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Allgemeine Zeitung, Nr. 131, 19. März 1908.

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Donnerstag. 19. März 1908. München.
Vorabendblatt. -- Nr. 131
Allgemeine Zeitung.
Erscheint täglich 2mal. -- Einhundertelfter Jahrgang.
Bezugspreis: Ausgabe B mit Wissenschaftlicher Beilage und internationaler Wochenschrift in
München 1.50 Mark monatlich frei ins Haus; durch die Post: 2. -- Mark monatlich. Ausgabe A (ohne
Beilage) in München 1.-- Mark, durch die Post bezogen 1.50 Mark monatlich. Abonnements für
München: Expedition Bayerstraße 57, deren Filialen und sämtliche Zeitungs-Expeditionen; für
das Ausland: England: A. Siegle, 30 Lime Str. und The Anglo-Foreign Publishing Syndicate,
Ltd., 38 Coleman Str., in London; Frankreich, Portugal und Spanien: A. Ammel u. C. Kliencksieck
in Paris; das übrige Europa; die Postämter; Orient: das k. k. Postamt in Wien oder in Triest; Nord-
amerika: F. W. Christern, E. Steiger & Co., Gust. E. Stechert. Westermann & Co., sämtlich in New York.
[Abbildung]
Insertionspreis: für die 7 gespaltene Kolonelzeile oder deren Raum im Morgenblatt
40 Pfennig, im Abendblatt 30 Pfennig, Lokale Anzeigen nach Tarif. Stellen-Gesuche 10 Pfennig.
Inseraten-Annahme in München: Expedition Bayerstraße 57, die Filialen der Allgemeinen
Zeitung und alle Annoncen-Expeditionen. -- Generalvertretungen: für Oesterreich-Ungarn
in Wien V/I, Schönbrunner Str. 48 (Richard Jahn); Frankreich: John F. Jones & Co.,
31 bis Rue du Faubourg Montmartre in Paris; England: John F. Jones & Co.,
1 & 2 Snow Hill, Holborn-Viadukt, London; Rußland: L. & E. Metzl & Co., Moskau.
Mjasnitzkaja Haus Systow, St. Petersburg, Morskaja 11; Warschau: Kral-Vorstadt 53.
Chefredakteur: Dr. Hermann Diez.
Verantwortlich: für den politischen Teil mit Ausnahme der bayerischen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayerischen Teil Dr. Paul Busching; für das Feuilleton und den "Sonntag" Alfred Frhr. v. Mensi;
für die Wissenschaftliche Beilage Dr. Oskar Bulle; für den Handelsteil Leo Jolles, sämtlich in München.
Redaktion: Bayerstraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayerische Druckerei & Verlagsanstalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerstraße 57. Telephon 8430, 8431.


[Spaltenumbruch]
Das Neueste vom Tage.

In Villards sur Thones kam es bei der Ausweisung
eines Pfarrers zu blutigen Zusammenstößen zwischen
der Volksmenge und der Gendarmerie.



Die in der deutschen Gesandtschaft zu Port au Prince
(Haiti) verborgenen Flüchtlinge werden heute an Bord des
Kreuzers Bremen gebracht.



Die Hotelbesitzer in Barcelona drohen, ihre Häuser zu
schließen, wenn nicht bald dem Terrorismus in der Stadt
Schranken gesetzt werden.



Eine kritische Stunde.

Die Reichstagskommission zur Vorberatung des
Reichsvereinsgesetzentwurfes nimmt am heu-
tigen Mittwoch ihre Sitzungen wieder auf. Nachdem die
Pause zwischen der ersten und zweiten Beratung um acht
Tage verlängert worden, ist es erst in letzter Stunde
gelungen, in der Sprachenbestimmung eine
Vermittlung zwischen den Blockparteien anzubahnen.
Der gute Wille war wohl rechts wie links vorhanden,
aber der rechte Weg wollte sich trotz alledem nicht
zeigen. Ein gut Teil Schuld daran trügen die freisinnigen
Gruppen, die nicht geschlossen dastehen. Der Abgeordnete
Eickhoff, der schon vor Jahr und Tag in der Frage der
Weltpolitik und in der Flottenfrage seiner Partei mutig
einen Schritt voranging, zeigte auch hier das weiteste Ent-
gegenkommen gegen die Forderung der Regierung, an der
die Konservativen und Nationalliberalen festhalten: die
deutsche Sprache als Versammlungssprache schlechthin in
dem Gesetze anzuerkennen; hinter ihm stehen einige Mit-
glieder der Freisinnigen Volkspartei und die freisinnigen
Kreise, die den Kampf um die Ostmark aus eigener An-
schauung kennen. Diese Gruppe der Linksliberalen gesteht
zu, daß die Sprachenbestimmung mit freiheitlichen Grund-
sätzen und liberaler Weltanschauung nichts zu tun hat, son-
dern lediglich eine Frage der Staatsraison ist, die, wie die
Dinge im Osten der preußischen Monarchie liegen, aus
nationalen Gründen im Sinne des Regierungsvorschlages
geregelt werden muß. Dagegen beharrten die süddeutschen
-- württembergischen -- Demokraten, unterstützt von den
unentwegten Doktrinären der Richterschen Schule, zu denen
sich leider auch der alte Träger gesellt hat, bis zum letzten
Augenblicke auf ihrem völlig ablehnenden Standpunkte.

Es unterliegt keinem Zweifel: kommt über den viel-
besprochenen § 7 des Entwurfes eine Einigung zwischen
dem rechten und dem linken Flügel der Blockparteien nicht
zustande, so ist das Reichsvereinsgesetz gefallen.
Das heißt aber nichts anderes, als weitaus dem größten
Teil des Reiches ein freiheitlich ausgestaltetes Vereins-
und Versammlungsrecht vorenthalten und namentlich in
Preußen, Sachsen und den thüringischen Kleinstaaten auf
lange Jahre hinaus ein veraltetes, reaktionäres Versamm-
lungsrecht befestigen. Wir können nie und nimmer glauben,
daß die freisinnigen Parlamentarier, wenn ihnen nur
der Weg ein wenig geebnet wird, eine derartige politische
Unklugheit begehen können und werden. Zumal es der
preußischen Regierung jederzeit freisteht -- und die par-
lamentarische Mehrheit wird sie dazu stets finden --, den
Sprachenparagraphen in ihr bestehendes Vereinsgesetz auf-
zunehmen! Das Scheitern des Reichsvereinsgesetzes würde
aber auch den Zusammenbruch der Blockpolitik
des Reichskanzlers bedeuten, und früher oder später, jeden-
falls aber vor der Lösung der ausstehenden großen gesetz-
geberischen Aufgaben im Reiche einen Kanzlerwechsel
involvieren. Wir halten es für nicht minder ausgeschlossen,
daß die Freisinnigen um einer sentimentalen Polenliebe
willen die konservativ-liberale Paarung in dem Augen-
blicke auseinandersprengen, wo die erste Frucht aus dieser
Verbindung reift. Die weiten Wählermassen hätten
schlechterdings kein Verständnis für ein derartiges Behar-
ren auf dem Alles- oder Nichts-Standpunkte.

Nun bietet sich der Regierung wie den nationalen Par-
teien -- im alten "Kartell"-Sinne des Wortes -- sehr wohl
die Möglichkeit, den Linksliberalen einen
Schritt entgegenzukommen.
Die Sprachen-
bestimmung, wie sie im § 7 des Entwurfes niedergelegt ist,
und die sich in ihrer Tendenz gegen die Polen richtet, be-
deutet zugleich ein Ausnahmegesetz für unsere großenteils
noch unter nichtdeutscher Herrschaft auferzogene und groß-
gewordene, Französisch und Dänisch sprechende Grenzbevöl-
kerung, unter der das Verdeutschungswerk stetig, wenn auch
langsam fortschreitet. Dieses Vorwärtsdringen deutschen
Wesens und Empfindens, mit dem der Gebrauch der deut-
schen Sprache innig zusammenhängt, könnte durch eine
Ausnahmebehandlung jener Grenzbezirke nur aufgehalten
und zurückgedrängt werden, und das widerspräche dem
nationalen Interesse, aus dem heraus gerade der Sprachen-
paragraph erwachsen ist. Nach dem, was bisher über die
gestrige Verständigung zwischen den Parteien und der Re-
gierung an die Oeffentlichkeit gedrungen ist, haben sich die
Regierung, die Konservativen und die Nationalliberalen
[Spaltenumbruch] diesen Bedenken nicht verschlossen und für die Grenzpro-
vinzen,
in denen die weitaus überwiegende Mehrzahl
der Bevölkerung einer anderen als der deutschen Nationali-
tät angehört, während einer Uebergangszeit von zwanzig
Jahren den Gebrauch der fremden Sprache zugestanden.
Man kann diese Bestimmung als billig und gerecht an-
sprechen; nach zwanzig Jahren hat in der Nordmark wie
an der Westgrenze des Reiches fast die gesamte Bevölke-
rung einen deutschen Schulunterricht genossen und ist im-
stande, sich in öffentlichen Versammlungen ohne Mühe der
deutschen Sprache zu bedienen und deutschen Reden mit
Verständnis zu folgen. Auch den Polnisch sprechenden
Staatsbürgern der preußischen Monarchie ist eine nicht zu
eng begrenzte Frist gesetzt, sich den Verhältnissen anzu-
passen. Nachdem das einstige Großherzogtum Posen schon
drei Menschenalter zu Preußen gehört, kann man nicht ver-
langen, daß für die vierte oder fünfte Generation Aus-
nahmebestimmungen in einem Gesetze festgelegt werden
sollen, dessen größter Vorzug ist, ein einheitlich
Recht für das ganze Reich
aufzustellen. Die Rege-
lung der Einzelbestimmungen für die Grenzgebiete wird sich
in einem kurzen und klaren Paragraphen des Reichsgesetzes
kaum vornehmen lassen; sie wird den Einzelstaaten zuge-
wiesen und von diesen am besten auf dem Verordnungs-
wege getroffen werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Frei-
sinnigen sich gewisse Bürgschaften dafür ausbedungen haben,
daß die Grenzen für die Ausnahmen durch die Landesver-
waltungen nicht zu eng gezogen werden.

In den letzten Tagen war der Vorschlag lebhaft erörtert
worden, Vereinsgesetz und Börsenreform mit-
einander zu verquicken und ein Kompromiß dahin zu
schließen: die Freisinnigen gestehen den § 7 zu und die Kon-
servativen verzichten auf das Börsenregister. Ein solches
Tauschgeschäft hätte einen bitteren Beigeschmack gehabt.
Das Reichsvereinsgesetz bot in sich die Möglichkeit einer
Einigung zwischen den widerstrebenden Meinungen, und
es hat erfreulicherweise den Anschein, daß sich in letzter,
kritischer Stunde diese Möglichkeit zur Tatsache kristalli-
siert hat.

Zur Herbeiführung des Kompromisses über
die Sprachenbestimmung im Reichsver-
einsgesetz
hatte der Reichskanzler Fürst Bülow am
Dienstag vormittag im Reichskanzlerpalais eine längere
Unterredung mit den Abgeordneten Müller-Meiningen
und v. Payer. Außerdem hielten die freisinnigen Parteien
vor und nach Schluß der Plenarsitzung Beratungen ab, in
denen es sehr stürmisch zugegangen sein soll; endlich tagte
am Vormittag noch eine freiwillige Kommission aus den
Blockparteien, um den Weg zur Verständigung anzubahnen.



Der Wiener Nuntius über den Fall
Wahrmund.

Unsere Meldung von heute früh, daß der apostolische
Nuntius in Wien vom Unterrichtsministerium die Ent-
lassung Professor Wahrmunds von seinem Lehrstuhl ver-
langt habe, bestätigt sich. Msgr. Granito de Belmonte hat
sich einem Redakteur des Wiener Vaterland gegenüber
folgendermaßen ausgesprochen:

"Ein Verbot der Wahrmund-Broschüre müßte
zunächst von der kirchlichen Diözesanbehörde ausgehen. Doch ist
dies gar nicht mehr notwendig. Denn ein solches Buch ist
co ipso verboten, bevor es überhaupt auf den Index gekommen
ist. Man sucht die Angelegenheit von gegnerischer Seite mit der
Frage der Lehrfreiheit an den Universitäten, mit
freier Wissenschaft usw. in Verbindung zu bringen.
Demgegenüber möchte ich ausdrücklich hervorheben, daß es mir
ganz ferne liegt, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Ebenso
bringt es meine Stellung mit sich, daß ich mich von allen poli-
tischen Streitfragen
vollkommen absondere. Für mich ist
nur die religiöse Frage von Bedeutung. Professor Wahr-
mund ist bekanntlich Professor des katholischen Kirchen-
rechtes.
Es ist selbstverständlich ganz unmöglich,
daß er auch in Zukunft über diesen Gegenstand
vorträgt.
Denn für einen Professor des Kirchenrechtes ist
doch die erste Voraussetzung, daß er Katholik ist, und Wahrmund
ist mit seiner Rede und Broschüre aus der katholischen Kirche aus-
getreten. Er ist Häretiker und kann als solcher ganz unmöglich
Lehrer des katholischen Kirchenrechtes sein. Ich habe deshalb
durch den Minister des Auswärtigen an den Minister für Kultus
und Unterricht das Verlangen gerichtet, daß Professor
Wahrmund von dieser Lehrkanzel entfernt
werde.
Diese Forderung ist ganz selbstverständlich. Man
wird zum Beispiel niemals einen katholischen Geistlichen, viel-
leicht gar einen Jesuiten, zum Professor des protestantischen
Kirchenrechtes ernennen. Dasselbe Recht dürfen aber doch auch
die Katholiken fordern. Bis jetzt habe ich vom Unterrichtsmini-
sterium noch keine Antwort erhalten, doch werde ich von diesem
Verlangen niemals ablassen." Die Frage, ob Professor
Wahrmund werde exkommuniziert werden,
beant-
wortete der Nuntius dahin: "Ich kann darüber keine bestimmte
Auskunft geben, da ich Rom nicht vorgreifen darf. Doch bedarf
es auch hier keiner ausdrücklichen Exkommunikation, da sich
Wahrmund schon durch seine öffentlichen Gotteslästerungen selbst
aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen hat."

[Spaltenumbruch]

In einem gewissen Gegensatz zu diesem Berichte steht
ein amtliches Communique, das folgendermaßen
lautet: "Anläßlich eines Besuches im Ministerium des
Aeußern nahm der Nuntius Belmonte die Gelegenheit
wahr, auf die Vorträge und Broschüren des Professors für
das Kirchenrecht in Innsbruck, Wahrmund, hinzuweisen,
ohne jedoch eine bestimmte Forderung zu
stellen.
Der Minister des Aeußern hat mit einem vom
6. März datierten Schreiben den Minister für Kultus und
Unterricht hiervon verständigt und in seinem Schreiben be-
tont, daß der Nuntius kein Verlangen gestellt habe.
Der Unterrichtsminister hat daher keine Veranlassung,
über diese Mitteilung eine weitere Verfügung zu treffen.
Die Angelegenheit wird, wie es in der Natur der Sache
liegt, durch die dazu berufenen österreichischen Organe
weiter selbständige Behandlung finden."

Man wird abzuwarten haben, ob die bemerkenswerte
Differenz zwischen dieser amtlichen Mitteilung und dem
vorausgehenden Bericht auf eine materielle oder lediglich
auf eine formelle Wahrung der staatlichen Selbständigkeit
zurückzuführen ist. Was man bisher über Aeußerungen
einzelner Minister gehört hat, läßt fürchten, daß es sich
nur um eine formelle "Wahrung des Gesichtes" handelt;
es soll wohl nicht aussehen, als nähme man in staatlichen
Angelegenheiten einfach Befehle des päpstlichen Stuhles
entgegen. -- Sachlich liegen die Dinge so, daß die Wahr-
mundsche Broschüre sich ohne weiteres als "häretisch" charak-
terisiert; darüber kann man nicht streiten, und das wird
auch Professor Wahrmund selber nicht leugnen. Aber
Wahrmund ist nicht Priester, ist nicht Mitglied einer
theologischen Fakultät, sondern er ist Jurist und als
Lehrer des kanonischen Rechts Mitglied der juristischen
Fakultät. Die Dinge, die man ihm vorwirft, fallen nun,
soviel wir sehen, keineswegs ins kirchenrechtliche Gewicht,
berühren also an und für sich die Lehrtätigkeit Professor
Wahrmunds nicht. Aber man kann es verstehen und es ist
vielleicht vom kirchlichen Standpunkt aus notwendig, daß
den Theologiestudierenden der Besuch der Wahrmundschen
Vorlesungen verboten werde. Geradezu ungeheuerlich
aber mutet es an, daß im 20. Jahrhundert eine kirchliche
Instanz die Entfernung eines weltlichen Lehrers aus
einer weltlichen Fakultät sollte verlangen und durchsetzen
können. Wenn die Innsbrucker Universitätsverfassung nicht
ganz besondere Eigentümlichkeiten hat, wäre eine solche
Entfernung nur dann zulässig, wenn Professor Wahrmund
sich eines Verhaltens schuldig gemacht hätte, das ihn zum
Universitätslehrer überhaupt nicht mehr qualifiziert er-
scheinen läßt. Diese Sache aber ist "adhuc sub judice"
und dessen Entscheidung wird man von allen Dingen abzu-
warten haben. Uns gefällt der Ton der Wahrmundschen
Broschüre nicht durchweg. Ein Hochschullehrer könnte und
sollte gewisse Dinge unzweifelhaft anders behandeln, als
Wahrmund sie behandelt. Aber wenn er u. a. schreibt:
"daß Jungfrauen keine Kinder gebären, können wir ruhig
behaupten", so ist das wohl eine saloppe und unzarte Be-
handlung eines Gegenstandes, der vielen heilig ist, aber
eine Verspottung oder gar gemeine Verspot-
tung der Gottesmutter,
wie die Augsburger Post-
zeitung behauptet, ist es für vernünftige Leute nicht.


(Privattelegramm.) Ein
führendes Mitglied der Parteileitung der
Deutschnationalen Partei für Tirol äußerte sich
heute über die sonntägige klerikale Protestversamm-
lung
wie folgt: Der Verlauf der Versammlung hat die frühere
Ansicht bestätigt, daß es sich nicht um eine Kundgebung des ver-
letzten religiösen Gefühls handelte, sondern um einen Vorstoß
der Klerikalen, insbesondere der Altklerikalen (Konservativen),
dessen Führung die Christlichsozialen nur gezwungen vornahmen.
Inspirator der ganzen Bewegung ist der Innsbrucker Stadt-
pfarrer Propst Rauch, von dem seit längerer Zeit bekannt
ist, daß er in altklerikalen Kreisen gegen den Statthalter
Frhrn. v. Spiegel feld agitiert, da dieser sich der klerikalen
Clique gegenüber sowohl amtlich als auch gesellschaftlich unab-
hängiger gezeigt hat, als dies bei den früheren klerikalen Statt-
haltern der Fall war. Aus den Reden und der schließlich be-
schlossenen Resolution geht übrigens auch klar und deutlich her-
vor, daß sich die Tendenz der ganzen Aktion zu sehr großem Teil
gegen diese Stelle richtet. Der Hauptredner, Religionsprofessor
Müller, leitete eine Rede mit dem Hinweis auf die Szene
zwischen Christus und dem römischen Statthalter ein, was für
alle Eingeweihten auch dann eine sehr verständliche Anspielung
gewesen wäre, wenn sie durch die weiteren Ausführungen nicht
noch mehr erläutert worden wäre. In deutschfreiheitlichen Kreisen
mißt man daher der ganzen Versammlung auch keine
große Bedeutung
bei, da sie nur den Versuch einer ab-
getanen Clique bedeutet, sich unter der Vorspiegelung
einer religiösen Bewegung
wieder in die Höhe zu
bringen. Man legt Wert darauf, festzustellen, daß die Ent-
rüstungskomödie,
die erst volle acht Wochen nach der
bekannten Rede Wahrmunds in Szene gesetzt wurde, durch-
aus nicht religiösen Motiven entspringt, und daß die deutsch-
freiheitliche Bevölkerung Innsbrucks durch derartige Intrigen
sich nicht verleiten lassen wird, den politischen Kampf gegen die
klerikale Partei auf das religiöse Gebiet hinüberzuspielen, wo-
durch den Anstiftern der ganzen Aktion nur ein Gefallen erwiesen
würd


Donnerstag. 19. März 1908. München.
Vorabendblatt. — Nr. 131
Allgemeine Zeitung.
Erſcheint täglich 2mal. — Einhundertelfter Jahrgang.
Bezugspreis: Ausgabe B mit Wiſſenſchaftlicher Beilage und internationaler Wochenſchrift in
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amerika: F. W. Chriſtern, E. Steiger & Co., Guſt. E. Stechert. Weſtermann & Co., ſämtlich in New York.
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Chefredakteur: Dr. Hermann Diez.
Verantwortlich: für den politiſchen Teil mit Ausnahme der bayeriſchen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayeriſchen Teil Dr. Paul Buſching; für das Feuilleton und den „Sonntag“ Alfred Frhr. v. Menſi;
für die Wiſſenſchaftliche Beilage Dr. Oskar Bulle; für den Handelsteil Leo Jolles, ſämtlich in München.
Redaktion: Bayerſtraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayeriſche Druckerei & Verlagsanſtalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerſtraße 57. Telephon 8430, 8431.


[Spaltenumbruch]
Das Neueſte vom Tage.

In Villards sur Thones kam es bei der Ausweiſung
eines Pfarrers zu blutigen Zuſammenſtößen zwiſchen
der Volksmenge und der Gendarmerie.



Die in der deutſchen Geſandtſchaft zu Port au Prince
(Haiti) verborgenen Flüchtlinge werden heute an Bord des
Kreuzers Bremen gebracht.



Die Hotelbeſitzer in Barcelona drohen, ihre Häuſer zu
ſchließen, wenn nicht bald dem Terrorismus in der Stadt
Schranken geſetzt werden.



Eine kritiſche Stunde.

Die Reichstagskommiſſion zur Vorberatung des
Reichsvereinsgeſetzentwurfes nimmt am heu-
tigen Mittwoch ihre Sitzungen wieder auf. Nachdem die
Pauſe zwiſchen der erſten und zweiten Beratung um acht
Tage verlängert worden, iſt es erſt in letzter Stunde
gelungen, in der Sprachenbeſtimmung eine
Vermittlung zwiſchen den Blockparteien anzubahnen.
Der gute Wille war wohl rechts wie links vorhanden,
aber der rechte Weg wollte ſich trotz alledem nicht
zeigen. Ein gut Teil Schuld daran trügen die freiſinnigen
Gruppen, die nicht geſchloſſen daſtehen. Der Abgeordnete
Eickhoff, der ſchon vor Jahr und Tag in der Frage der
Weltpolitik und in der Flottenfrage ſeiner Partei mutig
einen Schritt voranging, zeigte auch hier das weiteſte Ent-
gegenkommen gegen die Forderung der Regierung, an der
die Konſervativen und Nationalliberalen feſthalten: die
deutſche Sprache als Verſammlungsſprache ſchlechthin in
dem Geſetze anzuerkennen; hinter ihm ſtehen einige Mit-
glieder der Freiſinnigen Volkspartei und die freiſinnigen
Kreiſe, die den Kampf um die Oſtmark aus eigener An-
ſchauung kennen. Dieſe Gruppe der Linksliberalen geſteht
zu, daß die Sprachenbeſtimmung mit freiheitlichen Grund-
ſätzen und liberaler Weltanſchauung nichts zu tun hat, ſon-
dern lediglich eine Frage der Staatsraiſon iſt, die, wie die
Dinge im Oſten der preußiſchen Monarchie liegen, aus
nationalen Gründen im Sinne des Regierungsvorſchlages
geregelt werden muß. Dagegen beharrten die ſüddeutſchen
— württembergiſchen — Demokraten, unterſtützt von den
unentwegten Doktrinären der Richterſchen Schule, zu denen
ſich leider auch der alte Träger geſellt hat, bis zum letzten
Augenblicke auf ihrem völlig ablehnenden Standpunkte.

Es unterliegt keinem Zweifel: kommt über den viel-
beſprochenen § 7 des Entwurfes eine Einigung zwiſchen
dem rechten und dem linken Flügel der Blockparteien nicht
zuſtande, ſo iſt das Reichsvereinsgeſetz gefallen.
Das heißt aber nichts anderes, als weitaus dem größten
Teil des Reiches ein freiheitlich ausgeſtaltetes Vereins-
und Verſammlungsrecht vorenthalten und namentlich in
Preußen, Sachſen und den thüringiſchen Kleinſtaaten auf
lange Jahre hinaus ein veraltetes, reaktionäres Verſamm-
lungsrecht befeſtigen. Wir können nie und nimmer glauben,
daß die freiſinnigen Parlamentarier, wenn ihnen nur
der Weg ein wenig geebnet wird, eine derartige politiſche
Unklugheit begehen können und werden. Zumal es der
preußiſchen Regierung jederzeit freiſteht — und die par-
lamentariſche Mehrheit wird ſie dazu ſtets finden —, den
Sprachenparagraphen in ihr beſtehendes Vereinsgeſetz auf-
zunehmen! Das Scheitern des Reichsvereinsgeſetzes würde
aber auch den Zuſammenbruch der Blockpolitik
des Reichskanzlers bedeuten, und früher oder ſpäter, jeden-
falls aber vor der Löſung der ausſtehenden großen geſetz-
geberiſchen Aufgaben im Reiche einen Kanzlerwechſel
involvieren. Wir halten es für nicht minder ausgeſchloſſen,
daß die Freiſinnigen um einer ſentimentalen Polenliebe
willen die konſervativ-liberale Paarung in dem Augen-
blicke auseinanderſprengen, wo die erſte Frucht aus dieſer
Verbindung reift. Die weiten Wählermaſſen hätten
ſchlechterdings kein Verſtändnis für ein derartiges Behar-
ren auf dem Alles- oder Nichts-Standpunkte.

Nun bietet ſich der Regierung wie den nationalen Par-
teien — im alten „Kartell“-Sinne des Wortes — ſehr wohl
die Möglichkeit, den Linksliberalen einen
Schritt entgegenzukommen.
Die Sprachen-
beſtimmung, wie ſie im § 7 des Entwurfes niedergelegt iſt,
und die ſich in ihrer Tendenz gegen die Polen richtet, be-
deutet zugleich ein Ausnahmegeſetz für unſere großenteils
noch unter nichtdeutſcher Herrſchaft auferzogene und groß-
gewordene, Franzöſiſch und Däniſch ſprechende Grenzbevöl-
kerung, unter der das Verdeutſchungswerk ſtetig, wenn auch
langſam fortſchreitet. Dieſes Vorwärtsdringen deutſchen
Weſens und Empfindens, mit dem der Gebrauch der deut-
ſchen Sprache innig zuſammenhängt, könnte durch eine
Ausnahmebehandlung jener Grenzbezirke nur aufgehalten
und zurückgedrängt werden, und das widerſpräche dem
nationalen Intereſſe, aus dem heraus gerade der Sprachen-
paragraph erwachſen iſt. Nach dem, was bisher über die
geſtrige Verſtändigung zwiſchen den Parteien und der Re-
gierung an die Oeffentlichkeit gedrungen iſt, haben ſich die
Regierung, die Konſervativen und die Nationalliberalen
[Spaltenumbruch] dieſen Bedenken nicht verſchloſſen und für die Grenzpro-
vinzen,
in denen die weitaus überwiegende Mehrzahl
der Bevölkerung einer anderen als der deutſchen Nationali-
tät angehört, während einer Uebergangszeit von zwanzig
Jahren den Gebrauch der fremden Sprache zugeſtanden.
Man kann dieſe Beſtimmung als billig und gerecht an-
ſprechen; nach zwanzig Jahren hat in der Nordmark wie
an der Weſtgrenze des Reiches faſt die geſamte Bevölke-
rung einen deutſchen Schulunterricht genoſſen und iſt im-
ſtande, ſich in öffentlichen Verſammlungen ohne Mühe der
deutſchen Sprache zu bedienen und deutſchen Reden mit
Verſtändnis zu folgen. Auch den Polniſch ſprechenden
Staatsbürgern der preußiſchen Monarchie iſt eine nicht zu
eng begrenzte Friſt geſetzt, ſich den Verhältniſſen anzu-
paſſen. Nachdem das einſtige Großherzogtum Poſen ſchon
drei Menſchenalter zu Preußen gehört, kann man nicht ver-
langen, daß für die vierte oder fünfte Generation Aus-
nahmebeſtimmungen in einem Geſetze feſtgelegt werden
ſollen, deſſen größter Vorzug iſt, ein einheitlich
Recht für das ganze Reich
aufzuſtellen. Die Rege-
lung der Einzelbeſtimmungen für die Grenzgebiete wird ſich
in einem kurzen und klaren Paragraphen des Reichsgeſetzes
kaum vornehmen laſſen; ſie wird den Einzelſtaaten zuge-
wieſen und von dieſen am beſten auf dem Verordnungs-
wege getroffen werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Frei-
ſinnigen ſich gewiſſe Bürgſchaften dafür ausbedungen haben,
daß die Grenzen für die Ausnahmen durch die Landesver-
waltungen nicht zu eng gezogen werden.

In den letzten Tagen war der Vorſchlag lebhaft erörtert
worden, Vereinsgeſetz und Börſenreform mit-
einander zu verquicken und ein Kompromiß dahin zu
ſchließen: die Freiſinnigen geſtehen den § 7 zu und die Kon-
ſervativen verzichten auf das Börſenregiſter. Ein ſolches
Tauſchgeſchäft hätte einen bitteren Beigeſchmack gehabt.
Das Reichsvereinsgeſetz bot in ſich die Möglichkeit einer
Einigung zwiſchen den widerſtrebenden Meinungen, und
es hat erfreulicherweiſe den Anſchein, daß ſich in letzter,
kritiſcher Stunde dieſe Möglichkeit zur Tatſache kriſtalli-
ſiert hat.

Zur Herbeiführung des Kompromiſſes über
die Sprachenbeſtimmung im Reichsver-
einsgeſetz
hatte der Reichskanzler Fürſt Bülow am
Dienstag vormittag im Reichskanzlerpalais eine längere
Unterredung mit den Abgeordneten Müller-Meiningen
und v. Payer. Außerdem hielten die freiſinnigen Parteien
vor und nach Schluß der Plenarſitzung Beratungen ab, in
denen es ſehr ſtürmiſch zugegangen ſein ſoll; endlich tagte
am Vormittag noch eine freiwillige Kommiſſion aus den
Blockparteien, um den Weg zur Verſtändigung anzubahnen.



Der Wiener Nuntius über den Fall
Wahrmund.

Unſere Meldung von heute früh, daß der apoſtoliſche
Nuntius in Wien vom Unterrichtsminiſterium die Ent-
laſſung Profeſſor Wahrmunds von ſeinem Lehrſtuhl ver-
langt habe, beſtätigt ſich. Mſgr. Granito de Belmonte hat
ſich einem Redakteur des Wiener Vaterland gegenüber
folgendermaßen ausgeſprochen:

„Ein Verbot der Wahrmund-Broſchüre müßte
zunächſt von der kirchlichen Diözeſanbehörde ausgehen. Doch iſt
dies gar nicht mehr notwendig. Denn ein ſolches Buch iſt
co ipso verboten, bevor es überhaupt auf den Index gekommen
iſt. Man ſucht die Angelegenheit von gegneriſcher Seite mit der
Frage der Lehrfreiheit an den Univerſitäten, mit
freier Wiſſenſchaft uſw. in Verbindung zu bringen.
Demgegenüber möchte ich ausdrücklich hervorheben, daß es mir
ganz ferne liegt, zu dieſen Fragen Stellung zu nehmen. Ebenſo
bringt es meine Stellung mit ſich, daß ich mich von allen poli-
tiſchen Streitfragen
vollkommen abſondere. Für mich iſt
nur die religiöſe Frage von Bedeutung. Profeſſor Wahr-
mund iſt bekanntlich Profeſſor des katholiſchen Kirchen-
rechtes.
Es iſt ſelbſtverſtändlich ganz unmöglich,
daß er auch in Zukunft über dieſen Gegenſtand
vorträgt.
Denn für einen Profeſſor des Kirchenrechtes iſt
doch die erſte Vorausſetzung, daß er Katholik iſt, und Wahrmund
iſt mit ſeiner Rede und Broſchüre aus der katholiſchen Kirche aus-
getreten. Er iſt Häretiker und kann als ſolcher ganz unmöglich
Lehrer des katholiſchen Kirchenrechtes ſein. Ich habe deshalb
durch den Miniſter des Auswärtigen an den Miniſter für Kultus
und Unterricht das Verlangen gerichtet, daß Profeſſor
Wahrmund von dieſer Lehrkanzel entfernt
werde.
Dieſe Forderung iſt ganz ſelbſtverſtändlich. Man
wird zum Beiſpiel niemals einen katholiſchen Geiſtlichen, viel-
leicht gar einen Jeſuiten, zum Profeſſor des proteſtantiſchen
Kirchenrechtes ernennen. Dasſelbe Recht dürfen aber doch auch
die Katholiken fordern. Bis jetzt habe ich vom Unterrichtsmini-
ſterium noch keine Antwort erhalten, doch werde ich von dieſem
Verlangen niemals ablaſſen.“ Die Frage, ob Profeſſor
Wahrmund werde exkommuniziert werden,
beant-
wortete der Nuntius dahin: „Ich kann darüber keine beſtimmte
Auskunft geben, da ich Rom nicht vorgreifen darf. Doch bedarf
es auch hier keiner ausdrücklichen Exkommunikation, da ſich
Wahrmund ſchon durch ſeine öffentlichen Gottesläſterungen ſelbſt
aus der Kirchengemeinſchaft ausgeſchloſſen hat.“

[Spaltenumbruch]

In einem gewiſſen Gegenſatz zu dieſem Berichte ſteht
ein amtliches Communiqué, das folgendermaßen
lautet: „Anläßlich eines Beſuches im Miniſterium des
Aeußern nahm der Nuntius Belmonte die Gelegenheit
wahr, auf die Vorträge und Broſchüren des Profeſſors für
das Kirchenrecht in Innsbruck, Wahrmund, hinzuweiſen,
ohne jedoch eine beſtimmte Forderung zu
ſtellen.
Der Miniſter des Aeußern hat mit einem vom
6. März datierten Schreiben den Miniſter für Kultus und
Unterricht hiervon verſtändigt und in ſeinem Schreiben be-
tont, daß der Nuntius kein Verlangen geſtellt habe.
Der Unterrichtsminiſter hat daher keine Veranlaſſung,
über dieſe Mitteilung eine weitere Verfügung zu treffen.
Die Angelegenheit wird, wie es in der Natur der Sache
liegt, durch die dazu berufenen öſterreichiſchen Organe
weiter ſelbſtändige Behandlung finden.“

Man wird abzuwarten haben, ob die bemerkenswerte
Differenz zwiſchen dieſer amtlichen Mitteilung und dem
vorausgehenden Bericht auf eine materielle oder lediglich
auf eine formelle Wahrung der ſtaatlichen Selbſtändigkeit
zurückzuführen iſt. Was man bisher über Aeußerungen
einzelner Miniſter gehört hat, läßt fürchten, daß es ſich
nur um eine formelle „Wahrung des Geſichtes“ handelt;
es ſoll wohl nicht ausſehen, als nähme man in ſtaatlichen
Angelegenheiten einfach Befehle des päpſtlichen Stuhles
entgegen. — Sachlich liegen die Dinge ſo, daß die Wahr-
mundſche Broſchüre ſich ohne weiteres als „häretiſch“ charak-
teriſiert; darüber kann man nicht ſtreiten, und das wird
auch Profeſſor Wahrmund ſelber nicht leugnen. Aber
Wahrmund iſt nicht Prieſter, iſt nicht Mitglied einer
theologiſchen Fakultät, ſondern er iſt Juriſt und als
Lehrer des kanoniſchen Rechts Mitglied der juriſtiſchen
Fakultät. Die Dinge, die man ihm vorwirft, fallen nun,
ſoviel wir ſehen, keineswegs ins kirchenrechtliche Gewicht,
berühren alſo an und für ſich die Lehrtätigkeit Profeſſor
Wahrmunds nicht. Aber man kann es verſtehen und es iſt
vielleicht vom kirchlichen Standpunkt aus notwendig, daß
den Theologieſtudierenden der Beſuch der Wahrmundſchen
Vorleſungen verboten werde. Geradezu ungeheuerlich
aber mutet es an, daß im 20. Jahrhundert eine kirchliche
Inſtanz die Entfernung eines weltlichen Lehrers aus
einer weltlichen Fakultät ſollte verlangen und durchſetzen
können. Wenn die Innsbrucker Univerſitätsverfaſſung nicht
ganz beſondere Eigentümlichkeiten hat, wäre eine ſolche
Entfernung nur dann zuläſſig, wenn Profeſſor Wahrmund
ſich eines Verhaltens ſchuldig gemacht hätte, das ihn zum
Univerſitätslehrer überhaupt nicht mehr qualifiziert er-
ſcheinen läßt. Dieſe Sache aber iſt „adhuc sub judice“
und deſſen Entſcheidung wird man von allen Dingen abzu-
warten haben. Uns gefällt der Ton der Wahrmundſchen
Broſchüre nicht durchweg. Ein Hochſchullehrer könnte und
ſollte gewiſſe Dinge unzweifelhaft anders behandeln, als
Wahrmund ſie behandelt. Aber wenn er u. a. ſchreibt:
„daß Jungfrauen keine Kinder gebären, können wir ruhig
behaupten“, ſo iſt das wohl eine ſaloppe und unzarte Be-
handlung eines Gegenſtandes, der vielen heilig iſt, aber
eine Verſpottung oder gar gemeine Verſpot-
tung der Gottesmutter,
wie die Augsburger Poſt-
zeitung behauptet, iſt es für vernünftige Leute nicht.


(Privattelegramm.) Ein
führendes Mitglied der Parteileitung der
Deutſchnationalen Partei für Tirol äußerte ſich
heute über die ſonntägige klerikale Proteſtverſamm-
lung
wie folgt: Der Verlauf der Verſammlung hat die frühere
Anſicht beſtätigt, daß es ſich nicht um eine Kundgebung des ver-
letzten religiöſen Gefühls handelte, ſondern um einen Vorſtoß
der Klerikalen, insbeſondere der Altklerikalen (Konſervativen),
deſſen Führung die Chriſtlichſozialen nur gezwungen vornahmen.
Inſpirator der ganzen Bewegung iſt der Innsbrucker Stadt-
pfarrer Propſt Rauch, von dem ſeit längerer Zeit bekannt
iſt, daß er in altklerikalen Kreiſen gegen den Statthalter
Frhrn. v. Spiegel feld agitiert, da dieſer ſich der klerikalen
Clique gegenüber ſowohl amtlich als auch geſellſchaftlich unab-
hängiger gezeigt hat, als dies bei den früheren klerikalen Statt-
haltern der Fall war. Aus den Reden und der ſchließlich be-
ſchloſſenen Reſolution geht übrigens auch klar und deutlich her-
vor, daß ſich die Tendenz der ganzen Aktion zu ſehr großem Teil
gegen dieſe Stelle richtet. Der Hauptredner, Religionsprofeſſor
Müller, leitete eine Rede mit dem Hinweis auf die Szene
zwiſchen Chriſtus und dem römiſchen Statthalter ein, was für
alle Eingeweihten auch dann eine ſehr verſtändliche Anſpielung
geweſen wäre, wenn ſie durch die weiteren Ausführungen nicht
noch mehr erläutert worden wäre. In deutſchfreiheitlichen Kreiſen
mißt man daher der ganzen Verſammlung auch keine
große Bedeutung
bei, da ſie nur den Verſuch einer ab-
getanen Clique bedeutet, ſich unter der Vorſpiegelung
einer religiöſen Bewegung
wieder in die Höhe zu
bringen. Man legt Wert darauf, feſtzuſtellen, daß die Ent-
rüſtungskomödie,
die erſt volle acht Wochen nach der
bekannten Rede Wahrmunds in Szene geſetzt wurde, durch-
aus nicht religiöſen Motiven entſpringt, und daß die deutſch-
freiheitliche Bevölkerung Innsbrucks durch derartige Intrigen
ſich nicht verleiten laſſen wird, den politiſchen Kampf gegen die
klerikale Partei auf das religiöſe Gebiet hinüberzuſpielen, wo-
durch den Anſtiftern der ganzen Aktion nur ein Gefallen erwieſen
würd

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[0001] Donnerstag. 19. März 1908. München. Vorabendblatt. — Nr. 131 Allgemeine Zeitung. Erſcheint täglich 2mal. — Einhundertelfter Jahrgang. Bezugspreis: Ausgabe B mit Wiſſenſchaftlicher Beilage und internationaler Wochenſchrift in München 1.50 Mark monatlich frei ins Haus; durch die Poſt: 2. — Mark monatlich. Ausgabe A (ohne Beilage) in München 1.— Mark, durch die Poſt bezogen 1.50 Mark monatlich. Abonnements für München: Expedition Bayerſtraße 57, deren Filialen und ſämtliche Zeitungs-Expeditionen; für das Ausland: England: A. Siegle, 30 Lime Str. und The Anglo-Foreign Publiſhing Syndicate, Ltd., 38 Coleman Str., in London; Frankreich, Portugal und Spanien: A. Ammel u. C. Klienckſieck in Paris; das übrige Europa; die Poſtämter; Orient: das k. k. Poſtamt in Wien oder in Trieſt; Nord- amerika: F. W. Chriſtern, E. Steiger & Co., Guſt. E. Stechert. Weſtermann & Co., ſämtlich in New York. [Abbildung] Inſertionspreis: für die 7 geſpaltene Kolonelzeile oder deren Raum im Morgenblatt 40 Pfennig, im Abendblatt 30 Pfennig, Lokale Anzeigen nach Tarif. Stellen-Geſuche 10 Pfennig. Inſeraten-Annahme in München: Expedition Bayerſtraße 57, die Filialen der Allgemeinen Zeitung und alle Annoncen-Expeditionen. — Generalvertretungen: für Oeſterreich-Ungarn in Wien V/I, Schönbrunner Str. 48 (Richard Jahn); Frankreich: John F. Jones & Co., 31 bis Rue du Faubourg Montmartre in Paris; England: John F. Jones & Co., 1 & 2 Snow Hill, Holborn-Viadukt, London; Rußland: L. & E. Metzl & Co., Moskau. Mjasnitzkaja Haus Syſtow, St. Petersburg, Morskaja 11; Warſchau: Kral-Vorſtadt 53. Chefredakteur: Dr. Hermann Diez. Verantwortlich: für den politiſchen Teil mit Ausnahme der bayeriſchen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayeriſchen Teil Dr. Paul Buſching; für das Feuilleton und den „Sonntag“ Alfred Frhr. v. Menſi; für die Wiſſenſchaftliche Beilage Dr. Oskar Bulle; für den Handelsteil Leo Jolles, ſämtlich in München. Redaktion: Bayerſtraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayeriſche Druckerei & Verlagsanſtalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerſtraße 57. Telephon 8430, 8431. Das Neueſte vom Tage. In Villards sur Thones kam es bei der Ausweiſung eines Pfarrers zu blutigen Zuſammenſtößen zwiſchen der Volksmenge und der Gendarmerie. Die in der deutſchen Geſandtſchaft zu Port au Prince (Haiti) verborgenen Flüchtlinge werden heute an Bord des Kreuzers Bremen gebracht. Die Hotelbeſitzer in Barcelona drohen, ihre Häuſer zu ſchließen, wenn nicht bald dem Terrorismus in der Stadt Schranken geſetzt werden. Eine kritiſche Stunde. *** München, 18. März. Die Reichstagskommiſſion zur Vorberatung des Reichsvereinsgeſetzentwurfes nimmt am heu- tigen Mittwoch ihre Sitzungen wieder auf. Nachdem die Pauſe zwiſchen der erſten und zweiten Beratung um acht Tage verlängert worden, iſt es erſt in letzter Stunde gelungen, in der Sprachenbeſtimmung eine Vermittlung zwiſchen den Blockparteien anzubahnen. Der gute Wille war wohl rechts wie links vorhanden, aber der rechte Weg wollte ſich trotz alledem nicht zeigen. Ein gut Teil Schuld daran trügen die freiſinnigen Gruppen, die nicht geſchloſſen daſtehen. Der Abgeordnete Eickhoff, der ſchon vor Jahr und Tag in der Frage der Weltpolitik und in der Flottenfrage ſeiner Partei mutig einen Schritt voranging, zeigte auch hier das weiteſte Ent- gegenkommen gegen die Forderung der Regierung, an der die Konſervativen und Nationalliberalen feſthalten: die deutſche Sprache als Verſammlungsſprache ſchlechthin in dem Geſetze anzuerkennen; hinter ihm ſtehen einige Mit- glieder der Freiſinnigen Volkspartei und die freiſinnigen Kreiſe, die den Kampf um die Oſtmark aus eigener An- ſchauung kennen. Dieſe Gruppe der Linksliberalen geſteht zu, daß die Sprachenbeſtimmung mit freiheitlichen Grund- ſätzen und liberaler Weltanſchauung nichts zu tun hat, ſon- dern lediglich eine Frage der Staatsraiſon iſt, die, wie die Dinge im Oſten der preußiſchen Monarchie liegen, aus nationalen Gründen im Sinne des Regierungsvorſchlages geregelt werden muß. Dagegen beharrten die ſüddeutſchen — württembergiſchen — Demokraten, unterſtützt von den unentwegten Doktrinären der Richterſchen Schule, zu denen ſich leider auch der alte Träger geſellt hat, bis zum letzten Augenblicke auf ihrem völlig ablehnenden Standpunkte. Es unterliegt keinem Zweifel: kommt über den viel- beſprochenen § 7 des Entwurfes eine Einigung zwiſchen dem rechten und dem linken Flügel der Blockparteien nicht zuſtande, ſo iſt das Reichsvereinsgeſetz gefallen. Das heißt aber nichts anderes, als weitaus dem größten Teil des Reiches ein freiheitlich ausgeſtaltetes Vereins- und Verſammlungsrecht vorenthalten und namentlich in Preußen, Sachſen und den thüringiſchen Kleinſtaaten auf lange Jahre hinaus ein veraltetes, reaktionäres Verſamm- lungsrecht befeſtigen. Wir können nie und nimmer glauben, daß die freiſinnigen Parlamentarier, wenn ihnen nur der Weg ein wenig geebnet wird, eine derartige politiſche Unklugheit begehen können und werden. Zumal es der preußiſchen Regierung jederzeit freiſteht — und die par- lamentariſche Mehrheit wird ſie dazu ſtets finden —, den Sprachenparagraphen in ihr beſtehendes Vereinsgeſetz auf- zunehmen! Das Scheitern des Reichsvereinsgeſetzes würde aber auch den Zuſammenbruch der Blockpolitik des Reichskanzlers bedeuten, und früher oder ſpäter, jeden- falls aber vor der Löſung der ausſtehenden großen geſetz- geberiſchen Aufgaben im Reiche einen Kanzlerwechſel involvieren. Wir halten es für nicht minder ausgeſchloſſen, daß die Freiſinnigen um einer ſentimentalen Polenliebe willen die konſervativ-liberale Paarung in dem Augen- blicke auseinanderſprengen, wo die erſte Frucht aus dieſer Verbindung reift. Die weiten Wählermaſſen hätten ſchlechterdings kein Verſtändnis für ein derartiges Behar- ren auf dem Alles- oder Nichts-Standpunkte. Nun bietet ſich der Regierung wie den nationalen Par- teien — im alten „Kartell“-Sinne des Wortes — ſehr wohl die Möglichkeit, den Linksliberalen einen Schritt entgegenzukommen. Die Sprachen- beſtimmung, wie ſie im § 7 des Entwurfes niedergelegt iſt, und die ſich in ihrer Tendenz gegen die Polen richtet, be- deutet zugleich ein Ausnahmegeſetz für unſere großenteils noch unter nichtdeutſcher Herrſchaft auferzogene und groß- gewordene, Franzöſiſch und Däniſch ſprechende Grenzbevöl- kerung, unter der das Verdeutſchungswerk ſtetig, wenn auch langſam fortſchreitet. Dieſes Vorwärtsdringen deutſchen Weſens und Empfindens, mit dem der Gebrauch der deut- ſchen Sprache innig zuſammenhängt, könnte durch eine Ausnahmebehandlung jener Grenzbezirke nur aufgehalten und zurückgedrängt werden, und das widerſpräche dem nationalen Intereſſe, aus dem heraus gerade der Sprachen- paragraph erwachſen iſt. Nach dem, was bisher über die geſtrige Verſtändigung zwiſchen den Parteien und der Re- gierung an die Oeffentlichkeit gedrungen iſt, haben ſich die Regierung, die Konſervativen und die Nationalliberalen dieſen Bedenken nicht verſchloſſen und für die Grenzpro- vinzen, in denen die weitaus überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung einer anderen als der deutſchen Nationali- tät angehört, während einer Uebergangszeit von zwanzig Jahren den Gebrauch der fremden Sprache zugeſtanden. Man kann dieſe Beſtimmung als billig und gerecht an- ſprechen; nach zwanzig Jahren hat in der Nordmark wie an der Weſtgrenze des Reiches faſt die geſamte Bevölke- rung einen deutſchen Schulunterricht genoſſen und iſt im- ſtande, ſich in öffentlichen Verſammlungen ohne Mühe der deutſchen Sprache zu bedienen und deutſchen Reden mit Verſtändnis zu folgen. Auch den Polniſch ſprechenden Staatsbürgern der preußiſchen Monarchie iſt eine nicht zu eng begrenzte Friſt geſetzt, ſich den Verhältniſſen anzu- paſſen. Nachdem das einſtige Großherzogtum Poſen ſchon drei Menſchenalter zu Preußen gehört, kann man nicht ver- langen, daß für die vierte oder fünfte Generation Aus- nahmebeſtimmungen in einem Geſetze feſtgelegt werden ſollen, deſſen größter Vorzug iſt, ein einheitlich Recht für das ganze Reich aufzuſtellen. Die Rege- lung der Einzelbeſtimmungen für die Grenzgebiete wird ſich in einem kurzen und klaren Paragraphen des Reichsgeſetzes kaum vornehmen laſſen; ſie wird den Einzelſtaaten zuge- wieſen und von dieſen am beſten auf dem Verordnungs- wege getroffen werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Frei- ſinnigen ſich gewiſſe Bürgſchaften dafür ausbedungen haben, daß die Grenzen für die Ausnahmen durch die Landesver- waltungen nicht zu eng gezogen werden. In den letzten Tagen war der Vorſchlag lebhaft erörtert worden, Vereinsgeſetz und Börſenreform mit- einander zu verquicken und ein Kompromiß dahin zu ſchließen: die Freiſinnigen geſtehen den § 7 zu und die Kon- ſervativen verzichten auf das Börſenregiſter. Ein ſolches Tauſchgeſchäft hätte einen bitteren Beigeſchmack gehabt. Das Reichsvereinsgeſetz bot in ſich die Möglichkeit einer Einigung zwiſchen den widerſtrebenden Meinungen, und es hat erfreulicherweiſe den Anſchein, daß ſich in letzter, kritiſcher Stunde dieſe Möglichkeit zur Tatſache kriſtalli- ſiert hat. Zur Herbeiführung des Kompromiſſes über die Sprachenbeſtimmung im Reichsver- einsgeſetz hatte der Reichskanzler Fürſt Bülow am Dienstag vormittag im Reichskanzlerpalais eine längere Unterredung mit den Abgeordneten Müller-Meiningen und v. Payer. Außerdem hielten die freiſinnigen Parteien vor und nach Schluß der Plenarſitzung Beratungen ab, in denen es ſehr ſtürmiſch zugegangen ſein ſoll; endlich tagte am Vormittag noch eine freiwillige Kommiſſion aus den Blockparteien, um den Weg zur Verſtändigung anzubahnen. Der Wiener Nuntius über den Fall Wahrmund. Unſere Meldung von heute früh, daß der apoſtoliſche Nuntius in Wien vom Unterrichtsminiſterium die Ent- laſſung Profeſſor Wahrmunds von ſeinem Lehrſtuhl ver- langt habe, beſtätigt ſich. Mſgr. Granito de Belmonte hat ſich einem Redakteur des Wiener Vaterland gegenüber folgendermaßen ausgeſprochen: „Ein Verbot der Wahrmund-Broſchüre müßte zunächſt von der kirchlichen Diözeſanbehörde ausgehen. Doch iſt dies gar nicht mehr notwendig. Denn ein ſolches Buch iſt co ipso verboten, bevor es überhaupt auf den Index gekommen iſt. Man ſucht die Angelegenheit von gegneriſcher Seite mit der Frage der Lehrfreiheit an den Univerſitäten, mit freier Wiſſenſchaft uſw. in Verbindung zu bringen. Demgegenüber möchte ich ausdrücklich hervorheben, daß es mir ganz ferne liegt, zu dieſen Fragen Stellung zu nehmen. Ebenſo bringt es meine Stellung mit ſich, daß ich mich von allen poli- tiſchen Streitfragen vollkommen abſondere. Für mich iſt nur die religiöſe Frage von Bedeutung. Profeſſor Wahr- mund iſt bekanntlich Profeſſor des katholiſchen Kirchen- rechtes. Es iſt ſelbſtverſtändlich ganz unmöglich, daß er auch in Zukunft über dieſen Gegenſtand vorträgt. Denn für einen Profeſſor des Kirchenrechtes iſt doch die erſte Vorausſetzung, daß er Katholik iſt, und Wahrmund iſt mit ſeiner Rede und Broſchüre aus der katholiſchen Kirche aus- getreten. Er iſt Häretiker und kann als ſolcher ganz unmöglich Lehrer des katholiſchen Kirchenrechtes ſein. Ich habe deshalb durch den Miniſter des Auswärtigen an den Miniſter für Kultus und Unterricht das Verlangen gerichtet, daß Profeſſor Wahrmund von dieſer Lehrkanzel entfernt werde. Dieſe Forderung iſt ganz ſelbſtverſtändlich. Man wird zum Beiſpiel niemals einen katholiſchen Geiſtlichen, viel- leicht gar einen Jeſuiten, zum Profeſſor des proteſtantiſchen Kirchenrechtes ernennen. Dasſelbe Recht dürfen aber doch auch die Katholiken fordern. Bis jetzt habe ich vom Unterrichtsmini- ſterium noch keine Antwort erhalten, doch werde ich von dieſem Verlangen niemals ablaſſen.“ Die Frage, ob Profeſſor Wahrmund werde exkommuniziert werden, beant- wortete der Nuntius dahin: „Ich kann darüber keine beſtimmte Auskunft geben, da ich Rom nicht vorgreifen darf. Doch bedarf es auch hier keiner ausdrücklichen Exkommunikation, da ſich Wahrmund ſchon durch ſeine öffentlichen Gottesläſterungen ſelbſt aus der Kirchengemeinſchaft ausgeſchloſſen hat.“ In einem gewiſſen Gegenſatz zu dieſem Berichte ſteht ein amtliches Communiqué, das folgendermaßen lautet: „Anläßlich eines Beſuches im Miniſterium des Aeußern nahm der Nuntius Belmonte die Gelegenheit wahr, auf die Vorträge und Broſchüren des Profeſſors für das Kirchenrecht in Innsbruck, Wahrmund, hinzuweiſen, ohne jedoch eine beſtimmte Forderung zu ſtellen. Der Miniſter des Aeußern hat mit einem vom 6. März datierten Schreiben den Miniſter für Kultus und Unterricht hiervon verſtändigt und in ſeinem Schreiben be- tont, daß der Nuntius kein Verlangen geſtellt habe. Der Unterrichtsminiſter hat daher keine Veranlaſſung, über dieſe Mitteilung eine weitere Verfügung zu treffen. Die Angelegenheit wird, wie es in der Natur der Sache liegt, durch die dazu berufenen öſterreichiſchen Organe weiter ſelbſtändige Behandlung finden.“ Man wird abzuwarten haben, ob die bemerkenswerte Differenz zwiſchen dieſer amtlichen Mitteilung und dem vorausgehenden Bericht auf eine materielle oder lediglich auf eine formelle Wahrung der ſtaatlichen Selbſtändigkeit zurückzuführen iſt. Was man bisher über Aeußerungen einzelner Miniſter gehört hat, läßt fürchten, daß es ſich nur um eine formelle „Wahrung des Geſichtes“ handelt; es ſoll wohl nicht ausſehen, als nähme man in ſtaatlichen Angelegenheiten einfach Befehle des päpſtlichen Stuhles entgegen. — Sachlich liegen die Dinge ſo, daß die Wahr- mundſche Broſchüre ſich ohne weiteres als „häretiſch“ charak- teriſiert; darüber kann man nicht ſtreiten, und das wird auch Profeſſor Wahrmund ſelber nicht leugnen. Aber Wahrmund iſt nicht Prieſter, iſt nicht Mitglied einer theologiſchen Fakultät, ſondern er iſt Juriſt und als Lehrer des kanoniſchen Rechts Mitglied der juriſtiſchen Fakultät. Die Dinge, die man ihm vorwirft, fallen nun, ſoviel wir ſehen, keineswegs ins kirchenrechtliche Gewicht, berühren alſo an und für ſich die Lehrtätigkeit Profeſſor Wahrmunds nicht. Aber man kann es verſtehen und es iſt vielleicht vom kirchlichen Standpunkt aus notwendig, daß den Theologieſtudierenden der Beſuch der Wahrmundſchen Vorleſungen verboten werde. Geradezu ungeheuerlich aber mutet es an, daß im 20. Jahrhundert eine kirchliche Inſtanz die Entfernung eines weltlichen Lehrers aus einer weltlichen Fakultät ſollte verlangen und durchſetzen können. Wenn die Innsbrucker Univerſitätsverfaſſung nicht ganz beſondere Eigentümlichkeiten hat, wäre eine ſolche Entfernung nur dann zuläſſig, wenn Profeſſor Wahrmund ſich eines Verhaltens ſchuldig gemacht hätte, das ihn zum Univerſitätslehrer überhaupt nicht mehr qualifiziert er- ſcheinen läßt. Dieſe Sache aber iſt „adhuc sub judice“ und deſſen Entſcheidung wird man von allen Dingen abzu- warten haben. Uns gefällt der Ton der Wahrmundſchen Broſchüre nicht durchweg. Ein Hochſchullehrer könnte und ſollte gewiſſe Dinge unzweifelhaft anders behandeln, als Wahrmund ſie behandelt. Aber wenn er u. a. ſchreibt: „daß Jungfrauen keine Kinder gebären, können wir ruhig behaupten“, ſo iſt das wohl eine ſaloppe und unzarte Be- handlung eines Gegenſtandes, der vielen heilig iſt, aber eine Verſpottung oder gar gemeine Verſpot- tung der Gottesmutter, wie die Augsburger Poſt- zeitung behauptet, iſt es für vernünftige Leute nicht. p. Innsbruck, 17. März. (Privattelegramm.) Ein führendes Mitglied der Parteileitung der Deutſchnationalen Partei für Tirol äußerte ſich heute über die ſonntägige klerikale Proteſtverſamm- lung wie folgt: Der Verlauf der Verſammlung hat die frühere Anſicht beſtätigt, daß es ſich nicht um eine Kundgebung des ver- letzten religiöſen Gefühls handelte, ſondern um einen Vorſtoß der Klerikalen, insbeſondere der Altklerikalen (Konſervativen), deſſen Führung die Chriſtlichſozialen nur gezwungen vornahmen. Inſpirator der ganzen Bewegung iſt der Innsbrucker Stadt- pfarrer Propſt Rauch, von dem ſeit längerer Zeit bekannt iſt, daß er in altklerikalen Kreiſen gegen den Statthalter Frhrn. v. Spiegel feld agitiert, da dieſer ſich der klerikalen Clique gegenüber ſowohl amtlich als auch geſellſchaftlich unab- hängiger gezeigt hat, als dies bei den früheren klerikalen Statt- haltern der Fall war. Aus den Reden und der ſchließlich be- ſchloſſenen Reſolution geht übrigens auch klar und deutlich her- vor, daß ſich die Tendenz der ganzen Aktion zu ſehr großem Teil gegen dieſe Stelle richtet. Der Hauptredner, Religionsprofeſſor Müller, leitete eine Rede mit dem Hinweis auf die Szene zwiſchen Chriſtus und dem römiſchen Statthalter ein, was für alle Eingeweihten auch dann eine ſehr verſtändliche Anſpielung geweſen wäre, wenn ſie durch die weiteren Ausführungen nicht noch mehr erläutert worden wäre. In deutſchfreiheitlichen Kreiſen mißt man daher der ganzen Verſammlung auch keine große Bedeutung bei, da ſie nur den Verſuch einer ab- getanen Clique bedeutet, ſich unter der Vorſpiegelung einer religiöſen Bewegung wieder in die Höhe zu bringen. Man legt Wert darauf, feſtzuſtellen, daß die Ent- rüſtungskomödie, die erſt volle acht Wochen nach der bekannten Rede Wahrmunds in Szene geſetzt wurde, durch- aus nicht religiöſen Motiven entſpringt, und daß die deutſch- freiheitliche Bevölkerung Innsbrucks durch derartige Intrigen ſich nicht verleiten laſſen wird, den politiſchen Kampf gegen die klerikale Partei auf das religiöſe Gebiet hinüberzuſpielen, wo- durch den Anſtiftern der ganzen Aktion nur ein Gefallen erwieſen würd

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-01-12T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 131, 19. März 1908, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine131_1908/1>, abgerufen am 21.11.2024.