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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] beschuldigt sie den Papst. Kaum daß Fra Andrea sich zu ihrem Ritter gelobt, wird
er hinterlistig ergriffen und im Gefängniß lebendig begraben. Er schließt mit den
Worten: daß nicht Kerker und Verleumdung, sondern nur der Schmerz um das
Schicksal der Kirche sein Leben verdüstern.

In dem schönen Gedicht "Menschliches Leiden" wendet sich Fra Andrea's
Betrachtung auf die Leiden der Menschheit überhaupt. Schön und freudig stieg
eine Seele aus dem Schooße des Nichts hervor, und war entzückt über die Herr-
lichkeit und das Glück in der Natur. Ueberall schien ihr nur Liebe, Friede und
Harmonie zu herrschen, und sie fühlte sich selig in ihrem Dasein. Und als sie erst
den Menschen erblickte, da hielt sie ihn -- so herrlich und vortrefflich erschien er
ihr -- für Gott. Indem sie aber weiter sich umsah, trat die zahllose Menge der
Uebel in der menschlichen Geschichte vor ihr Auge. Sie schaute mit Entsetzen in
den Abgrund des menschlichen Herzens; sie erkannte wie die Großen der Welt das
Glück von Millionen um ihres Ehrgeizes willen zertreten, wie das Gute und
Wahre unterdrückt und verfolgt, das Böse hingegen belobt und belohnt wird. Da
erscheint ihr die Erde nicht länger als ein blühender Frühling, geschaffen zu einem
Reiche der Liebe, sondern als ein weites Todtenfeld, wo die Blume der Menschheit
im eigenen Blute dahinwelkt. Vergeblich steigen Millionen Seufzer zum Himmel
empor: er bleibt taub, und würdigt die Welt nicht eines Blitzstrahls mehr. Der
Seele versinkt jede Freude an der Schönheit der Natur, und sie sehnt sich in ihr
ursprüngliches Nichts zurück. Auch der Dichter fragt warum er noch an das Leben
gekettet sein müsse, endigt aber mit dem tröstenden Glauben daß ihn Gott als ein
Werkzeug gebrauchen wolle, und wirft sich darum demüthig vor seinem Rathschluß
nieder.

In einem dritten unter Thränen aufgezeichneten Gedicht beneidet Fra
Andrea den Vogel der an seinem Kerkerfenster sich ein Nest gebaut, und ihm in
seinen Liedern Botschaft von Liebe, Freiheit und Glück bringt. Er fleht ihn an zu
schweigen oder weiter zu ziehen, da sein Gesang ihm das Herz zerreiße. Und end-
lich in dem Gedicht "Klage" gedenkt er der Mühen und Leiden seines Lebensgan-
ges, und wie ihn die Liebe zum Guten und Wahren an diesen Ort des Schmerzes
geführt habe. Aber er wollte sich über dieses Schicksal, welches ihm nur zum Ruhm
gereiche, nicht beklagen, und selbst im Kerker sich zur Freudigkeit des Gemüths em-
porraffen, wenn ihn nicht der Blick auf den vielgestaltigen Jammer der Welt und
auf die Zerstörung des Werkes Christi mit brennendem Schmerz erfüllte. Wieder
wendet er sich fragend an den Herrn, dem die Strahlen des Lichtes zum Schleier
dienen, ob er kein Auge und kein Ohr mehr für das Elend der Menschen habe;
doch auch dießmal endigt er versöhnt, und ruft die Gerechtigkeit Gottes und die
segnende Liebe der heiligen Jungfrau auf die Erde herab.

Nach dreijähriger Haft, am 11 März 1862, wurde Fra Andrea, namentlich
in Folge der Intervention des französischen Gesandten, wieder in Freiheit gesetzt;
aber seine Lage blieb schlimm genug. Die Suspension wurde nicht aufgehoben,
und der Verleumdung gegenüber welche seine Verurtheilung aus schimpflichen
Gründen ableitete, war ihm, wollte er nicht abermals in das Gefängniß zurück-
wandern, die Vertheidigung verwehrt. Völlig mittellos und fast dem Hungertode
preisgegeben, verließ er nach fünf Monaten das römische Gebiet, und suchte in
Livorno, wohin der Arm der Inquisition nicht reichte, in einem Kloster seines
Ordens um gastliche Aufnahme nach. Von hier aus richtete er dann an den Papst
die Bitte ihn in seine priesterlichen Rechte wieder einzusetzen, und die Vorschläge sei-
ner Schriften den Bischöfen bekannt zu geben und auszuführen. Die Ordensbrüder
in Livorno drängten ihn nach Rom zurückzukehren; da er ihnen aber nicht will-
fahrte, so jagten sie ihn nach einigen Wochen fort.

Fra Andrea begab sich nun in seine Heimath, nach Corsica, und nahm hier
abermals die Gastfreundschaft eines Klosters seines Ordens in Anspruch. Man
gewährte sie ihm, in der Hoffnung daß er von seinen Ideen zurückkommen werde,
legte ihm die Verrichtungen eines Sacristans auf und gebrauchte ihn zu den müh-
samsten und niedrigsten Diensten des Hauses. In seinem fast in Stücke fallenden
Habit und mit der Makel der Suspension behaftet, konnte er sich kaum vor dem
Volk sehen lassen. Aber unter diesen Bedrängnissen, welche durch Mortificationen
und durch die ununterbrochenen Ermahnungen eifriger Ordensbrüder, zu welchen
sich schließlich der General persönlich gesellte, noch gesteigert wurden, schrieb er
heimlich und aus dem Gedächtniß seine von der Inquisition confiscirten Schrif-
ten abermals nieder, immer in der Angst seine Aufzeichnungen möchten entdeckt
und ihm von neuem weggenommen werden. Er schickte darum jeden größeren Ab-
schnitt, ohne ihn auch nur noch überlesen zu können, sogleich an einen sicheren Ort.
Um diese Zeit kam dann von dem Präsidium der Inquisition im Auftrage des Pap-
stes ein Schreiben an Fra Andrea, worin ihm unter der Bedingung seiner Rückkehr
nach Rom die Aufhebung der Suspension zugesichert wurde. Da er aber dieser
Aufforderung keine Folge leisten wollte, entbrannte der Zorn der Ordensoberen
gegen ihn aufs heftigste, und wurde er abermals aus dem Kloster gestoßen. Mit
Hülfe eines Darlehens gieng Fra Andrea nach Turin, von wo aus er im October
1864 an die sämmtlichen katholischen Bischöfe des Erdkreises einen offenen Brief
über den traurigen Zustand der Kirche richtete, und sie aufforderte seine Schriften,
welche für sie bestimmt gewesen seien, von der Inquisition zur Einsicht zurückzuver-
langen. Im J. 1865 publicirte er dann das ziemlich voluminöse Buch: "Publica
Confessione di un prigioniero dell' Inquisizione Romana ed origine dei mali
della chiesa cattolica."
Von diesem Werk schickte er Exemplare an die Fürsten,
Staatsmänner und Deputirten, an die Cardinäle und Bischöfe, in einem beigegebe-
nen Schreiben die Souveräne und Regierungen dringend ermahnend Schritte für
die Reform der Kirche zu unternehmen, und, wenn kein allgemeines Concil veran-
staltet werden könne, die Bischöfe der einzelnen Länder zu veranlassen auf Provin-
cial- und Nationalconcilien zusammenzutreten, wo dann seine Gedanken berathen
werden könnten. Die Resultate dieser Berathungen sollten durch einen Collectiv-
schritt der Regierungen in Rom zur Ausführung gebracht werden.

In diesem Buche bekämpft Fra Andrea das Cölibatsgesetz, respective die
lebenslängliche Verbindlichkeit des Keuschheitsgelübdes als im Widerspruche ste-
hend mit der hl. Schrift und der katholischen Lehre, und bezeichnet es als die Quelle
aller Uebel in der Kirche. Er erweist dabei viele theologische Gelehrsamkeit, eine
Gabe für allgemein-philosophische Erörterungen und einen gesunden praktischen
[Spaltenumbruch] Blick. Als die Indexcongregation unterm 20 December 1865 das Werk verurtheilte
forderte Fra Andrea von derselben daß sie ihm vielmehr das Licht der Wahrheit und
das Brod der Belehrung spenden möge, indem, wie St. Hieronymus an Papst Da-
masus geschrieben habe, nicht eine einzige Seele wofür Christus sein Blut hinge-
geben habe, verachtet werden dürfe.

In Turin lebte Fra Andrea eine Zeitlang im größten Elend; da ihm die
italienische Regierung keine Stelle gab in welcher er seinen Unterhalt hätte ver-
dienen können, so war er dem Aeußersten preisgegeben wenn ihm nicht ein edel-
müthiger Mann Obdach und Nahrung gewährt hätte. Um indeß sein Brod nicht
ganz umsonst zu essen, verrichtete er fünf Jahre lang die Dienste eines Gärtners,
daneben immer mit Studien und literarischen Publicationen beschäftigt. Die kleine
ebenfalls im Jahr 1865 in Turin herausgegebene Schrift: "Vecchio costume della
corte Romana di sostenere i disordini etc.,"
ist nur der Abdruck eines Abschnit-
tes der Pubblica confessione, worin der reformatorischen Anstrengungen gedacht
wird welche die Kirche zu verschiedenen Zeiten, namentlich auf den Concilien zu
Constanz, Basel und durch die pragmatische Sanction von Bourges, gemacht hatte,
die aber immer durch die Künste der Curie vereitelt wurden. Daß Hadrian VI
und Marcell II, welche selbst die Hand an die Austilgung der Uebel legen wollten,
so rasch dahinsterben mußten, nennt der Autor ein Geheimniß, welches wohl erst
am Tage des Gerichts offenbar werden würde. Eine gedeihliche Reformation, meint
er, könne nur durch das Zusammenwirken des Papstes mit den Bischöfen erzielt
werden, und der Papst würde sich gewiß gegen dieselbe nicht sträuben wenn die
Bischöfe, nicht bestochen durch fette Pfründen oder durch die Hoffnung auf
solche, ihm die Wahrheit vortrügen. Aber leider nicht ihre Stimme, nur die eines
Laien oder eines einfachen Priesters wird noch gehört für die Reform der Kirche.
Würde jedoch der Papst durch hartnäckigen Widerstand die Kirche schädigen, so
hätte er seine Stelle verwirkt.

Im nächsten Jahre 1866 gab Fra Andrea, und zwar dießmal mit seinem bür-
gerlichen Namen Paolo Panzani, die Broschüre "Buona Nuova -- il temporale
dominio condannato da Pio Papa IX,"
und zwar abermals wieder in Turin,
heraus. Dieselbe war dem italienischen Parlament gewidmet, und sucht in ironi-
scher Weise darzuthun daß der Papst durch die Approbation eines Buches über die
orientalische Kirche seine Allocutionen und Encykliken, welche er unter dem Drucke
der Jesuiten und Curialisten abfassen müsse, widerrufen und die Italiener zur Occu-
pation von Rom einladen wolle. In diesem Buche nämlich wird -- freilich nur
im Hinblick auf die griechische Kirche, in welcher Mohammed II dem Patriarchen
von Konstantinopel auch weltliche Gewalt über seine Gläubigen eingeräumt hatte
-- die Verbindung des weltlichen und geistlichen Regiments als eine Quelle gro-
ßer kirchlicher Uebel und socialer Gefahren, und als den constitutiven Principien
der Kirche wie allen Canones der ökumenischen Concilien widersprechend, ver-
worfen.

Gleich nach der Beendigung des Concils, als der Abfall der Oppositions-
bischöfe noch nicht erfolgt war, veröffentlichte Panzani die kleine Schrift: "Il trionfo
della sconfitta ossia la IV Sessione del Coneilio Vaticano e suoi effetti."

Darin führt er aus wie die Kirche gegenwärtig durch die Selbstüberhebung des
Papstes, wonach jedes seiner Worte zu einem Orakel ewiger Weisheit und unab-
änderlicher Dogmen gestempelt werden solle, seit neunzehn Jahrhunderten ihre
schwerste Krisis durchmache, die Jesuiten und Pharisäer triumphirten, die wahren
Gläubigen aber klagten. Doch aus dem Verderben der Kirche beginnt das Heil,
aus ihrer Niederlage der Triumph; denn wenn das Maß ihrer Uebel voll sei, müsse
ihre Rettung erfolgen. Pius IX habe durch die Proclamirung seiner Unfehlbarkeit eine
offenbare, von der Kirche auf dem zweiten und dritten ökumenischen Concil zu Konstanti-
nopel und auf dem ökumenischen Concil zu Constanz verworfene Irrlehre bekannt. Statt
seine Unfehlbarkeit festzusetzen, habe er vielmehr die der allgemeinen Concilien, und die
der Päpste selbst welche die Beschlüsse jener Synoden annahmen, zerstört, und auf
solche Weise sogar die Unfehlbarkeit der Kirche zu erschüttern gesucht, da sie ent-
weder auf jenen früheren Concilien oder auf der letzten vaticanischen Synode ge-
irrt haben müßte. Soll nicht die Kirche ganz zusammenbrechen, so müßten wir
zwischen diesen Concilien eine Wahl treffen, wobei wir uns nur von dem Axiom
leiten lassen könnten daß das Frühere wahr, das Spätere falsch sei. Stellte man
nun das Concil von Constanz dem Vaticanischen gegenüber, so zeigte sich daß das
erstere von der ganzen Christenheit, auch von den Orientalen, angenommen, seine
Beschlüsse von der Suprematie des allgemeinen Concils über den Papst selbst von
drei Päpsten, Martin V, Pius II und Eugen IV, approbirt worden seien, während die
Decrete des letzteren gerade von Seite der hervorragendsten Prälaten großen Wider-
spruch gefunden und in der ganzen Kirche einen Schrei des Unwillens hervorge-
rufen hätten, zum Beweise daß sie nicht den alten Glauben ausdrückten. Doch
gesetzt, alle Väter des Concils hätten diesen Decreten zugestimmt, so wären sie
dennoch ungültig, da sie früheren Concilien widersprechen. Demnach sei Pius IX
ein offener Häretiker geworden, und das Anathem falle auf ihn und seinen An-
hang, und da nach der Lehre der Päpste und Theologen ein kirchliches Amt durch
Häresie verwirkt werde, so sei der päpstliche Stuhl erledigt, und seien es die Sitze aller
Bischöfe welche der neuen Häresie anhängen. Volk und Klerus müßten darum
sogleich an die Wahl eines neuen Papstes und anderer Bischöfe gehen; denn sonst
würde das unschätzbare Geschenk der Vorsehung verschmäht, welche jetzt so viele
falsche Hirten austreiben wolle. Auf solche Weise würden nach der Fügung gött-
licher Weisheit die Feinde der Kirche gerade durch ihren Triumph vernichtet!

Als die Italiener im Herbste des Jahres 1870 in Rom einzogen, begab sich
Panzani sogleich dahin, in der Hoffnung vielleicht ein freundlicheres Geschick zu
finden. Doch wieder bewarb er sich bei allen Autoritäten der Regierung und des
Municipiums vergeblich um irgendeine passende Verwendung, und so lebt er bis zur
Stunde in äußerster Dürftigkeit, fast nur von der Wohlthätigkeit eines Freundes.
In Rom gab Panzani jüngst (1871) eine neue Schrift heraus, worin er das alte
Recht und die Pflicht des römischen Volkes, zusammen mit dem Klerus sich die
Pfarrer, Prälaten und den Papst zu wählen, erörtert, und für den Fall des Ab-
lebens Pius' IX das Municipium auffordert die nöthigen Vorkehrungen für die
Effectuirung einer solchen Papstwahl zu treffen. Ein durch das Volk und den
Klerus gewählter Papst käme auf die allein legitime Weise zu seinem Amte, er

[Spaltenumbruch] beſchuldigt ſie den Papſt. Kaum daß Fra Andrea ſich zu ihrem Ritter gelobt, wird
er hinterliſtig ergriffen und im Gefängniß lebendig begraben. Er ſchließt mit den
Worten: daß nicht Kerker und Verleumdung, ſondern nur der Schmerz um das
Schickſal der Kirche ſein Leben verdüſtern.

In dem ſchönen Gedicht „Menſchliches Leiden“ wendet ſich Fra Andrea’s
Betrachtung auf die Leiden der Menſchheit überhaupt. Schön und freudig ſtieg
eine Seele aus dem Schooße des Nichts hervor, und war entzückt über die Herr-
lichkeit und das Glück in der Natur. Ueberall ſchien ihr nur Liebe, Friede und
Harmonie zu herrſchen, und ſie fühlte ſich ſelig in ihrem Daſein. Und als ſie erſt
den Menſchen erblickte, da hielt ſie ihn — ſo herrlich und vortrefflich erſchien er
ihr — für Gott. Indem ſie aber weiter ſich umſah, trat die zahlloſe Menge der
Uebel in der menſchlichen Geſchichte vor ihr Auge. Sie ſchaute mit Entſetzen in
den Abgrund des menſchlichen Herzens; ſie erkannte wie die Großen der Welt das
Glück von Millionen um ihres Ehrgeizes willen zertreten, wie das Gute und
Wahre unterdrückt und verfolgt, das Böſe hingegen belobt und belohnt wird. Da
erſcheint ihr die Erde nicht länger als ein blühender Frühling, geſchaffen zu einem
Reiche der Liebe, ſondern als ein weites Todtenfeld, wo die Blume der Menſchheit
im eigenen Blute dahinwelkt. Vergeblich ſteigen Millionen Seufzer zum Himmel
empor: er bleibt taub, und würdigt die Welt nicht eines Blitzſtrahls mehr. Der
Seele verſinkt jede Freude an der Schönheit der Natur, und ſie ſehnt ſich in ihr
urſprüngliches Nichts zurück. Auch der Dichter fragt warum er noch an das Leben
gekettet ſein müſſe, endigt aber mit dem tröſtenden Glauben daß ihn Gott als ein
Werkzeug gebrauchen wolle, und wirft ſich darum demüthig vor ſeinem Rathſchluß
nieder.

In einem dritten unter Thränen aufgezeichneten Gedicht beneidet Fra
Andrea den Vogel der an ſeinem Kerkerfenſter ſich ein Neſt gebaut, und ihm in
ſeinen Liedern Botſchaft von Liebe, Freiheit und Glück bringt. Er fleht ihn an zu
ſchweigen oder weiter zu ziehen, da ſein Geſang ihm das Herz zerreiße. Und end-
lich in dem Gedicht „Klage“ gedenkt er der Mühen und Leiden ſeines Lebensgan-
ges, und wie ihn die Liebe zum Guten und Wahren an dieſen Ort des Schmerzes
geführt habe. Aber er wollte ſich über dieſes Schickſal, welches ihm nur zum Ruhm
gereiche, nicht beklagen, und ſelbſt im Kerker ſich zur Freudigkeit des Gemüths em-
porraffen, wenn ihn nicht der Blick auf den vielgeſtaltigen Jammer der Welt und
auf die Zerſtörung des Werkes Chriſti mit brennendem Schmerz erfüllte. Wieder
wendet er ſich fragend an den Herrn, dem die Strahlen des Lichtes zum Schleier
dienen, ob er kein Auge und kein Ohr mehr für das Elend der Menſchen habe;
doch auch dießmal endigt er verſöhnt, und ruft die Gerechtigkeit Gottes und die
ſegnende Liebe der heiligen Jungfrau auf die Erde herab.

Nach dreijähriger Haft, am 11 März 1862, wurde Fra Andrea, namentlich
in Folge der Intervention des franzöſiſchen Geſandten, wieder in Freiheit geſetzt;
aber ſeine Lage blieb ſchlimm genug. Die Suspenſion wurde nicht aufgehoben,
und der Verleumdung gegenüber welche ſeine Verurtheilung aus ſchimpflichen
Gründen ableitete, war ihm, wollte er nicht abermals in das Gefängniß zurück-
wandern, die Vertheidigung verwehrt. Völlig mittellos und faſt dem Hungertode
preisgegeben, verließ er nach fünf Monaten das römiſche Gebiet, und ſuchte in
Livorno, wohin der Arm der Inquiſition nicht reichte, in einem Kloſter ſeines
Ordens um gaſtliche Aufnahme nach. Von hier aus richtete er dann an den Papſt
die Bitte ihn in ſeine prieſterlichen Rechte wieder einzuſetzen, und die Vorſchläge ſei-
ner Schriften den Biſchöfen bekannt zu geben und auszuführen. Die Ordensbrüder
in Livorno drängten ihn nach Rom zurückzukehren; da er ihnen aber nicht will-
fahrte, ſo jagten ſie ihn nach einigen Wochen fort.

Fra Andrea begab ſich nun in ſeine Heimath, nach Corſica, und nahm hier
abermals die Gaſtfreundſchaft eines Kloſters ſeines Ordens in Anſpruch. Man
gewährte ſie ihm, in der Hoffnung daß er von ſeinen Ideen zurückkommen werde,
legte ihm die Verrichtungen eines Sacriſtans auf und gebrauchte ihn zu den müh-
ſamſten und niedrigſten Dienſten des Hauſes. In ſeinem faſt in Stücke fallenden
Habit und mit der Makel der Suspenſion behaftet, konnte er ſich kaum vor dem
Volk ſehen laſſen. Aber unter dieſen Bedrängniſſen, welche durch Mortificationen
und durch die ununterbrochenen Ermahnungen eifriger Ordensbrüder, zu welchen
ſich ſchließlich der General perſönlich geſellte, noch geſteigert wurden, ſchrieb er
heimlich und aus dem Gedächtniß ſeine von der Inquiſition confiscirten Schrif-
ten abermals nieder, immer in der Angſt ſeine Aufzeichnungen möchten entdeckt
und ihm von neuem weggenommen werden. Er ſchickte darum jeden größeren Ab-
ſchnitt, ohne ihn auch nur noch überleſen zu können, ſogleich an einen ſicheren Ort.
Um dieſe Zeit kam dann von dem Präſidium der Inquiſition im Auftrage des Pap-
ſtes ein Schreiben an Fra Andrea, worin ihm unter der Bedingung ſeiner Rückkehr
nach Rom die Aufhebung der Suspenſion zugeſichert wurde. Da er aber dieſer
Aufforderung keine Folge leiſten wollte, entbrannte der Zorn der Ordensoberen
gegen ihn aufs heftigſte, und wurde er abermals aus dem Kloſter geſtoßen. Mit
Hülfe eines Darlehens gieng Fra Andrea nach Turin, von wo aus er im October
1864 an die ſämmtlichen katholiſchen Biſchöfe des Erdkreiſes einen offenen Brief
über den traurigen Zuſtand der Kirche richtete, und ſie aufforderte ſeine Schriften,
welche für ſie beſtimmt geweſen ſeien, von der Inquiſition zur Einſicht zurückzuver-
langen. Im J. 1865 publicirte er dann das ziemlich voluminöſe Buch: „Publica
Confessione di un prigioniero dell’ Inquisizione Romana ed origine dei mali
della chiesa cattolica.“
Von dieſem Werk ſchickte er Exemplare an die Fürſten,
Staatsmänner und Deputirten, an die Cardinäle und Biſchöfe, in einem beigegebe-
nen Schreiben die Souveräne und Regierungen dringend ermahnend Schritte für
die Reform der Kirche zu unternehmen, und, wenn kein allgemeines Concil veran-
ſtaltet werden könne, die Biſchöfe der einzelnen Länder zu veranlaſſen auf Provin-
cial- und Nationalconcilien zuſammenzutreten, wo dann ſeine Gedanken berathen
werden könnten. Die Reſultate dieſer Berathungen ſollten durch einen Collectiv-
ſchritt der Regierungen in Rom zur Ausführung gebracht werden.

In dieſem Buche bekämpft Fra Andrea das Cölibatsgeſetz, reſpective die
lebenslängliche Verbindlichkeit des Keuſchheitsgelübdes als im Widerſpruche ſte-
hend mit der hl. Schrift und der katholiſchen Lehre, und bezeichnet es als die Quelle
aller Uebel in der Kirche. Er erweist dabei viele theologiſche Gelehrſamkeit, eine
Gabe für allgemein-philoſophiſche Erörterungen und einen geſunden praktiſchen
[Spaltenumbruch] Blick. Als die Indexcongregation unterm 20 December 1865 das Werk verurtheilte
forderte Fra Andrea von derſelben daß ſie ihm vielmehr das Licht der Wahrheit und
das Brod der Belehrung ſpenden möge, indem, wie St. Hieronymus an Papſt Da-
maſus geſchrieben habe, nicht eine einzige Seele wofür Chriſtus ſein Blut hinge-
geben habe, verachtet werden dürfe.

In Turin lebte Fra Andrea eine Zeitlang im größten Elend; da ihm die
italieniſche Regierung keine Stelle gab in welcher er ſeinen Unterhalt hätte ver-
dienen können, ſo war er dem Aeußerſten preisgegeben wenn ihm nicht ein edel-
müthiger Mann Obdach und Nahrung gewährt hätte. Um indeß ſein Brod nicht
ganz umſonſt zu eſſen, verrichtete er fünf Jahre lang die Dienſte eines Gärtners,
daneben immer mit Studien und literariſchen Publicationen beſchäftigt. Die kleine
ebenfalls im Jahr 1865 in Turin herausgegebene Schrift: „Vecchio costume della
corte Romana di sostenere i disordini etc.,“
iſt nur der Abdruck eines Abſchnit-
tes der Pubblica confessione, worin der reformatoriſchen Anſtrengungen gedacht
wird welche die Kirche zu verſchiedenen Zeiten, namentlich auf den Concilien zu
Conſtanz, Baſel und durch die pragmatiſche Sanction von Bourges, gemacht hatte,
die aber immer durch die Künſte der Curie vereitelt wurden. Daß Hadrian VI
und Marcell II, welche ſelbſt die Hand an die Austilgung der Uebel legen wollten,
ſo raſch dahinſterben mußten, nennt der Autor ein Geheimniß, welches wohl erſt
am Tage des Gerichts offenbar werden würde. Eine gedeihliche Reformation, meint
er, könne nur durch das Zuſammenwirken des Papſtes mit den Biſchöfen erzielt
werden, und der Papſt würde ſich gewiß gegen dieſelbe nicht ſträuben wenn die
Biſchöfe, nicht beſtochen durch fette Pfründen oder durch die Hoffnung auf
ſolche, ihm die Wahrheit vortrügen. Aber leider nicht ihre Stimme, nur die eines
Laien oder eines einfachen Prieſters wird noch gehört für die Reform der Kirche.
Würde jedoch der Papſt durch hartnäckigen Widerſtand die Kirche ſchädigen, ſo
hätte er ſeine Stelle verwirkt.

Im nächſten Jahre 1866 gab Fra Andrea, und zwar dießmal mit ſeinem bür-
gerlichen Namen Paolo Panzani, die Broſchüre „Buona Nuova — il temporale
dominio condannato da Pio Papa IX,“
und zwar abermals wieder in Turin,
heraus. Dieſelbe war dem italieniſchen Parlament gewidmet, und ſucht in ironi-
ſcher Weiſe darzuthun daß der Papſt durch die Approbation eines Buches über die
orientaliſche Kirche ſeine Allocutionen und Encykliken, welche er unter dem Drucke
der Jeſuiten und Curialiſten abfaſſen müſſe, widerrufen und die Italiener zur Occu-
pation von Rom einladen wolle. In dieſem Buche nämlich wird — freilich nur
im Hinblick auf die griechiſche Kirche, in welcher Mohammed II dem Patriarchen
von Konſtantinopel auch weltliche Gewalt über ſeine Gläubigen eingeräumt hatte
— die Verbindung des weltlichen und geiſtlichen Regiments als eine Quelle gro-
ßer kirchlicher Uebel und ſocialer Gefahren, und als den conſtitutiven Principien
der Kirche wie allen Canones der ökumeniſchen Concilien widerſprechend, ver-
worfen.

Gleich nach der Beendigung des Concils, als der Abfall der Oppoſitions-
biſchöfe noch nicht erfolgt war, veröffentlichte Panzani die kleine Schrift: „Il trionfo
della sconfitta ossia la IV Sessione del Coneilio Vaticano e suoi effetti.“

Darin führt er aus wie die Kirche gegenwärtig durch die Selbſtüberhebung des
Papſtes, wonach jedes ſeiner Worte zu einem Orakel ewiger Weisheit und unab-
änderlicher Dogmen geſtempelt werden ſolle, ſeit neunzehn Jahrhunderten ihre
ſchwerſte Kriſis durchmache, die Jeſuiten und Phariſäer triumphirten, die wahren
Gläubigen aber klagten. Doch aus dem Verderben der Kirche beginnt das Heil,
aus ihrer Niederlage der Triumph; denn wenn das Maß ihrer Uebel voll ſei, müſſe
ihre Rettung erfolgen. Pius IX habe durch die Proclamirung ſeiner Unfehlbarkeit eine
offenbare, von der Kirche auf dem zweiten und dritten ökumeniſchen Concil zu Konſtanti-
nopel und auf dem ökumeniſchen Concil zu Conſtanz verworfene Irrlehre bekannt. Statt
ſeine Unfehlbarkeit feſtzuſetzen, habe er vielmehr die der allgemeinen Concilien, und die
der Päpſte ſelbſt welche die Beſchlüſſe jener Synoden annahmen, zerſtört, und auf
ſolche Weiſe ſogar die Unfehlbarkeit der Kirche zu erſchüttern geſucht, da ſie ent-
weder auf jenen früheren Concilien oder auf der letzten vaticaniſchen Synode ge-
irrt haben müßte. Soll nicht die Kirche ganz zuſammenbrechen, ſo müßten wir
zwiſchen dieſen Concilien eine Wahl treffen, wobei wir uns nur von dem Axiom
leiten laſſen könnten daß das Frühere wahr, das Spätere falſch ſei. Stellte man
nun das Concil von Conſtanz dem Vaticaniſchen gegenüber, ſo zeigte ſich daß das
erſtere von der ganzen Chriſtenheit, auch von den Orientalen, angenommen, ſeine
Beſchlüſſe von der Suprematie des allgemeinen Concils über den Papſt ſelbſt von
drei Päpſten, Martin V, Pius II und Eugen IV, approbirt worden ſeien, während die
Decrete des letzteren gerade von Seite der hervorragendſten Prälaten großen Wider-
ſpruch gefunden und in der ganzen Kirche einen Schrei des Unwillens hervorge-
rufen hätten, zum Beweiſe daß ſie nicht den alten Glauben ausdrückten. Doch
geſetzt, alle Väter des Concils hätten dieſen Decreten zugeſtimmt, ſo wären ſie
dennoch ungültig, da ſie früheren Concilien widerſprechen. Demnach ſei Pius IX
ein offener Häretiker geworden, und das Anathem falle auf ihn und ſeinen An-
hang, und da nach der Lehre der Päpſte und Theologen ein kirchliches Amt durch
Häreſie verwirkt werde, ſo ſei der päpſtliche Stuhl erledigt, und ſeien es die Sitze aller
Biſchöfe welche der neuen Häreſie anhängen. Volk und Klerus müßten darum
ſogleich an die Wahl eines neuen Papſtes und anderer Biſchöfe gehen; denn ſonſt
würde das unſchätzbare Geſchenk der Vorſehung verſchmäht, welche jetzt ſo viele
falſche Hirten austreiben wolle. Auf ſolche Weiſe würden nach der Fügung gött-
licher Weisheit die Feinde der Kirche gerade durch ihren Triumph vernichtet!

Als die Italiener im Herbſte des Jahres 1870 in Rom einzogen, begab ſich
Panzani ſogleich dahin, in der Hoffnung vielleicht ein freundlicheres Geſchick zu
finden. Doch wieder bewarb er ſich bei allen Autoritäten der Regierung und des
Municipiums vergeblich um irgendeine paſſende Verwendung, und ſo lebt er bis zur
Stunde in äußerſter Dürftigkeit, faſt nur von der Wohlthätigkeit eines Freundes.
In Rom gab Panzani jüngſt (1871) eine neue Schrift heraus, worin er das alte
Recht und die Pflicht des römiſchen Volkes, zuſammen mit dem Klerus ſich die
Pfarrer, Prälaten und den Papſt zu wählen, erörtert, und für den Fall des Ab-
lebens Pius’ IX das Municipium auffordert die nöthigen Vorkehrungen für die
Effectuirung einer ſolchen Papſtwahl zu treffen. Ein durch das Volk und den
Klerus gewählter Papſt käme auf die allein legitime Weiſe zu ſeinem Amte, er

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[171/0011] beſchuldigt ſie den Papſt. Kaum daß Fra Andrea ſich zu ihrem Ritter gelobt, wird er hinterliſtig ergriffen und im Gefängniß lebendig begraben. Er ſchließt mit den Worten: daß nicht Kerker und Verleumdung, ſondern nur der Schmerz um das Schickſal der Kirche ſein Leben verdüſtern. In dem ſchönen Gedicht „Menſchliches Leiden“ wendet ſich Fra Andrea’s Betrachtung auf die Leiden der Menſchheit überhaupt. Schön und freudig ſtieg eine Seele aus dem Schooße des Nichts hervor, und war entzückt über die Herr- lichkeit und das Glück in der Natur. Ueberall ſchien ihr nur Liebe, Friede und Harmonie zu herrſchen, und ſie fühlte ſich ſelig in ihrem Daſein. Und als ſie erſt den Menſchen erblickte, da hielt ſie ihn — ſo herrlich und vortrefflich erſchien er ihr — für Gott. Indem ſie aber weiter ſich umſah, trat die zahlloſe Menge der Uebel in der menſchlichen Geſchichte vor ihr Auge. Sie ſchaute mit Entſetzen in den Abgrund des menſchlichen Herzens; ſie erkannte wie die Großen der Welt das Glück von Millionen um ihres Ehrgeizes willen zertreten, wie das Gute und Wahre unterdrückt und verfolgt, das Böſe hingegen belobt und belohnt wird. Da erſcheint ihr die Erde nicht länger als ein blühender Frühling, geſchaffen zu einem Reiche der Liebe, ſondern als ein weites Todtenfeld, wo die Blume der Menſchheit im eigenen Blute dahinwelkt. Vergeblich ſteigen Millionen Seufzer zum Himmel empor: er bleibt taub, und würdigt die Welt nicht eines Blitzſtrahls mehr. Der Seele verſinkt jede Freude an der Schönheit der Natur, und ſie ſehnt ſich in ihr urſprüngliches Nichts zurück. Auch der Dichter fragt warum er noch an das Leben gekettet ſein müſſe, endigt aber mit dem tröſtenden Glauben daß ihn Gott als ein Werkzeug gebrauchen wolle, und wirft ſich darum demüthig vor ſeinem Rathſchluß nieder. In einem dritten unter Thränen aufgezeichneten Gedicht beneidet Fra Andrea den Vogel der an ſeinem Kerkerfenſter ſich ein Neſt gebaut, und ihm in ſeinen Liedern Botſchaft von Liebe, Freiheit und Glück bringt. Er fleht ihn an zu ſchweigen oder weiter zu ziehen, da ſein Geſang ihm das Herz zerreiße. Und end- lich in dem Gedicht „Klage“ gedenkt er der Mühen und Leiden ſeines Lebensgan- ges, und wie ihn die Liebe zum Guten und Wahren an dieſen Ort des Schmerzes geführt habe. Aber er wollte ſich über dieſes Schickſal, welches ihm nur zum Ruhm gereiche, nicht beklagen, und ſelbſt im Kerker ſich zur Freudigkeit des Gemüths em- porraffen, wenn ihn nicht der Blick auf den vielgeſtaltigen Jammer der Welt und auf die Zerſtörung des Werkes Chriſti mit brennendem Schmerz erfüllte. Wieder wendet er ſich fragend an den Herrn, dem die Strahlen des Lichtes zum Schleier dienen, ob er kein Auge und kein Ohr mehr für das Elend der Menſchen habe; doch auch dießmal endigt er verſöhnt, und ruft die Gerechtigkeit Gottes und die ſegnende Liebe der heiligen Jungfrau auf die Erde herab. Nach dreijähriger Haft, am 11 März 1862, wurde Fra Andrea, namentlich in Folge der Intervention des franzöſiſchen Geſandten, wieder in Freiheit geſetzt; aber ſeine Lage blieb ſchlimm genug. Die Suspenſion wurde nicht aufgehoben, und der Verleumdung gegenüber welche ſeine Verurtheilung aus ſchimpflichen Gründen ableitete, war ihm, wollte er nicht abermals in das Gefängniß zurück- wandern, die Vertheidigung verwehrt. Völlig mittellos und faſt dem Hungertode preisgegeben, verließ er nach fünf Monaten das römiſche Gebiet, und ſuchte in Livorno, wohin der Arm der Inquiſition nicht reichte, in einem Kloſter ſeines Ordens um gaſtliche Aufnahme nach. Von hier aus richtete er dann an den Papſt die Bitte ihn in ſeine prieſterlichen Rechte wieder einzuſetzen, und die Vorſchläge ſei- ner Schriften den Biſchöfen bekannt zu geben und auszuführen. Die Ordensbrüder in Livorno drängten ihn nach Rom zurückzukehren; da er ihnen aber nicht will- fahrte, ſo jagten ſie ihn nach einigen Wochen fort. Fra Andrea begab ſich nun in ſeine Heimath, nach Corſica, und nahm hier abermals die Gaſtfreundſchaft eines Kloſters ſeines Ordens in Anſpruch. Man gewährte ſie ihm, in der Hoffnung daß er von ſeinen Ideen zurückkommen werde, legte ihm die Verrichtungen eines Sacriſtans auf und gebrauchte ihn zu den müh- ſamſten und niedrigſten Dienſten des Hauſes. In ſeinem faſt in Stücke fallenden Habit und mit der Makel der Suspenſion behaftet, konnte er ſich kaum vor dem Volk ſehen laſſen. Aber unter dieſen Bedrängniſſen, welche durch Mortificationen und durch die ununterbrochenen Ermahnungen eifriger Ordensbrüder, zu welchen ſich ſchließlich der General perſönlich geſellte, noch geſteigert wurden, ſchrieb er heimlich und aus dem Gedächtniß ſeine von der Inquiſition confiscirten Schrif- ten abermals nieder, immer in der Angſt ſeine Aufzeichnungen möchten entdeckt und ihm von neuem weggenommen werden. Er ſchickte darum jeden größeren Ab- ſchnitt, ohne ihn auch nur noch überleſen zu können, ſogleich an einen ſicheren Ort. Um dieſe Zeit kam dann von dem Präſidium der Inquiſition im Auftrage des Pap- ſtes ein Schreiben an Fra Andrea, worin ihm unter der Bedingung ſeiner Rückkehr nach Rom die Aufhebung der Suspenſion zugeſichert wurde. Da er aber dieſer Aufforderung keine Folge leiſten wollte, entbrannte der Zorn der Ordensoberen gegen ihn aufs heftigſte, und wurde er abermals aus dem Kloſter geſtoßen. Mit Hülfe eines Darlehens gieng Fra Andrea nach Turin, von wo aus er im October 1864 an die ſämmtlichen katholiſchen Biſchöfe des Erdkreiſes einen offenen Brief über den traurigen Zuſtand der Kirche richtete, und ſie aufforderte ſeine Schriften, welche für ſie beſtimmt geweſen ſeien, von der Inquiſition zur Einſicht zurückzuver- langen. Im J. 1865 publicirte er dann das ziemlich voluminöſe Buch: „Publica Confessione di un prigioniero dell’ Inquisizione Romana ed origine dei mali della chiesa cattolica.“ Von dieſem Werk ſchickte er Exemplare an die Fürſten, Staatsmänner und Deputirten, an die Cardinäle und Biſchöfe, in einem beigegebe- nen Schreiben die Souveräne und Regierungen dringend ermahnend Schritte für die Reform der Kirche zu unternehmen, und, wenn kein allgemeines Concil veran- ſtaltet werden könne, die Biſchöfe der einzelnen Länder zu veranlaſſen auf Provin- cial- und Nationalconcilien zuſammenzutreten, wo dann ſeine Gedanken berathen werden könnten. Die Reſultate dieſer Berathungen ſollten durch einen Collectiv- ſchritt der Regierungen in Rom zur Ausführung gebracht werden. In dieſem Buche bekämpft Fra Andrea das Cölibatsgeſetz, reſpective die lebenslängliche Verbindlichkeit des Keuſchheitsgelübdes als im Widerſpruche ſte- hend mit der hl. Schrift und der katholiſchen Lehre, und bezeichnet es als die Quelle aller Uebel in der Kirche. Er erweist dabei viele theologiſche Gelehrſamkeit, eine Gabe für allgemein-philoſophiſche Erörterungen und einen geſunden praktiſchen Blick. Als die Indexcongregation unterm 20 December 1865 das Werk verurtheilte forderte Fra Andrea von derſelben daß ſie ihm vielmehr das Licht der Wahrheit und das Brod der Belehrung ſpenden möge, indem, wie St. Hieronymus an Papſt Da- maſus geſchrieben habe, nicht eine einzige Seele wofür Chriſtus ſein Blut hinge- geben habe, verachtet werden dürfe. In Turin lebte Fra Andrea eine Zeitlang im größten Elend; da ihm die italieniſche Regierung keine Stelle gab in welcher er ſeinen Unterhalt hätte ver- dienen können, ſo war er dem Aeußerſten preisgegeben wenn ihm nicht ein edel- müthiger Mann Obdach und Nahrung gewährt hätte. Um indeß ſein Brod nicht ganz umſonſt zu eſſen, verrichtete er fünf Jahre lang die Dienſte eines Gärtners, daneben immer mit Studien und literariſchen Publicationen beſchäftigt. Die kleine ebenfalls im Jahr 1865 in Turin herausgegebene Schrift: „Vecchio costume della corte Romana di sostenere i disordini etc.,“ iſt nur der Abdruck eines Abſchnit- tes der Pubblica confessione, worin der reformatoriſchen Anſtrengungen gedacht wird welche die Kirche zu verſchiedenen Zeiten, namentlich auf den Concilien zu Conſtanz, Baſel und durch die pragmatiſche Sanction von Bourges, gemacht hatte, die aber immer durch die Künſte der Curie vereitelt wurden. Daß Hadrian VI und Marcell II, welche ſelbſt die Hand an die Austilgung der Uebel legen wollten, ſo raſch dahinſterben mußten, nennt der Autor ein Geheimniß, welches wohl erſt am Tage des Gerichts offenbar werden würde. Eine gedeihliche Reformation, meint er, könne nur durch das Zuſammenwirken des Papſtes mit den Biſchöfen erzielt werden, und der Papſt würde ſich gewiß gegen dieſelbe nicht ſträuben wenn die Biſchöfe, nicht beſtochen durch fette Pfründen oder durch die Hoffnung auf ſolche, ihm die Wahrheit vortrügen. Aber leider nicht ihre Stimme, nur die eines Laien oder eines einfachen Prieſters wird noch gehört für die Reform der Kirche. Würde jedoch der Papſt durch hartnäckigen Widerſtand die Kirche ſchädigen, ſo hätte er ſeine Stelle verwirkt. Im nächſten Jahre 1866 gab Fra Andrea, und zwar dießmal mit ſeinem bür- gerlichen Namen Paolo Panzani, die Broſchüre „Buona Nuova — il temporale dominio condannato da Pio Papa IX,“ und zwar abermals wieder in Turin, heraus. Dieſelbe war dem italieniſchen Parlament gewidmet, und ſucht in ironi- ſcher Weiſe darzuthun daß der Papſt durch die Approbation eines Buches über die orientaliſche Kirche ſeine Allocutionen und Encykliken, welche er unter dem Drucke der Jeſuiten und Curialiſten abfaſſen müſſe, widerrufen und die Italiener zur Occu- pation von Rom einladen wolle. In dieſem Buche nämlich wird — freilich nur im Hinblick auf die griechiſche Kirche, in welcher Mohammed II dem Patriarchen von Konſtantinopel auch weltliche Gewalt über ſeine Gläubigen eingeräumt hatte — die Verbindung des weltlichen und geiſtlichen Regiments als eine Quelle gro- ßer kirchlicher Uebel und ſocialer Gefahren, und als den conſtitutiven Principien der Kirche wie allen Canones der ökumeniſchen Concilien widerſprechend, ver- worfen. Gleich nach der Beendigung des Concils, als der Abfall der Oppoſitions- biſchöfe noch nicht erfolgt war, veröffentlichte Panzani die kleine Schrift: „Il trionfo della sconfitta ossia la IV Sessione del Coneilio Vaticano e suoi effetti.“ Darin führt er aus wie die Kirche gegenwärtig durch die Selbſtüberhebung des Papſtes, wonach jedes ſeiner Worte zu einem Orakel ewiger Weisheit und unab- änderlicher Dogmen geſtempelt werden ſolle, ſeit neunzehn Jahrhunderten ihre ſchwerſte Kriſis durchmache, die Jeſuiten und Phariſäer triumphirten, die wahren Gläubigen aber klagten. Doch aus dem Verderben der Kirche beginnt das Heil, aus ihrer Niederlage der Triumph; denn wenn das Maß ihrer Uebel voll ſei, müſſe ihre Rettung erfolgen. Pius IX habe durch die Proclamirung ſeiner Unfehlbarkeit eine offenbare, von der Kirche auf dem zweiten und dritten ökumeniſchen Concil zu Konſtanti- nopel und auf dem ökumeniſchen Concil zu Conſtanz verworfene Irrlehre bekannt. Statt ſeine Unfehlbarkeit feſtzuſetzen, habe er vielmehr die der allgemeinen Concilien, und die der Päpſte ſelbſt welche die Beſchlüſſe jener Synoden annahmen, zerſtört, und auf ſolche Weiſe ſogar die Unfehlbarkeit der Kirche zu erſchüttern geſucht, da ſie ent- weder auf jenen früheren Concilien oder auf der letzten vaticaniſchen Synode ge- irrt haben müßte. Soll nicht die Kirche ganz zuſammenbrechen, ſo müßten wir zwiſchen dieſen Concilien eine Wahl treffen, wobei wir uns nur von dem Axiom leiten laſſen könnten daß das Frühere wahr, das Spätere falſch ſei. Stellte man nun das Concil von Conſtanz dem Vaticaniſchen gegenüber, ſo zeigte ſich daß das erſtere von der ganzen Chriſtenheit, auch von den Orientalen, angenommen, ſeine Beſchlüſſe von der Suprematie des allgemeinen Concils über den Papſt ſelbſt von drei Päpſten, Martin V, Pius II und Eugen IV, approbirt worden ſeien, während die Decrete des letzteren gerade von Seite der hervorragendſten Prälaten großen Wider- ſpruch gefunden und in der ganzen Kirche einen Schrei des Unwillens hervorge- rufen hätten, zum Beweiſe daß ſie nicht den alten Glauben ausdrückten. Doch geſetzt, alle Väter des Concils hätten dieſen Decreten zugeſtimmt, ſo wären ſie dennoch ungültig, da ſie früheren Concilien widerſprechen. Demnach ſei Pius IX ein offener Häretiker geworden, und das Anathem falle auf ihn und ſeinen An- hang, und da nach der Lehre der Päpſte und Theologen ein kirchliches Amt durch Häreſie verwirkt werde, ſo ſei der päpſtliche Stuhl erledigt, und ſeien es die Sitze aller Biſchöfe welche der neuen Häreſie anhängen. Volk und Klerus müßten darum ſogleich an die Wahl eines neuen Papſtes und anderer Biſchöfe gehen; denn ſonſt würde das unſchätzbare Geſchenk der Vorſehung verſchmäht, welche jetzt ſo viele falſche Hirten austreiben wolle. Auf ſolche Weiſe würden nach der Fügung gött- licher Weisheit die Feinde der Kirche gerade durch ihren Triumph vernichtet! Als die Italiener im Herbſte des Jahres 1870 in Rom einzogen, begab ſich Panzani ſogleich dahin, in der Hoffnung vielleicht ein freundlicheres Geſchick zu finden. Doch wieder bewarb er ſich bei allen Autoritäten der Regierung und des Municipiums vergeblich um irgendeine paſſende Verwendung, und ſo lebt er bis zur Stunde in äußerſter Dürftigkeit, faſt nur von der Wohlthätigkeit eines Freundes. In Rom gab Panzani jüngſt (1871) eine neue Schrift heraus, worin er das alte Recht und die Pflicht des römiſchen Volkes, zuſammen mit dem Klerus ſich die Pfarrer, Prälaten und den Papſt zu wählen, erörtert, und für den Fall des Ab- lebens Pius’ IX das Municipium auffordert die nöthigen Vorkehrungen für die Effectuirung einer ſolchen Papſtwahl zu treffen. Ein durch das Volk und den Klerus gewählter Papſt käme auf die allein legitime Weiſe zu ſeinem Amte, er

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1872/11>, abgerufen am 23.11.2024.