Allgemeine Zeitung, Nr. 100, 10. April 1849.
Diese mit tiefer Rührung und eindringlicher Stimme gesprochenen Morgen verläßt der Staatsgerichtshof Bourges. Huber ist von Zur Charakteristik des Processes und der Personen die darin als An-
Dieſe mit tiefer Rührung und eindringlicher Stimme geſprochenen Morgen verläßt der Staatsgerichtshof Bourges. Huber iſt von Zur Charakteriſtik des Proceſſes und der Perſonen die darin als An- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p> <cit> <quote><pb facs="#f0013" n="1537"/> Nothwendigkeiten, wenn ſie vorhanden ſind, laſten auf Ihnen in derſelben<lb/> Art wie auf allen denen mit welchen Sie Ihr Eid gleichſtellt. Sie wer-<lb/> den dieſe Nothwendigkeiten verſtehen, meine Herren, wie Männer welche<lb/> verſprochen haben weder Haß noch Abneigung, weder Furcht noch Zunei-<lb/> gung zu hören. Mögen die Angeklagten es hören, und möge man wie<lb/> dieſe es hier wie draußen erfahren — es gibt auf dieſem Boden Frankreichs,<lb/> der ſo lange zerriſſen iſt und deſſen Bewegungen die Welt erſchüttern,<lb/> ein Gefühl welches ſtärker iſt als alle Partei-Intereſſen, und welches<lb/> lauter ſpricht als die Leidenſchaften des Augenblicks: dieß iſt das Gefühl<lb/> der Gerechtigkeit. Ihm werden Sie gehorchen, meine Herren, nur ihm<lb/> allein werden Sie gehorchen: alle geheimen Einwirkungen, alle äußern<lb/> Einflüſſe, alle tiefen Eindrücke die Sie während der Sitzungen empfunden<lb/> haben, alles dieß ſoll verſchwinden vor dem einfachen Worte das Sie ſich<lb/> ſagen werden: „Ich bin Richter“! Haben Sie ſich dieß Wort geſagt, dann<lb/> ſprechen Sie ihr Urtheil. <hi rendition="#aq">Dieu et la France seront avec vous.</hi>“</quote> </cit> </p><lb/> <p>Dieſe mit tiefer Rührung und eindringlicher Stimme geſprochenen<lb/> Worte erregten unter den Anweſenden aller Parteien einen gewaltigen<lb/> Eindruck, und trotz des hohen Ernſtes des Augenblicks und des Ortes<lb/> verbreitete ſich ein langes, doch leiſes Gemurmel des Beifalls. Der<lb/> Greffier verlas nun auf Befehl des Präfidenten die von den Geſchwor-<lb/> nen zu beantwortenden 28 Fragen. Hierauf bemerkte der Präſident<lb/> den Geſchwornen daß die Abſtimmung nach geheimem Scrutinium ge-<lb/> ſchehen müſſe, daß aber vor der Abſtimmung die Discuſſion Rechtens<lb/> ſey. Das Schuldig müſſe mit einer Majorität von zwei Dritteln der<lb/> Stimmen ausgeſprochen werden.</p><lb/> <p>Morgen verläßt der Staatsgerichtshof Bourges. Huber iſt von<lb/> einem der Richter vernommen werden, aber nicht während des Pro-<lb/> ceſſes erſchienen. Er wird nach Paris gebracht und dort die Vorunter-<lb/> ſuchung gegen ihn eingeleitet worden. Vidocq iſt nicht, wie die Zei-<lb/> tungen melden, in Vierzon entſprungen, ſondern richtig in die Concier-<lb/> gerie zu Paris abgeliefert worden und die Beſcheinigung hier ein-<lb/> gegangen.</p><lb/> <p>Zur Charakteriſtik des Proceſſes und der Perſonen die darin als An-<lb/> geklagte und jetzt als Verurtheilte erſcheinen, füge ich noch die merk-<lb/> würdige Rede eines derſelben an die Geſchwornen bei. Barbès, derſelbe<lb/> der die Milliarde für die Armen forderte, dem man aber allgemein einen<lb/> biedern aufrichtigen Charakter zuerkennt, hatte ſich nicht vertheidigt, er<lb/> ergriff aber am Ende noch das Wort, um folgende Bekenntniſſe abzulegen:<lb/><cit><quote>„Meine Herren! Meine erſten Worte an dieſem Orte waren eine Prote-<lb/> ſtation gegen Ihre Autorität und jetzt am Schluſſe muß ich es wiederholen,<lb/> daß ich Sie nicht als meine Richter anerkennen kann. Werden Sie heute<lb/> mehr Geduld haben mich anzuhören als am erſten Tage? Ich bezweifle<lb/> es, denn die Gewalt hat es nie geliebt Gründe gegen ſich anzuhören,<lb/> aber zu allen Zeiten iſt es ſchön geweſen wenn der Schwache es ver-<lb/> ſuchte die Wahrheit zu ſagen, ſelbſt auf Gefahr ſeines Lebens, und dieſe<lb/> Pflicht will ich — trotz aller Hinderniſſe die mich umgeben — zu erfüllen<lb/> ſuchen. Keine Wortklauberei zwiſchen Ihnen und mir! Ich habe die Zu-<lb/> ſtändigkeit Ihres Tribunals mich zu richten nicht bloß beſtritten weil es den<lb/> Mackel der Rückwirkung trägt, ſondern ich beſtreite ſie auch weil Sie für<lb/> mich eine feindliche Kaſte ſind, und weil die Intereſſen und Principien die<lb/> ich verfechte wie ein Verhängniß uns trennen. Abſolutes Recht des Capi-<lb/> tals über den Menſchen iſt Ihr Geſetz; mein Glaube dagegen iſt: gleiches<lb/> Recht jedes Bürgers an allen geſellſchaftlichen Gütern. Da wir von zwei<lb/> ſo entgegengeſetzten Punkten des politiſchen Horizonts unſerer Zeit aus-<lb/> gehen, ſo können wir uns nicht anders begegnen als wie zwei Wolken die<lb/> mit entgegengeſetzter Elektricität gefüllt ſind. Das Bedürfniß welches<lb/> Sie empfinden, das zu vertheidigen was Sie für Ihr Recht halten,<lb/> zwingt Sie mich zu verfolgen. Die Nothwendigkeit jedes Privilegium zu<lb/> zerſtören, um die Menſchheit der Herrſchaft des phyſiſchen und moraliſchen<lb/> Uebels zu entziehen, nöthigt mich — faſt hätte ich geſagt Sie anzu-<lb/> greifen — Doch nein, nicht Ihre Perſonen will ich angreifen, die<lb/> Ungleichheit bekämpfe ich allein in Ihnen. Sie ſind die Stärkern,<lb/> greifen Sie mich alſo an, meine Herren! Und wer weiß ob ich<lb/> nicht vielleicht ſchuldiger bin als man es Ihnen in dieſen Debat-<lb/> ten hat ſagen können! Da es vielleicht einiges Verdienſt haben kann<lb/> hier die Wahrheit zu ſagen, ſo will ich Ihnen ein vollſtändiges Geſtänd-<lb/> niß machen. Die Souveränetät des Volkes — vor einem Jahre dachten<lb/> Sie wohl nicht daran daß Sie die geſchwornen Beſchützer derſelben wer-<lb/> den würden — die Souveränetät des Volkes, was iſt ſie denn? Ein<lb/> Werkzeug, ein Mittel um einen Zweck zu erreichen. Der Zweck iſt alſo<lb/> der wahre Souverän. Alle geſellſchaftlichen Handlungen müſſen auf ihn<lb/> gerichtet ſeyn, die welche davon abgehen, find ſtrafbar. Wenn nun aber<lb/> bei dieſem hochherzigen franzöſiſchen Volke, das ſeinen Thätigkeits-Zweck —<lb/> wer wagt es zu läugnen? — ſtets und unaufhörlich, nicht etwa auf die<lb/> Eroberung der Welt, wie einſt die Stadt des Capitols, ſondern auf die<lb/><cb/> wahre und vollſtändige Verwirklichung des Princips der Gleichheit gerich-<lb/> tet hat, ſich eine Macht fände welche im Gegentheil das Volk in jener<lb/> Ungleichheit die in der Vergangenheit herrſchte, unbeweglich feſtbannen<lb/> wollte, müßte man da nicht dem wahren Souverän (dem Zwecke) gehor-<lb/> chen und eine ſolche widerſpenſtige Macht zwingen entweder in die rechte<lb/> Bahn einzuleiten, oder ſie durch die Gewalt zerbrechen? Dieſe Pflicht erfüll-<lb/> ten das Volk und die Gemeinde von Paris am 31 Mai 1793 als ſie die<lb/> Chefs der Girondiſtiſchen Majorität aus dem Convent jagten. Und dieſe<lb/> ſelbe Pflicht würde auch ich ohne Zaudern erfüllen und auch gegen eine<lb/> Verſammlung waffnen, die ungeachtet ihres aus dem allgemeinen Stimm-<lb/> recht entſprungenen Mandats, ſich in dem alten Gleiſe der Kammern<lb/> ſchleppte, wie ſie unter Ludwig Philipp von den Zweihundertfrankenwählern<lb/> ernannt worden ſind. Von dieſem Geſichtspunkte aus alſo, ich geſtehe es,<lb/> würde mein Reſpect für die Verſammlung unſerer jetzigen 900 Repräſen-<lb/> tanten eben nicht größer geweſen ſeyn, als für jene andere Verſammlung<lb/> von 11 Perſonen welche die Republik vom 24 Februar bis zum 4 Mai<lb/> verwaltet hat. Aber beide ſchienen mir eine Thatſache der Nothwendigkeit<lb/> die man wegen der allgemeinen Lage der Gemüther für den Augenblick<lb/> ertragen mußte. Aus dieſem Grunde hielt ich es nie für angemeſſen auf<lb/> thätige Weiſe die proviſoriſche Regierung anzugreifen. Ich will für mein<lb/> Betragen und meine Handlungen keine lächerliche Apologie machen wie<lb/> wenn Zwerge glauben ſich in Rieſen zu verwandeln, aber ich geſtehe, ich<lb/> erhob im Namen des Clubs deſſen Präſident ich zu ſeyn die Ehre hatte,<lb/> eine Oppoſttion die ſo gut war wie eine andere, und deren Charakter<lb/> darin beſtand daß ich allein auf der Tribüne proteſtirte an jenem Tage,<lb/> wo die ganze Verſammlung, 5 oder 6 Mitglieder ausgenommen die meine<lb/> Anſicht theilten, decretirte daß dieſe proviſoriſche Regierung ſich um das<lb/> Vaterland verdient gemacht habe. Aus dieſem Grunde ſuchte ich am<lb/> 15 Mai aus allen Kräften eine Manifeſtation zu verhindern, deren Ab-<lb/> ſicht — brauche ich es noch zu ſagen? — ich billigte, die mir aber für<lb/> das öffentliche Wohl gefährlich ſchien. Bis Mittags 12 Uhr habe ich mich<lb/> dieſer Manifeſtation widerſetzt, als ich aber die Ereigniſſe des Tages ſah,<lb/> als der Einbruch in die Verſammlung geſchehen war und die Repräſen-<lb/> tanten unbeweglich und niedergeſchlagen auf ihren Bänken ſaßen, wie<lb/> eine furchtſame Heerde in deren Mitte ein Löwe gedrungen iſt, da glaubte<lb/> ich daß die Gelegenheit gekommen ſey etwas für die Sache des Volks zu<lb/> erhalten, und ich bildete mir aus den Stimmen der Maſſe welche ſich<lb/> innerhalb und außerhalb des Saales erhoben, eine Art Beredſamkeit und<lb/> richtete meine Worte an die Verſammlung. Das war, wenn Sie wollen,<lb/> eben keine parlamentariſche Rednertaktik, die aber doch auch nicht tadelns-<lb/> werther iſt als jene feingeſchnitzten Phraſen mit denen ein officieller Red-<lb/> ner ſeine Zuhörer irreleitet und beherrſcht. Ich wollte nur das Votum<lb/> einiger revolutionären und ſocialen Maßregeln gewinnen. Mich an der<lb/> Verſammlung ſelber zu vergreifen ſchien mir ſchlecht, nicht etwa als der<lb/> Bruch eines Princips — ich habe es Ihnen ſchon erklärt, ſondern weil<lb/> ein ſolcher Schlag keinen Erfolg haben konnte. Hätte ich es vermocht,<lb/> ſo würde ich alſo das bekannte Decret der Auflöſung der Nationalverſamm-<lb/> lung nicht über die Lippen deſſen der es verkündete, haben kommen laſſen.<lb/> Als ich aber ſah daß die Repräſentanten gewiſſermaßen die Verwegen-<lb/> heit dieſes Decrets rechtfertigten und es für Ernſt nahmen, als ich<lb/> ſah wie ſie ſich zerſtreuten und den Saal verließen, da erhob ſich in<lb/> meiner Seele der Gedanke einer andern Pflicht und einer größern<lb/> Hoffnung. Die Anarchie drohte hereinzubrechen, da alle früher<lb/> begründeten Gewalten zu fehlen ſchienen. Ich mußte mein Vaterland<lb/> vor ſolchem Unglück bewahren, gleichzeitig bot ſich die Gelegenheit unter<lb/> Begünſtigung der Umſtände eine Regierung zu begründen die dem republi-<lb/> caniſchen Princip treu bliebe. Daher begab ich mich nach dem Stadthaus,<lb/> nicht etwa von der Maſſe fortgezogen, wie man geſagt hat, wahrſcheinlich<lb/> um mich zu entſchuldigen, ſondern von Zeit zu Zeit wartend um zu ſehen<lb/> ob die Maſſe mir folgte. Für dieß Verbrechen — denn ich wußte wohl daß<lb/> wenn ich beſiegt würde dieß Ihnen als Verbrechen erſcheinen würde —<lb/> müſſen Sie mich, meine Herren, verurtheilen; und was thut dieß, da doch<lb/> meine theuerſten Hoffnungen getäuſcht worden ſind, und das geſammte Va-<lb/> terland in den tiefſten Schmerz verſenkt iſt, da ſein Leib und ſeine Seele<lb/> ſich auf dieſer Quatimozin’ſchen Glutpfanne winden die man um unſe-<lb/> rer zu ſpotten mit dem heiligen Namen der Republik benennt! Was liegt<lb/> mir daran im Gefängniß zu ſtecken? Wenigſtens bewahren mich ſeine<lb/> Mauern mit eignen Augen die Leiden zu ſehen die ich nicht lindern kann.<lb/> Nur bitte ich dich, du theures Frankreich, um Verzeihung daß ich nie im<lb/> Leben dir habe nützlich ſeyn können! — Und ihr, meine unterdrückten Brü-<lb/> der aller Nationen für die ich auch nichts habe thun können, verzeiht mir<lb/> ebenfalls, denn niemand hatte einen ſüßern Wunſch als ich eure Ketten<lb/> zu brechen! Es lebe die demokratiſche und ſociale Republik!“</quote></cit> Dieſe Worte<lb/> machten einen nicht zu beſchreibenden Eindruck.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1537/0013]
Nothwendigkeiten, wenn ſie vorhanden ſind, laſten auf Ihnen in derſelben
Art wie auf allen denen mit welchen Sie Ihr Eid gleichſtellt. Sie wer-
den dieſe Nothwendigkeiten verſtehen, meine Herren, wie Männer welche
verſprochen haben weder Haß noch Abneigung, weder Furcht noch Zunei-
gung zu hören. Mögen die Angeklagten es hören, und möge man wie
dieſe es hier wie draußen erfahren — es gibt auf dieſem Boden Frankreichs,
der ſo lange zerriſſen iſt und deſſen Bewegungen die Welt erſchüttern,
ein Gefühl welches ſtärker iſt als alle Partei-Intereſſen, und welches
lauter ſpricht als die Leidenſchaften des Augenblicks: dieß iſt das Gefühl
der Gerechtigkeit. Ihm werden Sie gehorchen, meine Herren, nur ihm
allein werden Sie gehorchen: alle geheimen Einwirkungen, alle äußern
Einflüſſe, alle tiefen Eindrücke die Sie während der Sitzungen empfunden
haben, alles dieß ſoll verſchwinden vor dem einfachen Worte das Sie ſich
ſagen werden: „Ich bin Richter“! Haben Sie ſich dieß Wort geſagt, dann
ſprechen Sie ihr Urtheil. Dieu et la France seront avec vous.“
Dieſe mit tiefer Rührung und eindringlicher Stimme geſprochenen
Worte erregten unter den Anweſenden aller Parteien einen gewaltigen
Eindruck, und trotz des hohen Ernſtes des Augenblicks und des Ortes
verbreitete ſich ein langes, doch leiſes Gemurmel des Beifalls. Der
Greffier verlas nun auf Befehl des Präfidenten die von den Geſchwor-
nen zu beantwortenden 28 Fragen. Hierauf bemerkte der Präſident
den Geſchwornen daß die Abſtimmung nach geheimem Scrutinium ge-
ſchehen müſſe, daß aber vor der Abſtimmung die Discuſſion Rechtens
ſey. Das Schuldig müſſe mit einer Majorität von zwei Dritteln der
Stimmen ausgeſprochen werden.
Morgen verläßt der Staatsgerichtshof Bourges. Huber iſt von
einem der Richter vernommen werden, aber nicht während des Pro-
ceſſes erſchienen. Er wird nach Paris gebracht und dort die Vorunter-
ſuchung gegen ihn eingeleitet worden. Vidocq iſt nicht, wie die Zei-
tungen melden, in Vierzon entſprungen, ſondern richtig in die Concier-
gerie zu Paris abgeliefert worden und die Beſcheinigung hier ein-
gegangen.
Zur Charakteriſtik des Proceſſes und der Perſonen die darin als An-
geklagte und jetzt als Verurtheilte erſcheinen, füge ich noch die merk-
würdige Rede eines derſelben an die Geſchwornen bei. Barbès, derſelbe
der die Milliarde für die Armen forderte, dem man aber allgemein einen
biedern aufrichtigen Charakter zuerkennt, hatte ſich nicht vertheidigt, er
ergriff aber am Ende noch das Wort, um folgende Bekenntniſſe abzulegen:
„Meine Herren! Meine erſten Worte an dieſem Orte waren eine Prote-
ſtation gegen Ihre Autorität und jetzt am Schluſſe muß ich es wiederholen,
daß ich Sie nicht als meine Richter anerkennen kann. Werden Sie heute
mehr Geduld haben mich anzuhören als am erſten Tage? Ich bezweifle
es, denn die Gewalt hat es nie geliebt Gründe gegen ſich anzuhören,
aber zu allen Zeiten iſt es ſchön geweſen wenn der Schwache es ver-
ſuchte die Wahrheit zu ſagen, ſelbſt auf Gefahr ſeines Lebens, und dieſe
Pflicht will ich — trotz aller Hinderniſſe die mich umgeben — zu erfüllen
ſuchen. Keine Wortklauberei zwiſchen Ihnen und mir! Ich habe die Zu-
ſtändigkeit Ihres Tribunals mich zu richten nicht bloß beſtritten weil es den
Mackel der Rückwirkung trägt, ſondern ich beſtreite ſie auch weil Sie für
mich eine feindliche Kaſte ſind, und weil die Intereſſen und Principien die
ich verfechte wie ein Verhängniß uns trennen. Abſolutes Recht des Capi-
tals über den Menſchen iſt Ihr Geſetz; mein Glaube dagegen iſt: gleiches
Recht jedes Bürgers an allen geſellſchaftlichen Gütern. Da wir von zwei
ſo entgegengeſetzten Punkten des politiſchen Horizonts unſerer Zeit aus-
gehen, ſo können wir uns nicht anders begegnen als wie zwei Wolken die
mit entgegengeſetzter Elektricität gefüllt ſind. Das Bedürfniß welches
Sie empfinden, das zu vertheidigen was Sie für Ihr Recht halten,
zwingt Sie mich zu verfolgen. Die Nothwendigkeit jedes Privilegium zu
zerſtören, um die Menſchheit der Herrſchaft des phyſiſchen und moraliſchen
Uebels zu entziehen, nöthigt mich — faſt hätte ich geſagt Sie anzu-
greifen — Doch nein, nicht Ihre Perſonen will ich angreifen, die
Ungleichheit bekämpfe ich allein in Ihnen. Sie ſind die Stärkern,
greifen Sie mich alſo an, meine Herren! Und wer weiß ob ich
nicht vielleicht ſchuldiger bin als man es Ihnen in dieſen Debat-
ten hat ſagen können! Da es vielleicht einiges Verdienſt haben kann
hier die Wahrheit zu ſagen, ſo will ich Ihnen ein vollſtändiges Geſtänd-
niß machen. Die Souveränetät des Volkes — vor einem Jahre dachten
Sie wohl nicht daran daß Sie die geſchwornen Beſchützer derſelben wer-
den würden — die Souveränetät des Volkes, was iſt ſie denn? Ein
Werkzeug, ein Mittel um einen Zweck zu erreichen. Der Zweck iſt alſo
der wahre Souverän. Alle geſellſchaftlichen Handlungen müſſen auf ihn
gerichtet ſeyn, die welche davon abgehen, find ſtrafbar. Wenn nun aber
bei dieſem hochherzigen franzöſiſchen Volke, das ſeinen Thätigkeits-Zweck —
wer wagt es zu läugnen? — ſtets und unaufhörlich, nicht etwa auf die
Eroberung der Welt, wie einſt die Stadt des Capitols, ſondern auf die
wahre und vollſtändige Verwirklichung des Princips der Gleichheit gerich-
tet hat, ſich eine Macht fände welche im Gegentheil das Volk in jener
Ungleichheit die in der Vergangenheit herrſchte, unbeweglich feſtbannen
wollte, müßte man da nicht dem wahren Souverän (dem Zwecke) gehor-
chen und eine ſolche widerſpenſtige Macht zwingen entweder in die rechte
Bahn einzuleiten, oder ſie durch die Gewalt zerbrechen? Dieſe Pflicht erfüll-
ten das Volk und die Gemeinde von Paris am 31 Mai 1793 als ſie die
Chefs der Girondiſtiſchen Majorität aus dem Convent jagten. Und dieſe
ſelbe Pflicht würde auch ich ohne Zaudern erfüllen und auch gegen eine
Verſammlung waffnen, die ungeachtet ihres aus dem allgemeinen Stimm-
recht entſprungenen Mandats, ſich in dem alten Gleiſe der Kammern
ſchleppte, wie ſie unter Ludwig Philipp von den Zweihundertfrankenwählern
ernannt worden ſind. Von dieſem Geſichtspunkte aus alſo, ich geſtehe es,
würde mein Reſpect für die Verſammlung unſerer jetzigen 900 Repräſen-
tanten eben nicht größer geweſen ſeyn, als für jene andere Verſammlung
von 11 Perſonen welche die Republik vom 24 Februar bis zum 4 Mai
verwaltet hat. Aber beide ſchienen mir eine Thatſache der Nothwendigkeit
die man wegen der allgemeinen Lage der Gemüther für den Augenblick
ertragen mußte. Aus dieſem Grunde hielt ich es nie für angemeſſen auf
thätige Weiſe die proviſoriſche Regierung anzugreifen. Ich will für mein
Betragen und meine Handlungen keine lächerliche Apologie machen wie
wenn Zwerge glauben ſich in Rieſen zu verwandeln, aber ich geſtehe, ich
erhob im Namen des Clubs deſſen Präſident ich zu ſeyn die Ehre hatte,
eine Oppoſttion die ſo gut war wie eine andere, und deren Charakter
darin beſtand daß ich allein auf der Tribüne proteſtirte an jenem Tage,
wo die ganze Verſammlung, 5 oder 6 Mitglieder ausgenommen die meine
Anſicht theilten, decretirte daß dieſe proviſoriſche Regierung ſich um das
Vaterland verdient gemacht habe. Aus dieſem Grunde ſuchte ich am
15 Mai aus allen Kräften eine Manifeſtation zu verhindern, deren Ab-
ſicht — brauche ich es noch zu ſagen? — ich billigte, die mir aber für
das öffentliche Wohl gefährlich ſchien. Bis Mittags 12 Uhr habe ich mich
dieſer Manifeſtation widerſetzt, als ich aber die Ereigniſſe des Tages ſah,
als der Einbruch in die Verſammlung geſchehen war und die Repräſen-
tanten unbeweglich und niedergeſchlagen auf ihren Bänken ſaßen, wie
eine furchtſame Heerde in deren Mitte ein Löwe gedrungen iſt, da glaubte
ich daß die Gelegenheit gekommen ſey etwas für die Sache des Volks zu
erhalten, und ich bildete mir aus den Stimmen der Maſſe welche ſich
innerhalb und außerhalb des Saales erhoben, eine Art Beredſamkeit und
richtete meine Worte an die Verſammlung. Das war, wenn Sie wollen,
eben keine parlamentariſche Rednertaktik, die aber doch auch nicht tadelns-
werther iſt als jene feingeſchnitzten Phraſen mit denen ein officieller Red-
ner ſeine Zuhörer irreleitet und beherrſcht. Ich wollte nur das Votum
einiger revolutionären und ſocialen Maßregeln gewinnen. Mich an der
Verſammlung ſelber zu vergreifen ſchien mir ſchlecht, nicht etwa als der
Bruch eines Princips — ich habe es Ihnen ſchon erklärt, ſondern weil
ein ſolcher Schlag keinen Erfolg haben konnte. Hätte ich es vermocht,
ſo würde ich alſo das bekannte Decret der Auflöſung der Nationalverſamm-
lung nicht über die Lippen deſſen der es verkündete, haben kommen laſſen.
Als ich aber ſah daß die Repräſentanten gewiſſermaßen die Verwegen-
heit dieſes Decrets rechtfertigten und es für Ernſt nahmen, als ich
ſah wie ſie ſich zerſtreuten und den Saal verließen, da erhob ſich in
meiner Seele der Gedanke einer andern Pflicht und einer größern
Hoffnung. Die Anarchie drohte hereinzubrechen, da alle früher
begründeten Gewalten zu fehlen ſchienen. Ich mußte mein Vaterland
vor ſolchem Unglück bewahren, gleichzeitig bot ſich die Gelegenheit unter
Begünſtigung der Umſtände eine Regierung zu begründen die dem republi-
caniſchen Princip treu bliebe. Daher begab ich mich nach dem Stadthaus,
nicht etwa von der Maſſe fortgezogen, wie man geſagt hat, wahrſcheinlich
um mich zu entſchuldigen, ſondern von Zeit zu Zeit wartend um zu ſehen
ob die Maſſe mir folgte. Für dieß Verbrechen — denn ich wußte wohl daß
wenn ich beſiegt würde dieß Ihnen als Verbrechen erſcheinen würde —
müſſen Sie mich, meine Herren, verurtheilen; und was thut dieß, da doch
meine theuerſten Hoffnungen getäuſcht worden ſind, und das geſammte Va-
terland in den tiefſten Schmerz verſenkt iſt, da ſein Leib und ſeine Seele
ſich auf dieſer Quatimozin’ſchen Glutpfanne winden die man um unſe-
rer zu ſpotten mit dem heiligen Namen der Republik benennt! Was liegt
mir daran im Gefängniß zu ſtecken? Wenigſtens bewahren mich ſeine
Mauern mit eignen Augen die Leiden zu ſehen die ich nicht lindern kann.
Nur bitte ich dich, du theures Frankreich, um Verzeihung daß ich nie im
Leben dir habe nützlich ſeyn können! — Und ihr, meine unterdrückten Brü-
der aller Nationen für die ich auch nichts habe thun können, verzeiht mir
ebenfalls, denn niemand hatte einen ſüßern Wunſch als ich eure Ketten
zu brechen! Es lebe die demokratiſche und ſociale Republik!“ Dieſe Worte
machten einen nicht zu beſchreibenden Eindruck.
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(2022-09-09T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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