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Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1830.

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Allgemeine Zeitung.
Mit allerhöchsten Privilegien.
Sonnabend Nro. 9. 9 Januar 1830.


Großbritannien.
-- Frankreich.
-- Niederlande.
-- Deutschland. (Schreiben aus Frankfurt.)
-- Türkei. (Nachrichten des östreichischen Beob-
achters.)
-- Beilage Nro. 9.
Spanisches Amerika.
-- Briefe aus dem Haag und aus der Schweiz.
-- Ankündigungen.



[Spaltenumbruch]
Großbritannien.

Konsol. 3 Proz. 95[ 3/8 ]; russische Fonds
1091/2; brasilische 721/2; portuglesische 60.

Am 28 Dec. wurde, nach dem Eintreffen von Depeschen aus
dem Haag, eine vierstündige Konferenz mehrerer Minister im
Hotel der auswärtigen Angelegenheiten gehalten. Sir Howard
Douglas, Gouverneur von Neu-Braunschweig, und der nieder-
ländische Gesandte Hr. v. Dedel wohnten einem Theile dieser Kon-
ferenz bei, in welcher es sich dem Vernehmen nach um die Gränz-
streitigkeiten zwischen England und den nordamerikanischen Frei-
staaten handelte, wobei bekanntlich der König der Niederlande
das Schiedsrichteramt übernommen hat.

Die Times sagen: "Wir wußten noch nicht, und haben erst
vor wenigen Tagen durch die Jury erfahren, daß es ein Libell
sey, die Unpopularität des Königs oder seinen Mangel an Willen,
von seinen Ministern unabhängig zu handeln, zu behaupten. Uns
würde es eine Veranlassung zu aufrichtigen Glükwünschen seyn,
wenn der König von England, nachdem er einmal seine Minister
gewählt, deren Verantwortlichkeit er nicht theilt, nicht versuchen
wollte, ihre Macht anders als durch ihre Entlassung zu kontrolli-
ren. Bei den wichtigsten wie bei den geringfügigsten Gegenstän-
den, von der Abschaffung eines Strafgesezbuchs bis zum Bau ei-
nes Pallastes, sollte er Alles seinen offiziellen Rathgebern über-
lassen, die unter der von der Verfassung ihnen auferlegten Gefahr
handeln, bestraft zu werden, wenn sie unrecht handeln, sey es in
der Erledigung einer großen politischen Frage, sey es in einem
Vertrage über Ziegel und Kalk. Was den Prozeß wegen eines
angeblich von dem Morning-Journal gemachten Versuches betrift,
die Regierung des Königs im Allgemeinen, und mit ihr das Ober-
und Unterhaus in Verachtung zu bringen, so behaupten wir unbe-
denklich, daß wenn die Anklagen auf solchen Grund vermehrt wer-
den und die Geschwornen so schwach oder des öffentlichen Wohls
so uneingedenk sind, daß sie dieselben begünstigen, alsdann jede freie
Diskussion in diesem aufgeklärten Lande und mit ihr die einzige
Sicherheit für den Genuß jedes andern Rechts ein Ende hat."

Das Morning-Chronicle enthält (und die preußische
Staatszeitung
vom 30 Dec. übersezt daraus) folgende Fort-
sezung des neulich erwähnten Aufsazes seines Pariser Korrespon-
denten zur Widerlegung des Drapeau blanc: "Nächst den Zeitun-
gen, die das Volk in Frankreich nicht repräsentiren sollen, thun
es auch, dem Drapeau blanc zufolge, die Deputirten nicht. Wie
ist das aber zu verstehen? Werden die Deputirten etwa nicht vom
Volke erwählt? Besteht nicht die große Körperschaft der Wähler
blos aus Leuten, die jährlich mindestens 12 Pfund Sterling an
Abgaben bezahlen? Leben sie nicht vertheilt in jedem Departement?
[Spaltenumbruch] Sind sie nicht die Bekenner aller im Staate vorhandenen Religio-
nen, und darf nicht jeder Mann, der 30 Jahre zählt und 12 Pf.
an Steuern bezahlt, seine Stimme abgeben? Ja, was noch mehr
als dis sagen will, sind nicht diejenigen, von denen man am mei-
sten erwarten darf, daß sie Royalisten seyn werden, nemlich die
Höchstbesteuerten, die Männer von großem Vermögen, die ein be-
sonderes Interesse an der Erhaltung des Friedens und der Wohl-
fahrt des Landes haben müssen, zu einem doppelten Votum be-
rechtigt? Vesteht nicht die große Masse der Wähler in allen Städ-
ten aus Landbesizern, die fast die Hälfte ihrer 12 Pf. für das
Patent bezahlen, durch das ihnen die Befugniß ertheilt wird, ei-
nen Laden halten und an dem Handel des Landes Theil nehmen
zu dürfen? Gehören aber nicht Ladenbesizer und Handelsleute zu
denen, die das Volk, ""das loyale und royalistische Volk,"" dar-
stellen? Ist die große Masse des Volkes wirklich so loyal, warum
fürchtet man eine neue Wahl, und woher kommt es, daß in dem
loyalen Bordeaur, an der Stelle des vom Könige zum Pair erho-
benen Hrn. Ravez, ein liberaler Kandidat gewählt wurde? Dar-
über ist nicht so leicht hinweg zu schlüpfen. Man könnte eben so
gut behaupten wollen, Orford sey der katholischen Emanzipation
nicht entgegen gewesen, als es sich weigerte, den besten Minister,
den England seit einem Jahrhundert als Staatssekretair für das
Innere besessen hat, in das Parlament abzuordnen. -- Der Dra-
peau blanc sagt aber endlich auch, daß die Wähler nicht zu den-
jenigen gehören, die das Volk darstellen. Diesen Irrthum habe
ich theilweise schon als einen solchen nachgewiesen. Wer soll denn
sonst das Volk darstellen? Die Priester etwa? Gewiß nicht! Denn
niemals war das Priesterthum so unpopulair in Frankreich, als
jezt. Die Pairs? Gewiß nicht! Denn wie können Männer, die
vom Könige kraft des Gesezes oder besonderer Gunst pensionirt
werden, als Volksrepräsentanten gelten? Die Pairs bilden eine
privilegirte Klasse, und zwar nicht mit Unrecht. Viele sind durch
die Revolution zu Bettlern geworden, und Frankreich hat durch
seine Kammern dem Könige die Macht gelassen, ihren Bedürf-
nissen abzuhelfen. Recht und gerecht ist es, daß dis geschieht.
Wer jedoch kan behaupten wollen, daß in einer pensionirten und
bevorrechteten Pairschaft das Volk sich darstelle? Die bloße Idee
schon ist monstreus. -- Nun, dann sind wohl die Begüterten, die
Eigenthümer großer Ländereien oder bedeutender Manufakturen,
die eigentlichen Volksdarsteller? Nein, denn gegen jeden großen
Eigenthümer in Frankreich lassen sich 1000 kleine und 2000 Arme
nachweisen. Doch nehme man selbst an, daß jene die eigentlichen
Muster sind, was bietet sich uns dann dar? Können wohl in ganz
Frankreich vermögendere und achtungswerthere Männer gefunden
werden, als die Wähler von Bordeaux? Und was haben diese nun

Allgemeine Zeitung.
Mit allerhöchſten Privilegien.
Sonnabend Nro. 9. 9 Januar 1830.


Großbritannien.
— Frankreich.
— Niederlande.
— Deutſchland. (Schreiben aus Frankfurt.)
— Türkei. (Nachrichten des öſtreichiſchen Beob-
achters.)
— Beilage Nro. 9.
Spaniſches Amerika.
— Briefe aus dem Haag und aus der Schweiz.
— Ankündigungen.



[Spaltenumbruch]
Großbritannien.

Konſol. 3 Proz. 95[⅜]; ruſſiſche Fonds
109½; braſiliſche 72½; portugleſiſche 60.

Am 28 Dec. wurde, nach dem Eintreffen von Depeſchen aus
dem Haag, eine vierſtündige Konferenz mehrerer Miniſter im
Hotel der auswärtigen Angelegenheiten gehalten. Sir Howard
Douglas, Gouverneur von Neu-Braunſchweig, und der nieder-
ländiſche Geſandte Hr. v. Dedel wohnten einem Theile dieſer Kon-
ferenz bei, in welcher es ſich dem Vernehmen nach um die Gränz-
ſtreitigkeiten zwiſchen England und den nordamerikaniſchen Frei-
ſtaaten handelte, wobei bekanntlich der König der Niederlande
das Schiedsrichteramt übernommen hat.

Die Times ſagen: „Wir wußten noch nicht, und haben erſt
vor wenigen Tagen durch die Jury erfahren, daß es ein Libell
ſey, die Unpopularität des Königs oder ſeinen Mangel an Willen,
von ſeinen Miniſtern unabhängig zu handeln, zu behaupten. Uns
würde es eine Veranlaſſung zu aufrichtigen Glükwünſchen ſeyn,
wenn der König von England, nachdem er einmal ſeine Miniſter
gewählt, deren Verantwortlichkeit er nicht theilt, nicht verſuchen
wollte, ihre Macht anders als durch ihre Entlaſſung zu kontrolli-
ren. Bei den wichtigſten wie bei den geringfügigſten Gegenſtän-
den, von der Abſchaffung eines Strafgeſezbuchs bis zum Bau ei-
nes Pallaſtes, ſollte er Alles ſeinen offiziellen Rathgebern über-
laſſen, die unter der von der Verfaſſung ihnen auferlegten Gefahr
handeln, beſtraft zu werden, wenn ſie unrecht handeln, ſey es in
der Erledigung einer großen politiſchen Frage, ſey es in einem
Vertrage über Ziegel und Kalk. Was den Prozeß wegen eines
angeblich von dem Morning-Journal gemachten Verſuches betrift,
die Regierung des Königs im Allgemeinen, und mit ihr das Ober-
und Unterhaus in Verachtung zu bringen, ſo behaupten wir unbe-
denklich, daß wenn die Anklagen auf ſolchen Grund vermehrt wer-
den und die Geſchwornen ſo ſchwach oder des öffentlichen Wohls
ſo uneingedenk ſind, daß ſie dieſelben begünſtigen, alsdann jede freie
Diskuſſion in dieſem aufgeklärten Lande und mit ihr die einzige
Sicherheit für den Genuß jedes andern Rechts ein Ende hat.“

Das Morning-Chronicle enthält (und die preußiſche
Staatszeitung
vom 30 Dec. überſezt daraus) folgende Fort-
ſezung des neulich erwähnten Aufſazes ſeines Pariſer Korreſpon-
denten zur Widerlegung des Drapeau blanc: „Nächſt den Zeitun-
gen, die das Volk in Frankreich nicht repräſentiren ſollen, thun
es auch, dem Drapeau blanc zufolge, die Deputirten nicht. Wie
iſt das aber zu verſtehen? Werden die Deputirten etwa nicht vom
Volke erwählt? Beſteht nicht die große Körperſchaft der Wähler
blos aus Leuten, die jährlich mindeſtens 12 Pfund Sterling an
Abgaben bezahlen? Leben ſie nicht vertheilt in jedem Departement?
[Spaltenumbruch] Sind ſie nicht die Bekenner aller im Staate vorhandenen Religio-
nen, und darf nicht jeder Mann, der 30 Jahre zählt und 12 Pf.
an Steuern bezahlt, ſeine Stimme abgeben? Ja, was noch mehr
als dis ſagen will, ſind nicht diejenigen, von denen man am mei-
ſten erwarten darf, daß ſie Royaliſten ſeyn werden, nemlich die
Höchſtbeſteuerten, die Männer von großem Vermögen, die ein be-
ſonderes Intereſſe an der Erhaltung des Friedens und der Wohl-
fahrt des Landes haben müſſen, zu einem doppelten Votum be-
rechtigt? Veſteht nicht die große Maſſe der Wähler in allen Städ-
ten aus Landbeſizern, die faſt die Hälfte ihrer 12 Pf. für das
Patent bezahlen, durch das ihnen die Befugniß ertheilt wird, ei-
nen Laden halten und an dem Handel des Landes Theil nehmen
zu dürfen? Gehören aber nicht Ladenbeſizer und Handelsleute zu
denen, die das Volk, „„das loyale und royaliſtiſche Volk,““ dar-
ſtellen? Iſt die große Maſſe des Volkes wirklich ſo loyal, warum
fürchtet man eine neue Wahl, und woher kommt es, daß in dem
loyalen Bordeaur, an der Stelle des vom Könige zum Pair erho-
benen Hrn. Ravez, ein liberaler Kandidat gewählt wurde? Dar-
über iſt nicht ſo leicht hinweg zu ſchlüpfen. Man könnte eben ſo
gut behaupten wollen, Orford ſey der katholiſchen Emanzipation
nicht entgegen geweſen, als es ſich weigerte, den beſten Miniſter,
den England ſeit einem Jahrhundert als Staatsſekretair für das
Innere beſeſſen hat, in das Parlament abzuordnen. — Der Dra-
peau blanc ſagt aber endlich auch, daß die Wähler nicht zu den-
jenigen gehören, die das Volk darſtellen. Dieſen Irrthum habe
ich theilweiſe ſchon als einen ſolchen nachgewieſen. Wer ſoll denn
ſonſt das Volk darſtellen? Die Prieſter etwa? Gewiß nicht! Denn
niemals war das Prieſterthum ſo unpopulair in Frankreich, als
jezt. Die Pairs? Gewiß nicht! Denn wie können Männer, die
vom Könige kraft des Geſezes oder beſonderer Gunſt penſionirt
werden, als Volksrepräſentanten gelten? Die Pairs bilden eine
privilegirte Klaſſe, und zwar nicht mit Unrecht. Viele ſind durch
die Revolution zu Bettlern geworden, und Frankreich hat durch
ſeine Kammern dem Könige die Macht gelaſſen, ihren Bedürf-
niſſen abzuhelfen. Recht und gerecht iſt es, daß dis geſchieht.
Wer jedoch kan behaupten wollen, daß in einer penſionirten und
bevorrechteten Pairſchaft das Volk ſich darſtelle? Die bloße Idee
ſchon iſt monſtreus. — Nun, dann ſind wohl die Begüterten, die
Eigenthümer großer Ländereien oder bedeutender Manufakturen,
die eigentlichen Volksdarſteller? Nein, denn gegen jeden großen
Eigenthümer in Frankreich laſſen ſich 1000 kleine und 2000 Arme
nachweiſen. Doch nehme man ſelbſt an, daß jene die eigentlichen
Muſter ſind, was bietet ſich uns dann dar? Können wohl in ganz
Frankreich vermögendere und achtungswerthere Männer gefunden
werden, als die Wähler von Bordeaux? Und was haben dieſe nun

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[0001] Allgemeine Zeitung. Mit allerhöchſten Privilegien. Sonnabend Nro. 9. 9 Januar 1830. Großbritannien. — Frankreich. — Niederlande. — Deutſchland. (Schreiben aus Frankfurt.) — Türkei. (Nachrichten des öſtreichiſchen Beob- achters.) — Beilage Nro. 9. Spaniſches Amerika. — Briefe aus dem Haag und aus der Schweiz. — Ankündigungen. Großbritannien. London, 30 Dec.Konſol. 3 Proz. 95⅜; ruſſiſche Fonds 109½; braſiliſche 72½; portugleſiſche 60. Am 28 Dec. wurde, nach dem Eintreffen von Depeſchen aus dem Haag, eine vierſtündige Konferenz mehrerer Miniſter im Hotel der auswärtigen Angelegenheiten gehalten. Sir Howard Douglas, Gouverneur von Neu-Braunſchweig, und der nieder- ländiſche Geſandte Hr. v. Dedel wohnten einem Theile dieſer Kon- ferenz bei, in welcher es ſich dem Vernehmen nach um die Gränz- ſtreitigkeiten zwiſchen England und den nordamerikaniſchen Frei- ſtaaten handelte, wobei bekanntlich der König der Niederlande das Schiedsrichteramt übernommen hat. Die Times ſagen: „Wir wußten noch nicht, und haben erſt vor wenigen Tagen durch die Jury erfahren, daß es ein Libell ſey, die Unpopularität des Königs oder ſeinen Mangel an Willen, von ſeinen Miniſtern unabhängig zu handeln, zu behaupten. Uns würde es eine Veranlaſſung zu aufrichtigen Glükwünſchen ſeyn, wenn der König von England, nachdem er einmal ſeine Miniſter gewählt, deren Verantwortlichkeit er nicht theilt, nicht verſuchen wollte, ihre Macht anders als durch ihre Entlaſſung zu kontrolli- ren. Bei den wichtigſten wie bei den geringfügigſten Gegenſtän- den, von der Abſchaffung eines Strafgeſezbuchs bis zum Bau ei- nes Pallaſtes, ſollte er Alles ſeinen offiziellen Rathgebern über- laſſen, die unter der von der Verfaſſung ihnen auferlegten Gefahr handeln, beſtraft zu werden, wenn ſie unrecht handeln, ſey es in der Erledigung einer großen politiſchen Frage, ſey es in einem Vertrage über Ziegel und Kalk. Was den Prozeß wegen eines angeblich von dem Morning-Journal gemachten Verſuches betrift, die Regierung des Königs im Allgemeinen, und mit ihr das Ober- und Unterhaus in Verachtung zu bringen, ſo behaupten wir unbe- denklich, daß wenn die Anklagen auf ſolchen Grund vermehrt wer- den und die Geſchwornen ſo ſchwach oder des öffentlichen Wohls ſo uneingedenk ſind, daß ſie dieſelben begünſtigen, alsdann jede freie Diskuſſion in dieſem aufgeklärten Lande und mit ihr die einzige Sicherheit für den Genuß jedes andern Rechts ein Ende hat.“ Das Morning-Chronicle enthält (und die preußiſche Staatszeitung vom 30 Dec. überſezt daraus) folgende Fort- ſezung des neulich erwähnten Aufſazes ſeines Pariſer Korreſpon- denten zur Widerlegung des Drapeau blanc: „Nächſt den Zeitun- gen, die das Volk in Frankreich nicht repräſentiren ſollen, thun es auch, dem Drapeau blanc zufolge, die Deputirten nicht. Wie iſt das aber zu verſtehen? Werden die Deputirten etwa nicht vom Volke erwählt? Beſteht nicht die große Körperſchaft der Wähler blos aus Leuten, die jährlich mindeſtens 12 Pfund Sterling an Abgaben bezahlen? Leben ſie nicht vertheilt in jedem Departement? Sind ſie nicht die Bekenner aller im Staate vorhandenen Religio- nen, und darf nicht jeder Mann, der 30 Jahre zählt und 12 Pf. an Steuern bezahlt, ſeine Stimme abgeben? Ja, was noch mehr als dis ſagen will, ſind nicht diejenigen, von denen man am mei- ſten erwarten darf, daß ſie Royaliſten ſeyn werden, nemlich die Höchſtbeſteuerten, die Männer von großem Vermögen, die ein be- ſonderes Intereſſe an der Erhaltung des Friedens und der Wohl- fahrt des Landes haben müſſen, zu einem doppelten Votum be- rechtigt? Veſteht nicht die große Maſſe der Wähler in allen Städ- ten aus Landbeſizern, die faſt die Hälfte ihrer 12 Pf. für das Patent bezahlen, durch das ihnen die Befugniß ertheilt wird, ei- nen Laden halten und an dem Handel des Landes Theil nehmen zu dürfen? Gehören aber nicht Ladenbeſizer und Handelsleute zu denen, die das Volk, „„das loyale und royaliſtiſche Volk,““ dar- ſtellen? Iſt die große Maſſe des Volkes wirklich ſo loyal, warum fürchtet man eine neue Wahl, und woher kommt es, daß in dem loyalen Bordeaur, an der Stelle des vom Könige zum Pair erho- benen Hrn. Ravez, ein liberaler Kandidat gewählt wurde? Dar- über iſt nicht ſo leicht hinweg zu ſchlüpfen. Man könnte eben ſo gut behaupten wollen, Orford ſey der katholiſchen Emanzipation nicht entgegen geweſen, als es ſich weigerte, den beſten Miniſter, den England ſeit einem Jahrhundert als Staatsſekretair für das Innere beſeſſen hat, in das Parlament abzuordnen. — Der Dra- peau blanc ſagt aber endlich auch, daß die Wähler nicht zu den- jenigen gehören, die das Volk darſtellen. Dieſen Irrthum habe ich theilweiſe ſchon als einen ſolchen nachgewieſen. Wer ſoll denn ſonſt das Volk darſtellen? Die Prieſter etwa? Gewiß nicht! Denn niemals war das Prieſterthum ſo unpopulair in Frankreich, als jezt. Die Pairs? Gewiß nicht! Denn wie können Männer, die vom Könige kraft des Geſezes oder beſonderer Gunſt penſionirt werden, als Volksrepräſentanten gelten? Die Pairs bilden eine privilegirte Klaſſe, und zwar nicht mit Unrecht. Viele ſind durch die Revolution zu Bettlern geworden, und Frankreich hat durch ſeine Kammern dem Könige die Macht gelaſſen, ihren Bedürf- niſſen abzuhelfen. Recht und gerecht iſt es, daß dis geſchieht. Wer jedoch kan behaupten wollen, daß in einer penſionirten und bevorrechteten Pairſchaft das Volk ſich darſtelle? Die bloße Idee ſchon iſt monſtreus. — Nun, dann ſind wohl die Begüterten, die Eigenthümer großer Ländereien oder bedeutender Manufakturen, die eigentlichen Volksdarſteller? Nein, denn gegen jeden großen Eigenthümer in Frankreich laſſen ſich 1000 kleine und 2000 Arme nachweiſen. Doch nehme man ſelbſt an, daß jene die eigentlichen Muſter ſind, was bietet ſich uns dann dar? Können wohl in ganz Frankreich vermögendere und achtungswerthere Männer gefunden werden, als die Wähler von Bordeaux? Und was haben dieſe nun

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1830, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine09_1830/1>, abgerufen am 21.11.2024.