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Allgemeine Zeitung, Nr. 101, 11. April 1849.

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ten, falls diese in die Hände der Insurgenten fallen sollte. Außerdem
liegen mehrere englische Kriegsschiffe im Hafen von La Spezzia, welche
auf den ersten Wink in wenigen Stunden hier seyn würden. Die späte
Nacht stellte endlich die Ruhe wieder her, doch glich die ganze Stadt einem
Feldlager; an allen Ecken und Enden waren Bürgergardenpikets aufge-
stellt, die sich auf den Hauptplätzen auf mehr als 1500 Mann beliefen.
Diesen Morgen ist wieder alles in großer Bewegung. Das Volk sucht
sich hier und da der am Hafen aufgepflanzten Geschütze zu bemächtigen,
und hat bereits seit Tagesanbruch drei große Kanonen weg und nach dem
Palazzo Ducale geschleppt, welcher sich gänzlich in der Gewalt des Volkes
befindet. Der Divisionsgeneral Azarte verhält sich ruhig in seinem
Hauptquartier del Santo Spirito, wo er vom Volk scharf bewacht wird,
und die Anzeige erhalten hat daß auf den ersten Schuß von der zerstörten
Beste das Volk auf dieselbe eindringen und alles niedermetzeln wolle.
Der Vorwand zu dieser feindseligen Stellung gegen die piemontesische
Regierung ist daß man sich den zwei Bedingungen des Waffenstillstandes
nicht unterwerfen wolle, wonach Alessandria eine Besatzung von 3000
Oesterreichern aufnehmen und die sardinische Flotte binnen 15 Tagen in
die eigenen Häfen zurückkehren solle.



Toscana.

Die Wahlen zu der vor einigen Tagen er-
öffneten constituirenden Versammlung haben in Toscana aufs neue an
den Tag gebracht, was es mit dem allgemeinen Stimmrecht auf sich hat.
Entweder trägt diejenige Majorität den Sieg davon welche nur eine Ma-
jorität nach Köpfen ist ohne irgendwie darauf Anspruch machen zu können
die in politischen Dingen wirklich zum Mitreden Berechtigten und Be-
fähigten zu repräsentiren; oder die große Masse namentlich auf dem Land
bleibt theilnahmlos und die Wahlen befinden sich in der Gewalt der herr-
schenden Faction. Dieß ist bei uns der Fall gewesen, und was alle un-
sere gemäßigten und verständigen Politiker ohne Ausnahme prophezeiten,
ist buchstäblich eingetroffen. Die Theilnahme an den Wahlen ist beinahe
überall sehr schwach gewesen -- im Lucchesischen berechnet man daß etwa
5 Proc. der Bevölkerung gestimmt haben; in ganzen großen Communen ist
überhaupt keine Wahl zu Stande gekommen; an den meisten Orten hat man
mit bedeutendem Zeitverlust und genauer Noth eine einigermaßen hin-
reichende Zahl Wähler zusammengetrieben, und die Clubs haben beinahe
allerwärts ihre Candidaten durchgebracht. Man gehe die Listen durch --
wen findet man? Die Mitglieder des provisorischen Gouvernements und
des Ministeriums, einige radicale Deputirte der letzten Kammer, einige
radicale Zeitungsschreiber und sogenannte "Generale" (der Generalstitel
wird in dem revolutionären Italien mit großartiger Freigebigkeit vertheilt,
und Leute die keine Compagnie zu führen verstehen oder allerhöchstens ein-
mal einen Guerrillas-Feld- oder Raubzug mitgemacht haben, paradiren
mit demselben, da "Colonnello" schon an die Schreiber, Chirurgen und
Ladendiener gekommen ist), dazu Schauspieler, Straßenlärmstifter und
ähnliche: das sind die Deputirten, in deren Hände, wenn man sie ge-
währen läßt, das Schicksal Toscana's und ein nicht geringer Antheil am
Schicksal Italiens gelegt ist. Einerseits ists des Princips und der guten
Lehre willen ganz ersprießlich daß die Wahlen so ausgefallen find ein
Paroli auf die im Kirchenstaat zu biegen wo ähnliche Erscheinungen sich
kundgegeben haben: kein besseres Mittel konnte es geben der immer noch
verstockt blinden oder schmachvoll matten Menge die Augen zu öffnen über
Wesen und Personen der herrschenden anarchischen Partei. Andererseits
kann und wird dieß Resultat noch zu vielem Unheil Anlaß geben, wenn
nicht bald eine Restauration stattfindet und ehrliche sowohl wie talentvolle
Leute die Stelle von solchen einnehmen die, wenn sie Talent haben, längst
gewohnt gewesen sind es zum Ruin ihrer Heimath zu gebrauchen. Ein
Advocat, welchem seine eigene Partei, hoffentlich mit Unrecht, vorwarf in
Cassenangelegenheiten keine reinen Hände bewahrt zu haben, ein jüdischer
Comödiant aus dessen Physiognomie die unedelsten Leidenschaften sprechen,
ein verlaufener Römer, ein Straßenheld welcher den Skandal in der De-
putirtenkammer am 8 Febr. veranlaßte -- dieß find einige Specimina der
Gewählten, so daß man bedauert manche bessere Leute in solcher Gesell-
schaft zu sehen. Von einer solchen Versammlung soll Vertrauen ent-
gegenkommen! Wie allen denen welche dem Land ermuthigende Proben
ihrer Wiffenschaft und ihrer Gesinnung gegeben haben, find nur sehr
wenige da, ein einziger aus der frühern in beiden Beziehungen großen-
theils so ausgezeichneten ersten Kammer, kaum irgendeiner von den beiden
Universitäten von denen die pisanische eine Reihe allgemein verehrter
Männer aufzuweisen hat, vielleicht niemand aus der Magistratur und den
früheren Verwaltungen. Wahrhaftig, naht nicht Hülfe, so steht Toscana
eine heitere Zukunft bevor.

[Spaltenumbruch]
Paris.

Aufgeschreckt von den reißenden Fortschritten
des Socialismus, und um der unheilschwangern Propaganda der com-
munistischen Presse entgegenzuwirken, hat, wie Sie wissen, der Verein der
Poitiersstraße beschlossen eine Reihe wohlfeiler Schriften herauszugeben,
die den Arbeiterclassen über das eigentliche Wesen der Neulehren die Augen
öffnen sollen. Auch hat der Verein eine Subscription veranstaltet um die
nöthige Summe Geldes herbeizuschaffen, mit Hülfe deren die verschiedenen
Bücher, Almanache und Tractätlein, von welchen man die totale Aus-
rottung des demokratisch-socialistischen Krankheitsstoffs erwartet, ins Leben
gerufen und in gehörigen Umlauf gesetzt werden sollen, und Bulletins er-
scheinen täglich in den Organen der Poitiersstraße, die uns mittheilen daß
die Einzeichnungen einen guten Fortgang haben, und daß man bald im
Stande seyn werde Hand ans Werk zu legen. Daß der Zweck ein löblicher,
ist keine Frage, selbst dann nicht wenn es wahr wäre, was man sich in die
Ohren flüstert, daß man dabei nicht weniger die nächstkünftigen Wahlen
als die Bannung des unsaubern Gastes der in den untern Schichten des
Volks seinen gefährlichen Spuk treibt, im Auge habe. Erhebliche Resultate
indessen verspricht man sich hier nicht von dem Unternehmen. Allerdings
find in wenigen Tagen hundert und einige tausend Franken zusammenge-
kommen; da diese Summe aber fast ausschließlich von den Mitgliedern des
Vereins herrührt, so ist daraus nicht auf die Sympathien des Publicums
zu schließen, und man fürchtet sehr daß die Bulletins bald anfangen werden
in immer größern Zwischenräumen zu erscheinen. Angenommen jedoch es
finde sich Geld genug um ganz Frankreich mit antisocialistischen Abhand-
lungen zu überschwemmen, so zweifeln wir dennoch an einer gründlichen
Wirkung des Gegengiftes. Es ist eine eigene Sache mit diesem systema-
tischen und gleichsam officiellen Schulmeistern des Volks, das nun einmal
dazu geneigt ist um so begieriger nach der verbotenen Frucht zu haschen je
mehr man es vor derselben warnt, und sehr leicht könnte es den gewiß
höchst verständigen Büchern die der Betein der Poitiersstraße in die Welt
schicken wird, gerade so ergehen wie der "guten Presse" in den censurbe-
glückten Ländern. Wir wollen damit nicht gesagt haben daß wir die Be-
lehrung des Volks durch Wort und Schrift für überflüssig oder unnütz
halten, wir meinen nur daß man früher hätte daran denken sollen, und daß
man durch Wort und Schrift allein nicht im Stande sey den Socialismus
bei dem ungeheuren Vorsprung den er im Geiste der Arbeiterclassen bat,
zu überholen. Hierzu bedarf es der That. Durch die That muß dem
Volke gezeigt werden wo seine wahren Freunde, und welche die ächten
Mittel sind um das Joch der Noth unter dem es seufzt abzuschütteln.
Zum Weisheitpredigen ist es zu spät, man wird nur taube Ohren finden.
Wenn dagegen der Verein das beigesteuerte Geld zu irgendeinem Unter-
nehmen bestimmte das auch nur tausend Familien Arbeit und Verdienst
verschaffte, so würde er dadurch der guten Sache mehr nützen und dem
Ansehen der Socialisten mehr schaden als durch unzählige goldene Sprüche
und Lehren welche -- man darf es mit Gewißheit vorhersagen -- gerade
von jenen Leuten für die sie bestimmt find ungelesen bleiben werden.
Schließlich bemerken wir daß, was die socialistische Tagespresse zu Paris
insbesondere betrifft, sie ihren finanziellen Flor vorzüglich der Neugierde
des Publicums verdankt. Wir übertreiben gewiß nicht wenn wir be-
haupten daß von den fünfzigtausend Exemplaren des Peuple die täglich
abgesetzt werden mehr als die Hälfte von ehrlichen Philistern gekauft
wird, die Hrn. Proudhon in den Abgrund der Hölle wünschen, aber den-
noch am frühen Morgen nichts eiligeres zu thun haben als sich für einen
Sous das Blatt an der nächsten Straßenecke zu holen. Ohne diese
Kunden wären die meisten rothen Blätter längst aus Mangel an Geld
untergegangen. Das sollte der Verein der Poitiersstraße den Leuten be-
greiflich zu machen suchen. Freilich dürfte der Socialismus noch leichter
zu besiegen seyn als die Neugierde des Pariser Spießbürgers. Unsere
radicalen Blätter die sich über die Niederlage der Piemontesen noch immer
nicht beruhigen können, vor allen Dingen aber die Unmacht der Oester-
reicher beweisen wollen, versichern heute ganz ernsthaft: in der Schlacht
von Novara hätten zwanzigtausend Russen in deutscher Uniform
gefochten.



Die Schweiz und die auswärtige Politik.

Die deutsche Kaiserwahl
und der Ausgang des österreichisch-italienischen Kriegs in Oberitalien
wurden hier ungefähr zu gleicher Zeit bekannt, und es war sehr lehrreich
zu beobachten welchen Eindruck beide Ereignisse in der Schweiz hervor-
gebracht haben. Die deutsche Kaiserwahl ließ die große Mehrheit der
Schweizer kalt und gleichgültig. Diese praktische Nation, hierin mit den
Franzosen und Engländern übereinstimmend, betrachtet jenen Culminations-

[Spaltenumbruch] Kaliber, welche die Darſena in wenigen Minuten in Brand ſtecken könn-
ten, falls dieſe in die Hände der Inſurgenten fallen ſollte. Außerdem
liegen mehrere engliſche Kriegsſchiffe im Hafen von La Spezzia, welche
auf den erſten Wink in wenigen Stunden hier ſeyn würden. Die ſpäte
Nacht ſtellte endlich die Ruhe wieder her, doch glich die ganze Stadt einem
Feldlager; an allen Ecken und Enden waren Bürgergardenpikets aufge-
ſtellt, die ſich auf den Hauptplätzen auf mehr als 1500 Mann beliefen.
Dieſen Morgen iſt wieder alles in großer Bewegung. Das Volk ſucht
ſich hier und da der am Hafen aufgepflanzten Geſchütze zu bemächtigen,
und hat bereits ſeit Tagesanbruch drei große Kanonen weg und nach dem
Palazzo Ducale geſchleppt, welcher ſich gänzlich in der Gewalt des Volkes
befindet. Der Diviſionsgeneral Azarte verhält ſich ruhig in ſeinem
Hauptquartier del Santo Spirito, wo er vom Volk ſcharf bewacht wird,
und die Anzeige erhalten hat daß auf den erſten Schuß von der zerſtörten
Beſte das Volk auf dieſelbe eindringen und alles niedermetzeln wolle.
Der Vorwand zu dieſer feindſeligen Stellung gegen die piemonteſiſche
Regierung iſt daß man ſich den zwei Bedingungen des Waffenſtillſtandes
nicht unterwerfen wolle, wonach Aleſſandria eine Beſatzung von 3000
Oeſterreichern aufnehmen und die ſardiniſche Flotte binnen 15 Tagen in
die eigenen Häfen zurückkehren ſolle.



Toscana.

Die Wahlen zu der vor einigen Tagen er-
öffneten conſtituirenden Verſammlung haben in Toscana aufs neue an
den Tag gebracht, was es mit dem allgemeinen Stimmrecht auf ſich hat.
Entweder trägt diejenige Majorität den Sieg davon welche nur eine Ma-
jorität nach Köpfen iſt ohne irgendwie darauf Anſpruch machen zu können
die in politiſchen Dingen wirklich zum Mitreden Berechtigten und Be-
fähigten zu repräſentiren; oder die große Maſſe namentlich auf dem Land
bleibt theilnahmlos und die Wahlen befinden ſich in der Gewalt der herr-
ſchenden Faction. Dieß iſt bei uns der Fall geweſen, und was alle un-
ſere gemäßigten und verſtändigen Politiker ohne Ausnahme prophezeiten,
iſt buchſtäblich eingetroffen. Die Theilnahme an den Wahlen iſt beinahe
überall ſehr ſchwach geweſen — im Luccheſiſchen berechnet man daß etwa
5 Proc. der Bevölkerung geſtimmt haben; in ganzen großen Communen iſt
überhaupt keine Wahl zu Stande gekommen; an den meiſten Orten hat man
mit bedeutendem Zeitverluſt und genauer Noth eine einigermaßen hin-
reichende Zahl Wähler zuſammengetrieben, und die Clubs haben beinahe
allerwärts ihre Candidaten durchgebracht. Man gehe die Liſten durch —
wen findet man? Die Mitglieder des proviſoriſchen Gouvernements und
des Miniſteriums, einige radicale Deputirte der letzten Kammer, einige
radicale Zeitungsſchreiber und ſogenannte „Generale“ (der Generalstitel
wird in dem revolutionären Italien mit großartiger Freigebigkeit vertheilt,
und Leute die keine Compagnie zu führen verſtehen oder allerhöchſtens ein-
mal einen Guerrillas-Feld- oder Raubzug mitgemacht haben, paradiren
mit demſelben, da „Colonnello“ ſchon an die Schreiber, Chirurgen und
Ladendiener gekommen iſt), dazu Schauſpieler, Straßenlärmſtifter und
ähnliche: das ſind die Deputirten, in deren Hände, wenn man ſie ge-
währen läßt, das Schickſal Toscana’s und ein nicht geringer Antheil am
Schickſal Italiens gelegt iſt. Einerſeits iſts des Princips und der guten
Lehre willen ganz erſprießlich daß die Wahlen ſo ausgefallen find ein
Paroli auf die im Kirchenſtaat zu biegen wo ähnliche Erſcheinungen ſich
kundgegeben haben: kein beſſeres Mittel konnte es geben der immer noch
verſtockt blinden oder ſchmachvoll matten Menge die Augen zu öffnen über
Weſen und Perſonen der herrſchenden anarchiſchen Partei. Andererſeits
kann und wird dieß Reſultat noch zu vielem Unheil Anlaß geben, wenn
nicht bald eine Reſtauration ſtattfindet und ehrliche ſowohl wie talentvolle
Leute die Stelle von ſolchen einnehmen die, wenn ſie Talent haben, längſt
gewohnt geweſen ſind es zum Ruin ihrer Heimath zu gebrauchen. Ein
Advocat, welchem ſeine eigene Partei, hoffentlich mit Unrecht, vorwarf in
Caſſenangelegenheiten keine reinen Hände bewahrt zu haben, ein jüdiſcher
Comödiant aus deſſen Phyſiognomie die unedelſten Leidenſchaften ſprechen,
ein verlaufener Römer, ein Straßenheld welcher den Skandal in der De-
putirtenkammer am 8 Febr. veranlaßte — dieß find einige Specimina der
Gewählten, ſo daß man bedauert manche beſſere Leute in ſolcher Geſell-
ſchaft zu ſehen. Von einer ſolchen Verſammlung ſoll Vertrauen ent-
gegenkommen! Wie allen denen welche dem Land ermuthigende Proben
ihrer Wiffenſchaft und ihrer Geſinnung gegeben haben, find nur ſehr
wenige da, ein einziger aus der frühern in beiden Beziehungen großen-
theils ſo ausgezeichneten erſten Kammer, kaum irgendeiner von den beiden
Univerſitäten von denen die piſaniſche eine Reihe allgemein verehrter
Männer aufzuweiſen hat, vielleicht niemand aus der Magiſtratur und den
früheren Verwaltungen. Wahrhaftig, naht nicht Hülfe, ſo ſteht Toscana
eine heitere Zukunft bevor.

[Spaltenumbruch]
Paris.

Aufgeſchreckt von den reißenden Fortſchritten
des Socialismus, und um der unheilſchwangern Propaganda der com-
muniſtiſchen Preſſe entgegenzuwirken, hat, wie Sie wiſſen, der Verein der
Poitiersſtraße beſchloſſen eine Reihe wohlfeiler Schriften herauszugeben,
die den Arbeiterclaſſen über das eigentliche Weſen der Neulehren die Augen
öffnen ſollen. Auch hat der Verein eine Subſcription veranſtaltet um die
nöthige Summe Geldes herbeizuſchaffen, mit Hülfe deren die verſchiedenen
Bücher, Almanache und Tractätlein, von welchen man die totale Aus-
rottung des demokratiſch-ſocialiſtiſchen Krankheitsſtoffs erwartet, ins Leben
gerufen und in gehörigen Umlauf geſetzt werden ſollen, und Bulletins er-
ſcheinen täglich in den Organen der Poitiersſtraße, die uns mittheilen daß
die Einzeichnungen einen guten Fortgang haben, und daß man bald im
Stande ſeyn werde Hand ans Werk zu legen. Daß der Zweck ein löblicher,
iſt keine Frage, ſelbſt dann nicht wenn es wahr wäre, was man ſich in die
Ohren flüſtert, daß man dabei nicht weniger die nächſtkünftigen Wahlen
als die Bannung des unſaubern Gaſtes der in den untern Schichten des
Volks ſeinen gefährlichen Spuk treibt, im Auge habe. Erhebliche Reſultate
indeſſen verſpricht man ſich hier nicht von dem Unternehmen. Allerdings
find in wenigen Tagen hundert und einige tauſend Franken zuſammenge-
kommen; da dieſe Summe aber faſt ausſchließlich von den Mitgliedern des
Vereins herrührt, ſo iſt daraus nicht auf die Sympathien des Publicums
zu ſchließen, und man fürchtet ſehr daß die Bulletins bald anfangen werden
in immer größern Zwiſchenräumen zu erſcheinen. Angenommen jedoch es
finde ſich Geld genug um ganz Frankreich mit antiſocialiſtiſchen Abhand-
lungen zu überſchwemmen, ſo zweifeln wir dennoch an einer gründlichen
Wirkung des Gegengiftes. Es iſt eine eigene Sache mit dieſem ſyſtema-
tiſchen und gleichſam officiellen Schulmeiſtern des Volks, das nun einmal
dazu geneigt iſt um ſo begieriger nach der verbotenen Frucht zu haſchen je
mehr man es vor derſelben warnt, und ſehr leicht könnte es den gewiß
höchſt verſtändigen Büchern die der Betein der Poitiersſtraße in die Welt
ſchicken wird, gerade ſo ergehen wie der „guten Preſſe“ in den cenſurbe-
glückten Ländern. Wir wollen damit nicht geſagt haben daß wir die Be-
lehrung des Volks durch Wort und Schrift für überflüſſig oder unnütz
halten, wir meinen nur daß man früher hätte daran denken ſollen, und daß
man durch Wort und Schrift allein nicht im Stande ſey den Socialismus
bei dem ungeheuren Vorſprung den er im Geiſte der Arbeiterclaſſen bat,
zu überholen. Hierzu bedarf es der That. Durch die That muß dem
Volke gezeigt werden wo ſeine wahren Freunde, und welche die ächten
Mittel ſind um das Joch der Noth unter dem es ſeufzt abzuſchütteln.
Zum Weisheitpredigen iſt es zu ſpät, man wird nur taube Ohren finden.
Wenn dagegen der Verein das beigeſteuerte Geld zu irgendeinem Unter-
nehmen beſtimmte das auch nur tauſend Familien Arbeit und Verdienſt
verſchaffte, ſo würde er dadurch der guten Sache mehr nützen und dem
Anſehen der Socialiſten mehr ſchaden als durch unzählige goldene Sprüche
und Lehren welche — man darf es mit Gewißheit vorherſagen — gerade
von jenen Leuten für die ſie beſtimmt find ungeleſen bleiben werden.
Schließlich bemerken wir daß, was die ſocialiſtiſche Tagespreſſe zu Paris
insbeſondere betrifft, ſie ihren finanziellen Flor vorzüglich der Neugierde
des Publicums verdankt. Wir übertreiben gewiß nicht wenn wir be-
haupten daß von den fünfzigtauſend Exemplaren des Peuple die täglich
abgeſetzt werden mehr als die Hälfte von ehrlichen Philiſtern gekauft
wird, die Hrn. Proudhon in den Abgrund der Hölle wünſchen, aber den-
noch am frühen Morgen nichts eiligeres zu thun haben als ſich für einen
Sous das Blatt an der nächſten Straßenecke zu holen. Ohne dieſe
Kunden wären die meiſten rothen Blätter längſt aus Mangel an Geld
untergegangen. Das ſollte der Verein der Poitiersſtraße den Leuten be-
greiflich zu machen ſuchen. Freilich dürfte der Socialismus noch leichter
zu beſiegen ſeyn als die Neugierde des Pariſer Spießbürgers. Unſere
radicalen Blätter die ſich über die Niederlage der Piemonteſen noch immer
nicht beruhigen können, vor allen Dingen aber die Unmacht der Oeſter-
reicher beweiſen wollen, verſichern heute ganz ernſthaft: in der Schlacht
von Novara hätten zwanzigtauſend Ruſſen in deutſcher Uniform
gefochten.



Die Schweiz und die auswärtige Politik.

Die deutſche Kaiſerwahl
und der Ausgang des öſterreichiſch-italieniſchen Kriegs in Oberitalien
wurden hier ungefähr zu gleicher Zeit bekannt, und es war ſehr lehrreich
zu beobachten welchen Eindruck beide Ereigniſſe in der Schweiz hervor-
gebracht haben. Die deutſche Kaiſerwahl ließ die große Mehrheit der
Schweizer kalt und gleichgültig. Dieſe praktiſche Nation, hierin mit den
Franzoſen und Engländern übereinſtimmend, betrachtet jenen Culminations-

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[1553/0013] Kaliber, welche die Darſena in wenigen Minuten in Brand ſtecken könn- ten, falls dieſe in die Hände der Inſurgenten fallen ſollte. Außerdem liegen mehrere engliſche Kriegsſchiffe im Hafen von La Spezzia, welche auf den erſten Wink in wenigen Stunden hier ſeyn würden. Die ſpäte Nacht ſtellte endlich die Ruhe wieder her, doch glich die ganze Stadt einem Feldlager; an allen Ecken und Enden waren Bürgergardenpikets aufge- ſtellt, die ſich auf den Hauptplätzen auf mehr als 1500 Mann beliefen. Dieſen Morgen iſt wieder alles in großer Bewegung. Das Volk ſucht ſich hier und da der am Hafen aufgepflanzten Geſchütze zu bemächtigen, und hat bereits ſeit Tagesanbruch drei große Kanonen weg und nach dem Palazzo Ducale geſchleppt, welcher ſich gänzlich in der Gewalt des Volkes befindet. Der Diviſionsgeneral Azarte verhält ſich ruhig in ſeinem Hauptquartier del Santo Spirito, wo er vom Volk ſcharf bewacht wird, und die Anzeige erhalten hat daß auf den erſten Schuß von der zerſtörten Beſte das Volk auf dieſelbe eindringen und alles niedermetzeln wolle. Der Vorwand zu dieſer feindſeligen Stellung gegen die piemonteſiſche Regierung iſt daß man ſich den zwei Bedingungen des Waffenſtillſtandes nicht unterwerfen wolle, wonach Aleſſandria eine Beſatzung von 3000 Oeſterreichern aufnehmen und die ſardiniſche Flotte binnen 15 Tagen in die eigenen Häfen zurückkehren ſolle. Toscana. = Florenz, 1 April. Die Wahlen zu der vor einigen Tagen er- öffneten conſtituirenden Verſammlung haben in Toscana aufs neue an den Tag gebracht, was es mit dem allgemeinen Stimmrecht auf ſich hat. Entweder trägt diejenige Majorität den Sieg davon welche nur eine Ma- jorität nach Köpfen iſt ohne irgendwie darauf Anſpruch machen zu können die in politiſchen Dingen wirklich zum Mitreden Berechtigten und Be- fähigten zu repräſentiren; oder die große Maſſe namentlich auf dem Land bleibt theilnahmlos und die Wahlen befinden ſich in der Gewalt der herr- ſchenden Faction. Dieß iſt bei uns der Fall geweſen, und was alle un- ſere gemäßigten und verſtändigen Politiker ohne Ausnahme prophezeiten, iſt buchſtäblich eingetroffen. Die Theilnahme an den Wahlen iſt beinahe überall ſehr ſchwach geweſen — im Luccheſiſchen berechnet man daß etwa 5 Proc. der Bevölkerung geſtimmt haben; in ganzen großen Communen iſt überhaupt keine Wahl zu Stande gekommen; an den meiſten Orten hat man mit bedeutendem Zeitverluſt und genauer Noth eine einigermaßen hin- reichende Zahl Wähler zuſammengetrieben, und die Clubs haben beinahe allerwärts ihre Candidaten durchgebracht. Man gehe die Liſten durch — wen findet man? Die Mitglieder des proviſoriſchen Gouvernements und des Miniſteriums, einige radicale Deputirte der letzten Kammer, einige radicale Zeitungsſchreiber und ſogenannte „Generale“ (der Generalstitel wird in dem revolutionären Italien mit großartiger Freigebigkeit vertheilt, und Leute die keine Compagnie zu führen verſtehen oder allerhöchſtens ein- mal einen Guerrillas-Feld- oder Raubzug mitgemacht haben, paradiren mit demſelben, da „Colonnello“ ſchon an die Schreiber, Chirurgen und Ladendiener gekommen iſt), dazu Schauſpieler, Straßenlärmſtifter und ähnliche: das ſind die Deputirten, in deren Hände, wenn man ſie ge- währen läßt, das Schickſal Toscana’s und ein nicht geringer Antheil am Schickſal Italiens gelegt iſt. Einerſeits iſts des Princips und der guten Lehre willen ganz erſprießlich daß die Wahlen ſo ausgefallen find ein Paroli auf die im Kirchenſtaat zu biegen wo ähnliche Erſcheinungen ſich kundgegeben haben: kein beſſeres Mittel konnte es geben der immer noch verſtockt blinden oder ſchmachvoll matten Menge die Augen zu öffnen über Weſen und Perſonen der herrſchenden anarchiſchen Partei. Andererſeits kann und wird dieß Reſultat noch zu vielem Unheil Anlaß geben, wenn nicht bald eine Reſtauration ſtattfindet und ehrliche ſowohl wie talentvolle Leute die Stelle von ſolchen einnehmen die, wenn ſie Talent haben, längſt gewohnt geweſen ſind es zum Ruin ihrer Heimath zu gebrauchen. Ein Advocat, welchem ſeine eigene Partei, hoffentlich mit Unrecht, vorwarf in Caſſenangelegenheiten keine reinen Hände bewahrt zu haben, ein jüdiſcher Comödiant aus deſſen Phyſiognomie die unedelſten Leidenſchaften ſprechen, ein verlaufener Römer, ein Straßenheld welcher den Skandal in der De- putirtenkammer am 8 Febr. veranlaßte — dieß find einige Specimina der Gewählten, ſo daß man bedauert manche beſſere Leute in ſolcher Geſell- ſchaft zu ſehen. Von einer ſolchen Verſammlung ſoll Vertrauen ent- gegenkommen! Wie allen denen welche dem Land ermuthigende Proben ihrer Wiffenſchaft und ihrer Geſinnung gegeben haben, find nur ſehr wenige da, ein einziger aus der frühern in beiden Beziehungen großen- theils ſo ausgezeichneten erſten Kammer, kaum irgendeiner von den beiden Univerſitäten von denen die piſaniſche eine Reihe allgemein verehrter Männer aufzuweiſen hat, vielleicht niemand aus der Magiſtratur und den früheren Verwaltungen. Wahrhaftig, naht nicht Hülfe, ſo ſteht Toscana eine heitere Zukunft bevor. Paris. ☉ Paris, 5 April. Aufgeſchreckt von den reißenden Fortſchritten des Socialismus, und um der unheilſchwangern Propaganda der com- muniſtiſchen Preſſe entgegenzuwirken, hat, wie Sie wiſſen, der Verein der Poitiersſtraße beſchloſſen eine Reihe wohlfeiler Schriften herauszugeben, die den Arbeiterclaſſen über das eigentliche Weſen der Neulehren die Augen öffnen ſollen. Auch hat der Verein eine Subſcription veranſtaltet um die nöthige Summe Geldes herbeizuſchaffen, mit Hülfe deren die verſchiedenen Bücher, Almanache und Tractätlein, von welchen man die totale Aus- rottung des demokratiſch-ſocialiſtiſchen Krankheitsſtoffs erwartet, ins Leben gerufen und in gehörigen Umlauf geſetzt werden ſollen, und Bulletins er- ſcheinen täglich in den Organen der Poitiersſtraße, die uns mittheilen daß die Einzeichnungen einen guten Fortgang haben, und daß man bald im Stande ſeyn werde Hand ans Werk zu legen. Daß der Zweck ein löblicher, iſt keine Frage, ſelbſt dann nicht wenn es wahr wäre, was man ſich in die Ohren flüſtert, daß man dabei nicht weniger die nächſtkünftigen Wahlen als die Bannung des unſaubern Gaſtes der in den untern Schichten des Volks ſeinen gefährlichen Spuk treibt, im Auge habe. Erhebliche Reſultate indeſſen verſpricht man ſich hier nicht von dem Unternehmen. Allerdings find in wenigen Tagen hundert und einige tauſend Franken zuſammenge- kommen; da dieſe Summe aber faſt ausſchließlich von den Mitgliedern des Vereins herrührt, ſo iſt daraus nicht auf die Sympathien des Publicums zu ſchließen, und man fürchtet ſehr daß die Bulletins bald anfangen werden in immer größern Zwiſchenräumen zu erſcheinen. Angenommen jedoch es finde ſich Geld genug um ganz Frankreich mit antiſocialiſtiſchen Abhand- lungen zu überſchwemmen, ſo zweifeln wir dennoch an einer gründlichen Wirkung des Gegengiftes. Es iſt eine eigene Sache mit dieſem ſyſtema- tiſchen und gleichſam officiellen Schulmeiſtern des Volks, das nun einmal dazu geneigt iſt um ſo begieriger nach der verbotenen Frucht zu haſchen je mehr man es vor derſelben warnt, und ſehr leicht könnte es den gewiß höchſt verſtändigen Büchern die der Betein der Poitiersſtraße in die Welt ſchicken wird, gerade ſo ergehen wie der „guten Preſſe“ in den cenſurbe- glückten Ländern. Wir wollen damit nicht geſagt haben daß wir die Be- lehrung des Volks durch Wort und Schrift für überflüſſig oder unnütz halten, wir meinen nur daß man früher hätte daran denken ſollen, und daß man durch Wort und Schrift allein nicht im Stande ſey den Socialismus bei dem ungeheuren Vorſprung den er im Geiſte der Arbeiterclaſſen bat, zu überholen. Hierzu bedarf es der That. Durch die That muß dem Volke gezeigt werden wo ſeine wahren Freunde, und welche die ächten Mittel ſind um das Joch der Noth unter dem es ſeufzt abzuſchütteln. Zum Weisheitpredigen iſt es zu ſpät, man wird nur taube Ohren finden. Wenn dagegen der Verein das beigeſteuerte Geld zu irgendeinem Unter- nehmen beſtimmte das auch nur tauſend Familien Arbeit und Verdienſt verſchaffte, ſo würde er dadurch der guten Sache mehr nützen und dem Anſehen der Socialiſten mehr ſchaden als durch unzählige goldene Sprüche und Lehren welche — man darf es mit Gewißheit vorherſagen — gerade von jenen Leuten für die ſie beſtimmt find ungeleſen bleiben werden. Schließlich bemerken wir daß, was die ſocialiſtiſche Tagespreſſe zu Paris insbeſondere betrifft, ſie ihren finanziellen Flor vorzüglich der Neugierde des Publicums verdankt. Wir übertreiben gewiß nicht wenn wir be- haupten daß von den fünfzigtauſend Exemplaren des Peuple die täglich abgeſetzt werden mehr als die Hälfte von ehrlichen Philiſtern gekauft wird, die Hrn. Proudhon in den Abgrund der Hölle wünſchen, aber den- noch am frühen Morgen nichts eiligeres zu thun haben als ſich für einen Sous das Blatt an der nächſten Straßenecke zu holen. Ohne dieſe Kunden wären die meiſten rothen Blätter längſt aus Mangel an Geld untergegangen. Das ſollte der Verein der Poitiersſtraße den Leuten be- greiflich zu machen ſuchen. Freilich dürfte der Socialismus noch leichter zu beſiegen ſeyn als die Neugierde des Pariſer Spießbürgers. Unſere radicalen Blätter die ſich über die Niederlage der Piemonteſen noch immer nicht beruhigen können, vor allen Dingen aber die Unmacht der Oeſter- reicher beweiſen wollen, verſichern heute ganz ernſthaft: in der Schlacht von Novara hätten zwanzigtauſend Ruſſen in deutſcher Uniform gefochten. Die Schweiz und die auswärtige Politik. ▣ Aus der nördlichen Schweiz. Die deutſche Kaiſerwahl und der Ausgang des öſterreichiſch-italieniſchen Kriegs in Oberitalien wurden hier ungefähr zu gleicher Zeit bekannt, und es war ſehr lehrreich zu beobachten welchen Eindruck beide Ereigniſſe in der Schweiz hervor- gebracht haben. Die deutſche Kaiſerwahl ließ die große Mehrheit der Schweizer kalt und gleichgültig. Dieſe praktiſche Nation, hierin mit den Franzoſen und Engländern übereinſtimmend, betrachtet jenen Culminations-

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 101, 11. April 1849, S. 1553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine101_1849/13>, abgerufen am 21.11.2024.