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Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 14. Januar 1929.

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Montag, den 14. Januar "AZ am Abend" Nr. 11
[Spaltenumbruch]
Münchner Kapellmeister
Otto Weber

Wer ihn kennt, weiß, daß in ihm das süd-
deutsche Temperament, die große Leichtigkeit und
die bewegliche Frische leben, aus denen die
Lust und Liebe zur Kunst erwachsen sind sowie
das heiter Spielerische, Beschwingte und Ge-
fällige.

[Abbildung]

Kein Wunder somit, daß nun Herr Hauser
vom "Reichsadler" sich diese Kapelle sicherte. Hier
verblieb Otto Weber volle sieben Jahre, und es
ist wirklich vollkommen überflüssig, erst zu be-
tonen, wie sehr er zu einem Faktor unseres ge-
samten gesellschaftlichen Lebens wurde. Gerade
in München hat die Kaffeehaus-Musik eine ganz
besondere Aufgabe zu erfüllen, denn sie wurzelt
nicht bloß in unserem Verlangen nach schöner
und freundlicher Unterhaltung, sondern vielmehr
in unserer ganzen Art, in unserem Wesen, das
dem Kunstfreudigen so nachhaltig zuneigt. Wer
also in München sich behaupten will, muß schon
etwas leisten können, und so spricht es sehr deut-
lich für Otto Weber, wenn er darauf verweisen
kann, volle sieben Jahre im "Reichsadler" mit
großem, immer sich steigendem Erfolg tätig ge-
wesen zu sein.

Otto Weber leitet trotz seiner jungen Jahre
eine der ältesten Tanzkapellen Münchens, aber
er ist nicht bloß bei uns beliebt und bekannt,
sondern auch in anderen Städten und im Aus-
lande, wo er sich überall dem Publikum vor-
gestellt.

Es ist noch nicht allzu lange her, daß Otto
Weber im Pavillon Gruß (Deutsches Theater)
spielte, von wo er dann auf ein einmonatliches
Gastspiel in den "Reichsadler" übersiedelte, an-
schließend wurde er von da aus wiederum von
Hans Gruß für die Bonbonniere ver-
pflichtet.



Bayer. Volksbildungs-Verband.

Dienstag, den 15. Januar, 8 Uhr im Bayer.
Hof Kammermusik-Abend des Münchner
Trios
(Richard Staab, Willy Stuhlfauth und
Karl List -- Mitglieder der Deutschen Stunde in
Bayern) mit Werken von Schubert (Trio B-Dur
op. 99), Beethoven (Variationen über das Lied
"Ich bin der Schneider Kakadu" und Dvorak
(Trio k-Moll Op. 65).

Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid und im
Amtl. Bayer. Reisebüro.




Die Galerie für christliche Kunst, München,
Wittelsbacherplatz 2 zeigt in ihrer Januarausstel-
lung Kreuzwegstationen (Farbskizzen) von Prof.
Paul Plontke, Berlin, außerdem Graphik, dar-
unter die Folge von Farb-Holzdrucken der goti-
schen Fresken im Kreuzgang zu Brixen von Hans
Andre, Wien; ferner Plastiken von Julius Drex-
ler, Prof. Düll, Petzold, Schambeck, Anton Grimm,
Emil Hofmann, A. Kiesgen, Wilma Schalk,
Heinrich Salomoun und Hans Strecker. Die Aus-
stellung ist an Werktagen von 9--7 Uhr geöffnet.
Eintritt frei.



Deutsche Stunde in Bayern


Dienstag, den 15. Januar 1929.
11.20 Schallplattenkonzert für Versuche und für
die Industrie.
12.55--13.50 Nürnberger Sendung. Mittagskonzert
der Kapelle Ludwig Schuster, Tzatschewa-
Diele.
14.45 Stunde der Frau.
16.30 Lesestunde Moderne norwegische Literatur.
Ein Kapitel aus dem Roman "Segen der
Erde" von Knut Hamsun. Gelesen von
Franz Rücker.
17.00 Zur Danzig-Ausstellung in München. Dr.
Max Halbe liest Heimatliches aus seinen
Werken.
17.30 Kammermusik. Das Süddeutsche Trio: Jakob
Trapp (Violine) -- Heinz Jaeger (Cello)
-- Kurt Merker (Klavier).
19.00 Direktor Dr. Mannowsky: Danziger Kultur.
19.15 Liederstunde Martha Nauen. Martha
Nauen. Augsburg (Sopran) -- Am Flügel
Richard Staab.
19.45 Das naturwissenschaftliche Weltbild der Ge-
genwart (II). Eine Vortragsreihe von Dr.
Alfons Wenzl.
20.15 Robert und Bertram oder Die lustigen Va-
gabunden. Posse mit Gesang in vier Abtei-
lungen von Gustav Raeder. Mitwirkend
das Rundfunkorchester -- Leitung Kurt
Paster -- Spielltg. Rolf Pinegger.
22.20 Abendmeldungen.
22.45 Tanzkurs. Leiter Max Wellenberg.
Die "Todesliga" von Lieswa

Elf jugendliche Selbstmörder in einer Uralstadt

[Spaltenumbruch]

Mitten im Ural, in der weitabgelegenen Stadt
Lieswa, hat man kürzlich eine "Todesliga" ent-
deckt, in der man die Hauptursache für den
Selbstmord von elf jungen Kommunisten erblickt,
die sich während des vergangenen Sommers und
Herbstes das Leben genommen haben. Es hat-
ten sich bereits innerhalb weniger Monate einige
Selbstmorde von außerordentlich aktiven Mit-
gliedern der Ortszweige der kommunistischen
Jugend ereignet, ehe man entdeckte, daß diese
Bewegung zur Selbstzerstörung
eine organisierte war. Man stellte Nachforschun-
gen an, und jetzt werden die Entdeckungen in
allen Einzelheiten in der Moskauer "Kommuni-
stischen Jugend-Prawda" veröffentlicht. Nur
allzu oft taucht das alte Rußland mit seinem
Pessimismus (wie seine alte, große Literatur ihn
atmet und schildert) in überraschend scharfen
Konturen an der Oberfläche des anderen Lebens
auf, das Rußland seit den Tagen der Revolution
erfüllt. Ein solcher Fall vom Durchschlagen des
Alten durchs Neue ist die Tragödie von Lieswa
die um so bizarrer ist, als Revolutionäre selbst
ihre leidenden Helden sind. Der erste dieser
Selbstmorde, der die Stadt Lieswa vor ein
schier unlösbares Rätsel stellte, war der Tod
Iwan Bresgins,
eines der bekanntesten und beliebtesten
jungen Menschen

in den kommunistischen Kreisen von Lieswa. Man
fand ihn erhängt an einem Dachsparren seines
Hauses auf. In ein paar Zeilen an seine
Freunde bat er sie, ihm ein schönes Begräbnis
zu bereiten. Die Freunde veranstalteten eine
Sammlung, und man trug ihn mit viel Pracht
zu Grabe. Bald darauf erhielt die Sekretärin
des kommunistischen Ortsverbandes einen Brief
von Faina Newolskik, in der sie ihr ankündigte,
daß sie im Sterben liege und daß man sie in
schönen Kleidern und mit Blumen geschmückt be-
graben möge. Einige Tage später wurde ihre
Leiche in einem Wald aufgefunden. Zwei Wochen
später geriet ganz Lieswa, das sich noch kaum
von dem rätselhaften Tode der Faina erholt
hatte, in neue Aufregung. Man fand in dem
Wald zwei neue Leichen. Ein Zettel, unter-
schrieben Liza Tumina und Tonia Bakilina, er-
klärte, daß die beiden Mädchen sich erschießen
wollten, da
"das Leben nicht wert sei, gelebt
zu werden."

[Spaltenumbruch] Sie hinterließen genaueste Anweisungen über die
Art, wie sie begraben werden wollten, baten, in
Rosa gekleidet zu werden und Särge von der-
selben Farbe zu erhalten. Ihre Freunde kamen
ihren Wünschen nach, und die Stadt erlebte
eines der merkwürdigsten Begräbnisse, das sie
vermutlich so bald nicht vergessen wird. Die
Selbstmorde hielten an und die Zahl der Toten
betrug schon elf. Jetzt begannen die älteren
Kommunisten, sich mit der Sache zu beschäftigen
und Nachforschungen anzustellen. Die "Kommu-
nistische Jugend-Prawda", das Moskauer Zen-
tralorgan der "Kommunistischen Jugend", machte
ihnen in scharfen Worten die heftigsten Vor-
würfe, damit so lange gewartet zu haben. Die
Nachforschungen enthüllten, daß sich ganz plötz-
lich unter den intelligentesten jungen Menschen
eine
pessimistische Atmosphäre
entwickelt hatte, die sie zu den seltsamsten Unter-
nehmungen verleitete. Sie kamen zusammen,
um Vorlesungen von allerlei merkwürdigen und
eigenartigen Dichtungen abzuhalten und über die
Nutzlosigkeit des Daseins und der Kämpfe und
Anstrengungen des Lebens zu diskutieren. Sie
verherrlichten den Tod als das einzig Wahre und
Schöne in der Welt. Eine ganze Anzahl der
älteren Leute hatte, wie es sich jetzt herausstellt,
von der sogenannten "Todesliga" sprechen ge-
hört, aber ihr keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt,
in der Annahme, daß es sich nur um jugendliche
Uebertreibungen und ein Spiel mit Worten han-
dele. Es scheint dabei, als habe der Tod des
hochbegabten jungen russischen Dichters Sergei
Jessenin, des Gatten der Isadora Duncan, der im
vergangenen Jahre durch Selbstmord endete, der
Jugend von Lieswa einen stärkeren Eindruck ge-
macht als irgend etwas sonst. In dem Bericht
wird er als derjenige bezeichnet, der "die Ge-
danken unserer Jugend vollkommen erfüllt
habe". Wie man sich noch erinnert, starb Jesse-
nin auf eine merkwürdige Weise. Er schrieb
mit seinem eigenen Blut
eine dramatische Abschiedsbotschaft an die Welt
und erhängte sich dann. In ganz Rußland haben
sein Werk und sein so frühzeitiger Tod ein
enormes Interesse und eine nicht endenwollende
Diskussion heraufbeschworen. So hat denn der
junge Dichter aus seinem Grabe noch zu der
Jugend in der fernen Uralstadt gesprochen und
die empfindsamen jungen Russen aufgefordert,
sein düsteres Schicksal zu teilen.



Auf der Suche
nach dem Raubmörder Renzo

Ein Gauner von Format * Millionenbeträge erbeutet

[Spaltenumbruch]

Im Berliner Polizeipräsidium traf von
der Kriminalpolizei in Triest ein Haftbefehl
ein, der auch an die Polizeibehörden von
Paris, Wien, Budapest, Agram, Athen,
Konstantinopel und Brüssel abgesandt
wurde. In dem Rundschreiben an die
Kriminalpolizei der europäischen Hauptstädte
wird von der Triester Polizei auf einen
langgesuchten Hochstapler
hingewiesen, der unter dem Namen eines
Antonio Renzo oder Renzoff drei Triester
Banken um mehr als 100 000 Lire betro-
gen hat.

Renzo stammt aus Treviso in Jtalien. Er
ist etwa 50 Jahre alt und gibt sich als
Kaufmann und Bankier aus. Im Gegen-
satz zu vielen anderen Schwindlern, die auf
Akkreditiven die Zahlen mit chemischen Mit-
teln tilgen und durch neue, entsprechend
höhere Beträge ersetzen, fälscht Renzo die
Anweisungen und Quittungen über die Ak-
kreditive vollkommen. Durch sein Schwindel-
manöver ist gleichfalls
eine große Neuyorker Bank geschädigt
worden. Er fälschte die Stempel und Unter-
schriften der Banken und ihrer Bevollmäch-
tigten. Renzo-Renzoff hat auf diese Weise
schon Millionenbeträge erbeutet. Renzo ist
u. a. in Paris eine bekannte Figur. Der
große Gauner verkehrte vor noch nicht allzu
langer Zeit in dem feudalen Pariser "Club
industriel", wo er als großer Spieler in die
Erscheinung trat. Der "Club industriel" be-
findet sich in der Rue Capuzine. Gleichfalls
operierte Renzo-Renzoff in dem "Club
Hausmann" auf dem Boulevard Hausmann.
Der Hochstapler arbeitete
mit einem Komplicen zusammen,
der sich auf seine Veranlassung hin bei einer
kleinen Bank in Marseille ein Konto errich-
tete, um somit in den Besitz eines Scheck-
buches zu gelangen. Er zahlte nur wenige
hundert Franken ein. Das Konto lief un-
ter falschen Namen. Nach und nach gewann
der Gauner durch Falschspiel mehr als eine
viertel Million Franken, die er aber ebenso
schnell wieder verspielte. Durch einen groß
angelegten Scheckbetrug erhielt er von seiner
Pariser Bankverbindung einen Scheck und
ein dazu gehöriges Begleitschreiben, mit dem
er wieder weitere Schwindelmanöver unter-
[Spaltenumbruch] nahm. Dem Hochstapler kam es vor allem
darauf an, das Begleitschreiben der Bank
in Händen zu haben. Damit ging er in den
Nachtstunden in den Spielklub auf dem
Boulevard Hausmann und -- da er dort
als großer Spieler bekannt war -- legte
er den Scheck und das Begleitschreiben dem
Kassierer des Klubs vor, der ihm darauf so-
fort 60 000 Franken aushändigte. Selbst-
verständlich bekam er den Betrag a conto
des Scheckbeglaubigungsschreibens.

Damit ist Renzo-Renzoff verschwunden.
Es ist bisher noch nicht gelungen, den inter-
nationalen Gauner, der mehrere fremde
Sprachen fließend spricht, zu fassen und
dingfest zu machen.



Wie viele Stellwerke
hat die Reichsbahn?

Wie im Menschenhirn die Nerven, so lau-
fen im Stellwerk Signal- und Weichen-
drähte zusammen. Hier wird das Stellen
der Signale und Weichen zur sicheren Durch-
führung des Zugsverkehers von einer
Stelle bewerkstelligt. 17 869 Stellwerke
zählt die Reichsbahn, davon 15 727 auf
Bahnhöfen, 2 142 auf freier Strecke. Der
größte Teil der Stellwerke, nämlich 94,78
Prozent, wird mechanisch durch Menschen-
kraft bedient. Elektrisch werden 862 und
durch Druckluft 71 Stellwerke betrieben.
39 110 Menschen sind im Stellwerkdienst
bei der Reichsbahn tätig und sie bedienen:
73 742 Signalhebel und -kurbeln, 59 417
Fahrstraßenhebel und -kurbeln, 150 624
Weichen-, Gleissperren-, Riegelhebel- und
-kurbeln, 35 926 elektrische Antriebe für
Weichen und Signale, 3843 Druckluftan-
triebe, 232 Preßgasantriebe.



Die Taufe mit Menschenblut bei den -Masai-
Kriegern

In einigen Teilen des von dem Masaistamme
bewohnten Gebietes haben sich Unruhen ereignet,
die regelmäßig dort wiederkehren. Nachdem eine
Reihe von jungen Männern das Alter des Krie-
gers erreicht hatte, suchten sie ihre Tapferkeit nach
altem Herkommen durch die Taufe mit Menschen-
blut zu beweisen. Dabei wurden mehrere Ange-
hörige des Stammes getötet. Die Polizei wurde
in die Gegend entsandt.

[Spaltenumbruch]
Bernotats Freundin

Sie verbarg ihn
in einem Schrebergarten

Am 5. November v. J. war einer der dreiste-
sten internationalen Hoteldiebe, der aus Ost-
preußen gebürtige Karl Bernotat, aus dem
Zuchthaus Gollnow entwichen. Die Flucht er-
regte großes Aufsehen, da Bernotat als Juwelen-
und Pelzdieb berüchtigt war. Er sollte in
Gollnow eine zehnjährige Strafe absitzen, von
der bereits die Hälfte verbüßt war. Einige Tage
nach der Flucht traf dann bei der Zuchthaus-
direktion ein Paket ein, das die Sträflingskleider
Bernotats enthielt. Der Ausbrecher sandte sie
mit dem Vermerk zurück, er habe sich nur für
einige Zeit Urlaub
genommen, um das Wiederaufnahmeverfahren
besser betreiben zu können. Bernotat will sich
nur als Hehler strafbar gemacht, nicht aber die
Hoteldiebstähle selbst begangen zu haben. Ueber
die Festnahme des Flüchtlings in Dresden wurde
seinerzeit bereits berichtet. Dieser Fall Bernotat
hatte jetzt vor dem Amtsgericht Dresden ein
Nachspiel. Der Hoteldieb war in Dresden u. a.
auch mit einem gewissen
Oertel v. Egloffstein
bekannt gewarden, der seinerseits mit der jetzt
41 Jahre alten, auf der Mosenstraße wohnhaften
Privatiere und Kunstmalerin Gertrud verehel.
Heinzig geb. v. Hoewel befreundet war. Ihre
Adresse hatte Bernotat bereits vor längerer Zeit
durch v. Egloffstein erfahren und zwischen beiden
war es zum Briefwechsel und zum Austausch
von Lichtbildern gekommen. Im September
hatte Bernotat bei der Zuchthausdirektion in
Gollnow erwirkt, daß seine dort in Verwahrung
befindlichen Sachen
zu Frau Heinzig nach Dresden geschickt
wurden, weil sie bei ihr angeblich besser aufbe-
wahrt würden. Als er dann am 5. November
geflüchtet war, vermutete man sofort, daß er sich
nach Dresden wenden würde. Die Vermutung
bestätigte sich. In den Morgenstunden des 18.
November erschien Bernotat bei der Freundin,
die ihn nach ihrem in der Nähe der Mosenstraße
gelegenen Schrebergarten brachte. Hier kochte
sie ihm Kaffee und richtete ihm ein Mittags-
mahl. Bis gegen 21 Uhr blieben die beiden in
der Gartenlaube, in der sich Bernotat ein Nacht-
lager herrichtete. Die Kriminalpolizei hob ihn
dann noch in der Nacht aus. Die Heinzig hatte
sich nunmehr
wegen Begünstigung
nach § 257 StGB. zu verantworten. Man hatte
ihr einen Strafbefehl über 50 Mark Geldstrafe
zugeschickt, gegen den sie Einspruch erhoben hatte.
Sie suchte das Amtsgericht von ihrer Unschuld
zu überzeugen. Nach den Bekundungen eines
Kriminalkommissars konnte aber für sie nicht der
geringste Zweifel bestehen, daß sie es mit Ber-
notat zu tun hatte und daß sie sich durch die Be-
günstigung des Verbrechers selbst strafbar machen
würde. Bei dieser Sachlage erkannte das Gericht
auf eine Geldstrafe von 150 Mark bzw. 15 Tage
Gefängnis als Ersatzstrafe.



[irrelevantes Material]
Montag, den 14. Januar „AZ am Abend“ Nr. 11
[Spaltenumbruch]
Münchner Kapellmeiſter
Otto Weber

Wer ihn kennt, weiß, daß in ihm das ſüd-
deutſche Temperament, die große Leichtigkeit und
die bewegliche Friſche leben, aus denen die
Luſt und Liebe zur Kunſt erwachſen ſind ſowie
das heiter Spieleriſche, Beſchwingte und Ge-
fällige.

[Abbildung]

Kein Wunder ſomit, daß nun Herr Hauſer
vom „Reichsadler“ ſich dieſe Kapelle ſicherte. Hier
verblieb Otto Weber volle ſieben Jahre, und es
iſt wirklich vollkommen überflüſſig, erſt zu be-
tonen, wie ſehr er zu einem Faktor unſeres ge-
ſamten geſellſchaftlichen Lebens wurde. Gerade
in München hat die Kaffeehaus-Muſik eine ganz
beſondere Aufgabe zu erfüllen, denn ſie wurzelt
nicht bloß in unſerem Verlangen nach ſchöner
und freundlicher Unterhaltung, ſondern vielmehr
in unſerer ganzen Art, in unſerem Weſen, das
dem Kunſtfreudigen ſo nachhaltig zuneigt. Wer
alſo in München ſich behaupten will, muß ſchon
etwas leiſten können, und ſo ſpricht es ſehr deut-
lich für Otto Weber, wenn er darauf verweiſen
kann, volle ſieben Jahre im „Reichsadler“ mit
großem, immer ſich ſteigendem Erfolg tätig ge-
weſen zu ſein.

Otto Weber leitet trotz ſeiner jungen Jahre
eine der älteſten Tanzkapellen Münchens, aber
er iſt nicht bloß bei uns beliebt und bekannt,
ſondern auch in anderen Städten und im Aus-
lande, wo er ſich überall dem Publikum vor-
geſtellt.

Es iſt noch nicht allzu lange her, daß Otto
Weber im Pavillon Gruß (Deutſches Theater)
ſpielte, von wo er dann auf ein einmonatliches
Gaſtſpiel in den „Reichsadler“ überſiedelte, an-
ſchließend wurde er von da aus wiederum von
Hans Gruß für die Bonbonniere ver-
pflichtet.



Bayer. Volksbildungs-Verband.

Dienstag, den 15. Januar, 8 Uhr im Bayer.
Hof Kammermuſik-Abend des Münchner
Trios
(Richard Staab, Willy Stuhlfauth und
Karl Liſt — Mitglieder der Deutſchen Stunde in
Bayern) mit Werken von Schubert (Trio B-Dur
op. 99), Beethoven (Variationen über das Lied
„Ich bin der Schneider Kakadu“ und Dvorak
(Trio k-Moll Op. 65).

Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid und im
Amtl. Bayer. Reiſebüro.




Die Galerie für chriſtliche Kunſt, München,
Wittelsbacherplatz 2 zeigt in ihrer Januarausſtel-
lung Kreuzwegſtationen (Farbſkizzen) von Prof.
Paul Plontke, Berlin, außerdem Graphik, dar-
unter die Folge von Farb-Holzdrucken der goti-
ſchen Fresken im Kreuzgang zu Brixen von Hans
André, Wien; ferner Plaſtiken von Julius Drex-
ler, Prof. Düll, Petzold, Schambeck, Anton Grimm,
Emil Hofmann, A. Kiesgen, Wilma Schalk,
Heinrich Salomoun und Hans Strecker. Die Aus-
ſtellung iſt an Werktagen von 9—7 Uhr geöffnet.
Eintritt frei.



Deutsche Stunde in Bayern


Dienstag, den 15. Januar 1929.
11.20 Schallplattenkonzert für Verſuche und für
die Induſtrie.
12.55—13.50 Nürnberger Sendung. Mittagskonzert
der Kapelle Ludwig Schuſter, Tzatſchewa-
Diele.
14.45 Stunde der Frau.
16.30 Leſeſtunde Moderne norwegiſche Literatur.
Ein Kapitel aus dem Roman „Segen der
Erde“ von Knut Hamſun. Geleſen von
Franz Rücker.
17.00 Zur Danzig-Ausſtellung in München. Dr.
Max Halbe lieſt Heimatliches aus ſeinen
Werken.
17.30 Kammermuſik. Das Süddeutſche Trio: Jakob
Trapp (Violine) — Heinz Jaeger (Cello)
— Kurt Merker (Klavier).
19.00 Direktor Dr. Mannowſky: Danziger Kultur.
19.15 Liederſtunde Martha Nauen. Martha
Nauen. Augsburg (Sopran) — Am Flügel
Richard Staab.
19.45 Das naturwiſſenſchaftliche Weltbild der Ge-
genwart (II). Eine Vortragsreihe von Dr.
Alfons Wenzl.
20.15 Robert und Bertram oder Die luſtigen Va-
gabunden. Poſſe mit Geſang in vier Abtei-
lungen von Guſtav Raeder. Mitwirkend
das Rundfunkorcheſter — Leitung Kurt
Paſter — Spielltg. Rolf Pinegger.
22.20 Abendmeldungen.
22.45 Tanzkurs. Leiter Max Wellenberg.
Die „Todesliga“ von Lieswa

Elf jugendliche Selbſtmörder in einer Uralſtadt

[Spaltenumbruch]

Mitten im Ural, in der weitabgelegenen Stadt
Lieswa, hat man kürzlich eine „Todesliga“ ent-
deckt, in der man die Haupturſache für den
Selbſtmord von elf jungen Kommuniſten erblickt,
die ſich während des vergangenen Sommers und
Herbſtes das Leben genommen haben. Es hat-
ten ſich bereits innerhalb weniger Monate einige
Selbſtmorde von außerordentlich aktiven Mit-
gliedern der Ortszweige der kommuniſtiſchen
Jugend ereignet, ehe man entdeckte, daß dieſe
Bewegung zur Selbſtzerſtörung
eine organiſierte war. Man ſtellte Nachforſchun-
gen an, und jetzt werden die Entdeckungen in
allen Einzelheiten in der Moskauer „Kommuni-
ſtiſchen Jugend-Prawda“ veröffentlicht. Nur
allzu oft taucht das alte Rußland mit ſeinem
Peſſimismus (wie ſeine alte, große Literatur ihn
atmet und ſchildert) in überraſchend ſcharfen
Konturen an der Oberfläche des anderen Lebens
auf, das Rußland ſeit den Tagen der Revolution
erfüllt. Ein ſolcher Fall vom Durchſchlagen des
Alten durchs Neue iſt die Tragödie von Lieswa
die um ſo bizarrer iſt, als Revolutionäre ſelbſt
ihre leidenden Helden ſind. Der erſte dieſer
Selbſtmorde, der die Stadt Lieswa vor ein
ſchier unlösbares Rätſel ſtellte, war der Tod
Iwan Bresgins,
eines der bekannteſten und beliebteſten
jungen Menſchen

in den kommuniſtiſchen Kreiſen von Lieswa. Man
fand ihn erhängt an einem Dachſparren ſeines
Hauſes auf. In ein paar Zeilen an ſeine
Freunde bat er ſie, ihm ein ſchönes Begräbnis
zu bereiten. Die Freunde veranſtalteten eine
Sammlung, und man trug ihn mit viel Pracht
zu Grabe. Bald darauf erhielt die Sekretärin
des kommuniſtiſchen Ortsverbandes einen Brief
von Faina Newolſkik, in der ſie ihr ankündigte,
daß ſie im Sterben liege und daß man ſie in
ſchönen Kleidern und mit Blumen geſchmückt be-
graben möge. Einige Tage ſpäter wurde ihre
Leiche in einem Wald aufgefunden. Zwei Wochen
ſpäter geriet ganz Lieswa, das ſich noch kaum
von dem rätſelhaften Tode der Faina erholt
hatte, in neue Aufregung. Man fand in dem
Wald zwei neue Leichen. Ein Zettel, unter-
ſchrieben Liza Tumina und Tonia Bakilina, er-
klärte, daß die beiden Mädchen ſich erſchießen
wollten, da
„das Leben nicht wert ſei, gelebt
zu werden.“

[Spaltenumbruch] Sie hinterließen genaueſte Anweiſungen über die
Art, wie ſie begraben werden wollten, baten, in
Roſa gekleidet zu werden und Särge von der-
ſelben Farbe zu erhalten. Ihre Freunde kamen
ihren Wünſchen nach, und die Stadt erlebte
eines der merkwürdigſten Begräbniſſe, das ſie
vermutlich ſo bald nicht vergeſſen wird. Die
Selbſtmorde hielten an und die Zahl der Toten
betrug ſchon elf. Jetzt begannen die älteren
Kommuniſten, ſich mit der Sache zu beſchäftigen
und Nachforſchungen anzuſtellen. Die „Kommu-
niſtiſche Jugend-Prawda“, das Moskauer Zen-
tralorgan der „Kommuniſtiſchen Jugend“, machte
ihnen in ſcharfen Worten die heftigſten Vor-
würfe, damit ſo lange gewartet zu haben. Die
Nachforſchungen enthüllten, daß ſich ganz plötz-
lich unter den intelligenteſten jungen Menſchen
eine
peſſimiſtiſche Atmoſphäre
entwickelt hatte, die ſie zu den ſeltſamſten Unter-
nehmungen verleitete. Sie kamen zuſammen,
um Vorleſungen von allerlei merkwürdigen und
eigenartigen Dichtungen abzuhalten und über die
Nutzloſigkeit des Daſeins und der Kämpfe und
Anſtrengungen des Lebens zu diskutieren. Sie
verherrlichten den Tod als das einzig Wahre und
Schöne in der Welt. Eine ganze Anzahl der
älteren Leute hatte, wie es ſich jetzt herausſtellt,
von der ſogenannten „Todesliga“ ſprechen ge-
hört, aber ihr keinerlei Aufmerkſamkeit geſchenkt,
in der Annahme, daß es ſich nur um jugendliche
Uebertreibungen und ein Spiel mit Worten han-
dele. Es ſcheint dabei, als habe der Tod des
hochbegabten jungen ruſſiſchen Dichters Sergei
Jeſſenin, des Gatten der Iſadora Duncan, der im
vergangenen Jahre durch Selbſtmord endete, der
Jugend von Lieswa einen ſtärkeren Eindruck ge-
macht als irgend etwas ſonſt. In dem Bericht
wird er als derjenige bezeichnet, der „die Ge-
danken unſerer Jugend vollkommen erfüllt
habe“. Wie man ſich noch erinnert, ſtarb Jeſſe-
nin auf eine merkwürdige Weiſe. Er ſchrieb
mit ſeinem eigenen Blut
eine dramatiſche Abſchiedsbotſchaft an die Welt
und erhängte ſich dann. In ganz Rußland haben
ſein Werk und ſein ſo frühzeitiger Tod ein
enormes Intereſſe und eine nicht endenwollende
Diskuſſion heraufbeſchworen. So hat denn der
junge Dichter aus ſeinem Grabe noch zu der
Jugend in der fernen Uralſtadt geſprochen und
die empfindſamen jungen Ruſſen aufgefordert,
ſein düſteres Schickſal zu teilen.



Auf der Suche
nach dem Raubmörder Renzo

Ein Gauner von Format * Millionenbeträge erbeutet

[Spaltenumbruch]

Im Berliner Polizeipräſidium traf von
der Kriminalpolizei in Trieſt ein Haftbefehl
ein, der auch an die Polizeibehörden von
Paris, Wien, Budapeſt, Agram, Athen,
Konſtantinopel und Brüſſel abgeſandt
wurde. In dem Rundſchreiben an die
Kriminalpolizei der europäiſchen Hauptſtädte
wird von der Trieſter Polizei auf einen
langgeſuchten Hochſtapler
hingewieſen, der unter dem Namen eines
Antonio Renzo oder Renzoff drei Trieſter
Banken um mehr als 100 000 Lire betro-
gen hat.

Renzo ſtammt aus Treviſo in Jtalien. Er
iſt etwa 50 Jahre alt und gibt ſich als
Kaufmann und Bankier aus. Im Gegen-
ſatz zu vielen anderen Schwindlern, die auf
Akkreditiven die Zahlen mit chemiſchen Mit-
teln tilgen und durch neue, entſprechend
höhere Beträge erſetzen, fälſcht Renzo die
Anweiſungen und Quittungen über die Ak-
kreditive vollkommen. Durch ſein Schwindel-
manöver iſt gleichfalls
eine große Neuyorker Bank geſchädigt
worden. Er fälſchte die Stempel und Unter-
ſchriften der Banken und ihrer Bevollmäch-
tigten. Renzo-Renzoff hat auf dieſe Weiſe
ſchon Millionenbeträge erbeutet. Renzo iſt
u. a. in Paris eine bekannte Figur. Der
große Gauner verkehrte vor noch nicht allzu
langer Zeit in dem feudalen Pariſer „Club
induſtriel“, wo er als großer Spieler in die
Erſcheinung trat. Der „Club induſtriel“ be-
findet ſich in der Rue Capuzine. Gleichfalls
operierte Renzo-Renzoff in dem „Club
Hausmann“ auf dem Boulevard Hausmann.
Der Hochſtapler arbeitete
mit einem Komplicen zuſammen,
der ſich auf ſeine Veranlaſſung hin bei einer
kleinen Bank in Marſeille ein Konto errich-
tete, um ſomit in den Beſitz eines Scheck-
buches zu gelangen. Er zahlte nur wenige
hundert Franken ein. Das Konto lief un-
ter falſchen Namen. Nach und nach gewann
der Gauner durch Falſchſpiel mehr als eine
viertel Million Franken, die er aber ebenſo
ſchnell wieder verſpielte. Durch einen groß
angelegten Scheckbetrug erhielt er von ſeiner
Pariſer Bankverbindung einen Scheck und
ein dazu gehöriges Begleitſchreiben, mit dem
er wieder weitere Schwindelmanöver unter-
[Spaltenumbruch] nahm. Dem Hochſtapler kam es vor allem
darauf an, das Begleitſchreiben der Bank
in Händen zu haben. Damit ging er in den
Nachtſtunden in den Spielklub auf dem
Boulevard Hausmann und — da er dort
als großer Spieler bekannt war — legte
er den Scheck und das Begleitſchreiben dem
Kaſſierer des Klubs vor, der ihm darauf ſo-
fort 60 000 Franken aushändigte. Selbſt-
verſtändlich bekam er den Betrag a conto
des Scheckbeglaubigungsſchreibens.

Damit iſt Renzo-Renzoff verſchwunden.
Es iſt bisher noch nicht gelungen, den inter-
nationalen Gauner, der mehrere fremde
Sprachen fließend ſpricht, zu faſſen und
dingfeſt zu machen.



Wie viele Stellwerke
hat die Reichsbahn?

Wie im Menſchenhirn die Nerven, ſo lau-
fen im Stellwerk Signal- und Weichen-
drähte zuſammen. Hier wird das Stellen
der Signale und Weichen zur ſicheren Durch-
führung des Zugsverkehers von einer
Stelle bewerkſtelligt. 17 869 Stellwerke
zählt die Reichsbahn, davon 15 727 auf
Bahnhöfen, 2 142 auf freier Strecke. Der
größte Teil der Stellwerke, nämlich 94,78
Prozent, wird mechaniſch durch Menſchen-
kraft bedient. Elektriſch werden 862 und
durch Druckluft 71 Stellwerke betrieben.
39 110 Menſchen ſind im Stellwerkdienſt
bei der Reichsbahn tätig und ſie bedienen:
73 742 Signalhebel und -kurbeln, 59 417
Fahrſtraßenhebel und -kurbeln, 150 624
Weichen-, Gleisſperren-, Riegelhebel- und
-kurbeln, 35 926 elektriſche Antriebe für
Weichen und Signale, 3843 Druckluftan-
triebe, 232 Preßgasantriebe.



Die Taufe mit Menſchenblut bei den -Maſai-
Kriegern

In einigen Teilen des von dem Maſaiſtamme
bewohnten Gebietes haben ſich Unruhen ereignet,
die regelmäßig dort wiederkehren. Nachdem eine
Reihe von jungen Männern das Alter des Krie-
gers erreicht hatte, ſuchten ſie ihre Tapferkeit nach
altem Herkommen durch die Taufe mit Menſchen-
blut zu beweiſen. Dabei wurden mehrere Ange-
hörige des Stammes getötet. Die Polizei wurde
in die Gegend entſandt.

[Spaltenumbruch]
Bernotats Freundin

Sie verbarg ihn
in einem Schrebergarten

Am 5. November v. J. war einer der dreiſte-
ſten internationalen Hoteldiebe, der aus Oſt-
preußen gebürtige Karl Bernotat, aus dem
Zuchthaus Gollnow entwichen. Die Flucht er-
regte großes Aufſehen, da Bernotat als Juwelen-
und Pelzdieb berüchtigt war. Er ſollte in
Gollnow eine zehnjährige Strafe abſitzen, von
der bereits die Hälfte verbüßt war. Einige Tage
nach der Flucht traf dann bei der Zuchthaus-
direktion ein Paket ein, das die Sträflingskleider
Bernotats enthielt. Der Ausbrecher ſandte ſie
mit dem Vermerk zurück, er habe ſich nur für
einige Zeit Urlaub
genommen, um das Wiederaufnahmeverfahren
beſſer betreiben zu können. Bernotat will ſich
nur als Hehler ſtrafbar gemacht, nicht aber die
Hoteldiebſtähle ſelbſt begangen zu haben. Ueber
die Feſtnahme des Flüchtlings in Dresden wurde
ſeinerzeit bereits berichtet. Dieſer Fall Bernotat
hatte jetzt vor dem Amtsgericht Dresden ein
Nachſpiel. Der Hoteldieb war in Dresden u. a.
auch mit einem gewiſſen
Oertel v. Egloffſtein
bekannt gewarden, der ſeinerſeits mit der jetzt
41 Jahre alten, auf der Moſenſtraße wohnhaften
Privatiere und Kunſtmalerin Gertrud verehel.
Heinzig geb. v. Hoewel befreundet war. Ihre
Adreſſe hatte Bernotat bereits vor längerer Zeit
durch v. Egloffſtein erfahren und zwiſchen beiden
war es zum Briefwechſel und zum Austauſch
von Lichtbildern gekommen. Im September
hatte Bernotat bei der Zuchthausdirektion in
Gollnow erwirkt, daß ſeine dort in Verwahrung
befindlichen Sachen
zu Frau Heinzig nach Dresden geſchickt
wurden, weil ſie bei ihr angeblich beſſer aufbe-
wahrt würden. Als er dann am 5. November
geflüchtet war, vermutete man ſofort, daß er ſich
nach Dresden wenden würde. Die Vermutung
beſtätigte ſich. In den Morgenſtunden des 18.
November erſchien Bernotat bei der Freundin,
die ihn nach ihrem in der Nähe der Moſenſtraße
gelegenen Schrebergarten brachte. Hier kochte
ſie ihm Kaffee und richtete ihm ein Mittags-
mahl. Bis gegen 21 Uhr blieben die beiden in
der Gartenlaube, in der ſich Bernotat ein Nacht-
lager herrichtete. Die Kriminalpolizei hob ihn
dann noch in der Nacht aus. Die Heinzig hatte
ſich nunmehr
wegen Begünſtigung
nach § 257 StGB. zu verantworten. Man hatte
ihr einen Strafbefehl über 50 Mark Geldſtrafe
zugeſchickt, gegen den ſie Einſpruch erhoben hatte.
Sie ſuchte das Amtsgericht von ihrer Unſchuld
zu überzeugen. Nach den Bekundungen eines
Kriminalkommiſſars konnte aber für ſie nicht der
geringſte Zweifel beſtehen, daß ſie es mit Ber-
notat zu tun hatte und daß ſie ſich durch die Be-
günſtigung des Verbrechers ſelbſt ſtrafbar machen
würde. Bei dieſer Sachlage erkannte das Gericht
auf eine Geldſtrafe von 150 Mark bzw. 15 Tage
Gefängnis als Erſatzſtrafe.



[irrelevantes Material]
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[9/0009] Montag, den 14. Januar „AZ am Abend“ Nr. 11 Münchner Kapellmeiſter Otto Weber (Text und Zeichnung von Rolf Brand) Wer ihn kennt, weiß, daß in ihm das ſüd- deutſche Temperament, die große Leichtigkeit und die bewegliche Friſche leben, aus denen die Luſt und Liebe zur Kunſt erwachſen ſind ſowie das heiter Spieleriſche, Beſchwingte und Ge- fällige. [Abbildung] Kein Wunder ſomit, daß nun Herr Hauſer vom „Reichsadler“ ſich dieſe Kapelle ſicherte. Hier verblieb Otto Weber volle ſieben Jahre, und es iſt wirklich vollkommen überflüſſig, erſt zu be- tonen, wie ſehr er zu einem Faktor unſeres ge- ſamten geſellſchaftlichen Lebens wurde. Gerade in München hat die Kaffeehaus-Muſik eine ganz beſondere Aufgabe zu erfüllen, denn ſie wurzelt nicht bloß in unſerem Verlangen nach ſchöner und freundlicher Unterhaltung, ſondern vielmehr in unſerer ganzen Art, in unſerem Weſen, das dem Kunſtfreudigen ſo nachhaltig zuneigt. Wer alſo in München ſich behaupten will, muß ſchon etwas leiſten können, und ſo ſpricht es ſehr deut- lich für Otto Weber, wenn er darauf verweiſen kann, volle ſieben Jahre im „Reichsadler“ mit großem, immer ſich ſteigendem Erfolg tätig ge- weſen zu ſein. Otto Weber leitet trotz ſeiner jungen Jahre eine der älteſten Tanzkapellen Münchens, aber er iſt nicht bloß bei uns beliebt und bekannt, ſondern auch in anderen Städten und im Aus- lande, wo er ſich überall dem Publikum vor- geſtellt. Es iſt noch nicht allzu lange her, daß Otto Weber im Pavillon Gruß (Deutſches Theater) ſpielte, von wo er dann auf ein einmonatliches Gaſtſpiel in den „Reichsadler“ überſiedelte, an- ſchließend wurde er von da aus wiederum von Hans Gruß für die Bonbonniere ver- pflichtet. Bayer. Volksbildungs-Verband. Dienstag, den 15. Januar, 8 Uhr im Bayer. Hof Kammermuſik-Abend des Münchner Trios (Richard Staab, Willy Stuhlfauth und Karl Liſt — Mitglieder der Deutſchen Stunde in Bayern) mit Werken von Schubert (Trio B-Dur op. 99), Beethoven (Variationen über das Lied „Ich bin der Schneider Kakadu“ und Dvorak (Trio k-Moll Op. 65). Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid und im Amtl. Bayer. Reiſebüro. Die Galerie für chriſtliche Kunſt, München, Wittelsbacherplatz 2 zeigt in ihrer Januarausſtel- lung Kreuzwegſtationen (Farbſkizzen) von Prof. Paul Plontke, Berlin, außerdem Graphik, dar- unter die Folge von Farb-Holzdrucken der goti- ſchen Fresken im Kreuzgang zu Brixen von Hans André, Wien; ferner Plaſtiken von Julius Drex- ler, Prof. Düll, Petzold, Schambeck, Anton Grimm, Emil Hofmann, A. Kiesgen, Wilma Schalk, Heinrich Salomoun und Hans Strecker. Die Aus- ſtellung iſt an Werktagen von 9—7 Uhr geöffnet. Eintritt frei. Deutsche Stunde in Bayern Dienstag, den 15. Januar 1929. 11.20 Schallplattenkonzert für Verſuche und für die Induſtrie. 12.55—13.50 Nürnberger Sendung. Mittagskonzert der Kapelle Ludwig Schuſter, Tzatſchewa- Diele. 14.45 Stunde der Frau. 16.30 Leſeſtunde Moderne norwegiſche Literatur. Ein Kapitel aus dem Roman „Segen der Erde“ von Knut Hamſun. Geleſen von Franz Rücker. 17.00 Zur Danzig-Ausſtellung in München. Dr. Max Halbe lieſt Heimatliches aus ſeinen Werken. 17.30 Kammermuſik. Das Süddeutſche Trio: Jakob Trapp (Violine) — Heinz Jaeger (Cello) — Kurt Merker (Klavier). 19.00 Direktor Dr. Mannowſky: Danziger Kultur. 19.15 Liederſtunde Martha Nauen. Martha Nauen. Augsburg (Sopran) — Am Flügel Richard Staab. 19.45 Das naturwiſſenſchaftliche Weltbild der Ge- genwart (II). Eine Vortragsreihe von Dr. Alfons Wenzl. 20.15 Robert und Bertram oder Die luſtigen Va- gabunden. Poſſe mit Geſang in vier Abtei- lungen von Guſtav Raeder. Mitwirkend das Rundfunkorcheſter — Leitung Kurt Paſter — Spielltg. Rolf Pinegger. 22.20 Abendmeldungen. 22.45 Tanzkurs. Leiter Max Wellenberg. Die „Todesliga“ von Lieswa Elf jugendliche Selbſtmörder in einer Uralſtadt Mitten im Ural, in der weitabgelegenen Stadt Lieswa, hat man kürzlich eine „Todesliga“ ent- deckt, in der man die Haupturſache für den Selbſtmord von elf jungen Kommuniſten erblickt, die ſich während des vergangenen Sommers und Herbſtes das Leben genommen haben. Es hat- ten ſich bereits innerhalb weniger Monate einige Selbſtmorde von außerordentlich aktiven Mit- gliedern der Ortszweige der kommuniſtiſchen Jugend ereignet, ehe man entdeckte, daß dieſe Bewegung zur Selbſtzerſtörung eine organiſierte war. Man ſtellte Nachforſchun- gen an, und jetzt werden die Entdeckungen in allen Einzelheiten in der Moskauer „Kommuni- ſtiſchen Jugend-Prawda“ veröffentlicht. Nur allzu oft taucht das alte Rußland mit ſeinem Peſſimismus (wie ſeine alte, große Literatur ihn atmet und ſchildert) in überraſchend ſcharfen Konturen an der Oberfläche des anderen Lebens auf, das Rußland ſeit den Tagen der Revolution erfüllt. Ein ſolcher Fall vom Durchſchlagen des Alten durchs Neue iſt die Tragödie von Lieswa die um ſo bizarrer iſt, als Revolutionäre ſelbſt ihre leidenden Helden ſind. Der erſte dieſer Selbſtmorde, der die Stadt Lieswa vor ein ſchier unlösbares Rätſel ſtellte, war der Tod Iwan Bresgins, eines der bekannteſten und beliebteſten jungen Menſchen in den kommuniſtiſchen Kreiſen von Lieswa. Man fand ihn erhängt an einem Dachſparren ſeines Hauſes auf. In ein paar Zeilen an ſeine Freunde bat er ſie, ihm ein ſchönes Begräbnis zu bereiten. Die Freunde veranſtalteten eine Sammlung, und man trug ihn mit viel Pracht zu Grabe. Bald darauf erhielt die Sekretärin des kommuniſtiſchen Ortsverbandes einen Brief von Faina Newolſkik, in der ſie ihr ankündigte, daß ſie im Sterben liege und daß man ſie in ſchönen Kleidern und mit Blumen geſchmückt be- graben möge. Einige Tage ſpäter wurde ihre Leiche in einem Wald aufgefunden. Zwei Wochen ſpäter geriet ganz Lieswa, das ſich noch kaum von dem rätſelhaften Tode der Faina erholt hatte, in neue Aufregung. Man fand in dem Wald zwei neue Leichen. Ein Zettel, unter- ſchrieben Liza Tumina und Tonia Bakilina, er- klärte, daß die beiden Mädchen ſich erſchießen wollten, da „das Leben nicht wert ſei, gelebt zu werden.“ Sie hinterließen genaueſte Anweiſungen über die Art, wie ſie begraben werden wollten, baten, in Roſa gekleidet zu werden und Särge von der- ſelben Farbe zu erhalten. Ihre Freunde kamen ihren Wünſchen nach, und die Stadt erlebte eines der merkwürdigſten Begräbniſſe, das ſie vermutlich ſo bald nicht vergeſſen wird. Die Selbſtmorde hielten an und die Zahl der Toten betrug ſchon elf. Jetzt begannen die älteren Kommuniſten, ſich mit der Sache zu beſchäftigen und Nachforſchungen anzuſtellen. Die „Kommu- niſtiſche Jugend-Prawda“, das Moskauer Zen- tralorgan der „Kommuniſtiſchen Jugend“, machte ihnen in ſcharfen Worten die heftigſten Vor- würfe, damit ſo lange gewartet zu haben. Die Nachforſchungen enthüllten, daß ſich ganz plötz- lich unter den intelligenteſten jungen Menſchen eine peſſimiſtiſche Atmoſphäre entwickelt hatte, die ſie zu den ſeltſamſten Unter- nehmungen verleitete. Sie kamen zuſammen, um Vorleſungen von allerlei merkwürdigen und eigenartigen Dichtungen abzuhalten und über die Nutzloſigkeit des Daſeins und der Kämpfe und Anſtrengungen des Lebens zu diskutieren. Sie verherrlichten den Tod als das einzig Wahre und Schöne in der Welt. Eine ganze Anzahl der älteren Leute hatte, wie es ſich jetzt herausſtellt, von der ſogenannten „Todesliga“ ſprechen ge- hört, aber ihr keinerlei Aufmerkſamkeit geſchenkt, in der Annahme, daß es ſich nur um jugendliche Uebertreibungen und ein Spiel mit Worten han- dele. Es ſcheint dabei, als habe der Tod des hochbegabten jungen ruſſiſchen Dichters Sergei Jeſſenin, des Gatten der Iſadora Duncan, der im vergangenen Jahre durch Selbſtmord endete, der Jugend von Lieswa einen ſtärkeren Eindruck ge- macht als irgend etwas ſonſt. In dem Bericht wird er als derjenige bezeichnet, der „die Ge- danken unſerer Jugend vollkommen erfüllt habe“. Wie man ſich noch erinnert, ſtarb Jeſſe- nin auf eine merkwürdige Weiſe. Er ſchrieb mit ſeinem eigenen Blut eine dramatiſche Abſchiedsbotſchaft an die Welt und erhängte ſich dann. In ganz Rußland haben ſein Werk und ſein ſo frühzeitiger Tod ein enormes Intereſſe und eine nicht endenwollende Diskuſſion heraufbeſchworen. So hat denn der junge Dichter aus ſeinem Grabe noch zu der Jugend in der fernen Uralſtadt geſprochen und die empfindſamen jungen Ruſſen aufgefordert, ſein düſteres Schickſal zu teilen. Auf der Suche nach dem Raubmörder Renzo Ein Gauner von Format * Millionenbeträge erbeutet Im Berliner Polizeipräſidium traf von der Kriminalpolizei in Trieſt ein Haftbefehl ein, der auch an die Polizeibehörden von Paris, Wien, Budapeſt, Agram, Athen, Konſtantinopel und Brüſſel abgeſandt wurde. In dem Rundſchreiben an die Kriminalpolizei der europäiſchen Hauptſtädte wird von der Trieſter Polizei auf einen langgeſuchten Hochſtapler hingewieſen, der unter dem Namen eines Antonio Renzo oder Renzoff drei Trieſter Banken um mehr als 100 000 Lire betro- gen hat. Renzo ſtammt aus Treviſo in Jtalien. Er iſt etwa 50 Jahre alt und gibt ſich als Kaufmann und Bankier aus. 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J. war einer der dreiſte- ſten internationalen Hoteldiebe, der aus Oſt- preußen gebürtige Karl Bernotat, aus dem Zuchthaus Gollnow entwichen. Die Flucht er- regte großes Aufſehen, da Bernotat als Juwelen- und Pelzdieb berüchtigt war. Er ſollte in Gollnow eine zehnjährige Strafe abſitzen, von der bereits die Hälfte verbüßt war. Einige Tage nach der Flucht traf dann bei der Zuchthaus- direktion ein Paket ein, das die Sträflingskleider Bernotats enthielt. Der Ausbrecher ſandte ſie mit dem Vermerk zurück, er habe ſich nur für einige Zeit Urlaub genommen, um das Wiederaufnahmeverfahren beſſer betreiben zu können. Bernotat will ſich nur als Hehler ſtrafbar gemacht, nicht aber die Hoteldiebſtähle ſelbſt begangen zu haben. Ueber die Feſtnahme des Flüchtlings in Dresden wurde ſeinerzeit bereits berichtet. Dieſer Fall Bernotat hatte jetzt vor dem Amtsgericht Dresden ein Nachſpiel. Der Hoteldieb war in Dresden u. a. auch mit einem gewiſſen Oertel v. Egloffſtein bekannt gewarden, der ſeinerſeits mit der jetzt 41 Jahre alten, auf der Moſenſtraße wohnhaften Privatiere und Kunſtmalerin Gertrud verehel. Heinzig geb. v. Hoewel befreundet war. Ihre Adreſſe hatte Bernotat bereits vor längerer Zeit durch v. Egloffſtein erfahren und zwiſchen beiden war es zum Briefwechſel und zum Austauſch von Lichtbildern gekommen. Im September hatte Bernotat bei der Zuchthausdirektion in Gollnow erwirkt, daß ſeine dort in Verwahrung befindlichen Sachen zu Frau Heinzig nach Dresden geſchickt wurden, weil ſie bei ihr angeblich beſſer aufbe- wahrt würden. Als er dann am 5. November geflüchtet war, vermutete man ſofort, daß er ſich nach Dresden wenden würde. Die Vermutung beſtätigte ſich. In den Morgenſtunden des 18. November erſchien Bernotat bei der Freundin, die ihn nach ihrem in der Nähe der Moſenſtraße gelegenen Schrebergarten brachte. Hier kochte ſie ihm Kaffee und richtete ihm ein Mittags- mahl. Bis gegen 21 Uhr blieben die beiden in der Gartenlaube, in der ſich Bernotat ein Nacht- lager herrichtete. Die Kriminalpolizei hob ihn dann noch in der Nacht aus. Die Heinzig hatte ſich nunmehr wegen Begünſtigung nach § 257 StGB. zu verantworten. Man hatte ihr einen Strafbefehl über 50 Mark Geldſtrafe zugeſchickt, gegen den ſie Einſpruch erhoben hatte. Sie ſuchte das Amtsgericht von ihrer Unſchuld zu überzeugen. Nach den Bekundungen eines Kriminalkommiſſars konnte aber für ſie nicht der geringſte Zweifel beſtehen, daß ſie es mit Ber- notat zu tun hatte und daß ſie ſich durch die Be- günſtigung des Verbrechers ſelbſt ſtrafbar machen würde. Bei dieſer Sachlage erkannte das Gericht auf eine Geldſtrafe von 150 Mark bzw. 15 Tage Gefängnis als Erſatzſtrafe. _

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-03-29T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 14. Januar 1929, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine11_1929/9>, abgerufen am 21.11.2024.