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Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] Beziehung sind die Nachrichten welche in der russischen Presse über ein Zwiegespräch
verbreitet sind das der Prinz im Lyceum zu Moskau mit den Gründern des-
selben, den HH. M. N. Katkow und P. M. Leontjew, gehabt hat. Der Inhalt
dieses Gesprächs nach den Mittheilungen der "Russ. Welt" ist durch alle russischen
Blätter gegangen. Nach dieser Darstellung soll der Prinz das Gespräch von den
Angelegenheiten des Lyceums auf die "Moskauer Ztg." und die deutschfeindliche
Haltung Katkows gebracht haben, mit dem gleichzeitigen Hinweis daß derselbe
ebenso gefürchtet als geachtet und geliebt sei, worauf der viel bekannte Journalist
geantwortet habe: daß er und Leontjew auf deutschen Universitäten studiert
haben und die deutsche Cultur, die deutsche Wissenschaft und den sittlichen Bau
des deutschen Lebens zu schätzen wissen, und daß die Tendenz der Redacteure der
"Moskauer Ztg." darauf gerichtet sei nicht Rußland von der europäischen Cultur
abzuschließen, sondern dem Volke diejenigen Mittel der höheren Bildung zutheil
werden zu lassen welche die Macht der deutschen Cultur bilden. Auf die Bemer-
kung des Prinzen daß er nach diesen Auseinandersetzungen erkenne wie man Kat-
kow vielfach mißverstehe, und auf die Frage: worin denn nun eigentlich die natio-
nale Richtung Katkows bestehe, soll dieser dann geantwortet haben: "In dem
Wunsche daß Rußland in seinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung seiner
Interessen selbständig sei." "Wir lassen -- soll er hinzugefügt haben -- uns in
unsern Meinungen von unserem Interesse leiten, obwohl wir keineswegs die enra-
girten Deutschenfresser sind für die man uns in deutschen Blättern ausgibt!" Der
Prinz soll, diese Richtung mit den Worten: "In diesem Sinn würde ich an Ihrer
Stelle der enragirteste Russe sein!" billigend, schließlich noch auf die deutschen
Siege und die Fortschritte Rußlands das Gespräch gelenkt und als Quelle der Un-
zufriedenheit in Deutschland mit Rußland die Abschließung seiner Gränzen und
die übermäßige Beengung des Handels durch die Strenge des Tarifs bezeichnet
haben. Man sieht schon nach dieser Darstellung des vielbesprochenen Zwiegesprächs
daß Hr. Katkow sichtlich eingelenkt haben muß, und daß in dem Mann der Con-
versation der Mann der Presse nicht mehr zu erkennen ist. Die Sache gewinnt
aber noch eine ganz andere Beleuchtung, wenn ich Ihnen mittheile daß die Dar-
stellung des Zwiegesprächs in den wesentlichsten Punkten falsch ist. Ich stütze mich
bei dieser Behauptung auf die Mittheilung von Ohrenzeugen, denen ich unbedingt
glauben darf. In Wahrheit war die Unterhaltung zwischen dem Prinzen und
Hrn. Katkow nur sehr kurz, und der Prinz frug nach Besichtigung des Lyceums
den bekannten Herrn nur beiläufig: wie es komme daß er (Hr. Katkow) die Deutschen
so sehr hasse. Hierauf erwiederte der Redacteur der "Moskauer Ztg.:" diese An-
nahme entspreche nicht der Wirklichkeit, er sei von der größten Verehrung für die
deutsche Nation und die Deutschen erfüllt. Als Prinz Friedrich Karl hierauf Hrn.
Katkow bemerklich machte: er habe selbst die gegen Deutschland gerichteten höchst
feindseligen Artikel des Hrn. Katkow in den Zeitungen gelesen, verschanzte sich der
berühmte Journalist hinter der Behauptung: "Wenn jene Artikel einen feind-
seligen Anstrich gehabt haben, so könne das nur auf Uebersetzungsfehlern beruhen.
Er liebe und verehre die deutsche Ration, und wenn er gegen die Deutschen pole-
misch aufgetreten, so seien nur die Deutschen in den Ostseeprovinzen damit gemeint
gewesen!" Sie sehen, Hr. Katkow hat eine gewaltige Schwenkung gemacht, die
er schwerlich wieder redressiren kann. Er scheut sich sogar nicht seine Vergangen-
heit abzuläugnen. Der Vorfall verdient beachtet zu werden, damit man seiner
Zeit darauf zurückkomme.

Mit dem Hinabsinken des alten Jahrs wendet sich von selbst der Blick dem
neuen zu. Dem Finanzpolitiker tritt hierbei die erfreuliche Mittheilung entgegen
daß das Reichsbudget nicht nur kein Deficit, sondern dießmal einen Ueberschuß der
Einnahmen über die Ausgaben aufweisen wird. Ob die Steuerreform, die Reform
der Preßgesetzgebung und die Armeereform in diesem Jahr eine Wahrheit werden,
möchte ich sehr bezweifeln. Die Berathungen gehen sehr langsam und schwer-
fällig vor sich, wiewohl die Blätter oft genug aus den Beschlüssen der drei für jene
Gegenstände eingesetzten Commissionen Einzelheiten mittheilen. Die Commis-
sionsberathungen über die Armeereform sollen noch in den wenigen Tagen welche
vom alten Jahre übrig sind beendet werden. Die Recrutirung vom Januar
1873 wird noch nach dem früheren Modus vorgenommen werden und erst im Herbst
1873 die erste Aushebung nach den neuen Bestimmungen des Gesetzes über die
allgemeine Wehrpflicht stattfinden. Ein besonderes Capitel bilden die Vorschriften
über die Aushebung der Juden.

In Betreff der bevorstehenden Recrutirung, bei welcher nach dem kaiserlichen
Manifest in beiden Zonen des Reichs und im Königreich Polen 6 Mann von je
1000 Seelen auszuheben sind, bemerkt die "Russ. Welt:" daß eine so bedeutende
Aushebung durch die Verstärkung Preußens bedingt werde, welche von uns eine
kolossale Anspannung der Kräfte verlange, da die frühere Stärke unserer Armee
von 1 Million Mann nicht mehr genüge und die Zahl der Mannschaften verdoppelt
werden müsse. Aus dieser Ansicht muß der Leser nothwendigerweise die allarmi-
rendsten Schlußfolgerungen ziehen. Glücklicherweise ist sie grundfalsch. Schon
vor längerer Zeit wurde darauf aufmerksam gemacht daß die nächste Recrutirung
sehr stark (es war genau die Zahl 6 Mann von 1000 angegeben) ausfallen werde,
um den Uebergang zu den Veränderungen zu ermöglichen welche durch die Militär-
reform angebahnt worden. Es liegt darin sicher nichts allarmirendes. Neuer-
dings spricht man auch von Einsetzung einer neuen Commission welche sich mit der
Frage beschäftigen soll: ob es zweckmäßig sei an Stelle der Officiere die jetzt
Civilämter bekleiden Civilbeamte einzusetzen. Diese Angelegenheit ist für Ruß-
land von großer Tragweite, da Rußland gerade in dieser Beziehung recht eigentlich
ein Militärstaat ist, indem viele der wichtigsten und einflußreichsten Civilämter
und ganze Kategorien von Beamtenstellen, die in andern Ländern mit Civilbeamten
besetzt werden, sich in den Händen activer oder einstweilen zur Disposition gestellter
Militärs befinden, denen natürlich jede genügende Vor- und Durchbildung zu
ihrem Posten abgeht, wenn sie in denselben eintreten. Die Folgen dieser Aemter-
besetzung auf den Geschäftsgang lassen sich unschwer absehen.



Deutsches Reich.

Viel Staub wurde in den letzten Tagen auf-
gewirbelt durch einen Erlaß des Cultusministers, wodurch die neue umgearbeitete
[Spaltenumbruch] Auflage des Stadelbauer'schen Lehrbuchs der katholischen Religion zur Einführung
an den Gymnasien des Königreichs genehmigt ward. Diese neue Auflage des
seit Jahrzehnten an den k. Studienanstalten gebrauchten Religionslehrbuches
sollte nämlich von dem Domcapitular Kronast in München, angeblich im Sinne
der jüngsten Concilsbeschlüsse, umgearbeitet worden sein und nunmehr auch die
früher darin nicht enthaltene päpstliche Unfehlbarkeit als bindenden Glaubenssatz
lehren. In Folge dieser Annahme wurde das Lehrbuch in der neuen Auflage vom
Regierungspräsidenten der Oberpfalz für die Studienanstalten seines Kreises ver-
boten, und vom Studienrector Erk in Regensburg den Schülern des dortigen
Gymnasiums, die dasselbe bereits hatten, kürzlich weggenommen. Durch den oben
erwähnten Erlaß des Cultusministers ist jetzt der Regierungspräsident gezwungen
sein Verbot wieder aufzuheben, und der Studienrector die confiscirten Bücher
zurückzugeben. Hr. v. Lutz aber mußte von Seite der liberalen Presse die
bittersten Vorwürfe hören daß seine früheren Worte bei Gelegenheit der Beant-
wortung der Herz'schen Interpellation nicht zu seiner jetzigen That, der Genehmigung
des Religionslehrbuches, stimmten. Nun stellt sich jedoch beraus daß diese Vorwürfe
unbegründet waren; die Münchener "Neuest. Nachr." bestätigen "nach eigener
Einsicht:" daß die neue Auflage des Stadelbauer'schen Lehrbuchs "bereits vor Ver-
kündigung des neuen Dogma's gedruckt und herausgegeben" und "das neue Jesuiten-
Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit daher auch nicht in dasselbe eingeschmuggelt"
worden sei. -- Die von der vereinigten klerikalen Kammerpartei herausgegebene
autographirte Correspondenz kommt noch einmal auf die ihrer Partei gemachte
Insinuation zu sprechen, als ob dieselbe eine Adresse, resp. ein Mißtrauensvotum,
nicht beliebt habe aus Furcht vor Kammerauflösung. "Wir wollen uns -- schreibt
die Correspondenz -- ganz offen in die Karten sehen lassen, und sagen was wir
fürchteten. Wir fürchteten die Regierung möchte uns heimschicken ehe wir nur den
Mund aufmachen könnten, um öffentlich vor dem ganzen Lande Zeugniß davon
abzulegen welche Antwort der katholische Theil des bayerischen Volkes auf all das
unqualisicirbare Gebahren seines Ministeriums zu geben habe; wir fürchteten weiter
es möchte uns zum Schaden auch noch den Spott dareingeben, und das ganze Odium
welches aus der Verwirrung der unaufschiebbaren, aber dann unerledigten Einführung
der Reichsgesetze hätte folgen müssen, auf uns abladen. Diese Gefahr ist nun ver-
mieden, und mag jetzt die Regierung, ehe die Beschwerde wegen verletzter Verfassung zur
Debatte kommt oder während derselben die Kammer auflösen, dann ist das Odium
auf ihrer Seite, weil sie sich nicht getraut hat das Urtheil des Landes und seiner
Vertreter, ob sie sich der eclatanten Verfassungsverletzung schuldig gemacht habe,
über sich ergehen zu lassen, und kommt durch eine Kammerauflösung abermals kein
Budget zu Stande, so liegt die Schuld dann offenbar nicht an der Kammer, sondern
an der Regierung ganz allein." -- Die kürzlich erwähnte Nachricht der "Donau-
Zeitung," daß Dr. Völk im Beschwerdeausschuß für eine Anklage der Minister ge-
stimmt habe, stellt sich, wie vorauszusehen war, als ein absichtliches -- oder unab-
sichtliches -- Mißverständniß heraus. (Siehe die folgende Correspondenz.)

Der Beschwerde-Ausschuß der Kammer der Ab-
geordneten hat (wie bereits gemeldet) die Beschwerde des Bischofs von Augsburg
und eines Theils der Bewohner Merings für begründet erklärt. Dagegen stimm-
ten die drei liberalen Mitglieder des Ausschusses, Völk, Dürrschmidt und Louis,
welche den erstgenannten mit der Abfassung eines Minderheitsgutachtens betrau-
ten. In der Ausschußsitzung äußerte Dr. Völk die Ansicht: daß es sich bei der vor-
liegenden Beschwerde um eine Sache von so großer principieller Bedeutung handle,
wie sie dem Ausschuß höchstens einmal -- 1849 bez. des Belagerungsstandes in der
Pfalz -- vorlag, und daß, wenn dieselbe begründet wäre, was sie nach seiner
Ansicht nicht ist, es sich um die Verletzung der constitutionellen Rechte nicht
eines einzelnen Staatsbürgers, sondern jener aller Katholiken handeln würde,
welche an den Concilsbeschlüssen festhalten; es hätten dann in diesem Falle die Mi-
nister die Verfassung principiell verletzt, und wenn eine solche Verletzung vorläge
-- was er entschieden bestreite -- dann müßte man, um den unverhohlenen Zweck,
den Sturz des Ministeriums, zu erreichen, den Weg der Anklage beschreiten -- nur
das wäre correct gewesen. Hierauf aber hatten die Herren der Mehrheit des Aus-
schusses erklärt: daß sie eine Ministeranklage nicht erheben wollten.

Die von der nationalliberalen Partei heraus-
gegebene "Badische Correspondenz" bringt zum Jahresschluß "Landtagsbetrach-
tungen," denen wir folgende Stellen entnehmen:

"Wie das badische Volk in seiner überwiegenden Mehrheit bei Gelegenheit der
auf neuer weiterer Grundlage vollzogenen Wahlen der Richtung treu geblieben ist die
seit Jahren als Ziel der badischen Politik vorgeleuchtet hat, so entsprach natürlich auch
das jüngste Auftreten der großen compacten Mehrheit des neuen Landtages den Tra-
ditionen seiner Vorläufer. ... Mit unbedeutender Verstärkung ist die klerikale Minder-
heit in den neuen Landtag eingetreten: die sogenannte "katholische Volkspartei" zählt
neun Mann. Die Haltung dieser Ultramontanen, wie sie sich freilich nicht gern nennen
lassen, gestaltete sich gleich bei Beginn der Session und besonders in der Adreßdebatte
als eine ganz eigenthümliche, die von dem früheren Auftreten der Herren wesentlich ab-
stach. Das war nicht mehr jene selbstbewußte ecclesia militans die ihrer Macht ein-
gedenk kampfesmuthig ihre Kämpen auf die Walstatt entsendet, vielmehr gieng ein
dem Wimmern und Wehklagen ähnlicher Ton durch die Reden besagten Häufleins,
welcher erkennen läßt daß die Getrenen des unfehlbaren Pontifer fühlen: es stehe nim-
mer gut mit ihrer Sache. Das Mitleid suchte man rege zu machen für das "arme ge-
knechtete katholische Volk und die beraubte Kirche," freilich ohne daß dieser Ton in seiner
innern Unwahrheit irgendeinen gewünschten Eindruck machen konnte. Salbungsvoll
verstieg sich ein klerikaler Redner zu einem drastischen Bilde welches das Mitleiden er-
regen sollte: wenn man von der Trennung der Kirche vom Staat spreche, so sei dieß
wie wenn zwei gute Cameraden bisher mit einander in Liebe und Freundschaft gewan-
dert seien, und vor beschlossener Trennung der eine den andern beraube und bis aufs
Hemd ausziehe, um ihn dann so entblößt von sich zu weisen. Der Vergleich hinkt;
freundschaftlich neben einander hingehen können ja Staat und Kirche, auch wenn sie ge-
trennt sind, und eine Beraubung der Kirche liegt dem Staate fern. Allerdings sind die
Ansichten darüber was der Kirche gehört verschieden, der Infallibilist fordert ja für sie
nicht viel weniger als alles bis zur Oberherrschaft über Gesetz und Staat selbst. Wenn
der Staat jegliche Einwirkung auf seine Gebiete der Kirche entzieht, so thut er nur was
er seinem innern Wesen nach thun muß, und thut damit zugleich der Kirche und ihrem
Zwecke, der Religion selber, den größten Dienst."

In der heutigen Nummer der "Bad. Landesztg." lesen wir eine interessante
Correspondenz, in welcher die allerdings auffallend sanftmüthige Haltung der
ultramontanen Partei in Baden durch eine in dieser Beziehung von Rom aus er-
gangene Weisung erklärt wird. In Rom habe man demnach den in der Geschichte
der kirchlichen Herrschaft begründeten Satz zur Geltung gebracht, speciell für die
Agitation in Baden und theilweise auch im Reich günstigere Zeiten abzuwarten,

[Spaltenumbruch] Beziehung ſind die Nachrichten welche in der ruſſiſchen Preſſe über ein Zwiegeſpräch
verbreitet ſind das der Prinz im Lyceum zu Moskau mit den Gründern des-
ſelben, den HH. M. N. Katkow und P. M. Leontjew, gehabt hat. Der Inhalt
dieſes Geſprächs nach den Mittheilungen der „Ruſſ. Welt“ iſt durch alle ruſſiſchen
Blätter gegangen. Nach dieſer Darſtellung ſoll der Prinz das Geſpräch von den
Angelegenheiten des Lyceums auf die „Moskauer Ztg.“ und die deutſchfeindliche
Haltung Katkows gebracht haben, mit dem gleichzeitigen Hinweis daß derſelbe
ebenſo gefürchtet als geachtet und geliebt ſei, worauf der viel bekannte Journaliſt
geantwortet habe: daß er und Leontjew auf deutſchen Univerſitäten ſtudiert
haben und die deutſche Cultur, die deutſche Wiſſenſchaft und den ſittlichen Bau
des deutſchen Lebens zu ſchätzen wiſſen, und daß die Tendenz der Redacteure der
„Moskauer Ztg.“ darauf gerichtet ſei nicht Rußland von der europäiſchen Cultur
abzuſchließen, ſondern dem Volke diejenigen Mittel der höheren Bildung zutheil
werden zu laſſen welche die Macht der deutſchen Cultur bilden. Auf die Bemer-
kung des Prinzen daß er nach dieſen Auseinanderſetzungen erkenne wie man Kat-
kow vielfach mißverſtehe, und auf die Frage: worin denn nun eigentlich die natio-
nale Richtung Katkows beſtehe, ſoll dieſer dann geantwortet haben: „In dem
Wunſche daß Rußland in ſeinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung ſeiner
Intereſſen ſelbſtändig ſei.“ „Wir laſſen — ſoll er hinzugefügt haben — uns in
unſern Meinungen von unſerem Intereſſe leiten, obwohl wir keineswegs die enra-
girten Deutſchenfreſſer ſind für die man uns in deutſchen Blättern ausgibt!“ Der
Prinz ſoll, dieſe Richtung mit den Worten: „In dieſem Sinn würde ich an Ihrer
Stelle der enragirteſte Ruſſe ſein!“ billigend, ſchließlich noch auf die deutſchen
Siege und die Fortſchritte Rußlands das Geſpräch gelenkt und als Quelle der Un-
zufriedenheit in Deutſchland mit Rußland die Abſchließung ſeiner Gränzen und
die übermäßige Beengung des Handels durch die Strenge des Tarifs bezeichnet
haben. Man ſieht ſchon nach dieſer Darſtellung des vielbeſprochenen Zwiegeſprächs
daß Hr. Katkow ſichtlich eingelenkt haben muß, und daß in dem Mann der Con-
verſation der Mann der Preſſe nicht mehr zu erkennen iſt. Die Sache gewinnt
aber noch eine ganz andere Beleuchtung, wenn ich Ihnen mittheile daß die Dar-
ſtellung des Zwiegeſprächs in den weſentlichſten Punkten falſch iſt. Ich ſtütze mich
bei dieſer Behauptung auf die Mittheilung von Ohrenzeugen, denen ich unbedingt
glauben darf. In Wahrheit war die Unterhaltung zwiſchen dem Prinzen und
Hrn. Katkow nur ſehr kurz, und der Prinz frug nach Beſichtigung des Lyceums
den bekannten Herrn nur beiläufig: wie es komme daß er (Hr. Katkow) die Deutſchen
ſo ſehr haſſe. Hierauf erwiederte der Redacteur der „Moskauer Ztg.:“ dieſe An-
nahme entſpreche nicht der Wirklichkeit, er ſei von der größten Verehrung für die
deutſche Nation und die Deutſchen erfüllt. Als Prinz Friedrich Karl hierauf Hrn.
Katkow bemerklich machte: er habe ſelbſt die gegen Deutſchland gerichteten höchſt
feindſeligen Artikel des Hrn. Katkow in den Zeitungen geleſen, verſchanzte ſich der
berühmte Journaliſt hinter der Behauptung: „Wenn jene Artikel einen feind-
ſeligen Anſtrich gehabt haben, ſo könne das nur auf Ueberſetzungsfehlern beruhen.
Er liebe und verehre die deutſche Ration, und wenn er gegen die Deutſchen pole-
miſch aufgetreten, ſo ſeien nur die Deutſchen in den Oſtſeeprovinzen damit gemeint
geweſen!“ Sie ſehen, Hr. Katkow hat eine gewaltige Schwenkung gemacht, die
er ſchwerlich wieder redreſſiren kann. Er ſcheut ſich ſogar nicht ſeine Vergangen-
heit abzuläugnen. Der Vorfall verdient beachtet zu werden, damit man ſeiner
Zeit darauf zurückkomme.

Mit dem Hinabſinken des alten Jahrs wendet ſich von ſelbſt der Blick dem
neuen zu. Dem Finanzpolitiker tritt hierbei die erfreuliche Mittheilung entgegen
daß das Reichsbudget nicht nur kein Deficit, ſondern dießmal einen Ueberſchuß der
Einnahmen über die Ausgaben aufweiſen wird. Ob die Steuerreform, die Reform
der Preßgeſetzgebung und die Armeereform in dieſem Jahr eine Wahrheit werden,
möchte ich ſehr bezweifeln. Die Berathungen gehen ſehr langſam und ſchwer-
fällig vor ſich, wiewohl die Blätter oft genug aus den Beſchlüſſen der drei für jene
Gegenſtände eingeſetzten Commiſſionen Einzelheiten mittheilen. Die Commiſ-
ſionsberathungen über die Armeereform ſollen noch in den wenigen Tagen welche
vom alten Jahre übrig ſind beendet werden. Die Recrutirung vom Januar
1873 wird noch nach dem früheren Modus vorgenommen werden und erſt im Herbſt
1873 die erſte Aushebung nach den neuen Beſtimmungen des Geſetzes über die
allgemeine Wehrpflicht ſtattfinden. Ein beſonderes Capitel bilden die Vorſchriften
über die Aushebung der Juden.

In Betreff der bevorſtehenden Recrutirung, bei welcher nach dem kaiſerlichen
Manifeſt in beiden Zonen des Reichs und im Königreich Polen 6 Mann von je
1000 Seelen auszuheben ſind, bemerkt die „Ruſſ. Welt:“ daß eine ſo bedeutende
Aushebung durch die Verſtärkung Preußens bedingt werde, welche von uns eine
koloſſale Anſpannung der Kräfte verlange, da die frühere Stärke unſerer Armee
von 1 Million Mann nicht mehr genüge und die Zahl der Mannſchaften verdoppelt
werden müſſe. Aus dieſer Anſicht muß der Leſer nothwendigerweiſe die allarmi-
rendſten Schlußfolgerungen ziehen. Glücklicherweiſe iſt ſie grundfalſch. Schon
vor längerer Zeit wurde darauf aufmerkſam gemacht daß die nächſte Recrutirung
ſehr ſtark (es war genau die Zahl 6 Mann von 1000 angegeben) ausfallen werde,
um den Uebergang zu den Veränderungen zu ermöglichen welche durch die Militär-
reform angebahnt worden. Es liegt darin ſicher nichts allarmirendes. Neuer-
dings ſpricht man auch von Einſetzung einer neuen Commiſſion welche ſich mit der
Frage beſchäftigen ſoll: ob es zweckmäßig ſei an Stelle der Officiere die jetzt
Civilämter bekleiden Civilbeamte einzuſetzen. Dieſe Angelegenheit iſt für Ruß-
land von großer Tragweite, da Rußland gerade in dieſer Beziehung recht eigentlich
ein Militärſtaat iſt, indem viele der wichtigſten und einflußreichſten Civilämter
und ganze Kategorien von Beamtenſtellen, die in andern Ländern mit Civilbeamten
beſetzt werden, ſich in den Händen activer oder einſtweilen zur Dispoſition geſtellter
Militärs befinden, denen natürlich jede genügende Vor- und Durchbildung zu
ihrem Poſten abgeht, wenn ſie in denſelben eintreten. Die Folgen dieſer Aemter-
beſetzung auf den Geſchäftsgang laſſen ſich unſchwer abſehen.



Deutſches Reich.

Viel Staub wurde in den letzten Tagen auf-
gewirbelt durch einen Erlaß des Cultusminiſters, wodurch die neue umgearbeitete
[Spaltenumbruch] Auflage des Stadelbauer’ſchen Lehrbuchs der katholiſchen Religion zur Einführung
an den Gymnaſien des Königreichs genehmigt ward. Dieſe neue Auflage des
ſeit Jahrzehnten an den k. Studienanſtalten gebrauchten Religionslehrbuches
ſollte nämlich von dem Domcapitular Kronaſt in München, angeblich im Sinne
der jüngſten Concilsbeſchlüſſe, umgearbeitet worden ſein und nunmehr auch die
früher darin nicht enthaltene päpſtliche Unfehlbarkeit als bindenden Glaubensſatz
lehren. In Folge dieſer Annahme wurde das Lehrbuch in der neuen Auflage vom
Regierungspräſidenten der Oberpfalz für die Studienanſtalten ſeines Kreiſes ver-
boten, und vom Studienrector Erk in Regensburg den Schülern des dortigen
Gymnaſiums, die dasſelbe bereits hatten, kürzlich weggenommen. Durch den oben
erwähnten Erlaß des Cultusminiſters iſt jetzt der Regierungspräſident gezwungen
ſein Verbot wieder aufzuheben, und der Studienrector die confiscirten Bücher
zurückzugeben. Hr. v. Lutz aber mußte von Seite der liberalen Preſſe die
bitterſten Vorwürfe hören daß ſeine früheren Worte bei Gelegenheit der Beant-
wortung der Herz’ſchen Interpellation nicht zu ſeiner jetzigen That, der Genehmigung
des Religionslehrbuches, ſtimmten. Nun ſtellt ſich jedoch beraus daß dieſe Vorwürfe
unbegründet waren; die Münchener „Neueſt. Nachr.“ beſtätigen „nach eigener
Einſicht:“ daß die neue Auflage des Stadelbauer’ſchen Lehrbuchs „bereits vor Ver-
kündigung des neuen Dogma’s gedruckt und herausgegeben“ und „das neue Jeſuiten-
Dogma von der päpſtlichen Unfehlbarkeit daher auch nicht in dasſelbe eingeſchmuggelt“
worden ſei. — Die von der vereinigten klerikalen Kammerpartei herausgegebene
autographirte Correſpondenz kommt noch einmal auf die ihrer Partei gemachte
Inſinuation zu ſprechen, als ob dieſelbe eine Adreſſe, reſp. ein Mißtrauensvotum,
nicht beliebt habe aus Furcht vor Kammerauflöſung. „Wir wollen uns — ſchreibt
die Correſpondenz — ganz offen in die Karten ſehen laſſen, und ſagen was wir
fürchteten. Wir fürchteten die Regierung möchte uns heimſchicken ehe wir nur den
Mund aufmachen könnten, um öffentlich vor dem ganzen Lande Zeugniß davon
abzulegen welche Antwort der katholiſche Theil des bayeriſchen Volkes auf all das
unqualiſicirbare Gebahren ſeines Miniſteriums zu geben habe; wir fürchteten weiter
es möchte uns zum Schaden auch noch den Spott dareingeben, und das ganze Odium
welches aus der Verwirrung der unaufſchiebbaren, aber dann unerledigten Einführung
der Reichsgeſetze hätte folgen müſſen, auf uns abladen. Dieſe Gefahr iſt nun ver-
mieden, und mag jetzt die Regierung, ehe die Beſchwerde wegen verletzter Verfaſſung zur
Debatte kommt oder während derſelben die Kammer auflöſen, dann iſt das Odium
auf ihrer Seite, weil ſie ſich nicht getraut hat das Urtheil des Landes und ſeiner
Vertreter, ob ſie ſich der eclatanten Verfaſſungsverletzung ſchuldig gemacht habe,
über ſich ergehen zu laſſen, und kommt durch eine Kammerauflöſung abermals kein
Budget zu Stande, ſo liegt die Schuld dann offenbar nicht an der Kammer, ſondern
an der Regierung ganz allein.“ — Die kürzlich erwähnte Nachricht der „Donau-
Zeitung,“ daß Dr. Völk im Beſchwerdeausſchuß für eine Anklage der Miniſter ge-
ſtimmt habe, ſtellt ſich, wie vorauszuſehen war, als ein abſichtliches — oder unab-
ſichtliches — Mißverſtändniß heraus. (Siehe die folgende Correſpondenz.)

Der Beſchwerde-Ausſchuß der Kammer der Ab-
geordneten hat (wie bereits gemeldet) die Beſchwerde des Biſchofs von Augsburg
und eines Theils der Bewohner Merings für begründet erklärt. Dagegen ſtimm-
ten die drei liberalen Mitglieder des Ausſchuſſes, Völk, Dürrſchmidt und Louis,
welche den erſtgenannten mit der Abfaſſung eines Minderheitsgutachtens betrau-
ten. In der Ausſchußſitzung äußerte Dr. Völk die Anſicht: daß es ſich bei der vor-
liegenden Beſchwerde um eine Sache von ſo großer principieller Bedeutung handle,
wie ſie dem Ausſchuß höchſtens einmal — 1849 bez. des Belagerungsſtandes in der
Pfalz — vorlag, und daß, wenn dieſelbe begründet wäre, was ſie nach ſeiner
Anſicht nicht iſt, es ſich um die Verletzung der conſtitutionellen Rechte nicht
eines einzelnen Staatsbürgers, ſondern jener aller Katholiken handeln würde,
welche an den Concilsbeſchlüſſen feſthalten; es hätten dann in dieſem Falle die Mi-
niſter die Verfaſſung principiell verletzt, und wenn eine ſolche Verletzung vorläge
— was er entſchieden beſtreite — dann müßte man, um den unverhohlenen Zweck,
den Sturz des Miniſteriums, zu erreichen, den Weg der Anklage beſchreiten — nur
das wäre correct geweſen. Hierauf aber hatten die Herren der Mehrheit des Aus-
ſchuſſes erklärt: daß ſie eine Miniſteranklage nicht erheben wollten.

Die von der nationalliberalen Partei heraus-
gegebene „Badiſche Correſpondenz“ bringt zum Jahresſchluß „Landtagsbetrach-
tungen,“ denen wir folgende Stellen entnehmen:

„Wie das badiſche Volk in ſeiner überwiegenden Mehrheit bei Gelegenheit der
auf neuer weiterer Grundlage vollzogenen Wahlen der Richtung treu geblieben iſt die
ſeit Jahren als Ziel der badiſchen Politik vorgeleuchtet hat, ſo entſprach natürlich auch
das jüngſte Auftreten der großen compacten Mehrheit des neuen Landtages den Tra-
ditionen ſeiner Vorläufer. … Mit unbedeutender Verſtärkung iſt die klerikale Minder-
heit in den neuen Landtag eingetreten: die ſogenannte „katholiſche Volkspartei“ zählt
neun Mann. Die Haltung dieſer Ultramontanen, wie ſie ſich freilich nicht gern nennen
laſſen, geſtaltete ſich gleich bei Beginn der Seſſion und beſonders in der Adreßdebatte
als eine ganz eigenthümliche, die von dem früheren Auftreten der Herren weſentlich ab-
ſtach. Das war nicht mehr jene ſelbſtbewußte ecclesia militans die ihrer Macht ein-
gedenk kampfesmuthig ihre Kämpen auf die Walſtatt entſendet, vielmehr gieng ein
dem Wimmern und Wehklagen ähnlicher Ton durch die Reden beſagten Häufleins,
welcher erkennen läßt daß die Getrenen des unfehlbaren Pontifer fühlen: es ſtehe nim-
mer gut mit ihrer Sache. Das Mitleid ſuchte man rege zu machen für das „arme ge-
knechtete katholiſche Volk und die beraubte Kirche,“ freilich ohne daß dieſer Ton in ſeiner
innern Unwahrheit irgendeinen gewünſchten Eindruck machen konnte. Salbungsvoll
verſtieg ſich ein klerikaler Redner zu einem draſtiſchen Bilde welches das Mitleiden er-
regen ſollte: wenn man von der Trennung der Kirche vom Staat ſpreche, ſo ſei dieß
wie wenn zwei gute Cameraden bisher mit einander in Liebe und Freundſchaft gewan-
dert ſeien, und vor beſchloſſener Trennung der eine den andern beraube und bis aufs
Hemd ausziehe, um ihn dann ſo entblößt von ſich zu weiſen. Der Vergleich hinkt;
freundſchaftlich neben einander hingehen können ja Staat und Kirche, auch wenn ſie ge-
trennt ſind, und eine Beraubung der Kirche liegt dem Staate fern. Allerdings ſind die
Anſichten darüber was der Kirche gehört verſchieden, der Infallibiliſt fordert ja für ſie
nicht viel weniger als alles bis zur Oberherrſchaft über Geſetz und Staat ſelbſt. Wenn
der Staat jegliche Einwirkung auf ſeine Gebiete der Kirche entzieht, ſo thut er nur was
er ſeinem innern Weſen nach thun muß, und thut damit zugleich der Kirche und ihrem
Zwecke, der Religion ſelber, den größten Dienſt.“

In der heutigen Nummer der „Bad. Landesztg.“ leſen wir eine intereſſante
Correſpondenz, in welcher die allerdings auffallend ſanftmüthige Haltung der
ultramontanen Partei in Baden durch eine in dieſer Beziehung von Rom aus er-
gangene Weiſung erklärt wird. In Rom habe man demnach den in der Geſchichte
der kirchlichen Herrſchaft begründeten Satz zur Geltung gebracht, ſpeciell für die
Agitation in Baden und theilweiſe auch im Reich günſtigere Zeiten abzuwarten,

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Wun&#x017F;che daß Rußland in &#x017F;einen Angelegenheiten und in der Beurtheilung &#x017F;einer<lb/>
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Siege und die Fort&#x017F;chritte Rußlands das Ge&#x017F;präch gelenkt und als Quelle der Un-<lb/>
zufriedenheit in Deut&#x017F;chland mit Rußland die Ab&#x017F;chließung &#x017F;einer Gränzen und<lb/>
die übermäßige Beengung des Handels durch die Strenge des Tarifs bezeichnet<lb/>
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&#x017F;tellung des Zwiege&#x017F;prächs in den we&#x017F;entlich&#x017F;ten Punkten fal&#x017F;ch i&#x017F;t. Ich &#x017F;tütze mich<lb/>
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Hrn. Katkow nur &#x017F;ehr kurz, und der Prinz frug nach Be&#x017F;ichtigung des Lyceums<lb/>
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&#x017F;o &#x017F;ehr ha&#x017F;&#x017F;e. Hierauf erwiederte der Redacteur der &#x201E;Moskauer Ztg.:&#x201C; die&#x017F;e An-<lb/>
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Katkow bemerklich machte: er habe &#x017F;elb&#x017F;t die gegen Deut&#x017F;chland gerichteten höch&#x017F;t<lb/>
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Er liebe und verehre die deut&#x017F;che Ration, und wenn er gegen die Deut&#x017F;chen pole-<lb/>
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möchte ich &#x017F;ehr bezweifeln. Die Berathungen gehen &#x017F;ehr lang&#x017F;am und &#x017F;chwer-<lb/>
fällig vor &#x017F;ich, wiewohl die Blätter oft genug aus den Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en der drei für jene<lb/>
Gegen&#x017F;tände einge&#x017F;etzten Commi&#x017F;&#x017F;ionen Einzelheiten mittheilen. Die Commi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ionsberathungen über die Armeereform &#x017F;ollen noch in den wenigen Tagen welche<lb/>
vom alten Jahre übrig &#x017F;ind beendet werden. Die Recrutirung vom Januar<lb/>
1873 wird noch nach dem früheren Modus vorgenommen werden und er&#x017F;t im Herb&#x017F;t<lb/>
1873 die er&#x017F;te Aushebung nach den neuen Be&#x017F;timmungen des Ge&#x017F;etzes über die<lb/>
allgemeine Wehrpflicht &#x017F;tattfinden. Ein be&#x017F;onderes Capitel bilden die Vor&#x017F;chriften<lb/>
über die Aushebung der Juden.</p><lb/>
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Manife&#x017F;t in beiden Zonen des Reichs und im Königreich Polen 6 Mann von je<lb/>
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von 1 Million Mann nicht mehr genüge und die Zahl der Mann&#x017F;chaften verdoppelt<lb/>
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&#x017F;ehr &#x017F;tark (es war genau die Zahl 6 Mann von 1000 angegeben) ausfallen werde,<lb/>
um den Uebergang zu den Veränderungen zu ermöglichen welche durch die Militär-<lb/>
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be&#x017F;etzung auf den Ge&#x017F;chäftsgang la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich un&#x017F;chwer ab&#x017F;ehen.</p>
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gewirbelt durch einen Erlaß des Cultusmini&#x017F;ters, wodurch die neue umgearbeitete<lb/><cb/>
Auflage des Stadelbauer&#x2019;&#x017F;chen Lehrbuchs der katholi&#x017F;chen Religion zur Einführung<lb/>
an den Gymna&#x017F;ien des Königreichs genehmigt ward. Die&#x017F;e neue Auflage des<lb/>
&#x017F;eit Jahrzehnten an den k. Studienan&#x017F;talten gebrauchten Religionslehrbuches<lb/>
&#x017F;ollte nämlich von dem Domcapitular Krona&#x017F;t in München, angeblich im Sinne<lb/>
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lehren. In Folge die&#x017F;er Annahme wurde das Lehrbuch in der neuen Auflage vom<lb/>
Regierungsprä&#x017F;identen der Oberpfalz für die Studienan&#x017F;talten &#x017F;eines Krei&#x017F;es ver-<lb/>
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Gymna&#x017F;iums, die das&#x017F;elbe bereits hatten, kürzlich weggenommen. Durch den oben<lb/>
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&#x017F;ein Verbot wieder aufzuheben, und der Studienrector die confiscirten Bücher<lb/>
zurückzugeben. Hr. v. Lutz aber mußte von Seite der liberalen Pre&#x017F;&#x017F;e die<lb/>
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Ein&#x017F;icht:&#x201C; daß die neue Auflage des Stadelbauer&#x2019;&#x017F;chen Lehrbuchs &#x201E;bereits vor Ver-<lb/>
kündigung des neuen Dogma&#x2019;s gedruckt und herausgegeben&#x201C; und &#x201E;das neue Je&#x017F;uiten-<lb/>
Dogma von der päp&#x017F;tlichen Unfehlbarkeit daher auch nicht in das&#x017F;elbe einge&#x017F;chmuggelt&#x201C;<lb/>
worden &#x017F;ei. &#x2014; Die von der vereinigten klerikalen Kammerpartei herausgegebene<lb/>
autographirte Corre&#x017F;pondenz kommt noch einmal auf die ihrer Partei gemachte<lb/>
In&#x017F;inuation zu &#x017F;prechen, als ob die&#x017F;elbe eine Adre&#x017F;&#x017F;e, re&#x017F;p. ein Mißtrauensvotum,<lb/>
nicht beliebt habe aus Furcht vor Kammerauflö&#x017F;ung. &#x201E;Wir wollen uns &#x2014; &#x017F;chreibt<lb/>
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fürchteten. Wir fürchteten die Regierung möchte uns heim&#x017F;chicken ehe wir nur den<lb/>
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abzulegen welche Antwort der katholi&#x017F;che Theil des bayeri&#x017F;chen Volkes auf all das<lb/>
unquali&#x017F;icirbare Gebahren &#x017F;eines Mini&#x017F;teriums zu geben habe; wir fürchteten weiter<lb/>
es möchte uns zum Schaden auch noch den Spott dareingeben, und das ganze Odium<lb/>
welches aus der Verwirrung der unauf&#x017F;chiebbaren, aber dann unerledigten Einführung<lb/>
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regen &#x017F;ollte: wenn man von der Trennung der Kirche vom Staat &#x017F;preche, &#x017F;o &#x017F;ei dieß<lb/>
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            <p>In der heutigen Nummer der &#x201E;Bad. Landesztg.&#x201C; le&#x017F;en wir eine intere&#x017F;&#x017F;ante<lb/>
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</TEI>
[43/0003] Beziehung ſind die Nachrichten welche in der ruſſiſchen Preſſe über ein Zwiegeſpräch verbreitet ſind das der Prinz im Lyceum zu Moskau mit den Gründern des- ſelben, den HH. M. N. Katkow und P. M. Leontjew, gehabt hat. Der Inhalt dieſes Geſprächs nach den Mittheilungen der „Ruſſ. Welt“ iſt durch alle ruſſiſchen Blätter gegangen. Nach dieſer Darſtellung ſoll der Prinz das Geſpräch von den Angelegenheiten des Lyceums auf die „Moskauer Ztg.“ und die deutſchfeindliche Haltung Katkows gebracht haben, mit dem gleichzeitigen Hinweis daß derſelbe ebenſo gefürchtet als geachtet und geliebt ſei, worauf der viel bekannte Journaliſt geantwortet habe: daß er und Leontjew auf deutſchen Univerſitäten ſtudiert haben und die deutſche Cultur, die deutſche Wiſſenſchaft und den ſittlichen Bau des deutſchen Lebens zu ſchätzen wiſſen, und daß die Tendenz der Redacteure der „Moskauer Ztg.“ darauf gerichtet ſei nicht Rußland von der europäiſchen Cultur abzuſchließen, ſondern dem Volke diejenigen Mittel der höheren Bildung zutheil werden zu laſſen welche die Macht der deutſchen Cultur bilden. Auf die Bemer- kung des Prinzen daß er nach dieſen Auseinanderſetzungen erkenne wie man Kat- kow vielfach mißverſtehe, und auf die Frage: worin denn nun eigentlich die natio- nale Richtung Katkows beſtehe, ſoll dieſer dann geantwortet haben: „In dem Wunſche daß Rußland in ſeinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung ſeiner Intereſſen ſelbſtändig ſei.“ „Wir laſſen — ſoll er hinzugefügt haben — uns in unſern Meinungen von unſerem Intereſſe leiten, obwohl wir keineswegs die enra- girten Deutſchenfreſſer ſind für die man uns in deutſchen Blättern ausgibt!“ Der Prinz ſoll, dieſe Richtung mit den Worten: „In dieſem Sinn würde ich an Ihrer Stelle der enragirteſte Ruſſe ſein!“ billigend, ſchließlich noch auf die deutſchen Siege und die Fortſchritte Rußlands das Geſpräch gelenkt und als Quelle der Un- zufriedenheit in Deutſchland mit Rußland die Abſchließung ſeiner Gränzen und die übermäßige Beengung des Handels durch die Strenge des Tarifs bezeichnet haben. Man ſieht ſchon nach dieſer Darſtellung des vielbeſprochenen Zwiegeſprächs daß Hr. Katkow ſichtlich eingelenkt haben muß, und daß in dem Mann der Con- verſation der Mann der Preſſe nicht mehr zu erkennen iſt. Die Sache gewinnt aber noch eine ganz andere Beleuchtung, wenn ich Ihnen mittheile daß die Dar- ſtellung des Zwiegeſprächs in den weſentlichſten Punkten falſch iſt. Ich ſtütze mich bei dieſer Behauptung auf die Mittheilung von Ohrenzeugen, denen ich unbedingt glauben darf. In Wahrheit war die Unterhaltung zwiſchen dem Prinzen und Hrn. Katkow nur ſehr kurz, und der Prinz frug nach Beſichtigung des Lyceums den bekannten Herrn nur beiläufig: wie es komme daß er (Hr. Katkow) die Deutſchen ſo ſehr haſſe. Hierauf erwiederte der Redacteur der „Moskauer Ztg.:“ dieſe An- nahme entſpreche nicht der Wirklichkeit, er ſei von der größten Verehrung für die deutſche Nation und die Deutſchen erfüllt. Als Prinz Friedrich Karl hierauf Hrn. Katkow bemerklich machte: er habe ſelbſt die gegen Deutſchland gerichteten höchſt feindſeligen Artikel des Hrn. Katkow in den Zeitungen geleſen, verſchanzte ſich der berühmte Journaliſt hinter der Behauptung: „Wenn jene Artikel einen feind- ſeligen Anſtrich gehabt haben, ſo könne das nur auf Ueberſetzungsfehlern beruhen. Er liebe und verehre die deutſche Ration, und wenn er gegen die Deutſchen pole- miſch aufgetreten, ſo ſeien nur die Deutſchen in den Oſtſeeprovinzen damit gemeint geweſen!“ Sie ſehen, Hr. Katkow hat eine gewaltige Schwenkung gemacht, die er ſchwerlich wieder redreſſiren kann. Er ſcheut ſich ſogar nicht ſeine Vergangen- heit abzuläugnen. Der Vorfall verdient beachtet zu werden, damit man ſeiner Zeit darauf zurückkomme. Mit dem Hinabſinken des alten Jahrs wendet ſich von ſelbſt der Blick dem neuen zu. Dem Finanzpolitiker tritt hierbei die erfreuliche Mittheilung entgegen daß das Reichsbudget nicht nur kein Deficit, ſondern dießmal einen Ueberſchuß der Einnahmen über die Ausgaben aufweiſen wird. Ob die Steuerreform, die Reform der Preßgeſetzgebung und die Armeereform in dieſem Jahr eine Wahrheit werden, möchte ich ſehr bezweifeln. Die Berathungen gehen ſehr langſam und ſchwer- fällig vor ſich, wiewohl die Blätter oft genug aus den Beſchlüſſen der drei für jene Gegenſtände eingeſetzten Commiſſionen Einzelheiten mittheilen. Die Commiſ- ſionsberathungen über die Armeereform ſollen noch in den wenigen Tagen welche vom alten Jahre übrig ſind beendet werden. Die Recrutirung vom Januar 1873 wird noch nach dem früheren Modus vorgenommen werden und erſt im Herbſt 1873 die erſte Aushebung nach den neuen Beſtimmungen des Geſetzes über die allgemeine Wehrpflicht ſtattfinden. Ein beſonderes Capitel bilden die Vorſchriften über die Aushebung der Juden. In Betreff der bevorſtehenden Recrutirung, bei welcher nach dem kaiſerlichen Manifeſt in beiden Zonen des Reichs und im Königreich Polen 6 Mann von je 1000 Seelen auszuheben ſind, bemerkt die „Ruſſ. Welt:“ daß eine ſo bedeutende Aushebung durch die Verſtärkung Preußens bedingt werde, welche von uns eine koloſſale Anſpannung der Kräfte verlange, da die frühere Stärke unſerer Armee von 1 Million Mann nicht mehr genüge und die Zahl der Mannſchaften verdoppelt werden müſſe. Aus dieſer Anſicht muß der Leſer nothwendigerweiſe die allarmi- rendſten Schlußfolgerungen ziehen. Glücklicherweiſe iſt ſie grundfalſch. Schon vor längerer Zeit wurde darauf aufmerkſam gemacht daß die nächſte Recrutirung ſehr ſtark (es war genau die Zahl 6 Mann von 1000 angegeben) ausfallen werde, um den Uebergang zu den Veränderungen zu ermöglichen welche durch die Militär- reform angebahnt worden. Es liegt darin ſicher nichts allarmirendes. Neuer- dings ſpricht man auch von Einſetzung einer neuen Commiſſion welche ſich mit der Frage beſchäftigen ſoll: ob es zweckmäßig ſei an Stelle der Officiere die jetzt Civilämter bekleiden Civilbeamte einzuſetzen. Dieſe Angelegenheit iſt für Ruß- land von großer Tragweite, da Rußland gerade in dieſer Beziehung recht eigentlich ein Militärſtaat iſt, indem viele der wichtigſten und einflußreichſten Civilämter und ganze Kategorien von Beamtenſtellen, die in andern Ländern mit Civilbeamten beſetzt werden, ſich in den Händen activer oder einſtweilen zur Dispoſition geſtellter Militärs befinden, denen natürlich jede genügende Vor- und Durchbildung zu ihrem Poſten abgeht, wenn ſie in denſelben eintreten. Die Folgen dieſer Aemter- beſetzung auf den Geſchäftsgang laſſen ſich unſchwer abſehen. Deutſches Reich. * Aus Bayeru, 3 Jan.Viel Staub wurde in den letzten Tagen auf- gewirbelt durch einen Erlaß des Cultusminiſters, wodurch die neue umgearbeitete Auflage des Stadelbauer’ſchen Lehrbuchs der katholiſchen Religion zur Einführung an den Gymnaſien des Königreichs genehmigt ward. Dieſe neue Auflage des ſeit Jahrzehnten an den k. Studienanſtalten gebrauchten Religionslehrbuches ſollte nämlich von dem Domcapitular Kronaſt in München, angeblich im Sinne der jüngſten Concilsbeſchlüſſe, umgearbeitet worden ſein und nunmehr auch die früher darin nicht enthaltene päpſtliche Unfehlbarkeit als bindenden Glaubensſatz lehren. In Folge dieſer Annahme wurde das Lehrbuch in der neuen Auflage vom Regierungspräſidenten der Oberpfalz für die Studienanſtalten ſeines Kreiſes ver- boten, und vom Studienrector Erk in Regensburg den Schülern des dortigen Gymnaſiums, die dasſelbe bereits hatten, kürzlich weggenommen. Durch den oben erwähnten Erlaß des Cultusminiſters iſt jetzt der Regierungspräſident gezwungen ſein Verbot wieder aufzuheben, und der Studienrector die confiscirten Bücher zurückzugeben. Hr. v. Lutz aber mußte von Seite der liberalen Preſſe die bitterſten Vorwürfe hören daß ſeine früheren Worte bei Gelegenheit der Beant- wortung der Herz’ſchen Interpellation nicht zu ſeiner jetzigen That, der Genehmigung des Religionslehrbuches, ſtimmten. Nun ſtellt ſich jedoch beraus daß dieſe Vorwürfe unbegründet waren; die Münchener „Neueſt. Nachr.“ beſtätigen „nach eigener Einſicht:“ daß die neue Auflage des Stadelbauer’ſchen Lehrbuchs „bereits vor Ver- kündigung des neuen Dogma’s gedruckt und herausgegeben“ und „das neue Jeſuiten- Dogma von der päpſtlichen Unfehlbarkeit daher auch nicht in dasſelbe eingeſchmuggelt“ worden ſei. — Die von der vereinigten klerikalen Kammerpartei herausgegebene autographirte Correſpondenz kommt noch einmal auf die ihrer Partei gemachte Inſinuation zu ſprechen, als ob dieſelbe eine Adreſſe, reſp. ein Mißtrauensvotum, nicht beliebt habe aus Furcht vor Kammerauflöſung. „Wir wollen uns — ſchreibt die Correſpondenz — ganz offen in die Karten ſehen laſſen, und ſagen was wir fürchteten. Wir fürchteten die Regierung möchte uns heimſchicken ehe wir nur den Mund aufmachen könnten, um öffentlich vor dem ganzen Lande Zeugniß davon abzulegen welche Antwort der katholiſche Theil des bayeriſchen Volkes auf all das unqualiſicirbare Gebahren ſeines Miniſteriums zu geben habe; wir fürchteten weiter es möchte uns zum Schaden auch noch den Spott dareingeben, und das ganze Odium welches aus der Verwirrung der unaufſchiebbaren, aber dann unerledigten Einführung der Reichsgeſetze hätte folgen müſſen, auf uns abladen. Dieſe Gefahr iſt nun ver- mieden, und mag jetzt die Regierung, ehe die Beſchwerde wegen verletzter Verfaſſung zur Debatte kommt oder während derſelben die Kammer auflöſen, dann iſt das Odium auf ihrer Seite, weil ſie ſich nicht getraut hat das Urtheil des Landes und ſeiner Vertreter, ob ſie ſich der eclatanten Verfaſſungsverletzung ſchuldig gemacht habe, über ſich ergehen zu laſſen, und kommt durch eine Kammerauflöſung abermals kein Budget zu Stande, ſo liegt die Schuld dann offenbar nicht an der Kammer, ſondern an der Regierung ganz allein.“ — Die kürzlich erwähnte Nachricht der „Donau- Zeitung,“ daß Dr. Völk im Beſchwerdeausſchuß für eine Anklage der Miniſter ge- ſtimmt habe, ſtellt ſich, wie vorauszuſehen war, als ein abſichtliches — oder unab- ſichtliches — Mißverſtändniß heraus. (Siehe die folgende Correſpondenz.) &#xfffc; München, 2 Jan.Der Beſchwerde-Ausſchuß der Kammer der Ab- geordneten hat (wie bereits gemeldet) die Beſchwerde des Biſchofs von Augsburg und eines Theils der Bewohner Merings für begründet erklärt. Dagegen ſtimm- ten die drei liberalen Mitglieder des Ausſchuſſes, Völk, Dürrſchmidt und Louis, welche den erſtgenannten mit der Abfaſſung eines Minderheitsgutachtens betrau- ten. In der Ausſchußſitzung äußerte Dr. Völk die Anſicht: daß es ſich bei der vor- liegenden Beſchwerde um eine Sache von ſo großer principieller Bedeutung handle, wie ſie dem Ausſchuß höchſtens einmal — 1849 bez. des Belagerungsſtandes in der Pfalz — vorlag, und daß, wenn dieſelbe begründet wäre, was ſie nach ſeiner Anſicht nicht iſt, es ſich um die Verletzung der conſtitutionellen Rechte nicht eines einzelnen Staatsbürgers, ſondern jener aller Katholiken handeln würde, welche an den Concilsbeſchlüſſen feſthalten; es hätten dann in dieſem Falle die Mi- niſter die Verfaſſung principiell verletzt, und wenn eine ſolche Verletzung vorläge — was er entſchieden beſtreite — dann müßte man, um den unverhohlenen Zweck, den Sturz des Miniſteriums, zu erreichen, den Weg der Anklage beſchreiten — nur das wäre correct geweſen. Hierauf aber hatten die Herren der Mehrheit des Aus- ſchuſſes erklärt: daß ſie eine Miniſteranklage nicht erheben wollten. * Aus Baden, 1 Januar.Die von der nationalliberalen Partei heraus- gegebene „Badiſche Correſpondenz“ bringt zum Jahresſchluß „Landtagsbetrach- tungen,“ denen wir folgende Stellen entnehmen: „Wie das badiſche Volk in ſeiner überwiegenden Mehrheit bei Gelegenheit der auf neuer weiterer Grundlage vollzogenen Wahlen der Richtung treu geblieben iſt die ſeit Jahren als Ziel der badiſchen Politik vorgeleuchtet hat, ſo entſprach natürlich auch das jüngſte Auftreten der großen compacten Mehrheit des neuen Landtages den Tra- ditionen ſeiner Vorläufer. … Mit unbedeutender Verſtärkung iſt die klerikale Minder- heit in den neuen Landtag eingetreten: die ſogenannte „katholiſche Volkspartei“ zählt neun Mann. Die Haltung dieſer Ultramontanen, wie ſie ſich freilich nicht gern nennen laſſen, geſtaltete ſich gleich bei Beginn der Seſſion und beſonders in der Adreßdebatte als eine ganz eigenthümliche, die von dem früheren Auftreten der Herren weſentlich ab- ſtach. Das war nicht mehr jene ſelbſtbewußte ecclesia militans die ihrer Macht ein- gedenk kampfesmuthig ihre Kämpen auf die Walſtatt entſendet, vielmehr gieng ein dem Wimmern und Wehklagen ähnlicher Ton durch die Reden beſagten Häufleins, welcher erkennen läßt daß die Getrenen des unfehlbaren Pontifer fühlen: es ſtehe nim- mer gut mit ihrer Sache. Das Mitleid ſuchte man rege zu machen für das „arme ge- knechtete katholiſche Volk und die beraubte Kirche,“ freilich ohne daß dieſer Ton in ſeiner innern Unwahrheit irgendeinen gewünſchten Eindruck machen konnte. Salbungsvoll verſtieg ſich ein klerikaler Redner zu einem draſtiſchen Bilde welches das Mitleiden er- regen ſollte: wenn man von der Trennung der Kirche vom Staat ſpreche, ſo ſei dieß wie wenn zwei gute Cameraden bisher mit einander in Liebe und Freundſchaft gewan- dert ſeien, und vor beſchloſſener Trennung der eine den andern beraube und bis aufs Hemd ausziehe, um ihn dann ſo entblößt von ſich zu weiſen. Der Vergleich hinkt; freundſchaftlich neben einander hingehen können ja Staat und Kirche, auch wenn ſie ge- trennt ſind, und eine Beraubung der Kirche liegt dem Staate fern. Allerdings ſind die Anſichten darüber was der Kirche gehört verſchieden, der Infallibiliſt fordert ja für ſie nicht viel weniger als alles bis zur Oberherrſchaft über Geſetz und Staat ſelbſt. Wenn der Staat jegliche Einwirkung auf ſeine Gebiete der Kirche entzieht, ſo thut er nur was er ſeinem innern Weſen nach thun muß, und thut damit zugleich der Kirche und ihrem Zwecke, der Religion ſelber, den größten Dienſt.“ In der heutigen Nummer der „Bad. Landesztg.“ leſen wir eine intereſſante Correſpondenz, in welcher die allerdings auffallend ſanftmüthige Haltung der ultramontanen Partei in Baden durch eine in dieſer Beziehung von Rom aus er- gangene Weiſung erklärt wird. In Rom habe man demnach den in der Geſchichte der kirchlichen Herrſchaft begründeten Satz zur Geltung gebracht, ſpeciell für die Agitation in Baden und theilweiſe auch im Reich günſtigere Zeiten abzuwarten,

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine04_1872/3>, abgerufen am 01.06.2024.