Allgemeine Zeitung, Nr. 10, 10. Januar 1872.[Spaltenumbruch]
Grundsätzen der altenglischen Selbstregierung reformirt und dem Nationallaster Auch in diesem Jahre soll und wird nichts geschehen. Die Staatsrevenue des Das Ausschußgutachten über den Lasker'schen Antrag. ** Berlin, 6 Jan.Die Ausschüsse des Bundesraths für die Verfassung "Die Verfassung des Deutschen Reichs sei erst vor weniger als Jahresfrist ver- Die Minderheit, von welcher ein Mitglied ausdrücklich hervorhob daß ihm "Der vorangestellte formelle Gesichtspunkt der Unthunlichkeit einer Verfassungs- [Spaltenumbruch]
Grundſätzen der altengliſchen Selbſtregierung reformirt und dem Nationallaſter Auch in dieſem Jahre ſoll und wird nichts geſchehen. Die Staatsrevenue des Das Ausſchußgutachten über den Lasker’ſchen Antrag. ** Berlin, 6 Jan.Die Ausſchüſſe des Bundesraths für die Verfaſſung „Die Verfaſſung des Deutſchen Reichs ſei erſt vor weniger als Jahresfriſt ver- Die Minderheit, von welcher ein Mitglied ausdrücklich hervorhob daß ihm „Der vorangeſtellte formelle Geſichtspunkt der Unthunlichkeit einer Verfaſſungs- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0002" n="130"/><cb/> Grundſätzen der altengliſchen Selbſtregierung reformirt und dem Nationallaſter<lb/> der Trunkſucht durch heilſame Beſchränkung des Spirituoſenverkaufs nach Kräften<lb/> geſteuert werden u. ſ. w. Nichts von alledem iſt geſchehen, und was geſchehen<lb/> iſt, wäre beſſer ungeſchehen gelaſſen. Wenn das Parlament nichts thun wollte,<lb/> jo muß man geſtehen daß ihm die Regierung bei ſothaner bequemer Beſchäftigung<lb/> redlich geholfen hat. Die Univerſity Teſts Bill wurde durch ein Compromiß<lb/> mit der ſtaatskirchlichen Oppoſition dermaßen abgeſchwächt und ihrer principiellen<lb/> Bedeutung beraubt, daß ſie ſelbſt von den unmittelbaren Anhängern der Regie-<lb/> rung nur als eine Abſchlagszahlung entſchuldigt wird, während die unabhängigen<lb/> Liberalen in ihr einen berechneten Verrath an den Grundſätzen der liberalen Partei<lb/> verabſcheuen. Die Armee-Reform-Bill, welche eine Erhöhung des Budgets von<lb/> 2,900,000 Pf. St. einſchloß, und daher von vornherein eine illiberale Maßregel<lb/> war, befriedigte keine Partei, weder die enthuſiaſtiſchen Freunde eines gut bezahl-<lb/> ten Soldatenthums noch die freiſinnigen Kämpen des zahlenden Bürgerthums.<lb/> Es gehörte daher nicht viel Muth dazu den größten Theil der Reformvorſchläge<lb/> im Comit<hi rendition="#aq">é</hi> des Unterhauſes todtſprechen und die zerſtückelte Bill ſchließlich als<lb/> „unvollſtändige Maßregel“ auf die griechiſchen Kalenden vertagen zu laſſen. Die<lb/> ganze durch die deutſchen Waffenerfolge in Frankreich erzeugte oder wenigſtens<lb/> motivirte Panik, welche zur Vorlage einer Armee-Reformbill führte, war ein un-<lb/> wirklicher, auf Ueberraſchung berechneter Schwindel. Da die Regierung jedoch<lb/> dem Schwindel nachgegeben, und ſelbſt die Hand geboten hatte um John Bull zu<lb/> überreden daß England von dem militäriſchen Uebergewicht des Deutſchen Kaiſer-<lb/> reichs bedroht werde, ſo konnte ſie ſich nicht mit Anſtand aus der Sackgaſſe zurück-<lb/> ziehen ohne etwas zu thun. Das Unterhaus hatte die geforderte Erhöhung des<lb/> Militäretats mit bedeutender Majorität bewilligt; es war daher abſolut erforderlich<lb/> daß den mißtrauiſchen Steuerzahlern für die Erhöhung der Einkommentaxe um zwei<lb/> Pence per Pfd. Sterling wenigſtens etwas geboten werde. Hr. Gladſtone ſah ein daß<lb/> von der verunglückten Bill die Abſchaffung des Stellenkaufes die populärſte Forde-<lb/> rung war. Dieſe ſollte daher unter allen Umſtänden durchgeſetzt werden. Sie wurde<lb/> durchgeſetzt, aber dießmal nicht durch ein Compromiß mit der conſervativen Parla-<lb/> mentspartei, deren Widerſtand gegen die Armeereform ſich gerade auf dieſen Punkt<lb/> beſchränkte, ſondern durch ein noch bedenklicheres Compromiß mit dem abſoluten<lb/> Negiment. Der Officierſtellenkauf wurde abgeſchafft durch Cabinetsordre, durch<lb/> eine Wiederbelebung der kgl. Prärogative, die auch den aufrichtigſten Freunden<lb/> der Maßregel Beſorgniß einflößte, und gewiß nicht dazu diente dem Gladſtone’ſchen<lb/> Miniſterium das verlorene Vertrauen wieder zu geben. Wenn wir nun noch er-<lb/> wähnen daß die Ballot-Bill vom Oberhauſe kurzer Hand zurückgewieſen und die<lb/> Zurückweiſung von der Regierung ebenſo kurzer Hand acceptirt wurde, daß alle<lb/> andern Verſprechungen der Thronrede ſchon im Unterhauſe ein ruhmloſes Grab<lb/> fanden, daß das Mißtrauen der Nation nur von ihrer Sehnſucht nach Ruhe und<lb/> Frieden um jeden Preis gemäßigt wird: ſo haben wir nicht nur die Erfolgloſigkeit<lb/> der politiſchen Arbeit im vergangenen Jahre, ſondern auch die Hoffnungen welche<lb/> John Bull auf das begonnene Jahr ſetzt, richtig bezeichnet.</p><lb/> <p>Auch in dieſem Jahre ſoll und wird nichts geſchehen. Die Staatsrevenue des<lb/> vergangenen Jahres überſteigt 72,000,000 Pf. St., und hat alſo Hrn. Lowe’s Vor-<lb/> anſchlag um 3 Millionen Pf. St. übertroffe.. Die induſtrielle und commercielle<lb/> Proſperität iſt „beiſpiellos.“ Um aber dieſe günſtigen wirthſchaftlichen Chancen<lb/> in ihrer ganzen Ausdehnung zu verwerthen, iſt abſolute Ruhe im Inneren nöthig.<lb/> Daher iſt das miniſterielle Programm, welches die dießjährige Parlamentsthätig-<lb/> keit auf die von allen Parteien als unvermeidlich anerkannte Ballotbill, auf Schul-<lb/> bills für Schottland und Irland, auf ſanitäriſche Maßregeln und derlei unverfäng-<lb/> liche Gegenſtände beſchränkt, mit großer Befriedigung im Publicum aufgenommen<lb/> worden. Aufregende politiſche Agitationen ſtehen nicht zu befürchten. Das Jahr<lb/> begann mit einem illoyalen, aber kaum offen ausgeſprochenen Proteſt gegen die<lb/> Mitgift der Prinzeſſin Louiſe, die Illoyalität verſtieg ſich zu einer förmlichen repu-<lb/> blicaniſchen Bewegung; aber die Krankheit des Prinzen von Wales rief die engli-<lb/> ſche Loyalität zu ſo allgemeinen Kundgebungen wach, daß ſich die republicaniſchen<lb/> Demagogen, Hr. Odger und Sir Ch. Dilke, beſchämt vom Schlachtfelde zurückzo-<lb/> gen. Von dieſer Seite her droht der erſehnten Ruhe keine Gefahr. Wohl iſt ein<lb/> Regierungswechſel möglich, da die große liberale Mehrheit des Unterhauſes, welche<lb/> Hrn. Gladſtone an die Spitze der Regierung ſtellte, nicht mehr zuſammenhalten will.<lb/> Die unabhängigen Liberalen ſtehen grollend beiſeite, und auf ihnen beruht die<lb/> Entſcheidung der parlamentariſchen Kämpfe. Hr. Diſraeli müßte viel älter und<lb/> viel ſchwächer geworden ſein als er ausſieht, wenn er dieſe Uneinigkeit nicht zu ſei-<lb/> nen Guſten benutzen ſollte. Aber Regierungswechſel oder nicht — an dem Pro-<lb/> gramm der Ruhe um jeden Preis wird nichts geändert werden. Alle wichtigern<lb/> ſocialen und politiſchen Reformen ſind auf ſchlechtere Zeiten vertagt. Gegenwär-<lb/> tig ſind gute Zeiten, und John Bull iſt nicht der Mann ihre Chancen in den Wind<lb/> zu ſchlagen, um ſeine Thatkraft an die Löſung heikler Probleme der großen prin-<lb/> cipiellen Politik zu vergeuden. Aller menſchlichen Vorausſicht nach wird das<lb/> Jahr 1872 hier einen ſehr ruhigen und profitablen Verlauf haben. Selbſt die<lb/> unvermeidliche Finanzkriſis wird erſt im Jahre 1873 erwartet.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das Ausſchußgutachten über den Lasker’ſchen Antrag.</hi> </head><lb/> <dateline>** <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 6 Jan.</dateline><lb/> <p>Die Ausſchüſſe des Bundesraths für die Verfaſſung<lb/> und für Juſtizweſen haben jetzt ihren Bericht über den Beſchluß des Reichstages<lb/> wegen Abänderung der Nr. 13 des Art. 4 der Neichsverfaſſung, dahin gehend der<lb/> Neichsgewalt die gemeinſame Geſetzgebung auch über das geſammte bürgerliche<lb/> Recht und die Gerichtsorganiſation zu übertragen, erſtattet. Bekanntlich haben<lb/> die Ausſchüſſe den Gegenſtand in ihrer Sitzung vom 8 December 1871 berathen<lb/> und ſind mit Stimmenmehrheit zu dem Antrag gelangt: „der Bundesrath wolle<lb/> beſchließen dem von dem Reichstag angenommenen Geſetzentwurf nicht zuzu-<lb/> ſtimmen.“ Hiebei iſt die Mehrheit in den Ausſchüſſen von folgenden Erwägungen<lb/> ausgegangen:</p><lb/> <floatingText> <body> <div n="1"> <p>„Die Verfaſſung des Deutſchen Reichs ſei erſt vor weniger als Jahresfriſt ver-<lb/> einbart worden, und es werde ſchon die Erwägung daß es ſich um eine nicht unerheb-<lb/> liche Aenderung der kaum erſt vereinbarten Verfaſſung handle, zur Ablehnung des<lb/> fraglichen Aenderungsvorſchlags unter der Vorausſetzung führen müſſen daß nicht ein<lb/> ſehr dringendes ſachliches Bedürſniß für die vorgeſchlagene Aenderung ſich geltend ge-<lb/><cb/> macht habe. Ein ſolches Bedürfniß ſei weder bezüglich des Civilrechts noch bezüglich<lb/> der Gerichtsorganiſation als gegeben anzuerkennen. Betreffend das <hi rendition="#g">Civilrecht,</hi> ſo<lb/> werde angenommen werden dürfen daß bei der Schöpfung der Verfaſſung mit Vorbe-<lb/> dacht und aus guten Gründen die Competenz der Reichsgeſetzgebung auf das Obliga-<lb/> tionenrecht, Handels- und Wechſelrecht beſchränkt worden ſei. In der That liegen zu-<lb/> reichende Motive für dieſe Beſchränkung nahe. Obligationenrecht, Handels- und Wechſel-<lb/> recht dienen den Beziehungen des großen Verkehrs, und können und ſollen deßhalb für<lb/> ein großes Verkehrsgebiet gleichheitlich geregelt werden. Perſonenrecht, Familienrecht,<lb/> Sachenrecht, Erbrecht wirken vorzugsweiſe nur in beſchränkteren Kreiſen und hängen<lb/> mit vielfältigen Verhältniſſen der Territorien, in welchen ſie ſich hiſtoriſch entwickelt<lb/> haben, mehr oder weniger eng zuſammen. Wie hienach die gleichheitliche Normirung<lb/> dieſer Materien für alle Bundesſtaaten kein abſolutes Bedürfniß ſei, ſo werde anderer-<lb/> ſeits eine ſolche gleichheitliche Normirung im einen oder andern Punkte nicht ohne<lb/> empfindliche Schädigung berechtigter Intereſſen möglich ſein. Was zur Zeit der Errich-<lb/> tung der Verfaſſung als Bedürfniß nicht erkannt wurde, das werde auch jetzt als ein<lb/> ſolches nicht anzuerkennen ſein; ſei doch der verfloſſene Zeitraum zu kurz, als daß er ein<lb/> ſolches Bedürfniß hervorgekehrt haben könnte. Es möge ſein daß die Reichsgeſetzgebung<lb/> in Erfüllung der ihr durch Art. 4 Nr. 13 der Verfaſſung bezüglich des Obligationen-<lb/> rechts geſtellten Aufgaben und behufs der richtigen und ſachgemäßen Erfüllung dieſer<lb/> Aufgabe über die beſtehende verfaſſungsmäßige Gränze in Abſicht auf die eine oder die<lb/> andere weitere Rechtsmaterie hinauszugreifen, das Bedürfniß empfinden werde; hierauf im<lb/> Bedürfnißfall zurückzukommen, werde der Zukunft vorzubehalten ſein; ſchon jetzt aber<lb/> die geſammte Civilgeſetzgebung der Reichsgeſetzgebung zu überantworten, dürfte um ſo<lb/> weniger angehen, als die Reichsgeſetzgebung mit der Ausführung der ihr bezüglich des<lb/> Obligationenrechts geſtellten Aufgabe noch nicht einmal den Anfang gemacht habe, und<lb/> es zahlreiche particularrechtlich entwickelte wohlberechtigte Civilrechts-Inſtitutionen gebe<lb/> welche mit der Erfüllung der dermaligen verfaſſungsmäßigen Aufgabe der Reichsgeſetz-<lb/> gebung in keinem nähern Zuſammenhang ſtehen, und die Normirung durch die ihrer<lb/> Quelle entfernt ſtehende Reichsgewalt nicht ohne Schaden ertragen würden. Ueberdieß<lb/> würde die Annahme der vorgeſchlagenen Verfaſſungsänderung die nachtheilige Folge<lb/> haben daß, obwohl das Zuſtandekommen eines deutſchen Civilgeſetzbuchs erſt von einer<lb/> entfernteren Zukunft zu erhoffen wäre, doch ſchon jetzt die Thätigkeit der Landesgeſetz-<lb/> gebungen in allen Gebieten des Civilrechts lahm gelegt und die Abhülfe ſelbſt empfind-<lb/> licher Mißſtände im Wege der Landesgeſetzgebung factiſch unmöglich gemacht werden<lb/> würde. In Betreff der <hi rendition="#g">Gerichtsorganiſation</hi> ſei anzuerkennen daß die Einführung<lb/> der Reichsproceßgeſetze die Aufſtellung gewiſſer gleichheitlicher Normen über Organi-<lb/> ſation der Gerichte, inſoweit ſolche eine Bedingung der gleichmäßigen Handhabung der<lb/> Geſetze über das Verfahren bilden, zur Folge werde haben müſſen. Wie weit dieſes<lb/> Maß reiche, das werde bei der definitiven Feſtſtellung der Proceßgeſetze zu erwägen<lb/> ſein; ſo weit dieſes Maß reiche, werde es einer Abänderung der Verfaſſung nicht be-<lb/> dürfen. Ueber dieſes Maß hinauszugehen, dazu liege überall kein Grund vor, dafür<lb/> könne nicht einmal ein Bedürfniß der Nechtseinheit geltend gemacht werden. Daß es<lb/> aber viele Punkte gebe welche über jenes Maß hinausgehen und doch in das Gebiet der<lb/> Gerichtsorganiſation fallen, dieß werde einleuchtend ſein, wenn anſtatt alles weitern<lb/> nur an die Normen über Beſetzung der Gerichte außerhalb der einzelnen Proceßfälle,<lb/> an die Beſtimmung ihrer Sitze und Sprengel, an die Competenzbeſtimmungen bezüg-<lb/> lich der nicht zum gerichtlichen Verfahren gehörigen gerichtlichen Geſchäfte, an die Vor-<lb/> ſchriften über Anſtellung, Beförderung, Verſetzung und Entfernung der Richter und<lb/> des übrigen Gerichtsperſonals erinnert werde. All dieſes und noch mehreres könne in<lb/> das Gebiet der Gerichtsorganiſation gezogen werden, und wenn ſolche Conſequenzen<lb/> gezogen werden, dann werde von der den Bundesſtaaten durch die Reichsverfaſſung<lb/> nicht entzogenen Juſtizhoheit nichts übrig bleiben, und der Zuſtand welcher hieraus<lb/> für die Bundesſtaaten erwachſe, werde um ſo bedenklicher ſein, je enger in denſelben<lb/> die Gerichtsorganiſation im allgemeinen mit der Organiſation anderer ſtaatlichen In-<lb/> ſtitutionen verwachſen ſei. Es beſtehe aber auch keinerlei Bedürfniß welches dazu dränge<lb/> ſolche Conſequenzen möglich zu machen.“</p> </div> </body> </floatingText><lb/> <p>Die Minderheit, von welcher ein Mitglied ausdrücklich hervorhob daß ihm<lb/> eine beſtimmte Inſtruction ſeitens ſeiner hohen Regierung noch nicht zugegangen<lb/> ſei, ſprach ſich für die Zuſtimmung zu dem Beſchluſſe des Reichstags aus. Die<lb/> Anſichten der einzelnen Mitglieder der Minderheit ſind im folgenden zuſammen-<lb/> gefaßt:</p><lb/> <floatingText> <body> <div n="1"> <p>„Der vorangeſtellte <hi rendition="#g">formelle</hi> Geſichtspunkt der Unthunlichkeit einer Verfaſſungs-<lb/> änderung, nachdem die Verfaſſung erſt vor ſo kurzer Zeit in das Leben getreten ſei,<lb/> könne nicht getheilt werden. Bei Feſtſtellung der Reichsverfaſſung ſei man allerſeits dar-<lb/> über einig geweſen daß es ſich jetzt nicht um eine materielle Aenderung, ſondern nur um<lb/> die Zuſammenfaſſung der geltenden Beſtimmungen in eine Urkunde handeln könne. Eher<lb/> könnte das geltend gemachte Bedenken aus dem Umſtand abgeleitet werden daß die der<lb/> Reichsverfaſſung zum Grunde liegende Norddeutſche Bundesverfaſſung auch noch nicht<lb/> lange Zeit beſtanden habe. Es ſeien indeß auch die Geſichtspunkte welche bei Abgrän-<lb/> zung des Inhalts des Art. 4 Nr. 13 der Norddeutſchen Bundesverfaſſung beſtimmt<lb/> hätten, inſoweit äußerlicher Natur geweſen, als man theils nur diejenigen Materien auf-<lb/> genommen habe welche an ſich ſchon von erheblichſter ſtaatsrechtlicher Bedeutung ge-<lb/> weſen ſeien, theils bei der Aufzählung der einzelnen Rechtsgebiete an die ſchon vom vor-<lb/> maligen Deutſchen Bund in Angriff genommenen Materien ſich angeſchloſſen habe. In<lb/> der Folge ſei zwar eine Aenderung des Art. 4 Nr. 13 der Norddeutſchen Bundesver-<lb/> faſſung angeregt worden, man habe ſich aber zu einer ſolchen nicht entſchloſſen, weil an-<lb/> dere Aufgaben noch nicht in Angriff genommen geweſen ſeien, und die, wenn auch ent-<lb/> fernt, vorgelegene Ausſicht auf den Beitritt der ſüddeutſchen Staaten gegen eine Aus-<lb/> dehnung der Verfaſſung geſprochen habe. Hiernach könnten lediglich <hi rendition="#g">materielle</hi><lb/> Bedenken in der vorliegenden Frage den Ausſchlag zu geben geeignet ſein. In mate-<lb/> rieller Beziehung aber ſei folgendes zu erwägen: das Obligationenrecht, Handels- und<lb/> Wechſelrecht ſtehe mit dem übrigen <hi rendition="#g">bürgerlichen Recht</hi> in einer ſo engen, durch die<lb/> zahlreichſten gegenſeitigen Beziehungen begründeten Verbindung, daß ohne Uebergriffe<lb/> in den Bereich des in Art. 4 Nr. 13 der Verfaſſungsurkunde nicht erwähnten bürger-<lb/> lichen Rechts eine gedeihliche und insbeſondere eine einheitliche Löſung der dort der<lb/> Reichsgeſetzgebung für einzelne Zweige dieſes Rechts geſtellten Aufgabe nicht möglich<lb/> ſei. Eine conſequente Entwicklung der Grundſätze welche auf einem der bezeichneten<lb/> Specialgebiete für richtig erkannt worden ſei, greife über deſſen Gränzen hinaus, und<lb/> werde darum, wenn man dieſe Gränzen feſthalte, zum Nachtheile zweckmäßiger Ordnung<lb/> der betreffenden Materie gehemmt. Auf der anderen Seite ſei der Einfluß des unver-<lb/> ändert gebliebenen bürgerlichen Rechts des einzelnen Landes auf die Entwicklung des<lb/> von der Reichsgeſetzgebung geregelten Rechtszweiges ſo mächtig, daß die Beſtimmungen<lb/> der Reichsgeſetze in den einzelnen Bundesſtaaten leicht eine gänzlich verſchiedene, ihrem<lb/> wahren Inhalt widerſprechende Anwendung finden würden. Dieſe Anſichten ſeien bei<lb/> den wiederholten und eingehenden Erörterungen über den vorliegenden Gegenſtand, über<lb/> welchen ſich eben deßhalb überhaupt ſchwerlich etwas neues ſagen laſſen werde, ſo aus-<lb/> führlich begründet und mit ſo zutreffenden, auch aus der Zeit nach der Gültigkeit der<lb/> Reichsverfaſſung entnommenen Belegen verfehen worden, daß man ſich auf jene Ver-<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0002]
Grundſätzen der altengliſchen Selbſtregierung reformirt und dem Nationallaſter
der Trunkſucht durch heilſame Beſchränkung des Spirituoſenverkaufs nach Kräften
geſteuert werden u. ſ. w. Nichts von alledem iſt geſchehen, und was geſchehen
iſt, wäre beſſer ungeſchehen gelaſſen. Wenn das Parlament nichts thun wollte,
jo muß man geſtehen daß ihm die Regierung bei ſothaner bequemer Beſchäftigung
redlich geholfen hat. Die Univerſity Teſts Bill wurde durch ein Compromiß
mit der ſtaatskirchlichen Oppoſition dermaßen abgeſchwächt und ihrer principiellen
Bedeutung beraubt, daß ſie ſelbſt von den unmittelbaren Anhängern der Regie-
rung nur als eine Abſchlagszahlung entſchuldigt wird, während die unabhängigen
Liberalen in ihr einen berechneten Verrath an den Grundſätzen der liberalen Partei
verabſcheuen. Die Armee-Reform-Bill, welche eine Erhöhung des Budgets von
2,900,000 Pf. St. einſchloß, und daher von vornherein eine illiberale Maßregel
war, befriedigte keine Partei, weder die enthuſiaſtiſchen Freunde eines gut bezahl-
ten Soldatenthums noch die freiſinnigen Kämpen des zahlenden Bürgerthums.
Es gehörte daher nicht viel Muth dazu den größten Theil der Reformvorſchläge
im Comité des Unterhauſes todtſprechen und die zerſtückelte Bill ſchließlich als
„unvollſtändige Maßregel“ auf die griechiſchen Kalenden vertagen zu laſſen. Die
ganze durch die deutſchen Waffenerfolge in Frankreich erzeugte oder wenigſtens
motivirte Panik, welche zur Vorlage einer Armee-Reformbill führte, war ein un-
wirklicher, auf Ueberraſchung berechneter Schwindel. Da die Regierung jedoch
dem Schwindel nachgegeben, und ſelbſt die Hand geboten hatte um John Bull zu
überreden daß England von dem militäriſchen Uebergewicht des Deutſchen Kaiſer-
reichs bedroht werde, ſo konnte ſie ſich nicht mit Anſtand aus der Sackgaſſe zurück-
ziehen ohne etwas zu thun. Das Unterhaus hatte die geforderte Erhöhung des
Militäretats mit bedeutender Majorität bewilligt; es war daher abſolut erforderlich
daß den mißtrauiſchen Steuerzahlern für die Erhöhung der Einkommentaxe um zwei
Pence per Pfd. Sterling wenigſtens etwas geboten werde. Hr. Gladſtone ſah ein daß
von der verunglückten Bill die Abſchaffung des Stellenkaufes die populärſte Forde-
rung war. Dieſe ſollte daher unter allen Umſtänden durchgeſetzt werden. Sie wurde
durchgeſetzt, aber dießmal nicht durch ein Compromiß mit der conſervativen Parla-
mentspartei, deren Widerſtand gegen die Armeereform ſich gerade auf dieſen Punkt
beſchränkte, ſondern durch ein noch bedenklicheres Compromiß mit dem abſoluten
Negiment. Der Officierſtellenkauf wurde abgeſchafft durch Cabinetsordre, durch
eine Wiederbelebung der kgl. Prärogative, die auch den aufrichtigſten Freunden
der Maßregel Beſorgniß einflößte, und gewiß nicht dazu diente dem Gladſtone’ſchen
Miniſterium das verlorene Vertrauen wieder zu geben. Wenn wir nun noch er-
wähnen daß die Ballot-Bill vom Oberhauſe kurzer Hand zurückgewieſen und die
Zurückweiſung von der Regierung ebenſo kurzer Hand acceptirt wurde, daß alle
andern Verſprechungen der Thronrede ſchon im Unterhauſe ein ruhmloſes Grab
fanden, daß das Mißtrauen der Nation nur von ihrer Sehnſucht nach Ruhe und
Frieden um jeden Preis gemäßigt wird: ſo haben wir nicht nur die Erfolgloſigkeit
der politiſchen Arbeit im vergangenen Jahre, ſondern auch die Hoffnungen welche
John Bull auf das begonnene Jahr ſetzt, richtig bezeichnet.
Auch in dieſem Jahre ſoll und wird nichts geſchehen. Die Staatsrevenue des
vergangenen Jahres überſteigt 72,000,000 Pf. St., und hat alſo Hrn. Lowe’s Vor-
anſchlag um 3 Millionen Pf. St. übertroffe.. Die induſtrielle und commercielle
Proſperität iſt „beiſpiellos.“ Um aber dieſe günſtigen wirthſchaftlichen Chancen
in ihrer ganzen Ausdehnung zu verwerthen, iſt abſolute Ruhe im Inneren nöthig.
Daher iſt das miniſterielle Programm, welches die dießjährige Parlamentsthätig-
keit auf die von allen Parteien als unvermeidlich anerkannte Ballotbill, auf Schul-
bills für Schottland und Irland, auf ſanitäriſche Maßregeln und derlei unverfäng-
liche Gegenſtände beſchränkt, mit großer Befriedigung im Publicum aufgenommen
worden. Aufregende politiſche Agitationen ſtehen nicht zu befürchten. Das Jahr
begann mit einem illoyalen, aber kaum offen ausgeſprochenen Proteſt gegen die
Mitgift der Prinzeſſin Louiſe, die Illoyalität verſtieg ſich zu einer förmlichen repu-
blicaniſchen Bewegung; aber die Krankheit des Prinzen von Wales rief die engli-
ſche Loyalität zu ſo allgemeinen Kundgebungen wach, daß ſich die republicaniſchen
Demagogen, Hr. Odger und Sir Ch. Dilke, beſchämt vom Schlachtfelde zurückzo-
gen. Von dieſer Seite her droht der erſehnten Ruhe keine Gefahr. Wohl iſt ein
Regierungswechſel möglich, da die große liberale Mehrheit des Unterhauſes, welche
Hrn. Gladſtone an die Spitze der Regierung ſtellte, nicht mehr zuſammenhalten will.
Die unabhängigen Liberalen ſtehen grollend beiſeite, und auf ihnen beruht die
Entſcheidung der parlamentariſchen Kämpfe. Hr. Diſraeli müßte viel älter und
viel ſchwächer geworden ſein als er ausſieht, wenn er dieſe Uneinigkeit nicht zu ſei-
nen Guſten benutzen ſollte. Aber Regierungswechſel oder nicht — an dem Pro-
gramm der Ruhe um jeden Preis wird nichts geändert werden. Alle wichtigern
ſocialen und politiſchen Reformen ſind auf ſchlechtere Zeiten vertagt. Gegenwär-
tig ſind gute Zeiten, und John Bull iſt nicht der Mann ihre Chancen in den Wind
zu ſchlagen, um ſeine Thatkraft an die Löſung heikler Probleme der großen prin-
cipiellen Politik zu vergeuden. Aller menſchlichen Vorausſicht nach wird das
Jahr 1872 hier einen ſehr ruhigen und profitablen Verlauf haben. Selbſt die
unvermeidliche Finanzkriſis wird erſt im Jahre 1873 erwartet.
Das Ausſchußgutachten über den Lasker’ſchen Antrag.
** Berlin, 6 Jan.
Die Ausſchüſſe des Bundesraths für die Verfaſſung
und für Juſtizweſen haben jetzt ihren Bericht über den Beſchluß des Reichstages
wegen Abänderung der Nr. 13 des Art. 4 der Neichsverfaſſung, dahin gehend der
Neichsgewalt die gemeinſame Geſetzgebung auch über das geſammte bürgerliche
Recht und die Gerichtsorganiſation zu übertragen, erſtattet. Bekanntlich haben
die Ausſchüſſe den Gegenſtand in ihrer Sitzung vom 8 December 1871 berathen
und ſind mit Stimmenmehrheit zu dem Antrag gelangt: „der Bundesrath wolle
beſchließen dem von dem Reichstag angenommenen Geſetzentwurf nicht zuzu-
ſtimmen.“ Hiebei iſt die Mehrheit in den Ausſchüſſen von folgenden Erwägungen
ausgegangen:
„Die Verfaſſung des Deutſchen Reichs ſei erſt vor weniger als Jahresfriſt ver-
einbart worden, und es werde ſchon die Erwägung daß es ſich um eine nicht unerheb-
liche Aenderung der kaum erſt vereinbarten Verfaſſung handle, zur Ablehnung des
fraglichen Aenderungsvorſchlags unter der Vorausſetzung führen müſſen daß nicht ein
ſehr dringendes ſachliches Bedürſniß für die vorgeſchlagene Aenderung ſich geltend ge-
macht habe. Ein ſolches Bedürfniß ſei weder bezüglich des Civilrechts noch bezüglich
der Gerichtsorganiſation als gegeben anzuerkennen. Betreffend das Civilrecht, ſo
werde angenommen werden dürfen daß bei der Schöpfung der Verfaſſung mit Vorbe-
dacht und aus guten Gründen die Competenz der Reichsgeſetzgebung auf das Obliga-
tionenrecht, Handels- und Wechſelrecht beſchränkt worden ſei. In der That liegen zu-
reichende Motive für dieſe Beſchränkung nahe. Obligationenrecht, Handels- und Wechſel-
recht dienen den Beziehungen des großen Verkehrs, und können und ſollen deßhalb für
ein großes Verkehrsgebiet gleichheitlich geregelt werden. Perſonenrecht, Familienrecht,
Sachenrecht, Erbrecht wirken vorzugsweiſe nur in beſchränkteren Kreiſen und hängen
mit vielfältigen Verhältniſſen der Territorien, in welchen ſie ſich hiſtoriſch entwickelt
haben, mehr oder weniger eng zuſammen. Wie hienach die gleichheitliche Normirung
dieſer Materien für alle Bundesſtaaten kein abſolutes Bedürfniß ſei, ſo werde anderer-
ſeits eine ſolche gleichheitliche Normirung im einen oder andern Punkte nicht ohne
empfindliche Schädigung berechtigter Intereſſen möglich ſein. Was zur Zeit der Errich-
tung der Verfaſſung als Bedürfniß nicht erkannt wurde, das werde auch jetzt als ein
ſolches nicht anzuerkennen ſein; ſei doch der verfloſſene Zeitraum zu kurz, als daß er ein
ſolches Bedürfniß hervorgekehrt haben könnte. Es möge ſein daß die Reichsgeſetzgebung
in Erfüllung der ihr durch Art. 4 Nr. 13 der Verfaſſung bezüglich des Obligationen-
rechts geſtellten Aufgaben und behufs der richtigen und ſachgemäßen Erfüllung dieſer
Aufgabe über die beſtehende verfaſſungsmäßige Gränze in Abſicht auf die eine oder die
andere weitere Rechtsmaterie hinauszugreifen, das Bedürfniß empfinden werde; hierauf im
Bedürfnißfall zurückzukommen, werde der Zukunft vorzubehalten ſein; ſchon jetzt aber
die geſammte Civilgeſetzgebung der Reichsgeſetzgebung zu überantworten, dürfte um ſo
weniger angehen, als die Reichsgeſetzgebung mit der Ausführung der ihr bezüglich des
Obligationenrechts geſtellten Aufgabe noch nicht einmal den Anfang gemacht habe, und
es zahlreiche particularrechtlich entwickelte wohlberechtigte Civilrechts-Inſtitutionen gebe
welche mit der Erfüllung der dermaligen verfaſſungsmäßigen Aufgabe der Reichsgeſetz-
gebung in keinem nähern Zuſammenhang ſtehen, und die Normirung durch die ihrer
Quelle entfernt ſtehende Reichsgewalt nicht ohne Schaden ertragen würden. Ueberdieß
würde die Annahme der vorgeſchlagenen Verfaſſungsänderung die nachtheilige Folge
haben daß, obwohl das Zuſtandekommen eines deutſchen Civilgeſetzbuchs erſt von einer
entfernteren Zukunft zu erhoffen wäre, doch ſchon jetzt die Thätigkeit der Landesgeſetz-
gebungen in allen Gebieten des Civilrechts lahm gelegt und die Abhülfe ſelbſt empfind-
licher Mißſtände im Wege der Landesgeſetzgebung factiſch unmöglich gemacht werden
würde. In Betreff der Gerichtsorganiſation ſei anzuerkennen daß die Einführung
der Reichsproceßgeſetze die Aufſtellung gewiſſer gleichheitlicher Normen über Organi-
ſation der Gerichte, inſoweit ſolche eine Bedingung der gleichmäßigen Handhabung der
Geſetze über das Verfahren bilden, zur Folge werde haben müſſen. Wie weit dieſes
Maß reiche, das werde bei der definitiven Feſtſtellung der Proceßgeſetze zu erwägen
ſein; ſo weit dieſes Maß reiche, werde es einer Abänderung der Verfaſſung nicht be-
dürfen. Ueber dieſes Maß hinauszugehen, dazu liege überall kein Grund vor, dafür
könne nicht einmal ein Bedürfniß der Nechtseinheit geltend gemacht werden. Daß es
aber viele Punkte gebe welche über jenes Maß hinausgehen und doch in das Gebiet der
Gerichtsorganiſation fallen, dieß werde einleuchtend ſein, wenn anſtatt alles weitern
nur an die Normen über Beſetzung der Gerichte außerhalb der einzelnen Proceßfälle,
an die Beſtimmung ihrer Sitze und Sprengel, an die Competenzbeſtimmungen bezüg-
lich der nicht zum gerichtlichen Verfahren gehörigen gerichtlichen Geſchäfte, an die Vor-
ſchriften über Anſtellung, Beförderung, Verſetzung und Entfernung der Richter und
des übrigen Gerichtsperſonals erinnert werde. All dieſes und noch mehreres könne in
das Gebiet der Gerichtsorganiſation gezogen werden, und wenn ſolche Conſequenzen
gezogen werden, dann werde von der den Bundesſtaaten durch die Reichsverfaſſung
nicht entzogenen Juſtizhoheit nichts übrig bleiben, und der Zuſtand welcher hieraus
für die Bundesſtaaten erwachſe, werde um ſo bedenklicher ſein, je enger in denſelben
die Gerichtsorganiſation im allgemeinen mit der Organiſation anderer ſtaatlichen In-
ſtitutionen verwachſen ſei. Es beſtehe aber auch keinerlei Bedürfniß welches dazu dränge
ſolche Conſequenzen möglich zu machen.“
Die Minderheit, von welcher ein Mitglied ausdrücklich hervorhob daß ihm
eine beſtimmte Inſtruction ſeitens ſeiner hohen Regierung noch nicht zugegangen
ſei, ſprach ſich für die Zuſtimmung zu dem Beſchluſſe des Reichstags aus. Die
Anſichten der einzelnen Mitglieder der Minderheit ſind im folgenden zuſammen-
gefaßt:
„Der vorangeſtellte formelle Geſichtspunkt der Unthunlichkeit einer Verfaſſungs-
änderung, nachdem die Verfaſſung erſt vor ſo kurzer Zeit in das Leben getreten ſei,
könne nicht getheilt werden. Bei Feſtſtellung der Reichsverfaſſung ſei man allerſeits dar-
über einig geweſen daß es ſich jetzt nicht um eine materielle Aenderung, ſondern nur um
die Zuſammenfaſſung der geltenden Beſtimmungen in eine Urkunde handeln könne. Eher
könnte das geltend gemachte Bedenken aus dem Umſtand abgeleitet werden daß die der
Reichsverfaſſung zum Grunde liegende Norddeutſche Bundesverfaſſung auch noch nicht
lange Zeit beſtanden habe. Es ſeien indeß auch die Geſichtspunkte welche bei Abgrän-
zung des Inhalts des Art. 4 Nr. 13 der Norddeutſchen Bundesverfaſſung beſtimmt
hätten, inſoweit äußerlicher Natur geweſen, als man theils nur diejenigen Materien auf-
genommen habe welche an ſich ſchon von erheblichſter ſtaatsrechtlicher Bedeutung ge-
weſen ſeien, theils bei der Aufzählung der einzelnen Rechtsgebiete an die ſchon vom vor-
maligen Deutſchen Bund in Angriff genommenen Materien ſich angeſchloſſen habe. In
der Folge ſei zwar eine Aenderung des Art. 4 Nr. 13 der Norddeutſchen Bundesver-
faſſung angeregt worden, man habe ſich aber zu einer ſolchen nicht entſchloſſen, weil an-
dere Aufgaben noch nicht in Angriff genommen geweſen ſeien, und die, wenn auch ent-
fernt, vorgelegene Ausſicht auf den Beitritt der ſüddeutſchen Staaten gegen eine Aus-
dehnung der Verfaſſung geſprochen habe. Hiernach könnten lediglich materielle
Bedenken in der vorliegenden Frage den Ausſchlag zu geben geeignet ſein. In mate-
rieller Beziehung aber ſei folgendes zu erwägen: das Obligationenrecht, Handels- und
Wechſelrecht ſtehe mit dem übrigen bürgerlichen Recht in einer ſo engen, durch die
zahlreichſten gegenſeitigen Beziehungen begründeten Verbindung, daß ohne Uebergriffe
in den Bereich des in Art. 4 Nr. 13 der Verfaſſungsurkunde nicht erwähnten bürger-
lichen Rechts eine gedeihliche und insbeſondere eine einheitliche Löſung der dort der
Reichsgeſetzgebung für einzelne Zweige dieſes Rechts geſtellten Aufgabe nicht möglich
ſei. Eine conſequente Entwicklung der Grundſätze welche auf einem der bezeichneten
Specialgebiete für richtig erkannt worden ſei, greife über deſſen Gränzen hinaus, und
werde darum, wenn man dieſe Gränzen feſthalte, zum Nachtheile zweckmäßiger Ordnung
der betreffenden Materie gehemmt. Auf der anderen Seite ſei der Einfluß des unver-
ändert gebliebenen bürgerlichen Rechts des einzelnen Landes auf die Entwicklung des
von der Reichsgeſetzgebung geregelten Rechtszweiges ſo mächtig, daß die Beſtimmungen
der Reichsgeſetze in den einzelnen Bundesſtaaten leicht eine gänzlich verſchiedene, ihrem
wahren Inhalt widerſprechende Anwendung finden würden. Dieſe Anſichten ſeien bei
den wiederholten und eingehenden Erörterungen über den vorliegenden Gegenſtand, über
welchen ſich eben deßhalb überhaupt ſchwerlich etwas neues ſagen laſſen werde, ſo aus-
führlich begründet und mit ſo zutreffenden, auch aus der Zeit nach der Gültigkeit der
Reichsverfaſſung entnommenen Belegen verfehen worden, daß man ſich auf jene Ver-
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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