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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1830.

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[Spaltenumbruch] den, und was diese Vereine betrift, so sprechen wir ihnen darum
sogar auch diese ab, weil sie nur die Folge der ängstlichen Mey-
nung sind, welche man von einem Ende Frankreichs zum andern
über die Entwürfe des Ministeriums hat. Diese Behauptung ist
keine Meynung, sie ist eine Thatsache; sie steht bewiesen in allen
Sammlungen der Pariser Journale, die in den europäischen Kanz-
leien der auswärtigen Angelegenheiten liegen; sie muß bis auf die-
sen Tag von allen Kabinetten anerkannt worden seyn; denn wie
könnte man sich ihre Unthätigkeit an der französischen Gränze er-
klären, wenn Frankreich in der That der gefährliche Brennpunkt
von Umtrieben wäre, wodurch der allgemeine politische Glaube der
Völker verkehrt und das Wesen der europäischen Grundgeseze ge-
fährdet würde? Allerdings ist ein ganz neuer Zustand in diesem
Lande eingetreten, eine neue Opposition, eine neue Hofnung auf
etwas Besseres, aber dieses Bessere hat seinen Bezug nur auf den
am 8 Aug. eingetretenen Ministerwechsel, und was man ihr seit-
dem entgegensezt, trägt durchaus keinen revolutionairen Charakter.
Wir sprechen hier nicht von den Abgabenvereinen, von welchen sich
sogar in Frankreich viele eine andere Meynung machen, als sie
verdienen; man gab ihnen einen tiefeingreifenden Sinn, den sie
durchaus nicht haben, weil sie nie in Vollziehung kommen können.
Schon gestaltet sich diese Lehre, diese unbestimmte, diese unförm-
liche, diese in ihrem Umfang ungewisse Aeußerung der National-
kraft ganz anders, seitdem man sich dem entscheidenden Tage
der Eröfnung der Kammern nähert. Schon mildert sich die rauhe
Frucht der Erbitterung durch die fortschreitende Reife der ersten
Idee des Widerstands gegen die Forderungen des Staats; schon
stellt man mit der gewissenhaftesten, strengsten Betheurung fest,
daß man sich durchaus nur auf den Fall vereint habe, wenn ge-
sezwidrige Abgaben gefordert werden sollten. Hr. Cochin, der Maire
des 12ten Pariser Bezirks, erklärte bei seinem Beitritt zum Pa-
riser Verein ausdrüklich: er könne nicht glauben, daß die Mini-
ster vermöge gesezwidriger Besteurung die beschworne Charte ver-
lezen würden. Hr. Benjamin Constant geht in die einzelnen
Zweige der Abgaben ein, die man den Ministern in den einzelnen
Fällen von Felonie gegen den Staat verweigern müsse; seine Spra-
che hat nichts Drohendes, sie beruhigt vielmehr die Gemüther, die
vor den Stürmen zurükschauderten, welche durch eine allgemeine
Abgabenunordnung entstehen könnten. Bewilligen wir, sagt er, die
Civilliste, dann wird man nicht sagen können, wir erschüttern den
Thron, da wir das was dem Throne gehört, in Ehren halten; be-
willigen wir die Gelder für die Justiz; sie, die unsere Freiheiten
schüzt, soll in ihrem Gange nicht gestört werden; bewilligen wir
die Löhnung der französischen Soldaten, man wird dann nicht sa-
gen können, wir lassen das Land ohne Vertheidigung; aber gehen
wir dann nicht weiter! Verweigern wir dem Minister des Innern
sein Budget, da wir durchaus keine Gewährschaft gegen die schlech-
ten Präfekten und Departementalräthe haben, die sich anmaaßen
im Namen der Nation zu sprechen, da doch das, was sie wollen,
die Nation nicht will. Verweigern wir das Geld für unsere Di-
plomatie so lang wir nicht gewiß sind, ob sie unsere Interessen
wahrnimmt, ob sie unsere Würde nicht gefährdet. Verweigern
wir es für den Unterricht und die geistlichen Angelegenheiten, so
lang wir in Gefahr sind, der Unterricht werde durch fremde Ein-
flüsterungen geleitet, und so lange die Freiheiten sogar der katho-
lischen Kirche angetastet werden." Wie möchten die fremden
Mächte die geforderte Hülfe leisten, da sie selbst zum Theil von
[Spaltenumbruch] den französischen Ultra's angetastet und bedroht worden sind, weil
sie die Ansprüche der Intoleranz und des Kampfs gegen die Fort-
schritte der Civilisation nicht anerkennen wollten? Wie könnten sie
sich für den Kampf zu Gunsten der gefährlichen Gesellschaft be-
wafnen, deren unruhigste Köpfe durch sie selbst aus ihren Ländern
hinausgeschaft worden sind, und die nun in Frankreich zwei Zweke
auf einmal zu erreichen sucht, einmal die Reichthümer des Landes
an sich zu ziehen, und dann sich an den fremden Fürsten zu rächen, die mit
ihr nichts zu thun haben wollen? Und sollte dann der Kampf gegen
Frankreich so leicht, so ganz gefahrlos, so ganz gewiß glüklich seyn?
Sollte Europa, sollte besonders Deutschland zu Gunsten der Männer
vom 8 Aug. und zur Befestigung der Jesuitenmacht die Früchte des
großen Siegs von 1814 und 1815 wieder auf das Spiel sezen
wollen? Was Frankreich damals war, ist es jezt nicht mehr. Das
Bewußtseyn seiner unheilbaren Uebel hatte es damals entwafnet;
es war erschöpft durch den Kampf für den am Ende zweideutig
gewordenen Ruhm; das Land war plözlich kein Kaiserreich mehr,
es war keine Republik und keine Monarchie, es war weder kon-
stitutionnel noch absolut gestaltet; sogar das Andenken an den
edeln Föderalism, den die wilden Demokraten von 1793 ermor-
det hatten, konnte nicht wieder aufleben; man beging höchstens
einige Meuchelmorde an einigen Zauderern und Plünderern der frem-
den Heere, aber man wagte es nicht einmal auf die Erhaltung der
Unabhängigkeit des Vaterlandes zu hoffen, weil man kein Vater-
land mehr hatte. Aber jezt herrscht wieder die Kraft des allge-
meinen Zusammenhangs der Franzosen mit den Franzosen; die
Charte hat ein unbeschreiblich lebhaftes, aber still in dem Be-
wußtseyn der Stärke sich aussprechendes Gefühl des Nationalstol-
zes den Gemüthern eingeflößt; diese Stärke ist um so unüber-
windlicher, um so unantastbarer, als sie alle Eigenschaften der
vis inertiae an sich trägt, und die auswärtigen Mächte, die
zuvor den Ausgang eines von unsern Häuptlingen des Ultraism
versprochenen Bürgerkriegs abwarten wollten, würden durch Be-
günstigung desselben nur sich selbst schaden; sie würden das Miß-
trauen der französischen Nation, das ihnen durchaus zu nichts
nüzen kan, vergebens erregt haben; sie würden das monarchische
Prinzip, das bis jezt auch von allen Liberalen nicht angetastet
worden ist, und das sogar die Liberalen selbst gegen den 8 August
zu Hülfe rufen, in einem Lande schwächen, von welchem aus das
Gute so leicht nach den andern Ländern fließt, und das Schlimme
immer so gefährlich wird. Die Energie Frankreichs ist nun ganz
wieder, was sie in den bessern Tagen von 1789 war; sie ist kei-
neswegs die Wuth von 1793; sie ist durchaus nicht der Rausch
des Schlachtenruhmes des Konsulats, noch die leere Einbildung
der Universalherrschaft des Imperialism; sie ist das volle Wieder-
aufleben aus dem Tode der Anarchie, der nun dem jungen, in so
mächtigen Pulsschlägen sich regendem Leben der Charte nie wieder
drohen kan. Wir meynen, die Charte sey in Frankreich gegen
alle Bemühungen jeder Macht gesichert, gerade so wie Rußland
gesichert ist gegen Angriffe auf seinem Kontinent, wie die Ver-
einigten Staaten von Nordamerika gegen europäische Flotten. Die
russischen, die nordamerikanischen und die französischen Völker
sind, jenes durch seine physische, das andere durch seine politi-
sche, und dieses durch seine konstitutionelle Jugend unüberwind-
lich; Frankreich hat davon bereits das Vorgefühl, und die aus-
wärtige Politik würde ihm nur den frühern Gebrauch davon noth-
wendig machen.

[Spaltenumbruch] den, und was dieſe Vereine betrift, ſo ſprechen wir ihnen darum
ſogar auch dieſe ab, weil ſie nur die Folge der ängſtlichen Mey-
nung ſind, welche man von einem Ende Frankreichs zum andern
über die Entwürfe des Miniſteriums hat. Dieſe Behauptung iſt
keine Meynung, ſie iſt eine Thatſache; ſie ſteht bewieſen in allen
Sammlungen der Pariſer Journale, die in den europäiſchen Kanz-
leien der auswärtigen Angelegenheiten liegen; ſie muß bis auf die-
ſen Tag von allen Kabinetten anerkannt worden ſeyn; denn wie
könnte man ſich ihre Unthätigkeit an der franzöſiſchen Gränze er-
klären, wenn Frankreich in der That der gefährliche Brennpunkt
von Umtrieben wäre, wodurch der allgemeine politiſche Glaube der
Völker verkehrt und das Weſen der europäiſchen Grundgeſeze ge-
fährdet würde? Allerdings iſt ein ganz neuer Zuſtand in dieſem
Lande eingetreten, eine neue Oppoſition, eine neue Hofnung auf
etwas Beſſeres, aber dieſes Beſſere hat ſeinen Bezug nur auf den
am 8 Aug. eingetretenen Miniſterwechſel, und was man ihr ſeit-
dem entgegenſezt, trägt durchaus keinen revolutionairen Charakter.
Wir ſprechen hier nicht von den Abgabenvereinen, von welchen ſich
ſogar in Frankreich viele eine andere Meynung machen, als ſie
verdienen; man gab ihnen einen tiefeingreifenden Sinn, den ſie
durchaus nicht haben, weil ſie nie in Vollziehung kommen können.
Schon geſtaltet ſich dieſe Lehre, dieſe unbeſtimmte, dieſe unförm-
liche, dieſe in ihrem Umfang ungewiſſe Aeußerung der National-
kraft ganz anders, ſeitdem man ſich dem entſcheidenden Tage
der Eröfnung der Kammern nähert. Schon mildert ſich die rauhe
Frucht der Erbitterung durch die fortſchreitende Reife der erſten
Idee des Widerſtands gegen die Forderungen des Staats; ſchon
ſtellt man mit der gewiſſenhafteſten, ſtrengſten Betheurung feſt,
daß man ſich durchaus nur auf den Fall vereint habe, wenn ge-
ſezwidrige Abgaben gefordert werden ſollten. Hr. Cochin, der Maire
des 12ten Pariſer Bezirks, erklärte bei ſeinem Beitritt zum Pa-
riſer Verein ausdrüklich: er könne nicht glauben, daß die Mini-
ſter vermöge geſezwidriger Beſteurung die beſchworne Charte ver-
lezen würden. Hr. Benjamin Conſtant geht in die einzelnen
Zweige der Abgaben ein, die man den Miniſtern in den einzelnen
Fällen von Felonie gegen den Staat verweigern müſſe; ſeine Spra-
che hat nichts Drohendes, ſie beruhigt vielmehr die Gemüther, die
vor den Stürmen zurükſchauderten, welche durch eine allgemeine
Abgabenunordnung entſtehen könnten. Bewilligen wir, ſagt er, die
Civilliſte, dann wird man nicht ſagen können, wir erſchüttern den
Thron, da wir das was dem Throne gehört, in Ehren halten; be-
willigen wir die Gelder für die Juſtiz; ſie, die unſere Freiheiten
ſchüzt, ſoll in ihrem Gange nicht geſtört werden; bewilligen wir
die Löhnung der franzöſiſchen Soldaten, man wird dann nicht ſa-
gen können, wir laſſen das Land ohne Vertheidigung; aber gehen
wir dann nicht weiter! Verweigern wir dem Miniſter des Innern
ſein Budget, da wir durchaus keine Gewährſchaft gegen die ſchlech-
ten Präfekten und Departementalräthe haben, die ſich anmaaßen
im Namen der Nation zu ſprechen, da doch das, was ſie wollen,
die Nation nicht will. Verweigern wir das Geld für unſere Di-
plomatie ſo lang wir nicht gewiß ſind, ob ſie unſere Intereſſen
wahrnimmt, ob ſie unſere Würde nicht gefährdet. Verweigern
wir es für den Unterricht und die geiſtlichen Angelegenheiten, ſo
lang wir in Gefahr ſind, der Unterricht werde durch fremde Ein-
flüſterungen geleitet, und ſo lange die Freiheiten ſogar der katho-
liſchen Kirche angetaſtet werden.“ Wie möchten die fremden
Mächte die geforderte Hülfe leiſten, da ſie ſelbſt zum Theil von
[Spaltenumbruch] den franzöſiſchen Ultra’s angetaſtet und bedroht worden ſind, weil
ſie die Anſprüche der Intoleranz und des Kampfs gegen die Fort-
ſchritte der Civiliſation nicht anerkennen wollten? Wie könnten ſie
ſich für den Kampf zu Gunſten der gefährlichen Geſellſchaft be-
wafnen, deren unruhigſte Köpfe durch ſie ſelbſt aus ihren Ländern
hinausgeſchaft worden ſind, und die nun in Frankreich zwei Zweke
auf einmal zu erreichen ſucht, einmal die Reichthümer des Landes
an ſich zu ziehen, und dann ſich an den fremden Fürſten zu rächen, die mit
ihr nichts zu thun haben wollen? Und ſollte dann der Kampf gegen
Frankreich ſo leicht, ſo ganz gefahrlos, ſo ganz gewiß glüklich ſeyn?
Sollte Europa, ſollte beſonders Deutſchland zu Gunſten der Männer
vom 8 Aug. und zur Befeſtigung der Jeſuitenmacht die Früchte des
großen Siegs von 1814 und 1815 wieder auf das Spiel ſezen
wollen? Was Frankreich damals war, iſt es jezt nicht mehr. Das
Bewußtſeyn ſeiner unheilbaren Uebel hatte es damals entwafnet;
es war erſchöpft durch den Kampf für den am Ende zweideutig
gewordenen Ruhm; das Land war plözlich kein Kaiſerreich mehr,
es war keine Republik und keine Monarchie, es war weder kon-
ſtitutionnel noch abſolut geſtaltet; ſogar das Andenken an den
edeln Föderalism, den die wilden Demokraten von 1793 ermor-
det hatten, konnte nicht wieder aufleben; man beging höchſtens
einige Meuchelmorde an einigen Zauderern und Plünderern der frem-
den Heere, aber man wagte es nicht einmal auf die Erhaltung der
Unabhängigkeit des Vaterlandes zu hoffen, weil man kein Vater-
land mehr hatte. Aber jezt herrſcht wieder die Kraft des allge-
meinen Zuſammenhangs der Franzoſen mit den Franzoſen; die
Charte hat ein unbeſchreiblich lebhaftes, aber ſtill in dem Be-
wußtſeyn der Stärke ſich ausſprechendes Gefühl des Nationalſtol-
zes den Gemüthern eingeflößt; dieſe Stärke iſt um ſo unüber-
windlicher, um ſo unantaſtbarer, als ſie alle Eigenſchaften der
vis inertiae an ſich trägt, und die auswärtigen Mächte, die
zuvor den Ausgang eines von unſern Häuptlingen des Ultraism
verſprochenen Bürgerkriegs abwarten wollten, würden durch Be-
günſtigung deſſelben nur ſich ſelbſt ſchaden; ſie würden das Miß-
trauen der franzöſiſchen Nation, das ihnen durchaus zu nichts
nüzen kan, vergebens erregt haben; ſie würden das monarchiſche
Prinzip, das bis jezt auch von allen Liberalen nicht angetaſtet
worden iſt, und das ſogar die Liberalen ſelbſt gegen den 8 Auguſt
zu Hülfe rufen, in einem Lande ſchwächen, von welchem aus das
Gute ſo leicht nach den andern Ländern fließt, und das Schlimme
immer ſo gefährlich wird. Die Energie Frankreichs iſt nun ganz
wieder, was ſie in den beſſern Tagen von 1789 war; ſie iſt kei-
neswegs die Wuth von 1793; ſie iſt durchaus nicht der Rauſch
des Schlachtenruhmes des Konſulats, noch die leere Einbildung
der Univerſalherrſchaft des Imperialism; ſie iſt das volle Wieder-
aufleben aus dem Tode der Anarchie, der nun dem jungen, in ſo
mächtigen Pulsſchlägen ſich regendem Leben der Charte nie wieder
drohen kan. Wir meynen, die Charte ſey in Frankreich gegen
alle Bemühungen jeder Macht geſichert, gerade ſo wie Rußland
geſichert iſt gegen Angriffe auf ſeinem Kontinent, wie die Ver-
einigten Staaten von Nordamerika gegen europäiſche Flotten. Die
ruſſiſchen, die nordamerikaniſchen und die franzöſiſchen Völker
ſind, jenes durch ſeine phyſiſche, das andere durch ſeine politi-
ſche, und dieſes durch ſeine konſtitutionelle Jugend unüberwind-
lich; Frankreich hat davon bereits das Vorgefühl, und die aus-
wärtige Politik würde ihm nur den frühern Gebrauch davon noth-
wendig machen.

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[46/0002] den, und was dieſe Vereine betrift, ſo ſprechen wir ihnen darum ſogar auch dieſe ab, weil ſie nur die Folge der ängſtlichen Mey- nung ſind, welche man von einem Ende Frankreichs zum andern über die Entwürfe des Miniſteriums hat. Dieſe Behauptung iſt keine Meynung, ſie iſt eine Thatſache; ſie ſteht bewieſen in allen Sammlungen der Pariſer Journale, die in den europäiſchen Kanz- leien der auswärtigen Angelegenheiten liegen; ſie muß bis auf die- ſen Tag von allen Kabinetten anerkannt worden ſeyn; denn wie könnte man ſich ihre Unthätigkeit an der franzöſiſchen Gränze er- klären, wenn Frankreich in der That der gefährliche Brennpunkt von Umtrieben wäre, wodurch der allgemeine politiſche Glaube der Völker verkehrt und das Weſen der europäiſchen Grundgeſeze ge- fährdet würde? Allerdings iſt ein ganz neuer Zuſtand in dieſem Lande eingetreten, eine neue Oppoſition, eine neue Hofnung auf etwas Beſſeres, aber dieſes Beſſere hat ſeinen Bezug nur auf den am 8 Aug. eingetretenen Miniſterwechſel, und was man ihr ſeit- dem entgegenſezt, trägt durchaus keinen revolutionairen Charakter. Wir ſprechen hier nicht von den Abgabenvereinen, von welchen ſich ſogar in Frankreich viele eine andere Meynung machen, als ſie verdienen; man gab ihnen einen tiefeingreifenden Sinn, den ſie durchaus nicht haben, weil ſie nie in Vollziehung kommen können. Schon geſtaltet ſich dieſe Lehre, dieſe unbeſtimmte, dieſe unförm- liche, dieſe in ihrem Umfang ungewiſſe Aeußerung der National- kraft ganz anders, ſeitdem man ſich dem entſcheidenden Tage der Eröfnung der Kammern nähert. Schon mildert ſich die rauhe Frucht der Erbitterung durch die fortſchreitende Reife der erſten Idee des Widerſtands gegen die Forderungen des Staats; ſchon ſtellt man mit der gewiſſenhafteſten, ſtrengſten Betheurung feſt, daß man ſich durchaus nur auf den Fall vereint habe, wenn ge- ſezwidrige Abgaben gefordert werden ſollten. Hr. Cochin, der Maire des 12ten Pariſer Bezirks, erklärte bei ſeinem Beitritt zum Pa- riſer Verein ausdrüklich: er könne nicht glauben, daß die Mini- ſter vermöge geſezwidriger Beſteurung die beſchworne Charte ver- lezen würden. Hr. Benjamin Conſtant geht in die einzelnen Zweige der Abgaben ein, die man den Miniſtern in den einzelnen Fällen von Felonie gegen den Staat verweigern müſſe; ſeine Spra- che hat nichts Drohendes, ſie beruhigt vielmehr die Gemüther, die vor den Stürmen zurükſchauderten, welche durch eine allgemeine Abgabenunordnung entſtehen könnten. Bewilligen wir, ſagt er, die Civilliſte, dann wird man nicht ſagen können, wir erſchüttern den Thron, da wir das was dem Throne gehört, in Ehren halten; be- willigen wir die Gelder für die Juſtiz; ſie, die unſere Freiheiten ſchüzt, ſoll in ihrem Gange nicht geſtört werden; bewilligen wir die Löhnung der franzöſiſchen Soldaten, man wird dann nicht ſa- gen können, wir laſſen das Land ohne Vertheidigung; aber gehen wir dann nicht weiter! Verweigern wir dem Miniſter des Innern ſein Budget, da wir durchaus keine Gewährſchaft gegen die ſchlech- ten Präfekten und Departementalräthe haben, die ſich anmaaßen im Namen der Nation zu ſprechen, da doch das, was ſie wollen, die Nation nicht will. Verweigern wir das Geld für unſere Di- plomatie ſo lang wir nicht gewiß ſind, ob ſie unſere Intereſſen wahrnimmt, ob ſie unſere Würde nicht gefährdet. Verweigern wir es für den Unterricht und die geiſtlichen Angelegenheiten, ſo lang wir in Gefahr ſind, der Unterricht werde durch fremde Ein- flüſterungen geleitet, und ſo lange die Freiheiten ſogar der katho- liſchen Kirche angetaſtet werden.“ Wie möchten die fremden Mächte die geforderte Hülfe leiſten, da ſie ſelbſt zum Theil von den franzöſiſchen Ultra’s angetaſtet und bedroht worden ſind, weil ſie die Anſprüche der Intoleranz und des Kampfs gegen die Fort- ſchritte der Civiliſation nicht anerkennen wollten? Wie könnten ſie ſich für den Kampf zu Gunſten der gefährlichen Geſellſchaft be- wafnen, deren unruhigſte Köpfe durch ſie ſelbſt aus ihren Ländern hinausgeſchaft worden ſind, und die nun in Frankreich zwei Zweke auf einmal zu erreichen ſucht, einmal die Reichthümer des Landes an ſich zu ziehen, und dann ſich an den fremden Fürſten zu rächen, die mit ihr nichts zu thun haben wollen? Und ſollte dann der Kampf gegen Frankreich ſo leicht, ſo ganz gefahrlos, ſo ganz gewiß glüklich ſeyn? Sollte Europa, ſollte beſonders Deutſchland zu Gunſten der Männer vom 8 Aug. und zur Befeſtigung der Jeſuitenmacht die Früchte des großen Siegs von 1814 und 1815 wieder auf das Spiel ſezen wollen? Was Frankreich damals war, iſt es jezt nicht mehr. Das Bewußtſeyn ſeiner unheilbaren Uebel hatte es damals entwafnet; es war erſchöpft durch den Kampf für den am Ende zweideutig gewordenen Ruhm; das Land war plözlich kein Kaiſerreich mehr, es war keine Republik und keine Monarchie, es war weder kon- ſtitutionnel noch abſolut geſtaltet; ſogar das Andenken an den edeln Föderalism, den die wilden Demokraten von 1793 ermor- det hatten, konnte nicht wieder aufleben; man beging höchſtens einige Meuchelmorde an einigen Zauderern und Plünderern der frem- den Heere, aber man wagte es nicht einmal auf die Erhaltung der Unabhängigkeit des Vaterlandes zu hoffen, weil man kein Vater- land mehr hatte. Aber jezt herrſcht wieder die Kraft des allge- meinen Zuſammenhangs der Franzoſen mit den Franzoſen; die Charte hat ein unbeſchreiblich lebhaftes, aber ſtill in dem Be- wußtſeyn der Stärke ſich ausſprechendes Gefühl des Nationalſtol- zes den Gemüthern eingeflößt; dieſe Stärke iſt um ſo unüber- windlicher, um ſo unantaſtbarer, als ſie alle Eigenſchaften der vis inertiae an ſich trägt, und die auswärtigen Mächte, die zuvor den Ausgang eines von unſern Häuptlingen des Ultraism verſprochenen Bürgerkriegs abwarten wollten, würden durch Be- günſtigung deſſelben nur ſich ſelbſt ſchaden; ſie würden das Miß- trauen der franzöſiſchen Nation, das ihnen durchaus zu nichts nüzen kan, vergebens erregt haben; ſie würden das monarchiſche Prinzip, das bis jezt auch von allen Liberalen nicht angetaſtet worden iſt, und das ſogar die Liberalen ſelbſt gegen den 8 Auguſt zu Hülfe rufen, in einem Lande ſchwächen, von welchem aus das Gute ſo leicht nach den andern Ländern fließt, und das Schlimme immer ſo gefährlich wird. Die Energie Frankreichs iſt nun ganz wieder, was ſie in den beſſern Tagen von 1789 war; ſie iſt kei- neswegs die Wuth von 1793; ſie iſt durchaus nicht der Rauſch des Schlachtenruhmes des Konſulats, noch die leere Einbildung der Univerſalherrſchaft des Imperialism; ſie iſt das volle Wieder- aufleben aus dem Tode der Anarchie, der nun dem jungen, in ſo mächtigen Pulsſchlägen ſich regendem Leben der Charte nie wieder drohen kan. Wir meynen, die Charte ſey in Frankreich gegen alle Bemühungen jeder Macht geſichert, gerade ſo wie Rußland geſichert iſt gegen Angriffe auf ſeinem Kontinent, wie die Ver- einigten Staaten von Nordamerika gegen europäiſche Flotten. Die ruſſiſchen, die nordamerikaniſchen und die franzöſiſchen Völker ſind, jenes durch ſeine phyſiſche, das andere durch ſeine politi- ſche, und dieſes durch ſeine konſtitutionelle Jugend unüberwind- lich; Frankreich hat davon bereits das Vorgefühl, und die aus- wärtige Politik würde ihm nur den frühern Gebrauch davon noth- wendig machen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1830, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1830/2>, abgerufen am 21.11.2024.