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Allgemeine Zeitung, Nr. 137, 23. März 1908.

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Der Sonntag
[Spaltenumbruch]
Gedichte.
Abendandacht.
Ich weil' so gern, zu meiner Seele Feier,
In abendlichen Kirchen, grau und alt.
Wenn duft'gen Rauchwerks blauer Nebelschleier
Nur wie ein Hauch noch um die Säulen wallt.
Wenn in den Nischen all die staub'gen, fahlen
Holzheiligen mit ernsten Mienen steh'n,
Und just die letzten, müden Sonnenstrahlen
Noch durch die bunten, spitzen Fenster seh'n.
Schwül weht ein Duft von Kerzen, Blumen, Kränzen,
Von Prunkgeräten, seid'nen Meßgewändern,
Es flammt geheimnisvolles dunkles Glänzen
Von Edelsteinen, golddurchstickten Bändern.
Und mit den Schatten, die sich vorwärts drängen,
Hebt an ein Flüstern in den heil'gen Räumen:
Die Schemen von verklungenen Gesängen.
Von Psalmen, Seufzern und von stillen Träumen.
Und endlich naht das weltentrückte Schweigen,
Die Dinge lösend, die noch Raum und Zeit.
Die Welt versinkt -- aus sel'ger Geister Reigen
Lausch' ich dem Sphärenklang der Ewigkeit.
Wir sollen Kindern gleich durchs Leben gehn ....
Wir sollen Kindern gleich durchs Leben gehn
Mit starkem Glauben und mit frohem Hoffen!
Wir sollen aufwärts nach den Sternen sehn --
Und dennoch fest auf dieser Erde stehn,
Das Auge sonnig und die Seele offen!
Nicht grübeln sollen wir und mühvoll sinnen
Der letzten Rätsel Gründe zu erspüren,
All unser Leben sei ein heilig Minnen,
Dann gibt es mehr als Welten zu gewinnen,
Und Liebe nur kann uns zur Lösung führen.


Zwei Beethoven-Briefe.

Die hier abgedruckten Briefe stammen aus der Auto-
graphensammlung des Herrn Fritz Donebauer in Prag,
die vom 6. bis 8. April in Berlin durch die Firma J. A.
Stargardt versteigert werden wird.

Der erste der beiden, vier volle Seiten Quart lang, ist
an den Prager Advokaten Dr. Johann Nepomuk Kanka
gerichtet. Er ist einer der schönsten aus der bisher bekannt
gewordenen Suite der Briefe an Kanka und führt uns
mitten in eine der peinlichsten Affären im Leben des
Meisters. Wir wissen, daß Beethoven von Erzherzog Ru-
dolf, dem nachmaligen Erzbischof von Olmütz, und den
Fürsten Kinsky und Lobkowitz ein Jahresgehalt von 4000
Gulden in Bankozetteln ausgesetzt erhielt, damit er dem
Rufe des Königs Jerome von Westphalen nicht folge und
in Wien bleibe. Fürst Lobkowitz steuerte 700 Gulden bei,
Erzherzog Rudolf 1500 und Fürst Kinsky 1800 Gulden.
Durch das berüchtigte Finanzpatent vom 20. Februar 1811,
das die verkrachten österreichischen Finanzen sanieren
sollte, sank Beethovens Rente vom ursprünglichen Betrag
[Spaltenumbruch] auf 1612.9 Gulden. Aber sie erlitt noch weitere bedeutende
Schmälerungen. Da das Vermögen des Fürsten Lobkowitz
infolge des allgemeinen Krachs einem Kurator unterstellt
werden mußte, dem Fürsten somit die freie Verfügung über
seine ehemals bedeutenden Reichtümer entzogen wurde,
entfiel vom September 1811 angefangen der auf den Für-
sten Lobkowitz entfallende Teil der Rente. Es kam noch
viel schlimmer. Im November 1812 starb der edle Fürst
Kinsky unvermutet an den Folgen eines Sturzes vom
Pferde und seine Erben weigerten sich, die Rente weiterhin
auszuzahlen. Beethoven sah sich, so sehr ihm dies auch
widerstrebte, gezwungen, zur Geltendmachung seines Rechts
den Klageweg zu betreten. Der Advokat, der diese unleidige
Geschichte einem glücklichen Ende zuführte, war der scharf-
sinnige Jurist und warme Kunstfreund Johann Nepomuk
Kanka, der sich mit wahrem Feuereifer der Sache seines
von ihm persönlich aufs höchste geschätzten Klienten annahm
und im Januar 1815 einen Bescheid des Prager Landrechts
erzielte, demzufolge die Kinskyschen Erben statt der zuge-
sicherten 1800 Gulden Beethoven 1200 Gulden Wiener
Währung zu zahlen hatten. Ehe es aber so weit kam,
mußte noch viel Tinte fließen. Einer der zwischen Prag
und Wien bezw. Baden gewechselten Briefe ist der nach-
stehende:


Mein allerliebster
Freundlicher K!

Da ich auf gut glük an sie geschrieben, ohne ihre rechte
wohnung zu wißen, da ich ihnen ebenfalls so den Klavier-
auszug des Fidelio
geschickt, so wünsche ich zu wissen, ob
sie sowohl den Brief als den Klavierauszug er-
halten hab(en)
-- wie ich seufze, endlich (1) die Kinskische
Sache zu einem baldigen und guten Ende gebracht zusehn, das
ist wohl leicht zu schließen -- haben sie mit dr. wolf*) gesprochen,
brauchen sie die papiere, die dazu gehören, oder hat sie auch
dr. wolf noch alle etc etc etc -- ich bitte -- ich beschwöre sie --
ich falle ihnen zu ihren Füßen, in ihre Arme, (2) um ihren
Hals -- ich weiß nicht was ich alles thun werde und nicht thun
werde, (ein Wort unleserlich) überfließen wieder im Erguß
des sprechens etc etc etc endigen sie, fangen sie an, und endigen
sie wieder -- endlich ganz -- damit man sagen könne Finis
-- Ende -- das Ende -- ein werk von mir liegt
bereit, sobald sie ihr werk vollbracht haben,
um ihnen gewidmet (3) zu werden, und meine
Hochachtung zu bezeigen
-- soll ich selbst nach Prag
kommen, um so vieleicht der sache einen geschwindern ausschlag
zu geben? -- was glauben sie? ja ja, ich komme, wenn sie
wollen -- ist es aber nicht hauptsächlich nöthig, so mögte ich
lieber bis zum Frühjahr warten --

wenn ich wirklich so
unglücklich bin, daß sie ganz und gar nichts auf mich halten,
so halten sie wenigstens desto mehr auf die angelegenheit
ihres
leidenden
Freundes
ludwig van Beethoven

Der zweite Brief, an den Bruder Johann van Beet-
hoven, Gutsbesitzer in Gneixendorf (bei Krems) gerichtet,
dürfte aus dem Jahre 1823 stammen, also aus jenem Jahre,
da Beethoven die fertig gewordene Missa solemnis an
verschiedene Fürsten Europas zum Zwecke der Subskription
einsandte. Bemerkenswert ist in diesem Briefe der gegen
den knickerigen Bruder Johann angeschlagene Ton grim-
men Humors.


Bester!

Komt -- wegen den Bagatellen sie sind bereit die antwort
wegen der Meße von draußen ist schon längst da. Es ist mir
unlieb, daß -- man die Gnade der juden erwirken soll -- Lebt
wohl Kommt. Es ist über vieles zu sprechen u. Verstand habt
ihr -- im Sack -- lebt wohl Herr Bruder!!!!!!

Der Euriche
treuer Brudere
ludwig
(Am Rande): Venez d'abord il'y a des affaire d'une grande
importance.
[Spaltenumbruch]
Dißiplin im Theater.

Je stärker sich das Sonderbewußtsein des einzelnen
Schauspielers herausgebildet hat, desto widerstrebender
beugt er den Nacken unter das Joch der Dißiplin.

Die Bühnendißiplin hat ihren Ursprung in der Tradi-
tion und in der Pietät; kein Wunder also, daß in unserer
pietätlosen, wenn nicht pietätfeindlichen Zeit die Dißiplin
nachläßt.

Als die Schauspieler noch "Freudenspieler" hießen und
anderen, vor allem aber sich selbst zur Freude spielten, da
war es wirklich nur reine Kunstbegeisterung, die sie aus
ihren bürgerlichen Verhältnissen heraustrieb, und der
lockende Reiz eines Namens, der sie in den bunten Kreis des
Freuden- und Trauerspiels zog. Die Isoliertheit, die die
Folge ihrer außerbürgerlichen Stellung war, wies sie inner-
halb ihres Kreises ausschließlich aufeinander an. Sie bilde-
ten ein kleines Reich für sich mit eigenen Gesetzen. Der
Direktor der Truppe war Gesetzgeber und Richter in einer
Person -- seine Macht war unumschränkt; man konnte sich
ihr nur durch Flucht, niemals aber durch Insubordination
entziehen. Und die Flucht war beschwerlich bei den großen
Entfernungen, die die Einzel-Wandertruppen und später
auch die ständigen Theater voneinander schieden. Diese
letzteren -- das erste ständige deutsche Theater wurde in
Wien im Jahre 1708 eröffnet -- schufen auch erst eine ge-
wisse Rangordnung im Kreise der Schauspieler selbst. Je
länger ein Schauspieler sich in der Gunst des Publikums
hielt, eine desto größere Respektsperson wurde er. Die
jüngeren Kräfte wagten es nicht, mit bedecktem Haupt vor
ihm zu stehen, ein Urteil vor ihm zu fällen oder gar sich
eine selbst beifällige Meinung über das Spiel des Betref-
fenden zu erlauben. Das Privilegium des Direktors doku-
mentierte sich nach außen hin durch das Tragen einer schar-
lachroten, goldgestickten Weste, der sogenannten "Permis-
sionsweste", die ersten Mitglieder trugen Degen und seidene
Gewänder, wenn sie ausgingen, während die jüngeren erst
um die Erlaubnis nachsuchen mußten, ein seidenes Gewand
anlegen zu dürfen. So wurde die Dißiplin schon rein äußer-
lich festgehalten. Die Ständigkeit der Truppe zwang den
Direktor auch, auf eine Wohlanständigkeit seiner Mitglieder
in seinem eigenen Interesse zu achten, so daß nicht nur künst-
lerische, sondern auch rein menschliche Abhängigkeit die
Folge war.

Je mehr sich der Schauspieler mit dem Bürgertum
amalgamierte, desto stärker entwickelte sich sein persönliches
Verantwortlichkeitsgefühl, desto größer wurde seine Selb-
ständigkeit. Und doch ist die Bestimmung mancher Theater-
Hausordnungen heutigentags, in der dem Mitgliede unter
Androhung sofortiger Entlassung verboten ist, sich in der
Oeffentlichkeit so zu benehmen, daß er dadurch den Stand
des Schauspielers herabsetzt, noch auf jene Zeit zurückzufüh-
ren, wo der Theaterdirektor als echter Pater familias und
nach dem Lutherschen Rezept "mit dem Apfel in der einen,
der Rute in der anderen Hand" über seine Künstlerschar
regierte.

Im allgemeinen kennt der Schauspieler von heute nur
eine Dißiplin und zwar die vor dem Publikum. Das Gleich-
heitsprinzip hat die "Permissionsweste" längst zum alten
Trödel geworfen. Der junge Schauspieler, oft zehnmal
besser angezogen als sein Direktor, sieht in diesem nur den
Feind und Unterdrücker, und mit dem Bewußtsein seines
persönlichen Wertes steigt die Geringschätzung für den, der
diesen Wert am meisten anerkennt und in Zahlen ausdrückt.
Das Starsystem hat der Dißiplin den Todesstoß versetzt.
Gehört der Schauspieler zu den halbwegs bekannten, so for-
dert er strenger als der Direktor eine Dißiplin, über die er
selbst sich im selben Augenblick hinwegsetzt. Es "starelt" sich
so gut nach "berühmten" Mustern.

Wenn das Bildungsniveau des Schauspielers heute im
Durchschnitt auch weit höher ist als es noch vor 50 Jahren
gewesen sein mag, so hat sich doch die Nervosität in dem-
selben Maß entwickelt. Heutzutage ist ja das ganze Spiel
mehr auf Nerven als auf wahre Empfindung gestellt. Be-
geisterung, Idealismus trifft man nur noch selten, an ihre

[Spaltenumbruch]
Pariser Modebrief.

Märzsonne und Märzschauer bekämpfen einander mit
unermüdlichem Eifer und erhalten uns in beständigem
Schwanken zwischen Hoffnung und Verzagen, daß der Früh-
ling nahe sei. Leider haben Regen, Schnee und Hagel mei-
stens noch das Uebergewicht und warnen vor verfrühtem
Wegpacken der Pelze und dem Hervorholen der Sonnen-
schirme. Aber der Wind hat nicht mehr die rauhen Winter-
klänge, Fliederbäumchen und Sträucher fangen an zu
knospen und sich mit einem zarten grünen Schimmer zu um-
weben. Das ist genug, damit wir ernstlich an die Frage
der Frühlingstoilette herantreten und uns nach dem um-
schauen, was die Mode Frisches und Fröhliches zu unserer
Zierde sich ausgedacht hat.

Wie verführerisch sehen nicht die Schaufenster der Putz-
macherinnen aus! Ebenso verlockend wie die der Deli-
katessenhändler, wo um diese Zeit die Erstlingsfrüchte der
Treibhäuser erscheinen, große, etwas blasse Erdbeeren und
glänzende Kirschen, die schöner anzusehen als zu essen sind.
Die, welche zwischen Tüll und Samt auf den Hüten prangen,
glänzen in noch kräftigerem Rot und erreichen eine Größe,
wie sie das bestüberwachte Treibhaus kaum hervorzubringen
vermag. Ihnen können sich in der Farbenglut höchstens rote
Geranien an die Seite stellen, die eben von den Stöcken ge-
schnitten und auf die Hutformen gelegt worden sein könn-
ten, so frisch sind sie und so täuschend ähnlich sehen sie mit
ihren weichen Blättern der natürlichen Pflanze. Sie bilden
nur einen Ton in der Symphonie von Rot, welche die Mo-
distinnen in ihren neuesten Schöpfungen angestimmt haben.
Die anderen gehen vom matten Altrosa über leuchtendes
Karmin bis zu einem warmen dunklen Rosenrot, und die
Kunst in ihrer Anwendung besteht hauptsächlich darin, sie
mit verschiedenen Schattierungen von Grau und Braun in
Harmonie zu bringen. Diese Zusammenstellungen sind eine
Neuheit der Mode und erfordern einen sicheren Farbensinn,
um Härten zu vermeiden, aber z. B. geben einige Lagen
kirschroten Tüll, von dunkelblondem verschleiert, für einen
braunen oder einen roten Hut derselben Nuance eine Gar-
nitur im besten Geschmack ab. Wir, die wir die Hüte nur
[Spaltenumbruch] auf ihre Kleidsamkeit zu prüfen brauchen, ahnen gewöhn-
lich nicht, wieviel Kopfzerbrechen, ja vielleicht heiße Tränen
solch ein leichter -- Kopfputz seiner Verfertigerin gekostet
hat. Denn zur Schöpfung eines neuen Hutmodells bedarf
es ebensogut der Eingebung wie zur Schaffung eines ande-
ren Kunstwerkes, und bei der Putzmacherin wie beim Dich-
ter soll sie manchmal ausbleiben. Deren Tagesaufgabe be-
steht aber im Ausdenken von ein oder zwei Modesensatio-
nen, und es kann sie ihre Stellung kosten, wenn Federn,
Band und Blumen sich unter ihren Fingern nicht immer
willig zu etwas Reizendem gestalten. Erst dieser Tage
lasen wir von einer jungen Modistin, welche sich in die
Seine warf, weil sie eine zweitägige Hutschöpfungsprobe
nicht bestanden hatte. Sie wurde aber noch rechtzeitig
wieder herausgefischt, und es ist nicht unmöglich, daß man
dereinst mit Bewunderung von ihren Modellen spricht und
dabei mit Rührung ihres verzweifelten Entschlusses gedenkt.
Es ist aber zu hoffen, daß nicht alle Hüte eine tragische
Vorgeschichte haben, sonst müßte man ja aus reiner Men-
schenfreundlichkeit darauf verzichten, sie zu tragen.

Wegen ihrer wunderlichen Formen tut man es jeden-
falls nicht, was für eine Unbequemlichkeit man sich damit
auch auferlegen mag. Dehnten die Hüte sich bis jetzt in
der Runde aus, so streben sie nunmehr in die Höhe und
nehmen in ihrer Randlosigkeit beinahe die Gestalt einer
Granate oder eines oben schön gewölbten Zuckerhutes an.
Einige schmale Samtröllchen oder ein lose um den Kopf ge-
schlungenes Band mit einem Federstutz an der Seite sind
alles, was diese Hüte neuesten Genres als Garnitur er-
halten. Sie werden den kleinen Frauen gefallen, die so
auf leichte Art ihrer Kürze einige Zoll hinzufügen können,
aber die stattlichen Erscheinungen täten wohl daran, diese
Mode nicht mitzumachen, denn sie würde ihnen keinerlei
Grazie verleihen. Sie sollten lieber eine andere, ebenfalls
hochmoderne Form wählen, die ein wenig einer hohen,
umgestülpten Kasserolle gleicht, der man den Stiel abge-
schnitten hätte und der zu beiden Seiten eine Atlas- oder
Tüllrosette angesteckt wird, von denen ein nach hinten zu-
rückgeworfener Schleier herabhängt. Auch der turbanähn-
liche Kopfputz der Marie Antoinette mit dem ziemlich
flachen barettartigen Fond und dem voll drapierten Rande
[Spaltenumbruch] taucht auf, aber im allgemeinen neigen die Frühjahrsmoden
doch mehr zum Direktoire-Stile hin.

Dies ist besonders bei den Kostümen der Fall, denen
damit der Charakter des praktischen Straßenkleides abgeht.
Denn die hohen Stulpenaufschläge, die schalartig geschnit-
tenen Kragen, die reich verzierten, bunten Westen und gar
erst die frack- oder elsterschwanzähnlichen Schöße der Jacken
durch die sie gekennzeichnet sind, lassen sie mehr zum Para-
dieren als zum nützlichen Gebrauche geeignet erscheinen.
Das einfache Schneiderkleid bleibt daneben wie bisher be-
stehen. Nur wird man weniger Boleros sehen, die den halb-
langen anschließenden Jacken weichen müssen. Als Besatz
gibt man ihnen Borten und Passementerien, die je nach
der Gebrauchsbestimmung des Kostüms mehr oder weniger
reich aufgesetzt werden können. Die Wahl der Knöpfe
allein vermag schon dem Kleide den Stempel der Eleganz
aufzudrücken, ohne daß es vieler Raffiniertheit im Schnitt
und in der Garnierung bedarf. Was nun die Stoffe an-
betrifft, so hält man es beim alltäglichen Kostüm mit Che-
viot und leichtem Tuch, die gewöhnlich karierte Muster
aufweisen. Auf den ersten Blick sehen diese oft wie gestreift
aus, da sie meistens aus Karos der gleichen Grundfarbe,
wenn auch in verschiedenen Schattierungen zusammengesetzt
sind, wobei die dunklere Reihe sich von dem helleren Fond
wie eine Linie abhebt. Zu einem derartig gemusterten
Stoffe paßt nur eine schlichte Fasson und ebenso gehört
ein nicht zu auffälliger Hut dazu, der dreispitzige kleine
Marquis z. B., der besonders auf Spaziergängen und Be-
sorgungstouren zu empfehlen ist, oder die Toque aus grobem
Stroh, die sich immer ihren bescheidenen Platz neben allen
Modeneuheiten wahrt und nur in der Garnitur verrät,
daß sie mit diesen Schritt hält. Uebrigens gibt man im
allgemeinen dem feinen Stroh den Vorzug und hinsichtlich
der Farben hat man die Wahl zwischen einem kräftigen
Nattier-Blau, Altrose, Moosgrün, Goldbraun und Tauben-
grau. Die Krempen werden vielfach mit einem anders-
farbigen Stroh als dem des Hutes abgefüttert, wobei ganz
besonders auf Teint und Haarfarbe geachtet werden sollte.

Wie schon gesagt, zeigt sich auch in den Stoffen eine
große Vorliebe für Gemustertes und dies nicht allein in
denen der Schneiderkostüme, sondern auch bei eleganteren

1) Eine Probe aus dem soeben im Verlage der G. Müller-
Mannschen Verlagsbuchhandlung in Leipzig erschienenen "Vers-
buch: Auf den Zinnen der Zeit" von Ferdinand
Frhrn. v. Paungarten,
einer Sammlung von etwa einem
Halbhundert Gedichten, die sich zum großen Teil durch einen edlen
Schwung der Gedanken, tiefes Empfinden und einen gewissen
pantheistisch-mystischen Zug auszeichnen. Der Verfasser ist u. a.
der Dichter des anläßlich der Jahrhundertfeier Adalbert Stifters
bei der Enthüllung seines Denkmals in Oberplan vorgetragenen
trefflichen Gedichtes "Den Manen Adalbert Stifters".
1) Aus dem in einigen Tagen erscheinenden neuesten Hefte
der Neuen Revue (herausgegeben von Dr. Joseph Adolf
Bondy und Dr. Fritz Wolff, Verlag der Neuen Revue in
Berlin).
*) Beethovens früherer Sachwalter.
Der Sonntag
[Spaltenumbruch]
Gedichte.
Abendandacht.
Ich weil’ ſo gern, zu meiner Seele Feier,
In abendlichen Kirchen, grau und alt.
Wenn duft’gen Rauchwerks blauer Nebelſchleier
Nur wie ein Hauch noch um die Säulen wallt.
Wenn in den Niſchen all die ſtaub’gen, fahlen
Holzheiligen mit ernſten Mienen ſteh’n,
Und juſt die letzten, müden Sonnenſtrahlen
Noch durch die bunten, ſpitzen Fenſter ſeh’n.
Schwül weht ein Duft von Kerzen, Blumen, Kränzen,
Von Prunkgeräten, ſeid’nen Meßgewändern,
Es flammt geheimnisvolles dunkles Glänzen
Von Edelſteinen, golddurchſtickten Bändern.
Und mit den Schatten, die ſich vorwärts drängen,
Hebt an ein Flüſtern in den heil’gen Räumen:
Die Schemen von verklungenen Geſängen.
Von Pſalmen, Seufzern und von ſtillen Träumen.
Und endlich naht das weltentrückte Schweigen,
Die Dinge löſend, die noch Raum und Zeit.
Die Welt verſinkt — aus ſel’ger Geiſter Reigen
Lauſch’ ich dem Sphärenklang der Ewigkeit.
Wir ſollen Kindern gleich durchs Leben gehn ....
Wir ſollen Kindern gleich durchs Leben gehn
Mit ſtarkem Glauben und mit frohem Hoffen!
Wir ſollen aufwärts nach den Sternen ſehn —
Und dennoch feſt auf dieſer Erde ſtehn,
Das Auge ſonnig und die Seele offen!
Nicht grübeln ſollen wir und mühvoll ſinnen
Der letzten Rätſel Gründe zu erſpüren,
All unſer Leben ſei ein heilig Minnen,
Dann gibt es mehr als Welten zu gewinnen,
Und Liebe nur kann uns zur Löſung führen.


Zwei Beethoven-Briefe.

Die hier abgedruckten Briefe ſtammen aus der Auto-
graphenſammlung des Herrn Fritz Donebauer in Prag,
die vom 6. bis 8. April in Berlin durch die Firma J. A.
Stargardt verſteigert werden wird.

Der erſte der beiden, vier volle Seiten Quart lang, iſt
an den Prager Advokaten Dr. Johann Nepomuk Kanka
gerichtet. Er iſt einer der ſchönſten aus der bisher bekannt
gewordenen Suite der Briefe an Kanka und führt uns
mitten in eine der peinlichſten Affären im Leben des
Meiſters. Wir wiſſen, daß Beethoven von Erzherzog Ru-
dolf, dem nachmaligen Erzbiſchof von Olmütz, und den
Fürſten Kinsky und Lobkowitz ein Jahresgehalt von 4000
Gulden in Bankozetteln ausgeſetzt erhielt, damit er dem
Rufe des Königs Jerome von Weſtphalen nicht folge und
in Wien bleibe. Fürſt Lobkowitz ſteuerte 700 Gulden bei,
Erzherzog Rudolf 1500 und Fürſt Kinsky 1800 Gulden.
Durch das berüchtigte Finanzpatent vom 20. Februar 1811,
das die verkrachten öſterreichiſchen Finanzen ſanieren
ſollte, ſank Beethovens Rente vom urſprünglichen Betrag
[Spaltenumbruch] auf 1612.9 Gulden. Aber ſie erlitt noch weitere bedeutende
Schmälerungen. Da das Vermögen des Fürſten Lobkowitz
infolge des allgemeinen Krachs einem Kurator unterſtellt
werden mußte, dem Fürſten ſomit die freie Verfügung über
ſeine ehemals bedeutenden Reichtümer entzogen wurde,
entfiel vom September 1811 angefangen der auf den Für-
ſten Lobkowitz entfallende Teil der Rente. Es kam noch
viel ſchlimmer. Im November 1812 ſtarb der edle Fürſt
Kinsky unvermutet an den Folgen eines Sturzes vom
Pferde und ſeine Erben weigerten ſich, die Rente weiterhin
auszuzahlen. Beethoven ſah ſich, ſo ſehr ihm dies auch
widerſtrebte, gezwungen, zur Geltendmachung ſeines Rechts
den Klageweg zu betreten. Der Advokat, der dieſe unleidige
Geſchichte einem glücklichen Ende zuführte, war der ſcharf-
ſinnige Juriſt und warme Kunſtfreund Johann Nepomuk
Kanka, der ſich mit wahrem Feuereifer der Sache ſeines
von ihm perſönlich aufs höchſte geſchätzten Klienten annahm
und im Januar 1815 einen Beſcheid des Prager Landrechts
erzielte, demzufolge die Kinskyſchen Erben ſtatt der zuge-
ſicherten 1800 Gulden Beethoven 1200 Gulden Wiener
Währung zu zahlen hatten. Ehe es aber ſo weit kam,
mußte noch viel Tinte fließen. Einer der zwiſchen Prag
und Wien bezw. Baden gewechſelten Briefe iſt der nach-
ſtehende:


Mein allerliebſter
Freundlicher K!

Da ich auf gut glük an ſie geſchrieben, ohne ihre rechte
wohnung zu wißen, da ich ihnen ebenfalls ſo den Klavier-
auszug des Fidelio
geſchickt, ſo wünſche ich zu wiſſen, ob
ſie ſowohl den Brief als den Klavierauszug er-
halten hab(en)
— wie ich ſeufze, endlich (1) die Kinskiſche
Sache zu einem baldigen und guten Ende gebracht zuſehn, das
iſt wohl leicht zu ſchließen — haben ſie mit dr. wolf*) geſprochen,
brauchen ſie die papiere, die dazu gehören, oder hat ſie auch
dr. wolf noch alle etc etc etc — ich bitte — ich beſchwöre ſie —
ich falle ihnen zu ihren Füßen, in ihre Arme, (2) um ihren
Hals — ich weiß nicht was ich alles thun werde und nicht thun
werde, (ein Wort unleſerlich) überfließen wieder im Erguß
des ſprechens etc etc etc endigen ſie, fangen ſie an, und endigen
ſie wieder — endlich ganz — damit man ſagen könne Finis
— Ende — das Ende — ein werk von mir liegt
bereit, ſobald ſie ihr werk vollbracht haben,
um ihnen gewidmet (3) zu werden, und meine
Hochachtung zu bezeigen
— ſoll ich ſelbſt nach Prag
kommen, um ſo vieleicht der ſache einen geſchwindern ausſchlag
zu geben? — was glauben ſie? ja ja, ich komme, wenn ſie
wollen — iſt es aber nicht hauptſächlich nöthig, ſo mögte ich
lieber bis zum Frühjahr warten —

wenn ich wirklich ſo
unglücklich bin, daß ſie ganz und gar nichts auf mich halten,
ſo halten ſie wenigſtens deſto mehr auf die angelegenheit
ihres
leidenden
Freundes
ludwig van Beethoven

Der zweite Brief, an den Bruder Johann van Beet-
hoven, Gutsbeſitzer in Gneixendorf (bei Krems) gerichtet,
dürfte aus dem Jahre 1823 ſtammen, alſo aus jenem Jahre,
da Beethoven die fertig gewordene Missa solemnis an
verſchiedene Fürſten Europas zum Zwecke der Subſkription
einſandte. Bemerkenswert iſt in dieſem Briefe der gegen
den knickerigen Bruder Johann angeſchlagene Ton grim-
men Humors.


Beſter!

Komt — wegen den Bagatellen ſie ſind bereit die antwort
wegen der Meße von draußen iſt ſchon längſt da. Es iſt mir
unlieb, daß — man die Gnade der juden erwirken ſoll — Lebt
wohl Kommt. Es iſt über vieles zu ſprechen u. Verſtand habt
ihr — im Sack — lebt wohl Herr Bruder!!!!!!

Der Euriche
treuer Brudere
ludwig
(Am Rande): Venez d’abord il’y a des affaire d’une grande
importance.
[Spaltenumbruch]
Diſziplin im Theater.

Je ſtärker ſich das Sonderbewußtſein des einzelnen
Schauſpielers herausgebildet hat, deſto widerſtrebender
beugt er den Nacken unter das Joch der Diſziplin.

Die Bühnendiſziplin hat ihren Urſprung in der Tradi-
tion und in der Pietät; kein Wunder alſo, daß in unſerer
pietätloſen, wenn nicht pietätfeindlichen Zeit die Diſziplin
nachläßt.

Als die Schauſpieler noch „Freudenſpieler“ hießen und
anderen, vor allem aber ſich ſelbſt zur Freude ſpielten, da
war es wirklich nur reine Kunſtbegeiſterung, die ſie aus
ihren bürgerlichen Verhältniſſen heraustrieb, und der
lockende Reiz eines Namens, der ſie in den bunten Kreis des
Freuden- und Trauerſpiels zog. Die Iſoliertheit, die die
Folge ihrer außerbürgerlichen Stellung war, wies ſie inner-
halb ihres Kreiſes ausſchließlich aufeinander an. Sie bilde-
ten ein kleines Reich für ſich mit eigenen Geſetzen. Der
Direktor der Truppe war Geſetzgeber und Richter in einer
Perſon — ſeine Macht war unumſchränkt; man konnte ſich
ihr nur durch Flucht, niemals aber durch Inſubordination
entziehen. Und die Flucht war beſchwerlich bei den großen
Entfernungen, die die Einzel-Wandertruppen und ſpäter
auch die ſtändigen Theater voneinander ſchieden. Dieſe
letzteren — das erſte ſtändige deutſche Theater wurde in
Wien im Jahre 1708 eröffnet — ſchufen auch erſt eine ge-
wiſſe Rangordnung im Kreiſe der Schauſpieler ſelbſt. Je
länger ein Schauſpieler ſich in der Gunſt des Publikums
hielt, eine deſto größere Reſpektsperſon wurde er. Die
jüngeren Kräfte wagten es nicht, mit bedecktem Haupt vor
ihm zu ſtehen, ein Urteil vor ihm zu fällen oder gar ſich
eine ſelbſt beifällige Meinung über das Spiel des Betref-
fenden zu erlauben. Das Privilegium des Direktors doku-
mentierte ſich nach außen hin durch das Tragen einer ſchar-
lachroten, goldgeſtickten Weſte, der ſogenannten „Permiſ-
ſionsweſte“, die erſten Mitglieder trugen Degen und ſeidene
Gewänder, wenn ſie ausgingen, während die jüngeren erſt
um die Erlaubnis nachſuchen mußten, ein ſeidenes Gewand
anlegen zu dürfen. So wurde die Diſziplin ſchon rein äußer-
lich feſtgehalten. Die Ständigkeit der Truppe zwang den
Direktor auch, auf eine Wohlanſtändigkeit ſeiner Mitglieder
in ſeinem eigenen Intereſſe zu achten, ſo daß nicht nur künſt-
leriſche, ſondern auch rein menſchliche Abhängigkeit die
Folge war.

Je mehr ſich der Schauſpieler mit dem Bürgertum
amalgamierte, deſto ſtärker entwickelte ſich ſein perſönliches
Verantwortlichkeitsgefühl, deſto größer wurde ſeine Selb-
ſtändigkeit. Und doch iſt die Beſtimmung mancher Theater-
Hausordnungen heutigentags, in der dem Mitgliede unter
Androhung ſofortiger Entlaſſung verboten iſt, ſich in der
Oeffentlichkeit ſo zu benehmen, daß er dadurch den Stand
des Schauſpielers herabſetzt, noch auf jene Zeit zurückzufüh-
ren, wo der Theaterdirektor als echter Pater familias und
nach dem Lutherſchen Rezept „mit dem Apfel in der einen,
der Rute in der anderen Hand“ über ſeine Künſtlerſchar
regierte.

Im allgemeinen kennt der Schauſpieler von heute nur
eine Diſziplin und zwar die vor dem Publikum. Das Gleich-
heitsprinzip hat die „Permiſſionsweſte“ längſt zum alten
Trödel geworfen. Der junge Schauſpieler, oft zehnmal
beſſer angezogen als ſein Direktor, ſieht in dieſem nur den
Feind und Unterdrücker, und mit dem Bewußtſein ſeines
perſönlichen Wertes ſteigt die Geringſchätzung für den, der
dieſen Wert am meiſten anerkennt und in Zahlen ausdrückt.
Das Starſyſtem hat der Diſziplin den Todesſtoß verſetzt.
Gehört der Schauſpieler zu den halbwegs bekannten, ſo for-
dert er ſtrenger als der Direktor eine Diſziplin, über die er
ſelbſt ſich im ſelben Augenblick hinwegſetzt. Es „ſtarelt“ ſich
ſo gut nach „berühmten“ Muſtern.

Wenn das Bildungsniveau des Schauſpielers heute im
Durchſchnitt auch weit höher iſt als es noch vor 50 Jahren
geweſen ſein mag, ſo hat ſich doch die Nervoſität in dem-
ſelben Maß entwickelt. Heutzutage iſt ja das ganze Spiel
mehr auf Nerven als auf wahre Empfindung geſtellt. Be-
geiſterung, Idealismus trifft man nur noch ſelten, an ihre

[Spaltenumbruch]
Pariſer Modebrief.

Märzſonne und Märzſchauer bekämpfen einander mit
unermüdlichem Eifer und erhalten uns in beſtändigem
Schwanken zwiſchen Hoffnung und Verzagen, daß der Früh-
ling nahe ſei. Leider haben Regen, Schnee und Hagel mei-
ſtens noch das Uebergewicht und warnen vor verfrühtem
Wegpacken der Pelze und dem Hervorholen der Sonnen-
ſchirme. Aber der Wind hat nicht mehr die rauhen Winter-
klänge, Fliederbäumchen und Sträucher fangen an zu
knoſpen und ſich mit einem zarten grünen Schimmer zu um-
weben. Das iſt genug, damit wir ernſtlich an die Frage
der Frühlingstoilette herantreten und uns nach dem um-
ſchauen, was die Mode Friſches und Fröhliches zu unſerer
Zierde ſich ausgedacht hat.

Wie verführeriſch ſehen nicht die Schaufenſter der Putz-
macherinnen aus! Ebenſo verlockend wie die der Deli-
kateſſenhändler, wo um dieſe Zeit die Erſtlingsfrüchte der
Treibhäuſer erſcheinen, große, etwas blaſſe Erdbeeren und
glänzende Kirſchen, die ſchöner anzuſehen als zu eſſen ſind.
Die, welche zwiſchen Tüll und Samt auf den Hüten prangen,
glänzen in noch kräftigerem Rot und erreichen eine Größe,
wie ſie das beſtüberwachte Treibhaus kaum hervorzubringen
vermag. Ihnen können ſich in der Farbenglut höchſtens rote
Geranien an die Seite ſtellen, die eben von den Stöcken ge-
ſchnitten und auf die Hutformen gelegt worden ſein könn-
ten, ſo friſch ſind ſie und ſo täuſchend ähnlich ſehen ſie mit
ihren weichen Blättern der natürlichen Pflanze. Sie bilden
nur einen Ton in der Symphonie von Rot, welche die Mo-
diſtinnen in ihren neueſten Schöpfungen angeſtimmt haben.
Die anderen gehen vom matten Altroſa über leuchtendes
Karmin bis zu einem warmen dunklen Roſenrot, und die
Kunſt in ihrer Anwendung beſteht hauptſächlich darin, ſie
mit verſchiedenen Schattierungen von Grau und Braun in
Harmonie zu bringen. Dieſe Zuſammenſtellungen ſind eine
Neuheit der Mode und erfordern einen ſicheren Farbenſinn,
um Härten zu vermeiden, aber z. B. geben einige Lagen
kirſchroten Tüll, von dunkelblondem verſchleiert, für einen
braunen oder einen roten Hut derſelben Nuance eine Gar-
nitur im beſten Geſchmack ab. Wir, die wir die Hüte nur
[Spaltenumbruch] auf ihre Kleidſamkeit zu prüfen brauchen, ahnen gewöhn-
lich nicht, wieviel Kopfzerbrechen, ja vielleicht heiße Tränen
ſolch ein leichter — Kopfputz ſeiner Verfertigerin gekoſtet
hat. Denn zur Schöpfung eines neuen Hutmodells bedarf
es ebenſogut der Eingebung wie zur Schaffung eines ande-
ren Kunſtwerkes, und bei der Putzmacherin wie beim Dich-
ter ſoll ſie manchmal ausbleiben. Deren Tagesaufgabe be-
ſteht aber im Ausdenken von ein oder zwei Modeſenſatio-
nen, und es kann ſie ihre Stellung koſten, wenn Federn,
Band und Blumen ſich unter ihren Fingern nicht immer
willig zu etwas Reizendem geſtalten. Erſt dieſer Tage
laſen wir von einer jungen Modiſtin, welche ſich in die
Seine warf, weil ſie eine zweitägige Hutſchöpfungsprobe
nicht beſtanden hatte. Sie wurde aber noch rechtzeitig
wieder herausgefiſcht, und es iſt nicht unmöglich, daß man
dereinſt mit Bewunderung von ihren Modellen ſpricht und
dabei mit Rührung ihres verzweifelten Entſchluſſes gedenkt.
Es iſt aber zu hoffen, daß nicht alle Hüte eine tragiſche
Vorgeſchichte haben, ſonſt müßte man ja aus reiner Men-
ſchenfreundlichkeit darauf verzichten, ſie zu tragen.

Wegen ihrer wunderlichen Formen tut man es jeden-
falls nicht, was für eine Unbequemlichkeit man ſich damit
auch auferlegen mag. Dehnten die Hüte ſich bis jetzt in
der Runde aus, ſo ſtreben ſie nunmehr in die Höhe und
nehmen in ihrer Randloſigkeit beinahe die Geſtalt einer
Granate oder eines oben ſchön gewölbten Zuckerhutes an.
Einige ſchmale Samtröllchen oder ein loſe um den Kopf ge-
ſchlungenes Band mit einem Federſtutz an der Seite ſind
alles, was dieſe Hüte neueſten Genres als Garnitur er-
halten. Sie werden den kleinen Frauen gefallen, die ſo
auf leichte Art ihrer Kürze einige Zoll hinzufügen können,
aber die ſtattlichen Erſcheinungen täten wohl daran, dieſe
Mode nicht mitzumachen, denn ſie würde ihnen keinerlei
Grazie verleihen. Sie ſollten lieber eine andere, ebenfalls
hochmoderne Form wählen, die ein wenig einer hohen,
umgeſtülpten Kaſſerolle gleicht, der man den Stiel abge-
ſchnitten hätte und der zu beiden Seiten eine Atlas- oder
Tüllroſette angeſteckt wird, von denen ein nach hinten zu-
rückgeworfener Schleier herabhängt. Auch der turbanähn-
liche Kopfputz der Marie Antoinette mit dem ziemlich
flachen barettartigen Fond und dem voll drapierten Rande
[Spaltenumbruch] taucht auf, aber im allgemeinen neigen die Frühjahrsmoden
doch mehr zum Direktoire-Stile hin.

Dies iſt beſonders bei den Koſtümen der Fall, denen
damit der Charakter des praktiſchen Straßenkleides abgeht.
Denn die hohen Stulpenaufſchläge, die ſchalartig geſchnit-
tenen Kragen, die reich verzierten, bunten Weſten und gar
erſt die frack- oder elſterſchwanzähnlichen Schöße der Jacken
durch die ſie gekennzeichnet ſind, laſſen ſie mehr zum Para-
dieren als zum nützlichen Gebrauche geeignet erſcheinen.
Das einfache Schneiderkleid bleibt daneben wie bisher be-
ſtehen. Nur wird man weniger Boleros ſehen, die den halb-
langen anſchließenden Jacken weichen müſſen. Als Beſatz
gibt man ihnen Borten und Paſſementerien, die je nach
der Gebrauchsbeſtimmung des Koſtüms mehr oder weniger
reich aufgeſetzt werden können. Die Wahl der Knöpfe
allein vermag ſchon dem Kleide den Stempel der Eleganz
aufzudrücken, ohne daß es vieler Raffiniertheit im Schnitt
und in der Garnierung bedarf. Was nun die Stoffe an-
betrifft, ſo hält man es beim alltäglichen Koſtüm mit Che-
viot und leichtem Tuch, die gewöhnlich karierte Muſter
aufweiſen. Auf den erſten Blick ſehen dieſe oft wie geſtreift
aus, da ſie meiſtens aus Karos der gleichen Grundfarbe,
wenn auch in verſchiedenen Schattierungen zuſammengeſetzt
ſind, wobei die dunklere Reihe ſich von dem helleren Fond
wie eine Linie abhebt. Zu einem derartig gemuſterten
Stoffe paßt nur eine ſchlichte Faſſon und ebenſo gehört
ein nicht zu auffälliger Hut dazu, der dreiſpitzige kleine
Marquis z. B., der beſonders auf Spaziergängen und Be-
ſorgungstouren zu empfehlen iſt, oder die Toque aus grobem
Stroh, die ſich immer ihren beſcheidenen Platz neben allen
Modeneuheiten wahrt und nur in der Garnitur verrät,
daß ſie mit dieſen Schritt hält. Uebrigens gibt man im
allgemeinen dem feinen Stroh den Vorzug und hinſichtlich
der Farben hat man die Wahl zwiſchen einem kräftigen
Nattier-Blau, Altroſe, Moosgrün, Goldbraun und Tauben-
grau. Die Krempen werden vielfach mit einem anders-
farbigen Stroh als dem des Hutes abgefüttert, wobei ganz
beſonders auf Teint und Haarfarbe geachtet werden ſollte.

Wie ſchon geſagt, zeigt ſich auch in den Stoffen eine
große Vorliebe für Gemuſtertes und dies nicht allein in
denen der Schneiderkoſtüme, ſondern auch bei eleganteren

1) Eine Probe aus dem ſoeben im Verlage der G. Müller-
Mannſchen Verlagsbuchhandlung in Leipzig erſchienenen „Vers-
buch: Auf den Zinnen der Zeit“ von Ferdinand
Frhrn. v. Paungarten,
einer Sammlung von etwa einem
Halbhundert Gedichten, die ſich zum großen Teil durch einen edlen
Schwung der Gedanken, tiefes Empfinden und einen gewiſſen
pantheiſtiſch-myſtiſchen Zug auszeichnen. Der Verfaſſer iſt u. a.
der Dichter des anläßlich der Jahrhundertfeier Adalbert Stifters
bei der Enthüllung ſeines Denkmals in Oberplan vorgetragenen
trefflichen Gedichtes „Den Manen Adalbert Stifters“.
1) Aus dem in einigen Tagen erſcheinenden neueſten Hefte
der Neuen Revue (herausgegeben von Dr. Joſeph Adolf
Bondy und Dr. Fritz Wolff, Verlag der Neuen Revue in
Berlin).
*) Beethovens früherer Sachwalter.
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[0013] Der Sonntag Gedichte. Von Ferdinand Frhrn. v. Paungarten. 1) Abendandacht. Ich weil’ ſo gern, zu meiner Seele Feier, In abendlichen Kirchen, grau und alt. Wenn duft’gen Rauchwerks blauer Nebelſchleier Nur wie ein Hauch noch um die Säulen wallt. Wenn in den Niſchen all die ſtaub’gen, fahlen Holzheiligen mit ernſten Mienen ſteh’n, Und juſt die letzten, müden Sonnenſtrahlen Noch durch die bunten, ſpitzen Fenſter ſeh’n. Schwül weht ein Duft von Kerzen, Blumen, Kränzen, Von Prunkgeräten, ſeid’nen Meßgewändern, Es flammt geheimnisvolles dunkles Glänzen Von Edelſteinen, golddurchſtickten Bändern. Und mit den Schatten, die ſich vorwärts drängen, Hebt an ein Flüſtern in den heil’gen Räumen: Die Schemen von verklungenen Geſängen. Von Pſalmen, Seufzern und von ſtillen Träumen. Und endlich naht das weltentrückte Schweigen, Die Dinge löſend, die noch Raum und Zeit. Die Welt verſinkt — aus ſel’ger Geiſter Reigen Lauſch’ ich dem Sphärenklang der Ewigkeit. Wir ſollen Kindern gleich durchs Leben gehn .... Wir ſollen Kindern gleich durchs Leben gehn Mit ſtarkem Glauben und mit frohem Hoffen! Wir ſollen aufwärts nach den Sternen ſehn — Und dennoch feſt auf dieſer Erde ſtehn, Das Auge ſonnig und die Seele offen! Nicht grübeln ſollen wir und mühvoll ſinnen Der letzten Rätſel Gründe zu erſpüren, All unſer Leben ſei ein heilig Minnen, Dann gibt es mehr als Welten zu gewinnen, Und Liebe nur kann uns zur Löſung führen. Zwei Beethoven-Briefe. Mitgeteilt von Dr. Ernſt Rychnovsky. 1) Die hier abgedruckten Briefe ſtammen aus der Auto- graphenſammlung des Herrn Fritz Donebauer in Prag, die vom 6. bis 8. April in Berlin durch die Firma J. A. Stargardt verſteigert werden wird. Der erſte der beiden, vier volle Seiten Quart lang, iſt an den Prager Advokaten Dr. Johann Nepomuk Kanka gerichtet. Er iſt einer der ſchönſten aus der bisher bekannt gewordenen Suite der Briefe an Kanka und führt uns mitten in eine der peinlichſten Affären im Leben des Meiſters. Wir wiſſen, daß Beethoven von Erzherzog Ru- dolf, dem nachmaligen Erzbiſchof von Olmütz, und den Fürſten Kinsky und Lobkowitz ein Jahresgehalt von 4000 Gulden in Bankozetteln ausgeſetzt erhielt, damit er dem Rufe des Königs Jerome von Weſtphalen nicht folge und in Wien bleibe. Fürſt Lobkowitz ſteuerte 700 Gulden bei, Erzherzog Rudolf 1500 und Fürſt Kinsky 1800 Gulden. Durch das berüchtigte Finanzpatent vom 20. Februar 1811, das die verkrachten öſterreichiſchen Finanzen ſanieren ſollte, ſank Beethovens Rente vom urſprünglichen Betrag auf 1612.9 Gulden. Aber ſie erlitt noch weitere bedeutende Schmälerungen. Da das Vermögen des Fürſten Lobkowitz infolge des allgemeinen Krachs einem Kurator unterſtellt werden mußte, dem Fürſten ſomit die freie Verfügung über ſeine ehemals bedeutenden Reichtümer entzogen wurde, entfiel vom September 1811 angefangen der auf den Für- ſten Lobkowitz entfallende Teil der Rente. Es kam noch viel ſchlimmer. Im November 1812 ſtarb der edle Fürſt Kinsky unvermutet an den Folgen eines Sturzes vom Pferde und ſeine Erben weigerten ſich, die Rente weiterhin auszuzahlen. Beethoven ſah ſich, ſo ſehr ihm dies auch widerſtrebte, gezwungen, zur Geltendmachung ſeines Rechts den Klageweg zu betreten. Der Advokat, der dieſe unleidige Geſchichte einem glücklichen Ende zuführte, war der ſcharf- ſinnige Juriſt und warme Kunſtfreund Johann Nepomuk Kanka, der ſich mit wahrem Feuereifer der Sache ſeines von ihm perſönlich aufs höchſte geſchätzten Klienten annahm und im Januar 1815 einen Beſcheid des Prager Landrechts erzielte, demzufolge die Kinskyſchen Erben ſtatt der zuge- ſicherten 1800 Gulden Beethoven 1200 Gulden Wiener Währung zu zahlen hatten. Ehe es aber ſo weit kam, mußte noch viel Tinte fließen. Einer der zwiſchen Prag und Wien bezw. Baden gewechſelten Briefe iſt der nach- ſtehende: Baden am 19ten September 1814 Mein allerliebſter Freundlicher K! Da ich auf gut glük an ſie geſchrieben, ohne ihre rechte wohnung zu wißen, da ich ihnen ebenfalls ſo den Klavier- auszug des Fidelio geſchickt, ſo wünſche ich zu wiſſen, ob ſie ſowohl den Brief als den Klavierauszug er- halten hab(en) — wie ich ſeufze, endlich (1) die Kinskiſche Sache zu einem baldigen und guten Ende gebracht zuſehn, das iſt wohl leicht zu ſchließen — haben ſie mit dr. wolf *) geſprochen, brauchen ſie die papiere, die dazu gehören, oder hat ſie auch dr. wolf noch alle etc etc etc — ich bitte — ich beſchwöre ſie — ich falle ihnen zu ihren Füßen, in ihre Arme, (2) um ihren Hals — ich weiß nicht was ich alles thun werde und nicht thun werde, (ein Wort unleſerlich) überfließen wieder im Erguß des ſprechens etc etc etc endigen ſie, fangen ſie an, und endigen ſie wieder — endlich ganz — damit man ſagen könne Finis — Ende — das Ende — ein werk von mir liegt bereit, ſobald ſie ihr werk vollbracht haben, um ihnen gewidmet (3) zu werden, und meine Hochachtung zu bezeigen — ſoll ich ſelbſt nach Prag kommen, um ſo vieleicht der ſache einen geſchwindern ausſchlag zu geben? — was glauben ſie? ja ja, ich komme, wenn ſie wollen — iſt es aber nicht hauptſächlich nöthig, ſo mögte ich lieber bis zum Frühjahr warten — wenn ich wirklich ſo unglücklich bin, daß ſie ganz und gar nichts auf mich halten, ſo halten ſie wenigſtens deſto mehr auf die angelegenheit ihres leidenden Freundes ludwig van Beethoven Der zweite Brief, an den Bruder Johann van Beet- hoven, Gutsbeſitzer in Gneixendorf (bei Krems) gerichtet, dürfte aus dem Jahre 1823 ſtammen, alſo aus jenem Jahre, da Beethoven die fertig gewordene Missa solemnis an verſchiedene Fürſten Europas zum Zwecke der Subſkription einſandte. Bemerkenswert iſt in dieſem Briefe der gegen den knickerigen Bruder Johann angeſchlagene Ton grim- men Humors. am 19ten Jun freitag in der Früh — Beſter! Komt — wegen den Bagatellen ſie ſind bereit die antwort wegen der Meße von draußen iſt ſchon längſt da. Es iſt mir unlieb, daß — man die Gnade der juden erwirken ſoll — Lebt wohl Kommt. Es iſt über vieles zu ſprechen u. Verſtand habt ihr — im Sack — lebt wohl Herr Bruder!!!!!! Der Euriche treuer Brudere ludwig (Am Rande): Venez d’abord il’y a des affaire d’une grande importance. Diſziplin im Theater. Von Olga Wohlbrück. Je ſtärker ſich das Sonderbewußtſein des einzelnen Schauſpielers herausgebildet hat, deſto widerſtrebender beugt er den Nacken unter das Joch der Diſziplin. Die Bühnendiſziplin hat ihren Urſprung in der Tradi- tion und in der Pietät; kein Wunder alſo, daß in unſerer pietätloſen, wenn nicht pietätfeindlichen Zeit die Diſziplin nachläßt. Als die Schauſpieler noch „Freudenſpieler“ hießen und anderen, vor allem aber ſich ſelbſt zur Freude ſpielten, da war es wirklich nur reine Kunſtbegeiſterung, die ſie aus ihren bürgerlichen Verhältniſſen heraustrieb, und der lockende Reiz eines Namens, der ſie in den bunten Kreis des Freuden- und Trauerſpiels zog. Die Iſoliertheit, die die Folge ihrer außerbürgerlichen Stellung war, wies ſie inner- halb ihres Kreiſes ausſchließlich aufeinander an. Sie bilde- ten ein kleines Reich für ſich mit eigenen Geſetzen. Der Direktor der Truppe war Geſetzgeber und Richter in einer Perſon — ſeine Macht war unumſchränkt; man konnte ſich ihr nur durch Flucht, niemals aber durch Inſubordination entziehen. Und die Flucht war beſchwerlich bei den großen Entfernungen, die die Einzel-Wandertruppen und ſpäter auch die ſtändigen Theater voneinander ſchieden. Dieſe letzteren — das erſte ſtändige deutſche Theater wurde in Wien im Jahre 1708 eröffnet — ſchufen auch erſt eine ge- wiſſe Rangordnung im Kreiſe der Schauſpieler ſelbſt. Je länger ein Schauſpieler ſich in der Gunſt des Publikums hielt, eine deſto größere Reſpektsperſon wurde er. Die jüngeren Kräfte wagten es nicht, mit bedecktem Haupt vor ihm zu ſtehen, ein Urteil vor ihm zu fällen oder gar ſich eine ſelbſt beifällige Meinung über das Spiel des Betref- fenden zu erlauben. Das Privilegium des Direktors doku- mentierte ſich nach außen hin durch das Tragen einer ſchar- lachroten, goldgeſtickten Weſte, der ſogenannten „Permiſ- ſionsweſte“, die erſten Mitglieder trugen Degen und ſeidene Gewänder, wenn ſie ausgingen, während die jüngeren erſt um die Erlaubnis nachſuchen mußten, ein ſeidenes Gewand anlegen zu dürfen. So wurde die Diſziplin ſchon rein äußer- lich feſtgehalten. Die Ständigkeit der Truppe zwang den Direktor auch, auf eine Wohlanſtändigkeit ſeiner Mitglieder in ſeinem eigenen Intereſſe zu achten, ſo daß nicht nur künſt- leriſche, ſondern auch rein menſchliche Abhängigkeit die Folge war. Je mehr ſich der Schauſpieler mit dem Bürgertum amalgamierte, deſto ſtärker entwickelte ſich ſein perſönliches Verantwortlichkeitsgefühl, deſto größer wurde ſeine Selb- ſtändigkeit. Und doch iſt die Beſtimmung mancher Theater- Hausordnungen heutigentags, in der dem Mitgliede unter Androhung ſofortiger Entlaſſung verboten iſt, ſich in der Oeffentlichkeit ſo zu benehmen, daß er dadurch den Stand des Schauſpielers herabſetzt, noch auf jene Zeit zurückzufüh- ren, wo der Theaterdirektor als echter Pater familias und nach dem Lutherſchen Rezept „mit dem Apfel in der einen, der Rute in der anderen Hand“ über ſeine Künſtlerſchar regierte. Im allgemeinen kennt der Schauſpieler von heute nur eine Diſziplin und zwar die vor dem Publikum. Das Gleich- heitsprinzip hat die „Permiſſionsweſte“ längſt zum alten Trödel geworfen. Der junge Schauſpieler, oft zehnmal beſſer angezogen als ſein Direktor, ſieht in dieſem nur den Feind und Unterdrücker, und mit dem Bewußtſein ſeines perſönlichen Wertes ſteigt die Geringſchätzung für den, der dieſen Wert am meiſten anerkennt und in Zahlen ausdrückt. Das Starſyſtem hat der Diſziplin den Todesſtoß verſetzt. Gehört der Schauſpieler zu den halbwegs bekannten, ſo for- dert er ſtrenger als der Direktor eine Diſziplin, über die er ſelbſt ſich im ſelben Augenblick hinwegſetzt. Es „ſtarelt“ ſich ſo gut nach „berühmten“ Muſtern. Wenn das Bildungsniveau des Schauſpielers heute im Durchſchnitt auch weit höher iſt als es noch vor 50 Jahren geweſen ſein mag, ſo hat ſich doch die Nervoſität in dem- ſelben Maß entwickelt. Heutzutage iſt ja das ganze Spiel mehr auf Nerven als auf wahre Empfindung geſtellt. Be- geiſterung, Idealismus trifft man nur noch ſelten, an ihre Pariſer Modebrief. Märzſonne und Märzſchauer bekämpfen einander mit unermüdlichem Eifer und erhalten uns in beſtändigem Schwanken zwiſchen Hoffnung und Verzagen, daß der Früh- ling nahe ſei. Leider haben Regen, Schnee und Hagel mei- ſtens noch das Uebergewicht und warnen vor verfrühtem Wegpacken der Pelze und dem Hervorholen der Sonnen- ſchirme. Aber der Wind hat nicht mehr die rauhen Winter- klänge, Fliederbäumchen und Sträucher fangen an zu knoſpen und ſich mit einem zarten grünen Schimmer zu um- weben. Das iſt genug, damit wir ernſtlich an die Frage der Frühlingstoilette herantreten und uns nach dem um- ſchauen, was die Mode Friſches und Fröhliches zu unſerer Zierde ſich ausgedacht hat. Wie verführeriſch ſehen nicht die Schaufenſter der Putz- macherinnen aus! Ebenſo verlockend wie die der Deli- kateſſenhändler, wo um dieſe Zeit die Erſtlingsfrüchte der Treibhäuſer erſcheinen, große, etwas blaſſe Erdbeeren und glänzende Kirſchen, die ſchöner anzuſehen als zu eſſen ſind. Die, welche zwiſchen Tüll und Samt auf den Hüten prangen, glänzen in noch kräftigerem Rot und erreichen eine Größe, wie ſie das beſtüberwachte Treibhaus kaum hervorzubringen vermag. Ihnen können ſich in der Farbenglut höchſtens rote Geranien an die Seite ſtellen, die eben von den Stöcken ge- ſchnitten und auf die Hutformen gelegt worden ſein könn- ten, ſo friſch ſind ſie und ſo täuſchend ähnlich ſehen ſie mit ihren weichen Blättern der natürlichen Pflanze. Sie bilden nur einen Ton in der Symphonie von Rot, welche die Mo- diſtinnen in ihren neueſten Schöpfungen angeſtimmt haben. Die anderen gehen vom matten Altroſa über leuchtendes Karmin bis zu einem warmen dunklen Roſenrot, und die Kunſt in ihrer Anwendung beſteht hauptſächlich darin, ſie mit verſchiedenen Schattierungen von Grau und Braun in Harmonie zu bringen. Dieſe Zuſammenſtellungen ſind eine Neuheit der Mode und erfordern einen ſicheren Farbenſinn, um Härten zu vermeiden, aber z. B. geben einige Lagen kirſchroten Tüll, von dunkelblondem verſchleiert, für einen braunen oder einen roten Hut derſelben Nuance eine Gar- nitur im beſten Geſchmack ab. Wir, die wir die Hüte nur auf ihre Kleidſamkeit zu prüfen brauchen, ahnen gewöhn- lich nicht, wieviel Kopfzerbrechen, ja vielleicht heiße Tränen ſolch ein leichter — Kopfputz ſeiner Verfertigerin gekoſtet hat. Denn zur Schöpfung eines neuen Hutmodells bedarf es ebenſogut der Eingebung wie zur Schaffung eines ande- ren Kunſtwerkes, und bei der Putzmacherin wie beim Dich- ter ſoll ſie manchmal ausbleiben. Deren Tagesaufgabe be- ſteht aber im Ausdenken von ein oder zwei Modeſenſatio- nen, und es kann ſie ihre Stellung koſten, wenn Federn, Band und Blumen ſich unter ihren Fingern nicht immer willig zu etwas Reizendem geſtalten. Erſt dieſer Tage laſen wir von einer jungen Modiſtin, welche ſich in die Seine warf, weil ſie eine zweitägige Hutſchöpfungsprobe nicht beſtanden hatte. Sie wurde aber noch rechtzeitig wieder herausgefiſcht, und es iſt nicht unmöglich, daß man dereinſt mit Bewunderung von ihren Modellen ſpricht und dabei mit Rührung ihres verzweifelten Entſchluſſes gedenkt. Es iſt aber zu hoffen, daß nicht alle Hüte eine tragiſche Vorgeſchichte haben, ſonſt müßte man ja aus reiner Men- ſchenfreundlichkeit darauf verzichten, ſie zu tragen. Wegen ihrer wunderlichen Formen tut man es jeden- falls nicht, was für eine Unbequemlichkeit man ſich damit auch auferlegen mag. Dehnten die Hüte ſich bis jetzt in der Runde aus, ſo ſtreben ſie nunmehr in die Höhe und nehmen in ihrer Randloſigkeit beinahe die Geſtalt einer Granate oder eines oben ſchön gewölbten Zuckerhutes an. Einige ſchmale Samtröllchen oder ein loſe um den Kopf ge- ſchlungenes Band mit einem Federſtutz an der Seite ſind alles, was dieſe Hüte neueſten Genres als Garnitur er- halten. Sie werden den kleinen Frauen gefallen, die ſo auf leichte Art ihrer Kürze einige Zoll hinzufügen können, aber die ſtattlichen Erſcheinungen täten wohl daran, dieſe Mode nicht mitzumachen, denn ſie würde ihnen keinerlei Grazie verleihen. Sie ſollten lieber eine andere, ebenfalls hochmoderne Form wählen, die ein wenig einer hohen, umgeſtülpten Kaſſerolle gleicht, der man den Stiel abge- ſchnitten hätte und der zu beiden Seiten eine Atlas- oder Tüllroſette angeſteckt wird, von denen ein nach hinten zu- rückgeworfener Schleier herabhängt. Auch der turbanähn- liche Kopfputz der Marie Antoinette mit dem ziemlich flachen barettartigen Fond und dem voll drapierten Rande taucht auf, aber im allgemeinen neigen die Frühjahrsmoden doch mehr zum Direktoire-Stile hin. Dies iſt beſonders bei den Koſtümen der Fall, denen damit der Charakter des praktiſchen Straßenkleides abgeht. Denn die hohen Stulpenaufſchläge, die ſchalartig geſchnit- tenen Kragen, die reich verzierten, bunten Weſten und gar erſt die frack- oder elſterſchwanzähnlichen Schöße der Jacken durch die ſie gekennzeichnet ſind, laſſen ſie mehr zum Para- dieren als zum nützlichen Gebrauche geeignet erſcheinen. Das einfache Schneiderkleid bleibt daneben wie bisher be- ſtehen. Nur wird man weniger Boleros ſehen, die den halb- langen anſchließenden Jacken weichen müſſen. Als Beſatz gibt man ihnen Borten und Paſſementerien, die je nach der Gebrauchsbeſtimmung des Koſtüms mehr oder weniger reich aufgeſetzt werden können. Die Wahl der Knöpfe allein vermag ſchon dem Kleide den Stempel der Eleganz aufzudrücken, ohne daß es vieler Raffiniertheit im Schnitt und in der Garnierung bedarf. Was nun die Stoffe an- betrifft, ſo hält man es beim alltäglichen Koſtüm mit Che- viot und leichtem Tuch, die gewöhnlich karierte Muſter aufweiſen. Auf den erſten Blick ſehen dieſe oft wie geſtreift aus, da ſie meiſtens aus Karos der gleichen Grundfarbe, wenn auch in verſchiedenen Schattierungen zuſammengeſetzt ſind, wobei die dunklere Reihe ſich von dem helleren Fond wie eine Linie abhebt. Zu einem derartig gemuſterten Stoffe paßt nur eine ſchlichte Faſſon und ebenſo gehört ein nicht zu auffälliger Hut dazu, der dreiſpitzige kleine Marquis z. B., der beſonders auf Spaziergängen und Be- ſorgungstouren zu empfehlen iſt, oder die Toque aus grobem Stroh, die ſich immer ihren beſcheidenen Platz neben allen Modeneuheiten wahrt und nur in der Garnitur verrät, daß ſie mit dieſen Schritt hält. Uebrigens gibt man im allgemeinen dem feinen Stroh den Vorzug und hinſichtlich der Farben hat man die Wahl zwiſchen einem kräftigen Nattier-Blau, Altroſe, Moosgrün, Goldbraun und Tauben- grau. Die Krempen werden vielfach mit einem anders- farbigen Stroh als dem des Hutes abgefüttert, wobei ganz beſonders auf Teint und Haarfarbe geachtet werden ſollte. Wie ſchon geſagt, zeigt ſich auch in den Stoffen eine große Vorliebe für Gemuſtertes und dies nicht allein in denen der Schneiderkoſtüme, ſondern auch bei eleganteren 1) Eine Probe aus dem ſoeben im Verlage der G. Müller- Mannſchen Verlagsbuchhandlung in Leipzig erſchienenen „Vers- buch: Auf den Zinnen der Zeit“ von Ferdinand Frhrn. v. Paungarten, einer Sammlung von etwa einem Halbhundert Gedichten, die ſich zum großen Teil durch einen edlen Schwung der Gedanken, tiefes Empfinden und einen gewiſſen pantheiſtiſch-myſtiſchen Zug auszeichnen. Der Verfaſſer iſt u. a. der Dichter des anläßlich der Jahrhundertfeier Adalbert Stifters bei der Enthüllung ſeines Denkmals in Oberplan vorgetragenen trefflichen Gedichtes „Den Manen Adalbert Stifters“. 1) Aus dem in einigen Tagen erſcheinenden neueſten Hefte der Neuen Revue (herausgegeben von Dr. Joſeph Adolf Bondy und Dr. Fritz Wolff, Verlag der Neuen Revue in Berlin). *) Beethovens früherer Sachwalter.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 137, 23. März 1908, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine137_1908/13>, abgerufen am 23.11.2024.