe man demnach den in der Geſchichte<lb/> der kirchlichen Herrſchaft begründeten Satz zur Geltung gebracht, ſpeciell für die<lb/> Agitation in Baden und theilweiſe auch im Reich günſtigere Zeiten abzuwarten,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0003]
Beziehung ſind die Nachrichten welche in der ruſſiſchen Preſſe über ein Zwiegeſpräch
verbreitet ſind das der Prinz im Lyceum zu Moskau mit den Gründern des-
ſelben, den HH. M. N. Katkow und P. M. Leontjew, gehabt hat. Der Inhalt
dieſes Geſprächs nach den Mittheilungen der „Ruſſ. Welt“ iſt durch alle ruſſiſchen
Blätter gegangen. Nach dieſer Darſtellung ſoll der Prinz das Geſpräch von den
Angelegenheiten des Lyceums auf die „Moskauer Ztg.“ und die deutſchfeindliche
Haltung Katkows gebracht haben, mit dem gleichzeitigen Hinweis daß derſelbe
ebenſo gefürchtet als geachtet und geliebt ſei, worauf der viel bekannte Journaliſt
geantwortet habe: daß er und Leontjew auf deutſchen Univerſitäten ſtudiert
haben und die deutſche Cultur, die deutſche Wiſſenſchaft und den ſittlichen Bau
des deutſchen Lebens zu ſchätzen wiſſen, und daß die Tendenz der Redacteure der
„Moskauer Ztg.“ darauf gerichtet ſei nicht Rußland von der europäiſchen Cultur
abzuſchließen, ſondern dem Volke diejenigen Mittel der höheren Bildung zutheil
werden zu laſſen welche die Macht der deutſchen Cultur bilden. Auf die Bemer-
kung des Prinzen daß er nach dieſen Auseinanderſetzungen erkenne wie man Kat-
kow vielfach mißverſtehe, und auf die Frage: worin denn nun eigentlich die natio-
nale Richtung Katkows beſtehe, ſoll dieſer dann geantwortet haben: „In dem
Wunſche daß Rußland in ſeinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung ſeiner
Intereſſen ſelbſtändig ſei.“ „Wir laſſen — ſoll er hinzugefügt haben — uns in
unſern Meinungen von unſerem Intereſſe leiten, obwohl wir keineswegs die enra-
girten Deutſchenfreſſer ſind für die man uns in deutſchen Blättern ausgibt!“ Der
Prinz ſoll, dieſe Richtung mit den Worten: „In dieſem Sinn würde ich an Ihrer
Stelle der enragirteſte Ruſſe ſein!“ billigend, ſchließlich noch auf die deutſchen
Siege und die Fortſchritte Rußlands das Geſpräch gelenkt und als Quelle der Un-
zufriedenheit in Deutſchland mit Rußland die Abſchließung ſeiner Gränzen und
die übermäßige Beengung des Handels durch die Strenge des Tarifs bezeichnet
haben. Man ſieht ſchon nach dieſer Darſtellung des vielbeſprochenen Zwiegeſprächs
daß Hr. Katkow ſichtlich eingelenkt haben muß, und daß in dem Mann der Con-
verſation der Mann der Preſſe nicht mehr zu erkennen iſt. Die Sache gewinnt
aber noch eine ganz andere Beleuchtung, wenn ich Ihnen mittheile daß die Dar-
ſtellung des Zwiegeſprächs in den weſentlichſten Punkten falſch iſt. Ich ſtütze mich
bei dieſer Behauptung auf die Mittheilung von Ohrenzeugen, denen ich unbedingt
glauben darf. In Wahrheit war die Unterhaltung zwiſchen dem Prinzen und
Hrn. Katkow nur ſehr kurz, und der Prinz frug nach Beſichtigung des Lyceums
den bekannten Herrn nur beiläufig: wie es komme daß er (Hr. Katkow) die Deutſchen
ſo ſehr haſſe. Hierauf erwiederte der Redacteur der „Moskauer Ztg.:“ dieſe An-
nahme entſpreche nicht der Wirklichkeit, er ſei von der größten Verehrung für die
deutſche Nation und die Deutſchen erfüllt. Als Prinz Friedrich Karl hierauf Hrn.
Katkow bemerklich machte: er habe ſelbſt die gegen Deutſchland gerichteten höchſt
feindſeligen Artikel des Hrn. Katkow in den Zeitungen geleſen, verſchanzte ſich der
berühmte Journaliſt hinter der Behauptung: „Wenn jene Artikel einen feind-
ſeligen Anſtrich gehabt haben, ſo könne das nur auf Ueberſetzungsfehlern beruhen.
Er liebe und verehre die deutſche Ration, und wenn er gegen die Deutſchen pole-
miſch aufgetreten, ſo ſeien nur die Deutſchen in den Oſtſeeprovinzen damit gemeint
geweſen!“ Sie ſehen, Hr. Katkow hat eine gewaltige Schwenkung gemacht, die
er ſchwerlich wieder redreſſiren kann. Er ſcheut ſich ſogar nicht ſeine Vergangen-
heit abzuläugnen. Der Vorfall verdient beachtet zu werden, damit man ſeiner
Zeit darauf zurückkomme.
Mit dem Hinabſinken des alten Jahrs wendet ſich von ſelbſt der Blick dem
neuen zu. Dem Finanzpolitiker tritt hierbei die erfreuliche Mittheilung entgegen
daß das Reichsbudget nicht nur kein Deficit, ſondern dießmal einen Ueberſchuß der
Einnahmen über die Ausgaben aufweiſen wird. Ob die Steuerreform, die Reform
der Preßgeſetzgebung und die Armeereform in dieſem Jahr eine Wahrheit werden,
möchte ich ſehr bezweifeln. Die Berathungen gehen ſehr langſam und ſchwer-
fällig vor ſich, wiewohl die Blätter oft genug aus den Beſchlüſſen der drei für jene
Gegenſtände eingeſetzten Commiſſionen Einzelheiten mittheilen. Die Commiſ-
ſionsberathungen über die Armeereform ſollen noch in den wenigen Tagen welche
vom alten Jahre übrig ſind beendet werden. Die Recrutirung vom Januar
1873 wird noch nach dem früheren Modus vorgenommen werden und erſt im Herbſt
1873 die erſte Aushebung nach den neuen Beſtimmungen des Geſetzes über die
allgemeine Wehrpflicht ſtattfinden. Ein beſonderes Capitel bilden die Vorſchriften
über die Aushebung der Juden.
In Betreff der bevorſtehenden Recrutirung, bei welcher nach dem kaiſerlichen
Manifeſt in beiden Zonen des Reichs und im Königreich Polen 6 Mann von je
1000 Seelen auszuheben ſind, bemerkt die „Ruſſ. Welt:“ daß eine ſo bedeutende
Aushebung durch die Verſtärkung Preußens bedingt werde, welche von uns eine
koloſſale Anſpannung der Kräfte verlange, da die frühere Stärke unſerer Armee
von 1 Million Mann nicht mehr genüge und die Zahl der Mannſchaften verdoppelt
werden müſſe. Aus dieſer Anſicht muß der Leſer nothwendigerweiſe die allarmi-
rendſten Schlußfolgerungen ziehen. Glücklicherweiſe iſt ſie grundfalſch. Schon
vor längerer Zeit wurde darauf aufmerkſam gemacht daß die nächſte Recrutirung
ſehr ſtark (es war genau die Zahl 6 Mann von 1000 angegeben) ausfallen werde,
um den Uebergang zu den Veränderungen zu ermöglichen welche durch die Militär-
reform angebahnt worden. Es liegt darin ſicher nichts allarmirendes. Neuer-
dings ſpricht man auch von Einſetzung einer neuen Commiſſion welche ſich mit der
Frage beſchäftigen ſoll: ob es zweckmäßig ſei an Stelle der Officiere die jetzt
Civilämter bekleiden Civilbeamte einzuſetzen. Dieſe Angelegenheit iſt für Ruß-
land von großer Tragweite, da Rußland gerade in dieſer Beziehung recht eigentlich
ein Militärſtaat iſt, indem viele der wichtigſten und einflußreichſten Civilämter
und ganze Kategorien von Beamtenſtellen, die in andern Ländern mit Civilbeamten
beſetzt werden, ſich in den Händen activer oder einſtweilen zur Dispoſition geſtellter
Militärs befinden, denen natürlich jede genügende Vor- und Durchbildung zu
ihrem Poſten abgeht, wenn ſie in denſelben eintreten. Die Folgen dieſer Aemter-
beſetzung auf den Geſchäftsgang laſſen ſich unſchwer abſehen.
Deutſches Reich.
* Aus Bayeru, 3 Jan.Viel Staub wurde in den letzten Tagen auf-
gewirbelt durch einen Erlaß des Cultusminiſters, wodurch die neue umgearbeitete
Auflage des Stadelbauer’ſchen Lehrbuchs der katholiſchen Religion zur Einführung
an den Gymnaſien des Königreichs genehmigt ward. Dieſe neue Auflage des
ſeit Jahrzehnten an den k. Studienanſtalten gebrauchten Religionslehrbuches
ſollte nämlich von dem Domcapitular Kronaſt in München, angeblich im Sinne
der jüngſten Concilsbeſchlüſſe, umgearbeitet worden ſein und nunmehr auch die
früher darin nicht enthaltene päpſtliche Unfehlbarkeit als bindenden Glaubensſatz
lehren. In Folge dieſer Annahme wurde das Lehrbuch in der neuen Auflage vom
Regierungspräſidenten der Oberpfalz für die Studienanſtalten ſeines Kreiſes ver-
boten, und vom Studienrector Erk in Regensburg den Schülern des dortigen
Gymnaſiums, die dasſelbe bereits hatten, kürzlich weggenommen. Durch den oben
erwähnten Erlaß des Cultusminiſters iſt jetzt der Regierungspräſident gezwungen
ſein Verbot wieder aufzuheben, und der Studienrector die confiscirten Bücher
zurückzugeben. Hr. v. Lutz aber mußte von Seite der liberalen Preſſe die
bitterſten Vorwürfe hören daß ſeine früheren Worte bei Gelegenheit der Beant-
wortung der Herz’ſchen Interpellation nicht zu ſeiner jetzigen That, der Genehmigung
des Religionslehrbuches, ſtimmten. Nun ſtellt ſich jedoch beraus daß dieſe Vorwürfe
unbegründet waren; die Münchener „Neueſt. Nachr.“ beſtätigen „nach eigener
Einſicht:“ daß die neue Auflage des Stadelbauer’ſchen Lehrbuchs „bereits vor Ver-
kündigung des neuen Dogma’s gedruckt und herausgegeben“ und „das neue Jeſuiten-
Dogma von der päpſtlichen Unfehlbarkeit daher auch nicht in dasſelbe eingeſchmuggelt“
worden ſei. — Die von der vereinigten klerikalen Kammerpartei herausgegebene
autographirte Correſpondenz kommt noch einmal auf die ihrer Partei gemachte
Inſinuation zu ſprechen, als ob dieſelbe eine Adreſſe, reſp. ein Mißtrauensvotum,
nicht beliebt habe aus Furcht vor Kammerauflöſung. „Wir wollen uns — ſchreibt
die Correſpondenz — ganz offen in die Karten ſehen laſſen, und ſagen was wir
fürchteten. Wir fürchteten die Regierung möchte uns heimſchicken ehe wir nur den
Mund aufmachen könnten, um öffentlich vor dem ganzen Lande Zeugniß davon
abzulegen welche Antwort der katholiſche Theil des bayeriſchen Volkes auf all das
unqualiſicirbare Gebahren ſeines Miniſteriums zu geben habe; wir fürchteten weiter
es möchte uns zum Schaden auch noch den Spott dareingeben, und das ganze Odium
welches aus der Verwirrung der unaufſchiebbaren, aber dann unerledigten Einführung
der Reichsgeſetze hätte folgen müſſen, auf uns abladen. Dieſe Gefahr iſt nun ver-
mieden, und mag jetzt die Regierung, ehe die Beſchwerde wegen verletzter Verfaſſung zur
Debatte kommt oder während derſelben die Kammer auflöſen, dann iſt das Odium
auf ihrer Seite, weil ſie ſich nicht getraut hat das Urtheil des Landes und ſeiner
Vertreter, ob ſie ſich der eclatanten Verfaſſungsverletzung ſchuldig gemacht habe,
über ſich ergehen zu laſſen, und kommt durch eine Kammerauflöſung abermals kein
Budget zu Stande, ſo liegt die Schuld dann offenbar nicht an der Kammer, ſondern
an der Regierung ganz allein.“ — Die kürzlich erwähnte Nachricht der „Donau-
Zeitung,“ daß Dr. Völk im Beſchwerdeausſchuß für eine Anklage der Miniſter ge-
ſtimmt habe, ſtellt ſich, wie vorauszuſehen war, als ein abſichtliches — oder unab-
ſichtliches — Mißverſtändniß heraus. (Siehe die folgende Correſpondenz.)
 München, 2 Jan.Der Beſchwerde-Ausſchuß der Kammer der Ab-
geordneten hat (wie bereits gemeldet) die Beſchwerde des Biſchofs von Augsburg
und eines Theils der Bewohner Merings für begründet erklärt. Dagegen ſtimm-
ten die drei liberalen Mitglieder des Ausſchuſſes, Völk, Dürrſchmidt und Louis,
welche den erſtgenannten mit der Abfaſſung eines Minderheitsgutachtens betrau-
ten. In der Ausſchußſitzung äußerte Dr. Völk die Anſicht: daß es ſich bei der vor-
liegenden Beſchwerde um eine Sache von ſo großer principieller Bedeutung handle,
wie ſie dem Ausſchuß höchſtens einmal — 1849 bez. des Belagerungsſtandes in der
Pfalz — vorlag, und daß, wenn dieſelbe begründet wäre, was ſie nach ſeiner
Anſicht nicht iſt, es ſich um die Verletzung der conſtitutionellen Rechte nicht
eines einzelnen Staatsbürgers, ſondern jener aller Katholiken handeln würde,
welche an den Concilsbeſchlüſſen feſthalten; es hätten dann in dieſem Falle die Mi-
niſter die Verfaſſung principiell verletzt, und wenn eine ſolche Verletzung vorläge
— was er entſchieden beſtreite — dann müßte man, um den unverhohlenen Zweck,
den Sturz des Miniſteriums, zu erreichen, den Weg der Anklage beſchreiten — nur
das wäre correct geweſen. Hierauf aber hatten die Herren der Mehrheit des Aus-
ſchuſſes erklärt: daß ſie eine Miniſteranklage nicht erheben wollten.
* Aus Baden, 1 Januar.Die von der nationalliberalen Partei heraus-
gegebene „Badiſche Correſpondenz“ bringt zum Jahresſchluß „Landtagsbetrach-
tungen,“ denen wir folgende Stellen entnehmen:
„Wie das badiſche Volk in ſeiner überwiegenden Mehrheit bei Gelegenheit der
auf neuer weiterer Grundlage vollzogenen Wahlen der Richtung treu geblieben iſt die
ſeit Jahren als Ziel der badiſchen Politik vorgeleuchtet hat, ſo entſprach natürlich auch
das jüngſte Auftreten der großen compacten Mehrheit des neuen Landtages den Tra-
ditionen ſeiner Vorläufer. … Mit unbedeutender Verſtärkung iſt die klerikale Minder-
heit in den neuen Landtag eingetreten: die ſogenannte „katholiſche Volkspartei“ zählt
neun Mann. Die Haltung dieſer Ultramontanen, wie ſie ſich freilich nicht gern nennen
laſſen, geſtaltete ſich gleich bei Beginn der Seſſion und beſonders in der Adreßdebatte
als eine ganz eigenthümliche, die von dem früheren Auftreten der Herren weſentlich ab-
ſtach. Das war nicht mehr jene ſelbſtbewußte ecclesia militans die ihrer Macht ein-
gedenk kampfesmuthig ihre Kämpen auf die Walſtatt entſendet, vielmehr gieng ein
dem Wimmern und Wehklagen ähnlicher Ton durch die Reden beſagten Häufleins,
welcher erkennen läßt daß die Getrenen des unfehlbaren Pontifer fühlen: es ſtehe nim-
mer gut mit ihrer Sache. Das Mitleid ſuchte man rege zu machen für das „arme ge-
knechtete katholiſche Volk und die beraubte Kirche,“ freilich ohne daß dieſer Ton in ſeiner
innern Unwahrheit irgendeinen gewünſchten Eindruck machen konnte. Salbungsvoll
verſtieg ſich ein klerikaler Redner zu einem draſtiſchen Bilde welches das Mitleiden er-
regen ſollte: wenn man von der Trennung der Kirche vom Staat ſpreche, ſo ſei dieß
wie wenn zwei gute Cameraden bisher mit einander in Liebe und Freundſchaft gewan-
dert ſeien, und vor beſchloſſener Trennung der eine den andern beraube und bis aufs
Hemd ausziehe, um ihn dann ſo entblößt von ſich zu weiſen. Der Vergleich hinkt;
freundſchaftlich neben einander hingehen können ja Staat und Kirche, auch wenn ſie ge-
trennt ſind, und eine Beraubung der Kirche liegt dem Staate fern. Allerdings ſind die
Anſichten darüber was der Kirche gehört verſchieden, der Infallibiliſt fordert ja für ſie
nicht viel weniger als alles bis zur Oberherrſchaft über Geſetz und Staat ſelbſt. Wenn
der Staat jegliche Einwirkung auf ſeine Gebiete der Kirche entzieht, ſo thut er nur was
er ſeinem innern Weſen nach thun muß, und thut damit zugleich der Kirche und ihrem
Zwecke, der Religion ſelber, den größten Dienſt.“
In der heutigen Nummer der „Bad. Landesztg.“ leſen wir eine intereſſante
Correſpondenz, in welcher die allerdings auffallend ſanftmüthige Haltung der
ultramontanen Partei in Baden durch eine in dieſer Beziehung von Rom aus er-
gangene Weiſung erklärt wird. In Rom habe man demnach den in der Geſchichte
der kirchlichen Herrſchaft begründeten Satz zur Geltung gebracht, ſpeciell für die
Agitation in Baden und theilweiſe auch im Reich günſtigere Zeiten abzuwarten,
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(2022-02-11T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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