Allgemeine Zeitung, Nr. 104, 14. April 1849.[Spaltenumbruch]
heren Erklärungen und seinen mit den übrigen Fürsten wirklich einge- Alles dieß mag der König von Preußen in seinem Geist erwogen Warum, fragt man sich wohl, hat der König durch den Mund eines Wie aber die Sachen einmal stehen, scheint uns die Annahme der Was dann, wenn sich unsere Versammlung in der Paulskirche wirk- [Spaltenumbruch]
heren Erklärungen und ſeinen mit den übrigen Fürſten wirklich einge- Alles dieß mag der König von Preußen in ſeinem Geiſt erwogen Warum, fragt man ſich wohl, hat der König durch den Mund eines Wie aber die Sachen einmal ſtehen, ſcheint uns die Annahme der Was dann, wenn ſich unſere Verſammlung in der Paulskirche wirk- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0010" n="1598"/><cb/> heren Erklärungen und ſeinen mit den übrigen Fürſten wirklich einge-<lb/> gangenen oder vorausgeſetzten oder vermeintlichen Verbindlichkeiten in<lb/> dieſem Einen Fall untreu werden ſollte. Inſofern kann man ſagen daß<lb/> die Reichsabordnung wohl noch ſchlimmer berathen war als der König,<lb/> indem ſie, wie man ſonſt wohl die Rechnung ohne den Wirth macht,<lb/> dießmal umgekehrt den Wirth ohne die Rechnung gemacht. Es iſt nicht<lb/> ſtaatsmänniſch — und leider fehlt es in der Paulskirche zwar nicht an<lb/> den mannichfaltigſten, jedenfalls aber an wahrhaft ſtaatsmänniſchen Ta-<lb/> lenten, und die wenigen können gegen die ſanguiniſchen Beſchlüſſe der<lb/> Mehrheit nicht aufkommen — es iſt nicht ſtaatsmänniſch einen ſolchen<lb/> entſcheidenden Schritt zu thun, ohne den Erfolg desſelben, möchte man<lb/> ſagen, ſo gut wie in der Taſche zu haben. Man wußte oder mußte wiſſen<lb/> daß wenn der König nicht oder nur unter Bedingungen annahm die wie-<lb/> der nicht von der Verſammlung in der Paulskirche angenommen werden<lb/> konnten, die Sachen in Deutſchland ſchlimmer ſtanden als je zuvor. Oder<lb/> glaubte man daß die Feſtſtellung der Erblichkeit einen ſo unwiderſtehlichen<lb/> Reiz für einen Fürſten haben konnte der ſelbſt noch vor Jahresfriſt<lb/> unter ſich die Pfeiler ſeines Thrones von einer dämoniſchen Macht ge-<lb/> ſchüttelt fühlte, mitten unter ſeinen „geliebten“, aber nur in dem Augen-<lb/> blick gerade etwas aufrühreriſchen Berlinern? Und was ließe ſich jetzt<lb/> für die Dauer feſtſtellen, was ſtände feſt? Wird nicht das Erbrecht an<lb/> ſich heutzutage in Frage gezogen? Wie endlich iſt es mit den Bürgſchaf-<lb/> ten beſchaffen, welche dem König eine Verſammlung zu bieten hatte die<lb/> in ihrer jetzigen Zuſammenſetzung den Demokraten ebenſo ſehr, als in<lb/> ihrem Urſprung den Fürſten und Ariſtokraten, ein Dorn im Auge und<lb/> daher bei jedem falſchen, unpolitiſchen Schritt in Gefahr iſt entweder<lb/> von der Revolution oder der Reaction überrannt oder zwiſchen beiden<lb/> Extremen allmählich aufgerieben oder bei einem Zuſammenſtoß beider<lb/> plötzlich nach allen vier Winden auseinander geſprengt zu werden. Haben<lb/> doch ſelbſt conſervative, freilich theils der ultramontanen, theils der öſter-<lb/> reichiſchen Partei angehörende Mitglieder ſich mit dem preußiſchen Erb-<lb/> kaiſerthum unter der ſchlauen Bedingung einverſtanden erklärt daß Preußen<lb/> in acht Statthalterſchaften oder Herzogthümer, d. h. in ebenſo viele Ein-<lb/> zelſtaaten aufgelöst werde, von denen kein einzelner an Macht, Größe<lb/> und Volksmenge dem deutſchen Oeſterreich oder auch nur dem jetzigen<lb/> Bayern gewachſen wäre. War es ermuthigend für den König von Preußen<lb/> die deutſche Kaiſerkrone aus den Händen einer Verſammlung entgegenzu-<lb/> nehmen in welcher ſämmtliche Republicaner, faſt alle Ultramontanen und<lb/> überhaupt eine gute Zahl dem preußiſchen Weſen abgeneigter Süddeut-<lb/> ſchen auf nichts ſo ſehr bedacht ſind als auf eine allmähliche chemiſche<lb/> Zerſetzung der preußiſchen Monarchie, auf deren Auflöſung in ihre ein-<lb/> zelnen Elemente?</p><lb/> <p>Alles dieß mag der König von Preußen in ſeinem Geiſt erwogen<lb/> haben; er mag nachgerechnet haben — und er war dieß als gewiſſenhafter<lb/> Mann ſeinem preußiſchen wie dem deutſchen Volke ſchuldig — ob ſeine<lb/> eigenen Kräfte einer in der That ſo ungeheuern Aufgabe gewachſen ſeyen;<lb/> es wird auch ihm nicht unbekannt ſeyn welche Vorurtheile gegen Preußen<lb/> in einem großen Theile Süddeutſchlands, gegen ſeine Perſönlichkeit auch<lb/> außer Süddeutſchland für jetzt noch beſtehen; er weiß daß man bei jeder<lb/> Maßregel ſeines Miniſteriums das Volk mit der bekannten Phraſe auf-<lb/> regen würde: „man wolle Deutſchland preußiſch machen“, und daß ſo die<lb/> Radicalen zu unaufhörlichen Wühlereien und Umtrieben nur zu häufigen<lb/> Anlaß haben würden; er kennt beſſer als diejenigen welche ihm die Krone<lb/> anboten die europäiſchen Conſtellationen, die geheimen diplomatiſchen<lb/> Beziehungen, die Gefahren eines Bruches mit Oeſterreich und Rußland,<lb/> die Gefahren eines Weltkrieges; er weiß was in ſeinem eigenen Reiche<lb/> noch zu thun iſt um es von den Erſchütterungen des vorigen Jahres<lb/> zu einem normalen Zuſtand zurückzuführen, und man will ihn nöthigen<lb/> die Einrichtung eines doppelt ſo großen, aus einer Menge ungleichartiger<lb/> Theile beſtehenden Reiches zu übernehmen, wo er heute auf den Wider-<lb/> ſtand bald dieſes bald jenes Volksſtammes, morgen auf die Widerſpän-<lb/> ſtigkeit, Zähigkeit oder Intrigue dieſes oder jenes Fürſten ſtoßen muß;<lb/> er weiß, er kennt, er empfindet dieß alles, und man erwartete von ihm<lb/> er ſolle ohne Gegenbedingung und ohne Vorbehalt die deutſche Kaiſer-<lb/> krone etwa in einer Aufwallung von Begeiſterung hinnehmen, welche den<lb/> Ueberbringern des Antrags zum größten Theil ſelbſt fremd ſeyn mochte.<lb/> Denn das jetzige Parteigetreibe, in das man namentlich hier einen keines-<lb/> wegs ſehr erfreulichen Blick gewinnt, duldet keine Begeiſterung auf die<lb/> Dauer, und wo ſie die Augen blitzen, die Wangen hochroth erſcheinen<lb/> läßt, iſt ſie eben nur, mit ſeltenen Ausnahmen, erkünſteltes Feuer und<lb/> nach den Regeln der Kunſt aufgelegte Schminke.</p><lb/> <p>Warum, fragt man ſich wohl, hat der König durch den Mund eines<lb/> ſeiner Vertrauten in der Frankfurter Verſammlung nicht früher rund und nett<lb/> erklären laſſen daß er keineswegs geneigt ſey als Erbkaiſer an die Spitze<lb/> Deutſchlands zu treten? Wozu erſt die Erwartung aufs höchſte ſpannen?<lb/><cb/> Wozu das Schauſpiel einer Reichstagsdeputation und eines pomphaften<lb/> kühlen Empfanges? Darum, ſagen einige, weil es ſeiner Eitelkeit ſchmei-<lb/> chelte in der Weltgeſchichte unter den Namen derjenigen zu glänzen welche<lb/> zugleich ſtolz und beſcheiden genug waren eine ihnen zu Füßen gelegte<lb/> Krone auszuſchlagen. Andere mildern dieſe mehr perſönliche Auslegung<lb/> dahin daß der König der Sache ihren Gang gelaſſen habe um ſich eine<lb/> Huldigung, durch welche die preußiſche Monarchie vor aller Welt ausge-<lb/> zeichnet und erhöht worden ſey, nicht entgehen zu laſſen. Andere halten<lb/> die Sache noch tiefer angelegt; ſie ſagen: man habe die Frankfurter Ver-<lb/> ſammlung abſichtlich bis zu dieſer Wahl treiben und drängen wollen um<lb/> ſie ſchließlich nicht anzunehmen, in der ſichern Vorausſetzung daß alsdann<lb/> die Frankfurter Verſammlung um alles Anſehen, um den Reſt ihrer<lb/> Wirkſamkeit gebracht wäre, und nichts weiter zu thun hätte als die Pauls-<lb/> kirche wie ein verlorenes Schlachtfeld zu räumen, oder an das Volk zu<lb/> appelliren und als revolutionäres Tribunal weiter zu tagen, in welchem<lb/> Fall man ſeinen Zweck, die Verſammlung durch gewaltſame Mittel zu<lb/> ſprengen und eine Verfaſſung für Deutſchland zu octroyiren, am beſten<lb/> erreichen könne. Hätte man ein ſolches Spiel mit der Verſammlung ge-<lb/> trieben, ſo würde es ſich früher oder ſpäter ſchwer ſtrafen, aber es ſind<lb/> genug Schritte des Königs bekannt, er hat genug Andeutungen und<lb/> Winke fallen laſſen, er hat in hinreichender Weiſe ſchon früher Erklärun-<lb/> gen abgegeben, er hat ſich der Verſammlung in weſentlichen Stücken, z.<lb/> B. in Betreff der Grundrechte, ſo wenig willfährig gezeigt daß aus allen<lb/> dieſen Anzeichen und Andeutungen die wahre Abſicht und Willensmei-<lb/> nung des Königs für den Unbefangenen deutlich zu erkennen war. Man<lb/> konnte ſich alſo ſehr leicht die mit einigen unlieblichen Ständchen beglei-<lb/> tete Rheinreiſe, die Antwort des Königs und alle daran ſich etwa knü-<lb/> pfenden Verlegenheiten ſehr wohl erſparen.</p><lb/> <p>Wie aber die Sachen einmal ſtehen, ſcheint uns die Annahme der<lb/> Würde eines Leiters der deutſchen Angelegenheiten, gleichviel unter<lb/> welchem Namen, durch die Lage des gemeinſamen deutſchen Vaterlandes<lb/> dem Könige geboten, ſelbſt auf die Gefahr hin dieſem Entſchluß die<lb/> Monarchie Preußen, ſeine Dynaſtie und ſich ſelbſt zum Opfer zu bringen.<lb/> Wir haben die Bedenklichkeiten aufzuzählen verſucht welche ſich dem Geiſte<lb/> des Königs darſtellen mochten und ſeine Antwort bis zu einem gewiſſen<lb/> Grade gerechtfertigt erſcheinen laſſen. Die Kaiſerwähler haben dem Vater-<lb/> lande Verlegenheiten aufgebürdet, es iſt an dem König von Preußen durch<lb/> einen muthigen Entſchluß, der jetzt noch nicht zu ſpät käme, allen mög-<lb/> lichen traurigen Folgen der Alternative, in die man das Vaterland ver-<lb/> ſetzt hat, vorzubeugen. Morgen kommt der Bericht der Kaiſerdeputation<lb/> in der Paulskirche zur Beſprechung. Zweifeln Sie nicht daran daß die<lb/> Linke, wenn nicht ſchon morgen, doch übermorgen oder an einem der<lb/> nächſten Tage den Verſuch machen wird eine Majorität für ihre Plane zu<lb/> gewinnen und ſich zur herrſchenden Partei in der Paulskirche zu machen.<lb/> Es iſt zu fürchten daß ſich diejenigen welche halbrechts ſitzen von den ebenſo<lb/> leidenſchaftlichen als ſchlauen Mitgliedern der Linken zu hitzigen über-<lb/> eilten Beſchlüſſen hinreißen laſſen, deren Folgen nicht abzuſehen ſind.<lb/> Es gibt eine gute Zahl heller Freunde der verfaſſungsmäßigen Monarchie<lb/> die, in ihrem Eigenſinn verletzt, zu allem bereit zu ſeyn ſcheinen, ſchlimmſten<lb/> Falls ſelbſt zur Ausrufung der Permanenz des Reichstags und der Republik;<lb/> es gibt andere ehrliche Freunde, die aber in ihrer Thorheit glauben ſie ſeyen<lb/> es ihrer gekränkten Ehre ſchuldig ſich den äußerſten Beſchlüſſen nicht zu<lb/> entziehen, oder welche wähnen ein ſtarkes Auftreten thue jetzt noth, und<lb/> ſelbſt ein bischen Volkserhebung, etwas Palaſt- und Militärrevolution<lb/> ſchade nichts um entweder den König oder, mit Beſeitigung desſelben,<lb/> einen andern Hohenzollern zur Annahme zu bewegen. Ohne daß Gagern<lb/> darum weiß, glauben einzelne ſogenannte Conſtitutionelle ihn an die Spitze<lb/> einer Republik Deutſchlands ſtellen zu müſſen wenn das Erbkaiſerthum nicht<lb/> zu Stande käme. Und leider wähnt jede Partei das Recht zu haben im<lb/> äußerſten Fall zu revolutionären Mitteln ihre Zuflucht nehmen zu dürfen,<lb/> ohne daran zu denken wie ſchwer der losgelaſſene Dämon der Revolution zu<lb/> lenken und wieder zu bannen iſt. Leider iſt die Anarchie in den Gemüthern ſo-<lb/> wohl der Gegner wie der Anhänger des conſtitutionellen Fürſtenthums mächtig,<lb/> und die Reaction wie die Revolution um die Wahl der Mittel, ſelbſt der bar-<lb/> bariſchſten und gewaltthätigſten nicht verlegen. Sind doch die Fürſten ſelbſt im<lb/> Unklaren und zerfallen mit ſich, hat doch der König von Preußen mit ſeinem<lb/> anarchiſchen Einfall vom vorigen Jahre, als preußiſcher Cola Rienzi mit<lb/> der deutſchen Fahne den Umritt durch die Straßen Berlins zu halten, den<lb/> purpurnen Teufel an die Wand gemalt, vor dem er da er, lebendig ge-<lb/> worden, jetzt ablehnend und bebend zurückweicht. Wo alles bis zum tief-<lb/> ſten Grunde ſo aufgewühlt, zerrüttet, von Ketten und Vanden los iſt,<lb/> da darf man ſich in jedem Augenblick auf etwas wunderliches oder unge-<lb/> heures gefaßt machen.</p><lb/> <p>Was dann, wenn ſich unſere Verſammlung in der Paulskirche wirk-<lb/> lich für ein paar Tage in eine befehlende und regierende verwandelt? Was<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1598/0010]
heren Erklärungen und ſeinen mit den übrigen Fürſten wirklich einge-
gangenen oder vorausgeſetzten oder vermeintlichen Verbindlichkeiten in
dieſem Einen Fall untreu werden ſollte. Inſofern kann man ſagen daß
die Reichsabordnung wohl noch ſchlimmer berathen war als der König,
indem ſie, wie man ſonſt wohl die Rechnung ohne den Wirth macht,
dießmal umgekehrt den Wirth ohne die Rechnung gemacht. Es iſt nicht
ſtaatsmänniſch — und leider fehlt es in der Paulskirche zwar nicht an
den mannichfaltigſten, jedenfalls aber an wahrhaft ſtaatsmänniſchen Ta-
lenten, und die wenigen können gegen die ſanguiniſchen Beſchlüſſe der
Mehrheit nicht aufkommen — es iſt nicht ſtaatsmänniſch einen ſolchen
entſcheidenden Schritt zu thun, ohne den Erfolg desſelben, möchte man
ſagen, ſo gut wie in der Taſche zu haben. Man wußte oder mußte wiſſen
daß wenn der König nicht oder nur unter Bedingungen annahm die wie-
der nicht von der Verſammlung in der Paulskirche angenommen werden
konnten, die Sachen in Deutſchland ſchlimmer ſtanden als je zuvor. Oder
glaubte man daß die Feſtſtellung der Erblichkeit einen ſo unwiderſtehlichen
Reiz für einen Fürſten haben konnte der ſelbſt noch vor Jahresfriſt
unter ſich die Pfeiler ſeines Thrones von einer dämoniſchen Macht ge-
ſchüttelt fühlte, mitten unter ſeinen „geliebten“, aber nur in dem Augen-
blick gerade etwas aufrühreriſchen Berlinern? Und was ließe ſich jetzt
für die Dauer feſtſtellen, was ſtände feſt? Wird nicht das Erbrecht an
ſich heutzutage in Frage gezogen? Wie endlich iſt es mit den Bürgſchaf-
ten beſchaffen, welche dem König eine Verſammlung zu bieten hatte die
in ihrer jetzigen Zuſammenſetzung den Demokraten ebenſo ſehr, als in
ihrem Urſprung den Fürſten und Ariſtokraten, ein Dorn im Auge und
daher bei jedem falſchen, unpolitiſchen Schritt in Gefahr iſt entweder
von der Revolution oder der Reaction überrannt oder zwiſchen beiden
Extremen allmählich aufgerieben oder bei einem Zuſammenſtoß beider
plötzlich nach allen vier Winden auseinander geſprengt zu werden. Haben
doch ſelbſt conſervative, freilich theils der ultramontanen, theils der öſter-
reichiſchen Partei angehörende Mitglieder ſich mit dem preußiſchen Erb-
kaiſerthum unter der ſchlauen Bedingung einverſtanden erklärt daß Preußen
in acht Statthalterſchaften oder Herzogthümer, d. h. in ebenſo viele Ein-
zelſtaaten aufgelöst werde, von denen kein einzelner an Macht, Größe
und Volksmenge dem deutſchen Oeſterreich oder auch nur dem jetzigen
Bayern gewachſen wäre. War es ermuthigend für den König von Preußen
die deutſche Kaiſerkrone aus den Händen einer Verſammlung entgegenzu-
nehmen in welcher ſämmtliche Republicaner, faſt alle Ultramontanen und
überhaupt eine gute Zahl dem preußiſchen Weſen abgeneigter Süddeut-
ſchen auf nichts ſo ſehr bedacht ſind als auf eine allmähliche chemiſche
Zerſetzung der preußiſchen Monarchie, auf deren Auflöſung in ihre ein-
zelnen Elemente?
Alles dieß mag der König von Preußen in ſeinem Geiſt erwogen
haben; er mag nachgerechnet haben — und er war dieß als gewiſſenhafter
Mann ſeinem preußiſchen wie dem deutſchen Volke ſchuldig — ob ſeine
eigenen Kräfte einer in der That ſo ungeheuern Aufgabe gewachſen ſeyen;
es wird auch ihm nicht unbekannt ſeyn welche Vorurtheile gegen Preußen
in einem großen Theile Süddeutſchlands, gegen ſeine Perſönlichkeit auch
außer Süddeutſchland für jetzt noch beſtehen; er weiß daß man bei jeder
Maßregel ſeines Miniſteriums das Volk mit der bekannten Phraſe auf-
regen würde: „man wolle Deutſchland preußiſch machen“, und daß ſo die
Radicalen zu unaufhörlichen Wühlereien und Umtrieben nur zu häufigen
Anlaß haben würden; er kennt beſſer als diejenigen welche ihm die Krone
anboten die europäiſchen Conſtellationen, die geheimen diplomatiſchen
Beziehungen, die Gefahren eines Bruches mit Oeſterreich und Rußland,
die Gefahren eines Weltkrieges; er weiß was in ſeinem eigenen Reiche
noch zu thun iſt um es von den Erſchütterungen des vorigen Jahres
zu einem normalen Zuſtand zurückzuführen, und man will ihn nöthigen
die Einrichtung eines doppelt ſo großen, aus einer Menge ungleichartiger
Theile beſtehenden Reiches zu übernehmen, wo er heute auf den Wider-
ſtand bald dieſes bald jenes Volksſtammes, morgen auf die Widerſpän-
ſtigkeit, Zähigkeit oder Intrigue dieſes oder jenes Fürſten ſtoßen muß;
er weiß, er kennt, er empfindet dieß alles, und man erwartete von ihm
er ſolle ohne Gegenbedingung und ohne Vorbehalt die deutſche Kaiſer-
krone etwa in einer Aufwallung von Begeiſterung hinnehmen, welche den
Ueberbringern des Antrags zum größten Theil ſelbſt fremd ſeyn mochte.
Denn das jetzige Parteigetreibe, in das man namentlich hier einen keines-
wegs ſehr erfreulichen Blick gewinnt, duldet keine Begeiſterung auf die
Dauer, und wo ſie die Augen blitzen, die Wangen hochroth erſcheinen
läßt, iſt ſie eben nur, mit ſeltenen Ausnahmen, erkünſteltes Feuer und
nach den Regeln der Kunſt aufgelegte Schminke.
Warum, fragt man ſich wohl, hat der König durch den Mund eines
ſeiner Vertrauten in der Frankfurter Verſammlung nicht früher rund und nett
erklären laſſen daß er keineswegs geneigt ſey als Erbkaiſer an die Spitze
Deutſchlands zu treten? Wozu erſt die Erwartung aufs höchſte ſpannen?
Wozu das Schauſpiel einer Reichstagsdeputation und eines pomphaften
kühlen Empfanges? Darum, ſagen einige, weil es ſeiner Eitelkeit ſchmei-
chelte in der Weltgeſchichte unter den Namen derjenigen zu glänzen welche
zugleich ſtolz und beſcheiden genug waren eine ihnen zu Füßen gelegte
Krone auszuſchlagen. Andere mildern dieſe mehr perſönliche Auslegung
dahin daß der König der Sache ihren Gang gelaſſen habe um ſich eine
Huldigung, durch welche die preußiſche Monarchie vor aller Welt ausge-
zeichnet und erhöht worden ſey, nicht entgehen zu laſſen. Andere halten
die Sache noch tiefer angelegt; ſie ſagen: man habe die Frankfurter Ver-
ſammlung abſichtlich bis zu dieſer Wahl treiben und drängen wollen um
ſie ſchließlich nicht anzunehmen, in der ſichern Vorausſetzung daß alsdann
die Frankfurter Verſammlung um alles Anſehen, um den Reſt ihrer
Wirkſamkeit gebracht wäre, und nichts weiter zu thun hätte als die Pauls-
kirche wie ein verlorenes Schlachtfeld zu räumen, oder an das Volk zu
appelliren und als revolutionäres Tribunal weiter zu tagen, in welchem
Fall man ſeinen Zweck, die Verſammlung durch gewaltſame Mittel zu
ſprengen und eine Verfaſſung für Deutſchland zu octroyiren, am beſten
erreichen könne. Hätte man ein ſolches Spiel mit der Verſammlung ge-
trieben, ſo würde es ſich früher oder ſpäter ſchwer ſtrafen, aber es ſind
genug Schritte des Königs bekannt, er hat genug Andeutungen und
Winke fallen laſſen, er hat in hinreichender Weiſe ſchon früher Erklärun-
gen abgegeben, er hat ſich der Verſammlung in weſentlichen Stücken, z.
B. in Betreff der Grundrechte, ſo wenig willfährig gezeigt daß aus allen
dieſen Anzeichen und Andeutungen die wahre Abſicht und Willensmei-
nung des Königs für den Unbefangenen deutlich zu erkennen war. Man
konnte ſich alſo ſehr leicht die mit einigen unlieblichen Ständchen beglei-
tete Rheinreiſe, die Antwort des Königs und alle daran ſich etwa knü-
pfenden Verlegenheiten ſehr wohl erſparen.
Wie aber die Sachen einmal ſtehen, ſcheint uns die Annahme der
Würde eines Leiters der deutſchen Angelegenheiten, gleichviel unter
welchem Namen, durch die Lage des gemeinſamen deutſchen Vaterlandes
dem Könige geboten, ſelbſt auf die Gefahr hin dieſem Entſchluß die
Monarchie Preußen, ſeine Dynaſtie und ſich ſelbſt zum Opfer zu bringen.
Wir haben die Bedenklichkeiten aufzuzählen verſucht welche ſich dem Geiſte
des Königs darſtellen mochten und ſeine Antwort bis zu einem gewiſſen
Grade gerechtfertigt erſcheinen laſſen. Die Kaiſerwähler haben dem Vater-
lande Verlegenheiten aufgebürdet, es iſt an dem König von Preußen durch
einen muthigen Entſchluß, der jetzt noch nicht zu ſpät käme, allen mög-
lichen traurigen Folgen der Alternative, in die man das Vaterland ver-
ſetzt hat, vorzubeugen. Morgen kommt der Bericht der Kaiſerdeputation
in der Paulskirche zur Beſprechung. Zweifeln Sie nicht daran daß die
Linke, wenn nicht ſchon morgen, doch übermorgen oder an einem der
nächſten Tage den Verſuch machen wird eine Majorität für ihre Plane zu
gewinnen und ſich zur herrſchenden Partei in der Paulskirche zu machen.
Es iſt zu fürchten daß ſich diejenigen welche halbrechts ſitzen von den ebenſo
leidenſchaftlichen als ſchlauen Mitgliedern der Linken zu hitzigen über-
eilten Beſchlüſſen hinreißen laſſen, deren Folgen nicht abzuſehen ſind.
Es gibt eine gute Zahl heller Freunde der verfaſſungsmäßigen Monarchie
die, in ihrem Eigenſinn verletzt, zu allem bereit zu ſeyn ſcheinen, ſchlimmſten
Falls ſelbſt zur Ausrufung der Permanenz des Reichstags und der Republik;
es gibt andere ehrliche Freunde, die aber in ihrer Thorheit glauben ſie ſeyen
es ihrer gekränkten Ehre ſchuldig ſich den äußerſten Beſchlüſſen nicht zu
entziehen, oder welche wähnen ein ſtarkes Auftreten thue jetzt noth, und
ſelbſt ein bischen Volkserhebung, etwas Palaſt- und Militärrevolution
ſchade nichts um entweder den König oder, mit Beſeitigung desſelben,
einen andern Hohenzollern zur Annahme zu bewegen. Ohne daß Gagern
darum weiß, glauben einzelne ſogenannte Conſtitutionelle ihn an die Spitze
einer Republik Deutſchlands ſtellen zu müſſen wenn das Erbkaiſerthum nicht
zu Stande käme. Und leider wähnt jede Partei das Recht zu haben im
äußerſten Fall zu revolutionären Mitteln ihre Zuflucht nehmen zu dürfen,
ohne daran zu denken wie ſchwer der losgelaſſene Dämon der Revolution zu
lenken und wieder zu bannen iſt. Leider iſt die Anarchie in den Gemüthern ſo-
wohl der Gegner wie der Anhänger des conſtitutionellen Fürſtenthums mächtig,
und die Reaction wie die Revolution um die Wahl der Mittel, ſelbſt der bar-
bariſchſten und gewaltthätigſten nicht verlegen. Sind doch die Fürſten ſelbſt im
Unklaren und zerfallen mit ſich, hat doch der König von Preußen mit ſeinem
anarchiſchen Einfall vom vorigen Jahre, als preußiſcher Cola Rienzi mit
der deutſchen Fahne den Umritt durch die Straßen Berlins zu halten, den
purpurnen Teufel an die Wand gemalt, vor dem er da er, lebendig ge-
worden, jetzt ablehnend und bebend zurückweicht. Wo alles bis zum tief-
ſten Grunde ſo aufgewühlt, zerrüttet, von Ketten und Vanden los iſt,
da darf man ſich in jedem Augenblick auf etwas wunderliches oder unge-
heures gefaßt machen.
Was dann, wenn ſich unſere Verſammlung in der Paulskirche wirk-
lich für ein paar Tage in eine befehlende und regierende verwandelt? Was
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(2022-09-16T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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