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Allgemeine Zeitung. Nr. 7. München, 8. Januar 1924.

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Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Dienstag, den 8. Januar 1924.
Münchener Stadtzeitung.
[Spaltenumbruch]
München ohne Fasching.

Mit Dreikönig schließt der Weihnachtskreis und
die Faschingszeit hebt an. Das heißt in der
Theorie; denn die Praxis will auch heuer von
einem Fasching noch nichts wissen. Dabei wäre
diesmal die lustige Zeit besonders lange ausge-
fallen, zeigt doch der Kalender den 5. März als
Aschermittwoch an, an dem der Münchner
in Zeiten, die uns so ferne zu liegen scheinen,
als hätten wir sie selber nicht erlebt, in Sack und
Asche Buße tat, den leeren Geldbeutel im Fisch-
brunnen wusch und schon wieder nach dem neuen
Vergnügen schielte: den wundervollen Stark-
bieren, deren Genuß die harte Fastenzeit leicht
ertragen ließ.

Hat man etwas verloren, denkt man um so
lebhafter daran. Wer will uns wehren, gewisser-
maßen als Faschingsersatz uns die Tage (rich-
tiger Abende und Nächte!) vor das innere Auge
zu stellen, wo wir frei von jeder Erdenschwere in
einem lichten Himmel der Lust und des Froh-
sinns zu weilen glaubten. An Dreikönig ging
es eigentlich schon an, wenn die umherziehenden
Musikanten in den Gastlokalen ihre Weisen er-
schallen ließen, den Hörer und noch mehr die
Hörerin zu einem verstohlenen Versuch zwangen,
das Tanzgebein zu erproben, ob es nicht etwa ein-
gerostet.

Die erste Woche nach Dreikönig brachte dann
die erste Redoute und den ersten Bal pare im
Deutschen Theater. Die Eigenart des Münchner
Karnevals bestand darin, daß er jedem Geschmack
Rechnung trug. Die Geschmäcker an Vergnü-
gungen sind bekanntlich ganz verschieden und die
Vorgnügungen auch, nachdem immerhin ein Un-
terschied zwischen einer Kirchweihrauferei in Nie-
derbayern und einer Partie Schach ist, aber beide
Dinge haben ihre Liebhaber. Der Münchner Fa-
sching bot alles, Geistreichigkeit und sprühende
Laune vornehmer Damen und Herren, gut bür-
gerliches Vergnügen und jene gesunde sinnliche
Derbheit, die gerade das Süddeutsche Volk aus-
zeichnet, die aber doch nicht mit Grobheit oder
Brutalität verwechselt werden darf und deren
Ton von einem Fremden nur sehr schwer oder
gar nie zu treffen ist. Göttlicher Leichtsinn perlte
auf den großen Künstlerfesten, die auch kulturelle
Werte vermittelten, strahlende Heiterkeit er-
glänzte auf den prächligen Feiern unseres aka-
demischen Nachwuchses, ein Abbild warmen Le-
bens waren die Bauernbälle. Behäbigkeit zeich-
nete die gediegenen Faschingsfestlichkeiten des
Münchner Gewerbes aus.

Das Bezaubernde am Münchner Fasching war
jener -- man möchte sagen demokratische Grund-
zug, der sich selbst von den Hoffesten nicht ver-
drängen ließ, das Hinreißende die Art und Weise,
wie sich das weibliche Element auf den Wogen der
bunten Lust treiben ließ. Das Unbegreifliche, daß
dieser Münchner Fasching immer neuer Steige-
rungen fähig war, daß er sich immer reicher und
üppiger entfaltete, bis in den letzten drei Fa-
schingstagen die ganze Stadt vom Taumel ergrif-
fen wurde, der Karneval von den Sälen auf die
Straßen ging und ganz München sich eine unge-
heure Narrenkappe aussetzte.

Wird es wiederkomen? Wird 1924 das letzte
faschingslose Jahr sein? Wir hoffen und wün-
schen es. Oeffentliche Faschingslustbarkeiten sind
heuer im Hinblick auf den Ernst der Zeit begreif-
licherweise verboten und die privaten Beschrän-
kungen unterworfen. Das ist sehr recht, denn auf
das soziale Taktgefühl nicht aller Mitbürger ist
strenger Verlaß. Gegen harmlose und in beschei-
dener Grenze sich bewegende Tanzvergnügungen
in privatem Kreise wird niemand etwas ein-
wenden. Ein fröhliches Herz vollbringt ja mehr,
als ein trübes und auch dem Weisen, sagt ein-
mal der alte Horaz, ziemt es, zeitweise töricht
zu sein ...

[Spaltenumbruch]
Angriffe auf die Stadtverwaltung.

Der Senatspräsident beim Reichsfinanzhof Dr.
Strutz hat in der Dezembernummer des "Deut-
schen Steuerblattes" bei der Behandlung des
Schicksals der Einkommensteuer in scharfer Weise
gegen die "heutige rote Stadtratsmehrheit" oder
eine künftige Mehrheit der Bayerischen Volks-
partei polemisiert und dabei erklärt: "Die besitzen-
den Klassen sowie Beamte, Pensionäre, Rentner
und andere ohnehin von der Geldentwertung am
schwersten betroffenen Schichten würden die Fol-
gen der Finanzwirtschaft der heutigen sozialistisch-
kommunistischen, auf diesem Gebiete von der
Bayer. Volkspartei unterstützten Stadtratsmehr-
heit in noch weit unerträglicherem Maße zu
spüren bekommen als jetzt, wo man statt zu wirk-
samen Personal- und sonstigen Einsparungen zu
greifen, durch unerschwingliche Benutzungsgebüh-
ren jene ohnehin am schwersten ringenden Schich-
ten schonungslos vollends abwürgt."

Die Ausführungen des Senatspräsidenten
gaben kürzlich in der Sitzung des Hauptaus-
schusses dem Stadtrat Nußbaum Veranlas-
sung, namens der Fraktion der V.S.P.D. eine
Erklärung abzugeben, in der dem Senatspräsi-
denten Dr. Strutz "Kritiklosigkeit, gehässige Par-
teipolemik, Unkenntnis und Leichtfertigkeit" zum
Vorwurf gemacht werden.

In der gleichen Sache gab namens der Frak-
tion der "Bayerischen Volkspartei" Stadtrat
Scharnagel eine Erklärung ab, die die Stel-
lungnahme des Senatspräsidenten gleichfalls
scharf zurückweist.

Protest der Bankbeamten.

"Gegen die Reaktion im Bankgewerbe"

lautete das Motto, unter dem die Angestellten-
Organisationen des Bankgewerbes zu einer Pro-
testkundgebung im Löwenbräukeller (am Montag
abend) einberufen hatten. Die ungemein stark
besuchte Versammlung, in deren Verlauf herbe
Kritik geübt wurde an dem Verhalten der Bank-
leitungen überhaupt, insbesondere aber an der
Tatsache, daß die Bankangestellten und -beamten
während der Weihnachtsfeiertage ohne zulängliche
Geldmittel gelassen wurden, führte zur Annahme
einer
Entschließung,
die u. a. besagt:

Die Versammlung billigt die Haltung der Ar-
beitnehmerbeisitzer bei den Schlichtungsverhand-
lungen am 29. Dezember 1923 und lehnt auch
ihrerseits den im Reichsarbeitsministerium ge-
fällten Schiedsspruch ab.

Die vorgesehenen Verschlechterungen des Ar-
beitsvertrages sind für ein Tarifverhältnis un-
tragbar. Die festgesetzten Gehälter sind als voll-
kommen unzureichend, die Anfangebezüge als
Hungergehälter zu bezeichnen. Der Schiedsspruch
ist hinsichtlich der Gehaltsfeststellung, der Ein-
schränkung der Tarifstaffel und der Festlegung
der Arbeitszeit weit über den Rahmen der be-
sonderen Verhältnisse des Bankgewerbes hinaus-
gegangen und hat dagegen die wirtschaftliche Not
und die berechtigten Forderungen der Angestell-
ten unberücksichtigt gelassen.

Durch die seit Wochen von den Bankleitungen
einseitig vorgenommenen Gehaltsanweisun-
gen ist die Not der Bankangestellten außerordent-
lich verschärft worden. Der größte Teil aller
Bankbeamten hat kaum die Mittel aufbringen
können, um die fälligen Mieten zu bezahlen. Die
Versammlung fordert daher von den Bankleitun-
gen, daß zunächst die Januarbezüge min-
destens in der Höhe der Schieds-
spruchsätze in den allernächsten Ta-
gen zur Auszahlung
gebracht werden, und
daß fernerhin nur schrittweise wie-
der zur Medio-Monatszahlung
über-
gegangen wird.

Die Versammlung gibt ihrer Entrüstung dar-
[Spaltenumbruch] über Ausdruck, daß die Bankleitungen fortgesetzt
gegen die Bestimmungen zum Schutz der Ange-
stellten verstoßen. Einen solchen Rechtsbruch
erblickt die Versammlung neuerdings in der Auf-
hebung der bisherigen ungeteilten
und in der Einführung
der im Schieds-
spruch vom 29. Dezember 1928 vorgesehenen ver-
längerten Arbeitszeit
durch einseitiges
Diktat der Bankleitungen ohne die in § 78 Zif-
fer 2 des BRG. vorgeschriebene Mitwirkung der
Vetriebsvertretungen.

Die Versammlung lehnt das Diktat der Bank-
leitungen ab und erwartet von den Betriebsver-
tretungen, daß diese gemeinsam mit den Ange-
stellten-Organisationen alle Schritte unternehmen,
um den Rechtsbruch der Bankleitungen auch vor
den gesetzlichen Instanzen feststellen zu lassen.

Die Versammlung bittet den Arbeitsminister,
den Verbindlichkeitsantrag der Arbeitgeber abzu-
lehnen und erklärt, mit allen gewerkschaftlichen
Mitteln der Willkürherrschaft im Bankgewerbe
begegnen zu wollen.
Eisenbahnunfall.

In der Nacht zum Montag
stieß im Ostbahuhof ein im Zusammenstellen be-
findlicher Zug mit einem Postwagen zusammen,
in dem mehrere Postbeamte beschäftigt waren.
Dabei wurde der 50jährige Schaffner Unter-
hofer
und der 49jährige Schaffner Mödl ver-
letzt. Beide mußten vom Rettungsdienst ins
Krankenhaus verbracht werden.

Um ein Paar Schuhe.

Mitte November wurde
der Schuhmachermeister B. Kirmeier das Opfer
eines gemeinen und heimtückischen Anschlages.
Der zwanzigjährige Baupraktikant Zitzmann
ließ sich Schuhe zeigen, ging wieder fort, kehrte
zurück und forderte schließlich, neue Ware zu
sehen: aus der untersten Stellage! Meister Kir-
meier mußte sich tief bücken, um diesem Wunsche
zu willfahren. Im gleichen Moment aber sank
er zu Boden. Er konnte noch schreien, kurz um
Hilfe rufen, dann umfing ihn Ohnmacht. Was
war geschehen? Das saubere Bürschlein hatte
den alten Mann hinterrücks mit einem fast zwei
Pfund schweren Hammer auf Kopf und Hand ge-
schlagen. Die Notschreie seines Opfers schreckten
den Lumpen, und so ergriff er die Flucht. Er
kam nicht weit: Passanten, durch den Lärm her-
beigelockt, hielten ihn fest und übergaben ihn der
Polizei. Nun stand die rohe Tat vor dem Volks-
gericht München
[1] zur Verhandlung. Mord-
versuch? Der Angeklagte leugnete. Nur um ein
Paar Schuhe sei es ihm zu tun gewesen ...
er habe sie dringend benötigt ... zur Heim-
reise. Das Gericht sah die Sache weniger harm-
los an. Zwar folgte es nicht dem Antrag des
Staatsanwalts, der auf zwölf Jahre Zuchthaus
lautete; aber -- auch acht Jahre Zuchthaus
sind schwere Sühne. Zehn Jahre Ehrverlust,
diese Zusatz-Strafe ist die rechte Antwort auf
eine so ehrlose Tat!

Gaunereien im Warenhaus.
s. Ein naiver Trick.

Eine 23 Jahre alte Näherin
machte in einem Warenhaus einen kleinen Ein-
kauf. Sie bezahlte und erhielt einen gestempel-
ten Kassazettel. Ohne die Ware abzuholen,
kaufte die Näherin auf einem anderen Waren-
lager teuere Waren. Mit dem dort erhaltenen
Schein ging sie an einen verschwiegenen Ort und
pauste den Quittungsstempel auf den Preiszettel
des hohen Einkaufs und wollte die wertvolle
Ware daraufhin in Empfang nehmen. Die Fäl-
schung wurde aber erkannt und das schlaue Fräu-
lein festgenommen.

s. Weils in Stadelheim zu kalt ist.

Ein saube-
res Kleeblatt: eine 28 Jahre alte Hilfsarbeite-
rin, eine 30 Jabre alte Metzgersfrau und eine
20jährige Kassierin beschlossen, in Warenhäusern
gemeinsam auf Raub auszuziehen. Mit gutem
Glück hatten sie das Warenhaus Tietz gebrand-
schatzt. Nun erwählten sie als zweites Opfer das
Haus Oberpollinger. Der schnelle Griff nach
einer Wolljacke wurde der Metzgersfrau und ihren
Komplizinnen zum Verhängnis. Man fand in
[Spaltenumbruch] den Wohnungen der dreien ein ganzes Waren-
lager. Die Diebin erklärte, sie habe die Jacke
nur gestohlen, um in Stadelheim, wohin sie in den
nächsten Tagen für einige Zeit in Pension gehen
müsse, nicht gar so sehr zu frieren.

Kleine Zeitung.
Geboren:

Herrn Sigmund Harburger (T.)

Gestorben:

Kaufmann Fritz Bauch, Teilhaber
der Firma Bernhard Bauch; Metzgermeister Jo-
sef Kruck; Holzhändler Anton Goßner; Frau
Käthe Timansky, verw. Dehm, geb. Wein-
berger; Frau Margolitha Marx, geb. Kohn.
Uhrmacher Georg Walter; Messerschmied-
meister J. B. Hopf.

Ein Prinz und ein Generalleutnant als
Mönche.

In der St. Anna-Kirche haben zwei
besondere Einweihungen stattgefunden. Es ließen
sich der ehemalige Oberleutnant der Ulanen von
Hannover, Prinz Franz Löwenstein-Wert-
heim-Freudenburg,
und der ehemalige
Kommandant von Ingolstadt, Generalleutnant
v. Reichlin-Meldegg, zu Franziskaner-
mönchen weihen.

s. Die Kehrseite der Gehaltskürzung.

Ein bei
der hiesigen Post angestellter, seit 20 Jahren im
Dienst stehender 53 Jahre alter Oberpost-
schaffner
wurde wegen Beraubung von
Auslandsbriefen verhaftet. Der Beamte stand
schon seit längerer Zeit im Verdachte der Un-
ehrlichkeit. Man stellte ihm eine Falle und --
überführte ihn.

Er gibt an, nur das eine Mal gefehlt zu ha-
ben und zwar aus Not, weil er als Vater
von vier Kindern mit dem Gehalt
von 62 Mark
monatlich nicht auskommen
könne.

[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]
Der Meister des jüngsten Tages.

Roman

Sie rüttelt an der Tür, sie ruft, sie schlägt
Lärm, die Wirtin kommt dazu, die beiden sprengen
die Tür auf -- das Zimmer ist leer. Aber die
Fenster sind offen, von der Straße her dringt
Lärm herauf, und jetzt wissen sie auch, was ge-
schehen ist: Unten drängen sich die Leute um eine
Leiche, der junge Offizier hat sich eine halbe
Minute zuvor aus dem Fenster gestürzt -- auf
dem Schreibtisch liegt noch seine glimmende
Zigarette."

"Aus dem Fenster gestürzt?" unterbrach der
Ingenieur den Erzähler. "Das ist erstaunlich.
Er hatte doch als Offizier sicherlich eine Waffe
in seinem Besitz."

"Ganz richtig. Der Revolver fand sich in
seinem Schreibtischfach. Er war intakt, aber
nicht geladen. Ein Armeerevolver, 9 Millimeter
Kaliber. In dem gleichen Fach lag die Munition,
eine ganze Schachtel voll Patronen."

"Weiter, weiter!" drängte Doktor Gorski.

"Weiter? Das ist alles. Er hat Selbstmord
begangen, wie vorher sein Bruder. Ich weiß
nicht, ob er die Lösung des Rätsels gefunden hat.
Aber wenn dies der Fall ist, dann muß er wohl
seine Gründe gehabt haben, das Geheimnis mit
sich zu nehmen."

"Was sagen Sie da?" rief Doktor Gorski. "Er
hat doch wohl ein Schreiben hinterlassen, eine
Rechtfertigung seiner Tat, eine Zeile der Er-
klärung wenigstens für seine Eltern."

"Nein."

[Spaltenumbruch]

Nicht Eugen Bischoff hatte diese Antwort in
so bestimmtem Tone gegeben, sondern der In-
genieur. Und nun fuhr er fort:

"Verstehen Sie denn nicht, daß diesem Offizier
keine Zeit geblieben ist? Er hatte keine Zeit,
das ist das Außerordentliche des Falles. Er kam
nicht mehr dazu, seinen Revolver hervorzusuchen
und zu laden. Wie hätte er Zeit finden sollen,
einen Abschiedsbrief zu schreiben?"

"Du bist im Irrtum, Solgrub", sagte Eugen
Bischoff. "Der Offizier hat eine schriftliche Mit-
teilung hinterlassen. Freilich, die bestand nur
aus einem einzigen Wort. Oder vielmehr aus
dem Bruchteil eines Wortes --"

"Das nenne ich militärische Kürze", meinte
Doktor Gorski und deutete mir mit einem lusti-
gen Zwinkern seiner Augen an, daß er das
Ganze für eine erfundene Geschichte hielte.

"Dann ist", schloß Eugen Bischoff seinen Be-
richt, "die Spitze seines Bleistiftes abgebrochen
und das Papier zeigt an dieser Stelle einen
breiten Riß."

"Und das Wort?"

"Es war in höchster Eile hingekritzelt, kaum
lesbar, es lautete: "Entsetzlich"."

Keiner von uns sagte ein Wort, nur der In-
genieur stieß ein kurzes und scharfes "Ah" der
Ueberraschung aus.

Dina war aufgestanden und hatte den Taster
der elektrischen Lampe gedreht. Nun war es
hell im Zimmer, aber das Gefühl der Beklem-
mung, das mich, das uns alle erfaßt hatte, wollte
sich nicht verlieren.

Nur Doktor Gorski stand der Sache skeptisch
gegenüber.

[Spaltenumbruch]

"Gestehen Sie es nur, Bischoff!" sagte er. "Sie
haben die ganze Geschichte erfunden, um uns
das Gruseln beizubringen."

Eugen Bischoff schüttelte den Kopf.

"Nein, Doktor. Gar nichts habe ich erfunden.
Es sind keine Wochen her, daß sich das alles zu-
getragen hat. Genau so, wie ich es Ihnen be-
richtet habe, hat es sich zugetragen. Ja, man
stößt manchmal auf sonderbare Dinge, Doktor,
das können Sie mir glauben. -- Was ist deine
Meinung von der Sache, Solgrub?"

"Morb!" sagte der Ingenieur kurz und ent-
schieden. "Eine sehr ungewöhnliche Art von
Mord, das steht für mich fest. Aber wer ist der
Mörder? Wie kam er in das Zimmer und wo-
hin ist er verschwunden? Man müßte die Sache
einmal gründlich überdenken, wenn man mit
sich allein ist."

Er warf einen Blick auf seine Uhr.

"Es ist spät geworden, ich werde mich verab-
schieden müssen."

"Unsinn. Ihr bleibt alle zum Abendessen da",
erklärte Eugen Bischoff. "Und nachher sitzen wir
noch eine Weile beisammen und plaudern von
erfreulicheren Dingen."

"Wie wäre es zum Beispiel, wenn ein hier
versammeltes kunstsinniges Publikum etwas aus
Ihrer neuen Rolle zu hören bekäme?" meinte
Doktor Gorski.

Eugen Bischoff sollte in ein paar Tagen zum
erstenmal den Richard III. spielen, das war in
allen Zeitungen gestanden. Aber Doktor Gorskts
Vorschlag schien ihm nicht zu behagen. Er verzog
den Mund und seine Stirn legte sich in Falten.

"Heute nicht", sagte er. "Ein anderes Mal
gerne."

[Spaltenumbruch]

Dina und ihr Bruder begannen lebhaft auf
ihn einzusprechen. -- Warum denn nicht heute?
Was für eine Laune! Und alle hätten sich schon
darauf gefreut.

"Etwas will man ja doch vor der misera plebs
der Logen und des Parketts voraus haben, wenn
man die Ehre hat. Sie persönlich zu kennen,
Bischoff", gestand Doktor Gorski.

Eugen Bischoff schüttelte den Kopf und blieb
bei seiner Weigerung.

"Nein, heute nicht. Es geht nicht. Ihr würdet
etwas gänglich Unfertiges zu hören bekommen,
und das will ich nicht."

"So eine Art Generalprobe vor guten Freun-
den", schlug der Ingenieur vor.

"Nein. Ihr sollt mich nicht drängen. Ich lasse
mich doch sonst, weiß Gott, nicht bitten. Es macht
mir ja selbst Vergnügen. Aber heute geht es nicht.
Ich habe mir das Bild dieses Richard noch nicht
geformt. Ich muß ihn vor Augen haben, ich muß
ihn sehen, das gehört dazu --"

Doktor Gorski gab scheinbar nach. Aber er
blinzelte mir wiederum listig zu, denn er war im
Besitze einer vorzüglichen und vielbewährten Me-
thode, den Widerstand des Schauspielers zu über-
winden, und gedachte sie anzuwenden. Er ging
mit großer Schlauheit und Umsicht vor und be-
gann mit unbefangenem Gesicht von einem höchst
mittelmäßigen Berliner Schauspieler zu erzählen,
den er in dieser Rolle gesehen haben wollte. Er
fand für diesen Darsteller Worte des höchsten
Lobes:

(Fortsetzung folgt.)

Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Dienstag, den 8. Januar 1924.
Münchener Stadtzeitung.
[Spaltenumbruch]
München ohne Faſching.

Mit Dreikönig ſchließt der Weihnachtskreis und
die Faſchingszeit hebt an. Das heißt in der
Theorie; denn die Praxis will auch heuer von
einem Faſching noch nichts wiſſen. Dabei wäre
diesmal die luſtige Zeit beſonders lange ausge-
fallen, zeigt doch der Kalender den 5. März als
Aſchermittwoch an, an dem der Münchner
in Zeiten, die uns ſo ferne zu liegen ſcheinen,
als hätten wir ſie ſelber nicht erlebt, in Sack und
Aſche Buße tat, den leeren Geldbeutel im Fiſch-
brunnen wuſch und ſchon wieder nach dem neuen
Vergnügen ſchielte: den wundervollen Stark-
bieren, deren Genuß die harte Faſtenzeit leicht
ertragen ließ.

Hat man etwas verloren, denkt man um ſo
lebhafter daran. Wer will uns wehren, gewiſſer-
maßen als Faſchingserſatz uns die Tage (rich-
tiger Abende und Nächte!) vor das innere Auge
zu ſtellen, wo wir frei von jeder Erdenſchwere in
einem lichten Himmel der Luſt und des Froh-
ſinns zu weilen glaubten. An Dreikönig ging
es eigentlich ſchon an, wenn die umherziehenden
Muſikanten in den Gaſtlokalen ihre Weiſen er-
ſchallen ließen, den Hörer und noch mehr die
Hörerin zu einem verſtohlenen Verſuch zwangen,
das Tanzgebein zu erproben, ob es nicht etwa ein-
geroſtet.

Die erſte Woche nach Dreikönig brachte dann
die erſte Redoute und den erſten Bal pare im
Deutſchen Theater. Die Eigenart des Münchner
Karnevals beſtand darin, daß er jedem Geſchmack
Rechnung trug. Die Geſchmäcker an Vergnü-
gungen ſind bekanntlich ganz verſchieden und die
Vorgnügungen auch, nachdem immerhin ein Un-
terſchied zwiſchen einer Kirchweihrauferei in Nie-
derbayern und einer Partie Schach iſt, aber beide
Dinge haben ihre Liebhaber. Der Münchner Fa-
ſching bot alles, Geiſtreichigkeit und ſprühende
Laune vornehmer Damen und Herren, gut bür-
gerliches Vergnügen und jene geſunde ſinnliche
Derbheit, die gerade das Süddeutſche Volk aus-
zeichnet, die aber doch nicht mit Grobheit oder
Brutalität verwechſelt werden darf und deren
Ton von einem Fremden nur ſehr ſchwer oder
gar nie zu treffen iſt. Göttlicher Leichtſinn perlte
auf den großen Künſtlerfeſten, die auch kulturelle
Werte vermittelten, ſtrahlende Heiterkeit er-
glänzte auf den prächligen Feiern unſeres aka-
demiſchen Nachwuchſes, ein Abbild warmen Le-
bens waren die Bauernbälle. Behäbigkeit zeich-
nete die gediegenen Faſchingsfeſtlichkeiten des
Münchner Gewerbes aus.

Das Bezaubernde am Münchner Faſching war
jener — man möchte ſagen demokratiſche Grund-
zug, der ſich ſelbſt von den Hoffeſten nicht ver-
drängen ließ, das Hinreißende die Art und Weiſe,
wie ſich das weibliche Element auf den Wogen der
bunten Luſt treiben ließ. Das Unbegreifliche, daß
dieſer Münchner Faſching immer neuer Steige-
rungen fähig war, daß er ſich immer reicher und
üppiger entfaltete, bis in den letzten drei Fa-
ſchingstagen die ganze Stadt vom Taumel ergrif-
fen wurde, der Karneval von den Sälen auf die
Straßen ging und ganz München ſich eine unge-
heure Narrenkappe auſſetzte.

Wird es wiederkomen? Wird 1924 das letzte
faſchingsloſe Jahr ſein? Wir hoffen und wün-
ſchen es. Oeffentliche Faſchingsluſtbarkeiten ſind
heuer im Hinblick auf den Ernſt der Zeit begreif-
licherweiſe verboten und die privaten Beſchrän-
kungen unterworfen. Das iſt ſehr recht, denn auf
das ſoziale Taktgefühl nicht aller Mitbürger iſt
ſtrenger Verlaß. Gegen harmloſe und in beſchei-
dener Grenze ſich bewegende Tanzvergnügungen
in privatem Kreiſe wird niemand etwas ein-
wenden. Ein fröhliches Herz vollbringt ja mehr,
als ein trübes und auch dem Weiſen, ſagt ein-
mal der alte Horaz, ziemt es, zeitweiſe töricht
zu ſein ...

[Spaltenumbruch]
Angriffe auf die Stadtverwaltung.

Der Senatspräſident beim Reichsfinanzhof Dr.
Strutz hat in der Dezembernummer des „Deut-
ſchen Steuerblattes“ bei der Behandlung des
Schickſals der Einkommenſteuer in ſcharfer Weiſe
gegen die „heutige rote Stadtratsmehrheit“ oder
eine künftige Mehrheit der Bayeriſchen Volks-
partei polemiſiert und dabei erklärt: „Die beſitzen-
den Klaſſen ſowie Beamte, Penſionäre, Rentner
und andere ohnehin von der Geldentwertung am
ſchwerſten betroffenen Schichten würden die Fol-
gen der Finanzwirtſchaft der heutigen ſozialiſtiſch-
kommuniſtiſchen, auf dieſem Gebiete von der
Bayer. Volkspartei unterſtützten Stadtratsmehr-
heit in noch weit unerträglicherem Maße zu
ſpüren bekommen als jetzt, wo man ſtatt zu wirk-
ſamen Perſonal- und ſonſtigen Einſparungen zu
greifen, durch unerſchwingliche Benutzungsgebüh-
ren jene ohnehin am ſchwerſten ringenden Schich-
ten ſchonungslos vollends abwürgt.“

Die Ausführungen des Senatspräſidenten
gaben kürzlich in der Sitzung des Hauptaus-
ſchuſſes dem Stadtrat Nußbaum Veranlaſ-
ſung, namens der Fraktion der V.S.P.D. eine
Erklärung abzugeben, in der dem Senatspräſi-
denten Dr. Strutz „Kritikloſigkeit, gehäſſige Par-
teipolemik, Unkenntnis und Leichtfertigkeit“ zum
Vorwurf gemacht werden.

In der gleichen Sache gab namens der Frak-
tion der „Bayeriſchen Volkspartei“ Stadtrat
Scharnagel eine Erklärung ab, die die Stel-
lungnahme des Senatspräſidenten gleichfalls
ſcharf zurückweiſt.

Proteſt der Bankbeamten.

„Gegen die Reaktion im Bankgewerbe“

lautete das Motto, unter dem die Angeſtellten-
Organiſationen des Bankgewerbes zu einer Pro-
teſtkundgebung im Löwenbräukeller (am Montag
abend) einberufen hatten. Die ungemein ſtark
beſuchte Verſammlung, in deren Verlauf herbe
Kritik geübt wurde an dem Verhalten der Bank-
leitungen überhaupt, insbeſondere aber an der
Tatſache, daß die Bankangeſtellten und -beamten
während der Weihnachtsfeiertage ohne zulängliche
Geldmittel gelaſſen wurden, führte zur Annahme
einer
Entſchließung,
die u. a. beſagt:

Die Verſammlung billigt die Haltung der Ar-
beitnehmerbeiſitzer bei den Schlichtungsverhand-
lungen am 29. Dezember 1923 und lehnt auch
ihrerſeits den im Reichsarbeitsminiſterium ge-
fällten Schiedsſpruch ab.

Die vorgeſehenen Verſchlechterungen des Ar-
beitsvertrages ſind für ein Tarifverhältnis un-
tragbar. Die feſtgeſetzten Gehälter ſind als voll-
kommen unzureichend, die Anfangebezüge als
Hungergehälter zu bezeichnen. Der Schiedsſpruch
iſt hinſichtlich der Gehaltsfeſtſtellung, der Ein-
ſchränkung der Tarifſtaffel und der Feſtlegung
der Arbeitszeit weit über den Rahmen der be-
ſonderen Verhältniſſe des Bankgewerbes hinaus-
gegangen und hat dagegen die wirtſchaftliche Not
und die berechtigten Forderungen der Angeſtell-
ten unberückſichtigt gelaſſen.

Durch die ſeit Wochen von den Bankleitungen
einſeitig vorgenommenen Gehaltsanweiſun-
gen iſt die Not der Bankangeſtellten außerordent-
lich verſchärft worden. Der größte Teil aller
Bankbeamten hat kaum die Mittel aufbringen
können, um die fälligen Mieten zu bezahlen. Die
Verſammlung fordert daher von den Bankleitun-
gen, daß zunächſt die Januarbezüge min-
deſtens in der Höhe der Schieds-
ſpruchſätze in den allernächſten Ta-
gen zur Auszahlung
gebracht werden, und
daß fernerhin nur ſchrittweiſe wie-
der zur Medio-Monatszahlung
über-
gegangen wird.

Die Verſammlung gibt ihrer Entrüſtung dar-
[Spaltenumbruch] über Ausdruck, daß die Bankleitungen fortgeſetzt
gegen die Beſtimmungen zum Schutz der Ange-
ſtellten verſtoßen. Einen ſolchen Rechtsbruch
erblickt die Verſammlung neuerdings in der Auf-
hebung der bisherigen ungeteilten
und in der Einführung
der im Schieds-
ſpruch vom 29. Dezember 1928 vorgeſehenen ver-
längerten Arbeitszeit
durch einſeitiges
Diktat der Bankleitungen ohne die in § 78 Zif-
fer 2 des BRG. vorgeſchriebene Mitwirkung der
Vetriebsvertretungen.

Die Verſammlung lehnt das Diktat der Bank-
leitungen ab und erwartet von den Betriebsver-
tretungen, daß dieſe gemeinſam mit den Ange-
ſtellten-Organiſationen alle Schritte unternehmen,
um den Rechtsbruch der Bankleitungen auch vor
den geſetzlichen Inſtanzen feſtſtellen zu laſſen.

Die Verſammlung bittet den Arbeitsminiſter,
den Verbindlichkeitsantrag der Arbeitgeber abzu-
lehnen und erklärt, mit allen gewerkſchaftlichen
Mitteln der Willkürherrſchaft im Bankgewerbe
begegnen zu wollen.
Eiſenbahnunfall.

In der Nacht zum Montag
ſtieß im Oſtbahuhof ein im Zuſammenſtellen be-
findlicher Zug mit einem Poſtwagen zuſammen,
in dem mehrere Poſtbeamte beſchäftigt waren.
Dabei wurde der 50jährige Schaffner Unter-
hofer
und der 49jährige Schaffner Mödl ver-
letzt. Beide mußten vom Rettungsdienſt ins
Krankenhaus verbracht werden.

Um ein Paar Schuhe.

Mitte November wurde
der Schuhmachermeiſter B. Kirmeier das Opfer
eines gemeinen und heimtückiſchen Anſchlages.
Der zwanzigjährige Baupraktikant Zitzmann
ließ ſich Schuhe zeigen, ging wieder fort, kehrte
zurück und forderte ſchließlich, neue Ware zu
ſehen: aus der unterſten Stellage! Meiſter Kir-
meier mußte ſich tief bücken, um dieſem Wunſche
zu willfahren. Im gleichen Moment aber ſank
er zu Boden. Er konnte noch ſchreien, kurz um
Hilfe rufen, dann umfing ihn Ohnmacht. Was
war geſchehen? Das ſaubere Bürſchlein hatte
den alten Mann hinterrücks mit einem faſt zwei
Pfund ſchweren Hammer auf Kopf und Hand ge-
ſchlagen. Die Notſchreie ſeines Opfers ſchreckten
den Lumpen, und ſo ergriff er die Flucht. Er
kam nicht weit: Paſſanten, durch den Lärm her-
beigelockt, hielten ihn feſt und übergaben ihn der
Polizei. Nun ſtand die rohe Tat vor dem Volks-
gericht München
[1] zur Verhandlung. Mord-
verſuch? Der Angeklagte leugnete. Nur um ein
Paar Schuhe ſei es ihm zu tun geweſen ...
er habe ſie dringend benötigt ... zur Heim-
reiſe. Das Gericht ſah die Sache weniger harm-
los an. Zwar folgte es nicht dem Antrag des
Staatsanwalts, der auf zwölf Jahre Zuchthaus
lautete; aber — auch acht Jahre Zuchthaus
ſind ſchwere Sühne. Zehn Jahre Ehrverluſt,
dieſe Zuſatz-Strafe iſt die rechte Antwort auf
eine ſo ehrloſe Tat!

Gaunereien im Warenhaus.
s. Ein naiver Trick.

Eine 23 Jahre alte Näherin
machte in einem Warenhaus einen kleinen Ein-
kauf. Sie bezahlte und erhielt einen geſtempel-
ten Kaſſazettel. Ohne die Ware abzuholen,
kaufte die Näherin auf einem anderen Waren-
lager teuere Waren. Mit dem dort erhaltenen
Schein ging ſie an einen verſchwiegenen Ort und
pauſte den Quittungsſtempel auf den Preiszettel
des hohen Einkaufs und wollte die wertvolle
Ware daraufhin in Empfang nehmen. Die Fäl-
ſchung wurde aber erkannt und das ſchlaue Fräu-
lein feſtgenommen.

s. Weils in Stadelheim zu kalt iſt.

Ein ſaube-
res Kleeblatt: eine 28 Jahre alte Hilfsarbeite-
rin, eine 30 Jabre alte Metzgersfrau und eine
20jährige Kaſſierin beſchloſſen, in Warenhäuſern
gemeinſam auf Raub auszuziehen. Mit gutem
Glück hatten ſie das Warenhaus Tietz gebrand-
ſchatzt. Nun erwählten ſie als zweites Opfer das
Haus Oberpollinger. Der ſchnelle Griff nach
einer Wolljacke wurde der Metzgersfrau und ihren
Komplizinnen zum Verhängnis. Man fand in
[Spaltenumbruch] den Wohnungen der dreien ein ganzes Waren-
lager. Die Diebin erklärte, ſie habe die Jacke
nur geſtohlen, um in Stadelheim, wohin ſie in den
nächſten Tagen für einige Zeit in Penſion gehen
müſſe, nicht gar ſo ſehr zu frieren.

Kleine Zeitung.
Geboren:

Herrn Sigmund Harburger (T.)

Geſtorben:

Kaufmann Fritz Bauch, Teilhaber
der Firma Bernhard Bauch; Metzgermeiſter Jo-
ſef Kruck; Holzhändler Anton Goßner; Frau
Käthe Timansky, verw. Dehm, geb. Wein-
berger; Frau Margolitha Marx, geb. Kohn.
Uhrmacher Georg Walter; Meſſerſchmied-
meiſter J. B. Hopf.

Ein Prinz und ein Generalleutnant als
Mönche.

In der St. Anna-Kirche haben zwei
beſondere Einweihungen ſtattgefunden. Es ließen
ſich der ehemalige Oberleutnant der Ulanen von
Hannover, Prinz Franz Löwenſtein-Wert-
heim-Freudenburg,
und der ehemalige
Kommandant von Ingolſtadt, Generalleutnant
v. Reichlin-Meldegg, zu Franziskaner-
mönchen weihen.

s. Die Kehrſeite der Gehaltskürzung.

Ein bei
der hieſigen Poſt angeſtellter, ſeit 20 Jahren im
Dienſt ſtehender 53 Jahre alter Oberpoſt-
ſchaffner
wurde wegen Beraubung von
Auslandsbriefen verhaftet. Der Beamte ſtand
ſchon ſeit längerer Zeit im Verdachte der Un-
ehrlichkeit. Man ſtellte ihm eine Falle und —
überführte ihn.

Er gibt an, nur das eine Mal gefehlt zu ha-
ben und zwar aus Not, weil er als Vater
von vier Kindern mit dem Gehalt
von 62 Mark
monatlich nicht auskommen
könne.

[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]
Der Meiſter des jüngſten Tages.

Roman

Sie rüttelt an der Tür, ſie ruft, ſie ſchlägt
Lärm, die Wirtin kommt dazu, die beiden ſprengen
die Tür auf — das Zimmer iſt leer. Aber die
Fenſter ſind offen, von der Straße her dringt
Lärm herauf, und jetzt wiſſen ſie auch, was ge-
ſchehen iſt: Unten drängen ſich die Leute um eine
Leiche, der junge Offizier hat ſich eine halbe
Minute zuvor aus dem Fenſter geſtürzt — auf
dem Schreibtiſch liegt noch ſeine glimmende
Zigarette.“

„Aus dem Fenſter geſtürzt?“ unterbrach der
Ingenieur den Erzähler. „Das iſt erſtaunlich.
Er hatte doch als Offizier ſicherlich eine Waffe
in ſeinem Beſitz.“

„Ganz richtig. Der Revolver fand ſich in
ſeinem Schreibtiſchfach. Er war intakt, aber
nicht geladen. Ein Armeerevolver, 9 Millimeter
Kaliber. In dem gleichen Fach lag die Munition,
eine ganze Schachtel voll Patronen.“

„Weiter, weiter!“ drängte Doktor Gorski.

„Weiter? Das iſt alles. Er hat Selbſtmord
begangen, wie vorher ſein Bruder. Ich weiß
nicht, ob er die Löſung des Rätſels gefunden hat.
Aber wenn dies der Fall iſt, dann muß er wohl
ſeine Gründe gehabt haben, das Geheimnis mit
ſich zu nehmen.“

„Was ſagen Sie da?“ rief Doktor Gorski. „Er
hat doch wohl ein Schreiben hinterlaſſen, eine
Rechtfertigung ſeiner Tat, eine Zeile der Er-
klärung wenigſtens für ſeine Eltern.“

„Nein.“

[Spaltenumbruch]

Nicht Eugen Biſchoff hatte dieſe Antwort in
ſo beſtimmtem Tone gegeben, ſondern der In-
genieur. Und nun fuhr er fort:

„Verſtehen Sie denn nicht, daß dieſem Offizier
keine Zeit geblieben iſt? Er hatte keine Zeit,
das iſt das Außerordentliche des Falles. Er kam
nicht mehr dazu, ſeinen Revolver hervorzuſuchen
und zu laden. Wie hätte er Zeit finden ſollen,
einen Abſchiedsbrief zu ſchreiben?“

„Du biſt im Irrtum, Solgrub“, ſagte Eugen
Biſchoff. „Der Offizier hat eine ſchriftliche Mit-
teilung hinterlaſſen. Freilich, die beſtand nur
aus einem einzigen Wort. Oder vielmehr aus
dem Bruchteil eines Wortes —“

„Das nenne ich militäriſche Kürze“, meinte
Doktor Gorski und deutete mir mit einem luſti-
gen Zwinkern ſeiner Augen an, daß er das
Ganze für eine erfundene Geſchichte hielte.

„Dann iſt“, ſchloß Eugen Biſchoff ſeinen Be-
richt, „die Spitze ſeines Bleiſtiftes abgebrochen
und das Papier zeigt an dieſer Stelle einen
breiten Riß.“

„Und das Wort?“

„Es war in höchſter Eile hingekritzelt, kaum
lesbar, es lautete: „Entſetzlich“.“

Keiner von uns ſagte ein Wort, nur der In-
genieur ſtieß ein kurzes und ſcharfes „Ah“ der
Ueberraſchung aus.

Dina war aufgeſtanden und hatte den Taſter
der elektriſchen Lampe gedreht. Nun war es
hell im Zimmer, aber das Gefühl der Beklem-
mung, das mich, das uns alle erfaßt hatte, wollte
ſich nicht verlieren.

Nur Doktor Gorski ſtand der Sache ſkeptiſch
gegenüber.

[Spaltenumbruch]

„Geſtehen Sie es nur, Biſchoff!“ ſagte er. „Sie
haben die ganze Geſchichte erfunden, um uns
das Gruſeln beizubringen.“

Eugen Biſchoff ſchüttelte den Kopf.

„Nein, Doktor. Gar nichts habe ich erfunden.
Es ſind keine Wochen her, daß ſich das alles zu-
getragen hat. Genau ſo, wie ich es Ihnen be-
richtet habe, hat es ſich zugetragen. Ja, man
ſtößt manchmal auf ſonderbare Dinge, Doktor,
das können Sie mir glauben. — Was iſt deine
Meinung von der Sache, Solgrub?“

„Morb!“ ſagte der Ingenieur kurz und ent-
ſchieden. „Eine ſehr ungewöhnliche Art von
Mord, das ſteht für mich feſt. Aber wer iſt der
Mörder? Wie kam er in das Zimmer und wo-
hin iſt er verſchwunden? Man müßte die Sache
einmal gründlich überdenken, wenn man mit
ſich allein iſt.“

Er warf einen Blick auf ſeine Uhr.

„Es iſt ſpät geworden, ich werde mich verab-
ſchieden müſſen.“

„Unſinn. Ihr bleibt alle zum Abendeſſen da“,
erklärte Eugen Biſchoff. „Und nachher ſitzen wir
noch eine Weile beiſammen und plaudern von
erfreulicheren Dingen.“

„Wie wäre es zum Beiſpiel, wenn ein hier
verſammeltes kunſtſinniges Publikum etwas aus
Ihrer neuen Rolle zu hören bekäme?“ meinte
Doktor Gorski.

Eugen Biſchoff ſollte in ein paar Tagen zum
erſtenmal den Richard III. ſpielen, das war in
allen Zeitungen geſtanden. Aber Doktor Gorskts
Vorſchlag ſchien ihm nicht zu behagen. Er verzog
den Mund und ſeine Stirn legte ſich in Falten.

„Heute nicht“, ſagte er. „Ein anderes Mal
gerne.“

[Spaltenumbruch]

Dina und ihr Bruder begannen lebhaft auf
ihn einzuſprechen. — Warum denn nicht heute?
Was für eine Laune! Und alle hätten ſich ſchon
darauf gefreut.

„Etwas will man ja doch vor der miſera plebs
der Logen und des Parketts voraus haben, wenn
man die Ehre hat. Sie perſönlich zu kennen,
Biſchoff“, geſtand Doktor Gorski.

Eugen Biſchoff ſchüttelte den Kopf und blieb
bei ſeiner Weigerung.

„Nein, heute nicht. Es geht nicht. Ihr würdet
etwas gänglich Unfertiges zu hören bekommen,
und das will ich nicht.“

„So eine Art Generalprobe vor guten Freun-
den“, ſchlug der Ingenieur vor.

„Nein. Ihr ſollt mich nicht drängen. Ich laſſe
mich doch ſonſt, weiß Gott, nicht bitten. Es macht
mir ja ſelbſt Vergnügen. Aber heute geht es nicht.
Ich habe mir das Bild dieſes Richard noch nicht
geformt. Ich muß ihn vor Augen haben, ich muß
ihn ſehen, das gehört dazu —“

Doktor Gorski gab ſcheinbar nach. Aber er
blinzelte mir wiederum liſtig zu, denn er war im
Beſitze einer vorzüglichen und vielbewährten Me-
thode, den Widerſtand des Schauſpielers zu über-
winden, und gedachte ſie anzuwenden. Er ging
mit großer Schlauheit und Umſicht vor und be-
gann mit unbefangenem Geſicht von einem höchſt
mittelmäßigen Berliner Schauſpieler zu erzählen,
den er in dieſer Rolle geſehen haben wollte. Er
fand für dieſen Darſteller Worte des höchſten
Lobes:

(Fortſetzung folgt.)

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</TEI>
[4/0004] Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Dienstag, den 8. Januar 1924. Münchener Stadtzeitung. München ohne Faſching. Mit Dreikönig ſchließt der Weihnachtskreis und die Faſchingszeit hebt an. Das heißt in der Theorie; denn die Praxis will auch heuer von einem Faſching noch nichts wiſſen. Dabei wäre diesmal die luſtige Zeit beſonders lange ausge- fallen, zeigt doch der Kalender den 5. März als Aſchermittwoch an, an dem der Münchner in Zeiten, die uns ſo ferne zu liegen ſcheinen, als hätten wir ſie ſelber nicht erlebt, in Sack und Aſche Buße tat, den leeren Geldbeutel im Fiſch- brunnen wuſch und ſchon wieder nach dem neuen Vergnügen ſchielte: den wundervollen Stark- bieren, deren Genuß die harte Faſtenzeit leicht ertragen ließ. Hat man etwas verloren, denkt man um ſo lebhafter daran. Wer will uns wehren, gewiſſer- maßen als Faſchingserſatz uns die Tage (rich- tiger Abende und Nächte!) vor das innere Auge zu ſtellen, wo wir frei von jeder Erdenſchwere in einem lichten Himmel der Luſt und des Froh- ſinns zu weilen glaubten. An Dreikönig ging es eigentlich ſchon an, wenn die umherziehenden Muſikanten in den Gaſtlokalen ihre Weiſen er- ſchallen ließen, den Hörer und noch mehr die Hörerin zu einem verſtohlenen Verſuch zwangen, das Tanzgebein zu erproben, ob es nicht etwa ein- geroſtet. Die erſte Woche nach Dreikönig brachte dann die erſte Redoute und den erſten Bal pare im Deutſchen Theater. Die Eigenart des Münchner Karnevals beſtand darin, daß er jedem Geſchmack Rechnung trug. Die Geſchmäcker an Vergnü- gungen ſind bekanntlich ganz verſchieden und die Vorgnügungen auch, nachdem immerhin ein Un- terſchied zwiſchen einer Kirchweihrauferei in Nie- derbayern und einer Partie Schach iſt, aber beide Dinge haben ihre Liebhaber. Der Münchner Fa- ſching bot alles, Geiſtreichigkeit und ſprühende Laune vornehmer Damen und Herren, gut bür- gerliches Vergnügen und jene geſunde ſinnliche Derbheit, die gerade das Süddeutſche Volk aus- zeichnet, die aber doch nicht mit Grobheit oder Brutalität verwechſelt werden darf und deren Ton von einem Fremden nur ſehr ſchwer oder gar nie zu treffen iſt. Göttlicher Leichtſinn perlte auf den großen Künſtlerfeſten, die auch kulturelle Werte vermittelten, ſtrahlende Heiterkeit er- glänzte auf den prächligen Feiern unſeres aka- demiſchen Nachwuchſes, ein Abbild warmen Le- bens waren die Bauernbälle. Behäbigkeit zeich- nete die gediegenen Faſchingsfeſtlichkeiten des Münchner Gewerbes aus. Das Bezaubernde am Münchner Faſching war jener — man möchte ſagen demokratiſche Grund- zug, der ſich ſelbſt von den Hoffeſten nicht ver- drängen ließ, das Hinreißende die Art und Weiſe, wie ſich das weibliche Element auf den Wogen der bunten Luſt treiben ließ. Das Unbegreifliche, daß dieſer Münchner Faſching immer neuer Steige- rungen fähig war, daß er ſich immer reicher und üppiger entfaltete, bis in den letzten drei Fa- ſchingstagen die ganze Stadt vom Taumel ergrif- fen wurde, der Karneval von den Sälen auf die Straßen ging und ganz München ſich eine unge- heure Narrenkappe auſſetzte. Wird es wiederkomen? Wird 1924 das letzte faſchingsloſe Jahr ſein? Wir hoffen und wün- ſchen es. Oeffentliche Faſchingsluſtbarkeiten ſind heuer im Hinblick auf den Ernſt der Zeit begreif- licherweiſe verboten und die privaten Beſchrän- kungen unterworfen. Das iſt ſehr recht, denn auf das ſoziale Taktgefühl nicht aller Mitbürger iſt ſtrenger Verlaß. Gegen harmloſe und in beſchei- dener Grenze ſich bewegende Tanzvergnügungen in privatem Kreiſe wird niemand etwas ein- wenden. Ein fröhliches Herz vollbringt ja mehr, als ein trübes und auch dem Weiſen, ſagt ein- mal der alte Horaz, ziemt es, zeitweiſe töricht zu ſein ... Angriffe auf die Stadtverwaltung. Der Senatspräſident beim Reichsfinanzhof Dr. Strutz hat in der Dezembernummer des „Deut- ſchen Steuerblattes“ bei der Behandlung des Schickſals der Einkommenſteuer in ſcharfer Weiſe gegen die „heutige rote Stadtratsmehrheit“ oder eine künftige Mehrheit der Bayeriſchen Volks- partei polemiſiert und dabei erklärt: „Die beſitzen- den Klaſſen ſowie Beamte, Penſionäre, Rentner und andere ohnehin von der Geldentwertung am ſchwerſten betroffenen Schichten würden die Fol- gen der Finanzwirtſchaft der heutigen ſozialiſtiſch- kommuniſtiſchen, auf dieſem Gebiete von der Bayer. Volkspartei unterſtützten Stadtratsmehr- heit in noch weit unerträglicherem Maße zu ſpüren bekommen als jetzt, wo man ſtatt zu wirk- ſamen Perſonal- und ſonſtigen Einſparungen zu greifen, durch unerſchwingliche Benutzungsgebüh- ren jene ohnehin am ſchwerſten ringenden Schich- ten ſchonungslos vollends abwürgt.“ Die Ausführungen des Senatspräſidenten gaben kürzlich in der Sitzung des Hauptaus- ſchuſſes dem Stadtrat Nußbaum Veranlaſ- ſung, namens der Fraktion der V.S.P.D. eine Erklärung abzugeben, in der dem Senatspräſi- denten Dr. Strutz „Kritikloſigkeit, gehäſſige Par- teipolemik, Unkenntnis und Leichtfertigkeit“ zum Vorwurf gemacht werden. In der gleichen Sache gab namens der Frak- tion der „Bayeriſchen Volkspartei“ Stadtrat Scharnagel eine Erklärung ab, die die Stel- lungnahme des Senatspräſidenten gleichfalls ſcharf zurückweiſt. Proteſt der Bankbeamten. „Gegen die Reaktion im Bankgewerbe“ lautete das Motto, unter dem die Angeſtellten- Organiſationen des Bankgewerbes zu einer Pro- teſtkundgebung im Löwenbräukeller (am Montag abend) einberufen hatten. Die ungemein ſtark beſuchte Verſammlung, in deren Verlauf herbe Kritik geübt wurde an dem Verhalten der Bank- leitungen überhaupt, insbeſondere aber an der Tatſache, daß die Bankangeſtellten und -beamten während der Weihnachtsfeiertage ohne zulängliche Geldmittel gelaſſen wurden, führte zur Annahme einer Entſchließung, die u. a. beſagt: Die Verſammlung billigt die Haltung der Ar- beitnehmerbeiſitzer bei den Schlichtungsverhand- lungen am 29. Dezember 1923 und lehnt auch ihrerſeits den im Reichsarbeitsminiſterium ge- fällten Schiedsſpruch ab. Die vorgeſehenen Verſchlechterungen des Ar- beitsvertrages ſind für ein Tarifverhältnis un- tragbar. Die feſtgeſetzten Gehälter ſind als voll- kommen unzureichend, die Anfangebezüge als Hungergehälter zu bezeichnen. Der Schiedsſpruch iſt hinſichtlich der Gehaltsfeſtſtellung, der Ein- ſchränkung der Tarifſtaffel und der Feſtlegung der Arbeitszeit weit über den Rahmen der be- ſonderen Verhältniſſe des Bankgewerbes hinaus- gegangen und hat dagegen die wirtſchaftliche Not und die berechtigten Forderungen der Angeſtell- ten unberückſichtigt gelaſſen. Durch die ſeit Wochen von den Bankleitungen einſeitig vorgenommenen Gehaltsanweiſun- gen iſt die Not der Bankangeſtellten außerordent- lich verſchärft worden. Der größte Teil aller Bankbeamten hat kaum die Mittel aufbringen können, um die fälligen Mieten zu bezahlen. Die Verſammlung fordert daher von den Bankleitun- gen, daß zunächſt die Januarbezüge min- deſtens in der Höhe der Schieds- ſpruchſätze in den allernächſten Ta- gen zur Auszahlung gebracht werden, und daß fernerhin nur ſchrittweiſe wie- der zur Medio-Monatszahlung über- gegangen wird. Die Verſammlung gibt ihrer Entrüſtung dar- über Ausdruck, daß die Bankleitungen fortgeſetzt gegen die Beſtimmungen zum Schutz der Ange- ſtellten verſtoßen. Einen ſolchen Rechtsbruch erblickt die Verſammlung neuerdings in der Auf- hebung der bisherigen ungeteilten und in der Einführung der im Schieds- ſpruch vom 29. Dezember 1928 vorgeſehenen ver- längerten Arbeitszeit durch einſeitiges Diktat der Bankleitungen ohne die in § 78 Zif- fer 2 des BRG. vorgeſchriebene Mitwirkung der Vetriebsvertretungen. Die Verſammlung lehnt das Diktat der Bank- leitungen ab und erwartet von den Betriebsver- tretungen, daß dieſe gemeinſam mit den Ange- ſtellten-Organiſationen alle Schritte unternehmen, um den Rechtsbruch der Bankleitungen auch vor den geſetzlichen Inſtanzen feſtſtellen zu laſſen. Die Verſammlung bittet den Arbeitsminiſter, den Verbindlichkeitsantrag der Arbeitgeber abzu- lehnen und erklärt, mit allen gewerkſchaftlichen Mitteln der Willkürherrſchaft im Bankgewerbe begegnen zu wollen. Eiſenbahnunfall. In der Nacht zum Montag ſtieß im Oſtbahuhof ein im Zuſammenſtellen be- findlicher Zug mit einem Poſtwagen zuſammen, in dem mehrere Poſtbeamte beſchäftigt waren. Dabei wurde der 50jährige Schaffner Unter- hofer und der 49jährige Schaffner Mödl ver- letzt. Beide mußten vom Rettungsdienſt ins Krankenhaus verbracht werden. Um ein Paar Schuhe. Mitte November wurde der Schuhmachermeiſter B. Kirmeier das Opfer eines gemeinen und heimtückiſchen Anſchlages. Der zwanzigjährige Baupraktikant Zitzmann ließ ſich Schuhe zeigen, ging wieder fort, kehrte zurück und forderte ſchließlich, neue Ware zu ſehen: aus der unterſten Stellage! Meiſter Kir- meier mußte ſich tief bücken, um dieſem Wunſche zu willfahren. Im gleichen Moment aber ſank er zu Boden. Er konnte noch ſchreien, kurz um Hilfe rufen, dann umfing ihn Ohnmacht. Was war geſchehen? Das ſaubere Bürſchlein hatte den alten Mann hinterrücks mit einem faſt zwei Pfund ſchweren Hammer auf Kopf und Hand ge- ſchlagen. Die Notſchreie ſeines Opfers ſchreckten den Lumpen, und ſo ergriff er die Flucht. Er kam nicht weit: Paſſanten, durch den Lärm her- beigelockt, hielten ihn feſt und übergaben ihn der Polizei. Nun ſtand die rohe Tat vor dem Volks- gericht München 1 zur Verhandlung. Mord- verſuch? Der Angeklagte leugnete. Nur um ein Paar Schuhe ſei es ihm zu tun geweſen ... er habe ſie dringend benötigt ... zur Heim- reiſe. Das Gericht ſah die Sache weniger harm- los an. Zwar folgte es nicht dem Antrag des Staatsanwalts, der auf zwölf Jahre Zuchthaus lautete; aber — auch acht Jahre Zuchthaus ſind ſchwere Sühne. Zehn Jahre Ehrverluſt, dieſe Zuſatz-Strafe iſt die rechte Antwort auf eine ſo ehrloſe Tat! Gaunereien im Warenhaus. s. Ein naiver Trick. Eine 23 Jahre alte Näherin machte in einem Warenhaus einen kleinen Ein- kauf. Sie bezahlte und erhielt einen geſtempel- ten Kaſſazettel. Ohne die Ware abzuholen, kaufte die Näherin auf einem anderen Waren- lager teuere Waren. Mit dem dort erhaltenen Schein ging ſie an einen verſchwiegenen Ort und pauſte den Quittungsſtempel auf den Preiszettel des hohen Einkaufs und wollte die wertvolle Ware daraufhin in Empfang nehmen. Die Fäl- ſchung wurde aber erkannt und das ſchlaue Fräu- lein feſtgenommen. s. Weils in Stadelheim zu kalt iſt. Ein ſaube- res Kleeblatt: eine 28 Jahre alte Hilfsarbeite- rin, eine 30 Jabre alte Metzgersfrau und eine 20jährige Kaſſierin beſchloſſen, in Warenhäuſern gemeinſam auf Raub auszuziehen. Mit gutem Glück hatten ſie das Warenhaus Tietz gebrand- ſchatzt. Nun erwählten ſie als zweites Opfer das Haus Oberpollinger. Der ſchnelle Griff nach einer Wolljacke wurde der Metzgersfrau und ihren Komplizinnen zum Verhängnis. Man fand in den Wohnungen der dreien ein ganzes Waren- lager. Die Diebin erklärte, ſie habe die Jacke nur geſtohlen, um in Stadelheim, wohin ſie in den nächſten Tagen für einige Zeit in Penſion gehen müſſe, nicht gar ſo ſehr zu frieren. Kleine Zeitung. Geboren: Herrn Sigmund Harburger (T.) Geſtorben: Kaufmann Fritz Bauch, Teilhaber der Firma Bernhard Bauch; Metzgermeiſter Jo- ſef Kruck; Holzhändler Anton Goßner; Frau Käthe Timansky, verw. Dehm, geb. Wein- berger; Frau Margolitha Marx, geb. Kohn. Uhrmacher Georg Walter; Meſſerſchmied- meiſter J. B. Hopf. Ein Prinz und ein Generalleutnant als Mönche. In der St. Anna-Kirche haben zwei beſondere Einweihungen ſtattgefunden. Es ließen ſich der ehemalige Oberleutnant der Ulanen von Hannover, Prinz Franz Löwenſtein-Wert- heim-Freudenburg, und der ehemalige Kommandant von Ingolſtadt, Generalleutnant v. Reichlin-Meldegg, zu Franziskaner- mönchen weihen. s. Die Kehrſeite der Gehaltskürzung. Ein bei der hieſigen Poſt angeſtellter, ſeit 20 Jahren im Dienſt ſtehender 53 Jahre alter Oberpoſt- ſchaffner wurde wegen Beraubung von Auslandsbriefen verhaftet. Der Beamte ſtand ſchon ſeit längerer Zeit im Verdachte der Un- ehrlichkeit. Man ſtellte ihm eine Falle und — überführte ihn. Er gibt an, nur das eine Mal gefehlt zu ha- ben und zwar aus Not, weil er als Vater von vier Kindern mit dem Gehalt von 62 Mark monatlich nicht auskommen könne. _ Der Meiſter des jüngſten Tages. Roman von Leo Perutz. Sie rüttelt an der Tür, ſie ruft, ſie ſchlägt Lärm, die Wirtin kommt dazu, die beiden ſprengen die Tür auf — das Zimmer iſt leer. Aber die Fenſter ſind offen, von der Straße her dringt Lärm herauf, und jetzt wiſſen ſie auch, was ge- ſchehen iſt: Unten drängen ſich die Leute um eine Leiche, der junge Offizier hat ſich eine halbe Minute zuvor aus dem Fenſter geſtürzt — auf dem Schreibtiſch liegt noch ſeine glimmende Zigarette.“ „Aus dem Fenſter geſtürzt?“ unterbrach der Ingenieur den Erzähler. „Das iſt erſtaunlich. Er hatte doch als Offizier ſicherlich eine Waffe in ſeinem Beſitz.“ „Ganz richtig. Der Revolver fand ſich in ſeinem Schreibtiſchfach. Er war intakt, aber nicht geladen. Ein Armeerevolver, 9 Millimeter Kaliber. In dem gleichen Fach lag die Munition, eine ganze Schachtel voll Patronen.“ „Weiter, weiter!“ drängte Doktor Gorski. „Weiter? Das iſt alles. Er hat Selbſtmord begangen, wie vorher ſein Bruder. Ich weiß nicht, ob er die Löſung des Rätſels gefunden hat. Aber wenn dies der Fall iſt, dann muß er wohl ſeine Gründe gehabt haben, das Geheimnis mit ſich zu nehmen.“ „Was ſagen Sie da?“ rief Doktor Gorski. „Er hat doch wohl ein Schreiben hinterlaſſen, eine Rechtfertigung ſeiner Tat, eine Zeile der Er- klärung wenigſtens für ſeine Eltern.“ „Nein.“ Nicht Eugen Biſchoff hatte dieſe Antwort in ſo beſtimmtem Tone gegeben, ſondern der In- genieur. Und nun fuhr er fort: „Verſtehen Sie denn nicht, daß dieſem Offizier keine Zeit geblieben iſt? Er hatte keine Zeit, das iſt das Außerordentliche des Falles. Er kam nicht mehr dazu, ſeinen Revolver hervorzuſuchen und zu laden. Wie hätte er Zeit finden ſollen, einen Abſchiedsbrief zu ſchreiben?“ „Du biſt im Irrtum, Solgrub“, ſagte Eugen Biſchoff. „Der Offizier hat eine ſchriftliche Mit- teilung hinterlaſſen. Freilich, die beſtand nur aus einem einzigen Wort. Oder vielmehr aus dem Bruchteil eines Wortes —“ „Das nenne ich militäriſche Kürze“, meinte Doktor Gorski und deutete mir mit einem luſti- gen Zwinkern ſeiner Augen an, daß er das Ganze für eine erfundene Geſchichte hielte. „Dann iſt“, ſchloß Eugen Biſchoff ſeinen Be- richt, „die Spitze ſeines Bleiſtiftes abgebrochen und das Papier zeigt an dieſer Stelle einen breiten Riß.“ „Und das Wort?“ „Es war in höchſter Eile hingekritzelt, kaum lesbar, es lautete: „Entſetzlich“.“ Keiner von uns ſagte ein Wort, nur der In- genieur ſtieß ein kurzes und ſcharfes „Ah“ der Ueberraſchung aus. Dina war aufgeſtanden und hatte den Taſter der elektriſchen Lampe gedreht. Nun war es hell im Zimmer, aber das Gefühl der Beklem- mung, das mich, das uns alle erfaßt hatte, wollte ſich nicht verlieren. Nur Doktor Gorski ſtand der Sache ſkeptiſch gegenüber. „Geſtehen Sie es nur, Biſchoff!“ ſagte er. „Sie haben die ganze Geſchichte erfunden, um uns das Gruſeln beizubringen.“ Eugen Biſchoff ſchüttelte den Kopf. „Nein, Doktor. Gar nichts habe ich erfunden. Es ſind keine Wochen her, daß ſich das alles zu- getragen hat. Genau ſo, wie ich es Ihnen be- richtet habe, hat es ſich zugetragen. Ja, man ſtößt manchmal auf ſonderbare Dinge, Doktor, das können Sie mir glauben. — Was iſt deine Meinung von der Sache, Solgrub?“ „Morb!“ ſagte der Ingenieur kurz und ent- ſchieden. „Eine ſehr ungewöhnliche Art von Mord, das ſteht für mich feſt. Aber wer iſt der Mörder? Wie kam er in das Zimmer und wo- hin iſt er verſchwunden? Man müßte die Sache einmal gründlich überdenken, wenn man mit ſich allein iſt.“ Er warf einen Blick auf ſeine Uhr. „Es iſt ſpät geworden, ich werde mich verab- ſchieden müſſen.“ „Unſinn. Ihr bleibt alle zum Abendeſſen da“, erklärte Eugen Biſchoff. „Und nachher ſitzen wir noch eine Weile beiſammen und plaudern von erfreulicheren Dingen.“ „Wie wäre es zum Beiſpiel, wenn ein hier verſammeltes kunſtſinniges Publikum etwas aus Ihrer neuen Rolle zu hören bekäme?“ meinte Doktor Gorski. Eugen Biſchoff ſollte in ein paar Tagen zum erſtenmal den Richard III. ſpielen, das war in allen Zeitungen geſtanden. Aber Doktor Gorskts Vorſchlag ſchien ihm nicht zu behagen. Er verzog den Mund und ſeine Stirn legte ſich in Falten. „Heute nicht“, ſagte er. „Ein anderes Mal gerne.“ Dina und ihr Bruder begannen lebhaft auf ihn einzuſprechen. — Warum denn nicht heute? Was für eine Laune! Und alle hätten ſich ſchon darauf gefreut. „Etwas will man ja doch vor der miſera plebs der Logen und des Parketts voraus haben, wenn man die Ehre hat. Sie perſönlich zu kennen, Biſchoff“, geſtand Doktor Gorski. Eugen Biſchoff ſchüttelte den Kopf und blieb bei ſeiner Weigerung. „Nein, heute nicht. Es geht nicht. Ihr würdet etwas gänglich Unfertiges zu hören bekommen, und das will ich nicht.“ „So eine Art Generalprobe vor guten Freun- den“, ſchlug der Ingenieur vor. „Nein. Ihr ſollt mich nicht drängen. Ich laſſe mich doch ſonſt, weiß Gott, nicht bitten. Es macht mir ja ſelbſt Vergnügen. Aber heute geht es nicht. Ich habe mir das Bild dieſes Richard noch nicht geformt. Ich muß ihn vor Augen haben, ich muß ihn ſehen, das gehört dazu —“ Doktor Gorski gab ſcheinbar nach. Aber er blinzelte mir wiederum liſtig zu, denn er war im Beſitze einer vorzüglichen und vielbewährten Me- thode, den Widerſtand des Schauſpielers zu über- winden, und gedachte ſie anzuwenden. Er ging mit großer Schlauheit und Umſicht vor und be- gann mit unbefangenem Geſicht von einem höchſt mittelmäßigen Berliner Schauſpieler zu erzählen, den er in dieſer Rolle geſehen haben wollte. Er fand für dieſen Darſteller Worte des höchſten Lobes: (Fortſetzung folgt.)

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 7. München, 8. Januar 1924, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine07_1924/4>, abgerufen am 21.11.2024.