Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 16. Januar 1924.Mittwoch, den 16. Januar 1924. Allgemeine Zeitung Nr. 15 [Spaltenumbruch]
Was wir wollen und müssen*) II. 3. Die Einheit unseres Staates ist im In- 4. Wir müssen unsere Wirtschaft in a) Abbau der Staatsausgaben und des- b) höchste Steuerleistung zum Ausgleich c) Mehrung der Arbeitsleistung aus In- d) Wegfall der unproduktiven Arbeiten; e) möglichst billige Preisbemessung zur f) Kapitalbildung durch Verbrauchsein- Hierfür ist in den letzten Wochen Wesent- So sind wir auf der ganzen Linie auf 5. Das führt zur letzten großen Gemein- Diese Ausführungen sollten und wollten [Spaltenumbruch] Das Wohlfahrtsamt München II. Für Zwecke der Armenpflege ist die Stadt Im Dezember 1923 standen in Dauerfür- 140 000 Personen in öffentlicher Fürsorge Die Aufwendungen zur Durchführung der in der Armenpflege etwa 1 Goldmillion, in der Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebenen- Die Verwaltungskosten hat die Ge- Die Leistungen an die einzelnen bei der Armenpflege: M 21.60 (laufende Geld- bei der Sozialrentnerfürsorge: M 33.-- (lau- bei der Kleinrentnerfürsorge: M 35.-- (laufende bei der Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebe- In der Armenpflege kann der Höchstsatz im Be- Außerdem führt das Wohlfahrtsamt Unter- Milchverbilligung für etwa 10 000 Liter täglich unentgeltliche Brotabgabe an etwa 130--140 000 für Gas, und Stromverbilligung werden Be- An die Armen, die Sozial- und Kleinrentner, Die Leistungen des Wohlfahrtsamtes sind nicht Filmkritik und Publikum Die Filmkritik will sich nicht auf Inhaltsan- Es war von vornherein ein Fehler, vom "Film- Das Publikum ist zuweilen auffallend genüg- Es konnte sich im Rahmen dieser Darlegungen *) Der Aufsatz ist vor dem Erscheinen der
bayerischen Denkschrift geschrieben. Mittwoch, den 16. Januar 1924. Allgemeine Zeitung Nr. 15 [Spaltenumbruch]
Was wir wollen und müſſen*) II. 3. Die Einheit unſeres Staates iſt im In- 4. Wir müſſen unſere Wirtſchaft in a) Abbau der Staatsausgaben und des- b) höchſte Steuerleiſtung zum Ausgleich c) Mehrung der Arbeitsleiſtung aus In- d) Wegfall der unproduktiven Arbeiten; e) möglichſt billige Preisbemeſſung zur f) Kapitalbildung durch Verbrauchsein- Hierfür iſt in den letzten Wochen Weſent- So ſind wir auf der ganzen Linie auf 5. Das führt zur letzten großen Gemein- Dieſe Ausführungen ſollten und wollten [Spaltenumbruch] Das Wohlfahrtsamt München II. Für Zwecke der Armenpflege iſt die Stadt Im Dezember 1923 ſtanden in Dauerfür- 140 000 Perſonen in öffentlicher Fürſorge Die Aufwendungen zur Durchführung der in der Armenpflege etwa 1 Goldmillion, in der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenen- Die Verwaltungskoſten hat die Ge- Die Leiſtungen an die einzelnen bei der Armenpflege: M 21.60 (laufende Geld- bei der Sozialrentnerfürſorge: M 33.— (lau- bei der Kleinrentnerfürſorge: M 35.— (laufende bei der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebe- In der Armenpflege kann der Höchſtſatz im Be- Außerdem führt das Wohlfahrtsamt Unter- Milchverbilligung für etwa 10 000 Liter täglich unentgeltliche Brotabgabe an etwa 130—140 000 für Gas, und Stromverbilligung werden Be- An die Armen, die Sozial- und Kleinrentner, Die Leiſtungen des Wohlfahrtsamtes ſind nicht Filmkritik und Publikum Die Filmkritik will ſich nicht auf Inhaltsan- Es war von vornherein ein Fehler, vom „Film- Das Publikum iſt zuweilen auffallend genüg- Es konnte ſich im Rahmen dieſer Darlegungen *) Der Aufſatz iſt vor dem Erſcheinen der
bayeriſchen Denkſchrift geſchrieben. <TEI> <text> <body> <div type="jFinancialNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <pb facs="#f0007" n="7"/> <fw place="top" type="header">Mittwoch, den 16. Januar 1924. <hi rendition="#g">Allgemeine Zeitung</hi> Nr. 15</fw><lb/> <cb/> </div> </div> </div> </div> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Was wir wollen und müſſen</hi> <note place="foot" n="*)">Der Aufſatz iſt <hi rendition="#g">vor dem Erſcheinen der<lb/> bayeriſchen Denkſchrift</hi> geſchrieben.</note> </head><lb/> <byline>Von<lb/><hi rendition="#aq">Ed. <hi rendition="#g">Hamm,</hi> M. d. R.,<lb/> Reichswirtschaftsminister</hi></byline><lb/> <argument> <p>II.</p> </argument><lb/> <p>3. Die Einheit unſeres Staates iſt im In-<lb/> nern wiederum, wie ſo oft in der deutſchen<lb/> Geſchichte, in Meinungsverſchiedenheiten<lb/> um die <hi rendition="#g">Verteilung</hi> ſtaatlichen Rechts<lb/><hi rendition="#g">zwiſchen dem Reiche und ſeinen<lb/> Gliedſtaaten</hi> befangen. Wer das deut-<lb/> ſche Volk ſo, wie es in ſeiner Geſchichte<lb/> wurde, als etwas Naturwüchſiges betrach-<lb/> tet, deſſen weitere Entwicklung ſich nach<lb/> den Geſetzen dieſes Wuchſes geſtalten ſoll,<lb/> wer die unendliche Mannigfaltigkeit der<lb/> deutſchen Kultur in ihrer engen Verbunden-<lb/> heit mit einzelſtaatlichen Kräften begriffen<lb/> hat, der kann nicht in die Verſuchung eines<lb/> mechaniſchen und einförmigen Zentralis-<lb/> mus kommen; das gilt beſonders für den,<lb/> der das Zuſammenwachſen verſchiedener<lb/> Stämme zum bayeriſchen Staate im 19.<lb/> Jahrhundert als einen Gewinn für alle Be-<lb/> teiligten zu betrachten gewöhnt iſt und<lb/> dieſen bayeriſchen Staat als <hi rendition="#g">Staat</hi> zu be-<lb/> greifen und zu ſchätzen gelernt hat. Wer ſo<lb/> die Dinge betrachtet, dem iſt es ein Erfor-<lb/> dernis organiſcher, geſchichtlicher Demo-<lb/> kratie, die Freiheit der Teile zu erhalten<lb/> und zu möglichſt ſtarker Selbſtführung und<lb/> Selbſtverantwortung zu entfalten. Aber<lb/> wer vor allem <hi rendition="#g">deutſch</hi> ſein will, und —<lb/> nach einem bekannten, guten Wort eines<lb/> bayeriſchen Königs — nie Bayer zum Scha-<lb/> den Deutſchlands, der muß ſich gewöhnen,<lb/> dieſe Fragen vor allem als <hi rendition="#g">geſamt-<lb/> deutſche Fragen</hi> zu ſehen. Gab im<lb/> alten Reiche die monarchiſch-konſtitutionelle<lb/> Verfaſſung der Gliedſtaaten Gewähr gegen<lb/> Sprünge und Brüche in der politiſchen Ent-<lb/> wicklung der Einzelſtaaten, ſo iſt heute je<lb/> nach der politiſch-wirtſchaftlichen Lage des<lb/> Einzelſtaates eine völlig verſchiedenartige<lb/> Geſtaltung durchaus geſetzmäßig möglich,<lb/> wie die Entwicklung einerſeits in Bayern,<lb/> andrerſeits in Sachſen zeigt. Stand hinter<lb/> dem deutſchen Kaiſertum vormals die<lb/> Hausmacht des Königs von Preußen, ſo<lb/> muß heute, da das Reich <hi rendition="#g">keine Haus-<lb/> macht</hi> hat, das <hi rendition="#g">Recht des Reiches</hi><lb/> ſtärker ſein, wenn gegenüber gegenſätzlich-<lb/> ſten Entwicklungsmöglichkeiten den deut-<lb/> ſchen Staatsbürgern ein gewiſſes Maß von<lb/> Rechtsgleichheit und Rechtsſchutz in den<lb/> wichtigſten Rechtsgütern der perſönlichen<lb/><cb/> Freiheit, des Eigentums, der Freiheit der<lb/> Meinungsäußerung, der religiöſen Beſtäti-<lb/> gung uſw. geſichert werden ſoll. Ueber das<lb/> Ausmaß im einzelnen iſt viel Für und Wider<lb/> zu ſagen. An Zentraliſierung iſt ſicher zu<lb/> viel geſchehen und Abbau davon iſt not-<lb/> wendig und im Gange. Aber es iſt doch<lb/> auch nicht ſo, als ſei das Urſprüngliche in<lb/> der deutſchen Geſchichte die Unabhängigkeit<lb/> der Einzelſtaaten geweſen. In Wirklichkeit<lb/> war es doch der Fluch der deutſchen Ge-<lb/> ſchichte, daß, während England und Frank-<lb/> reich die Zerſplitterung überwanden, in<lb/> Deutſchland Reichsrecht und Reichsmacht<lb/> von den deutſchen Fürſten zerriſſen wur-<lb/> den, am meiſten juſt dann, wenn der Fran-<lb/> zoſe am Rhein, der Türke vor Wien ſtand.<lb/> Die „teutſche Libertät“ von 1648, das Wort<lb/> von „<hi rendition="#aq">Les Allemagnes</hi>“ da, wo wir das<lb/><hi rendition="#g">eine</hi> Deutſchland an der Maas bis an die<lb/> Memel wollen, ſind Tatſachen aus vergan-<lb/> gener deutſcher Geſchichte. Darum muß auf<lb/> beiden Seiten alle Klugheit, alle Verant-<lb/> wortlichkeit, alle ſtaatspolitiſche Voraus-<lb/> ſicht und Geſtaltungskraft darangeſetzt wer-<lb/> den, zwiſchen Reich und Ländern zu einer<lb/> von beiden Seiten bejahten Regelung zu<lb/> kommen, die in der möglichſt entwickelten<lb/> Freiheit der Teile die Sicherheit des Gan-<lb/> zen als das erſte Erfordernis bewahren<lb/> will.</p><lb/> <p>4. Wir müſſen unſere <hi rendition="#g">Wirtſchaft</hi> in<lb/> Ordnung bringen. Sie iſt nicht Selbſtzweck,<lb/> ſondern dienendes Glied zum Wohle der<lb/> Nation. Sie trägt ihre Geſetze zum großen<lb/> Teil in ſich, die niemand ungeſtraft verletzt.<lb/> Heute iſt dieſe Auffaſſung überall aner-<lb/> kannt. Die Zeit der Vergewaltigung der<lb/> Wirtſchaft durch die Politik, durch einzelne<lb/> Klaſſen oder Gewalthaber iſt vorüber.<lb/> Freilich, die alten Zeiten kommen nicht<lb/> wieder. Eine ungeheure Umſchichtung iſt<lb/> über das Land gegangen. Beſte, wertvollſte<lb/> Kreiſe haben Beſitz und Stellung verloren.<lb/> Was obenauf kam, verdiente es nicht immer.<lb/> Sachwerte wurden erhalten, da und dort<lb/> auch gemehrt; wer aber Privaten oder gar<lb/> dem Staat Kredit gab, verlor Ererbtes und<lb/> Erſpartes. Sparen wurde ſinnlos. Die In-<lb/> flation verzehrte Kapital und Zinſen. Nun<lb/> iſt ſie mit einem Ruck zum Stillſtand ge-<lb/> kommen. Damit es dabei bleibt, iſt not-<lb/> wendig <hi rendition="#g">Ordnung im Staatshaus-<lb/> halt und Fruchtbarkeit der Wirt-<lb/> ſchaft</hi>. Das aber wieder erfordert:</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">a)</hi> Abbau der Staatsausgaben und des-<lb/> halb der Staatsaufgaben, Abbau der<lb/> Beamtenrüſtung;</p><lb/> <cb/> <p><hi rendition="#aq">b)</hi> höchſte Steuerleiſtung zum Ausgleich<lb/> der notwendigen Ausgaben;</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">c)</hi> Mehrung der Arbeitsleiſtung aus In-<lb/> tenſität wie auch der Arbeitszeit;</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">d)</hi> Wegfall der unproduktiven Arbeiten;</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">e)</hi> möglichſt billige Preisbemeſſung zur<lb/> Wiederherſtellung der Wettbewerbs-<lb/> fähigkeit mit dem Ausland und zum<lb/> Ausgleich der geſunkenen Kaufkraft;</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">f)</hi> Kapitalbildung durch Verbrauchsein-<lb/> ſchränkung und Sparen zur Ueberwin-<lb/> dung der Kreditnot.</p><lb/> <p>Hierfür iſt in den letzten Wochen Weſent-<lb/> liches erreicht worden: ſeit ſieben Wochen<lb/> hat die Mark einen feſten Stand, Löhne und<lb/> Preiſe eine ſichere Unterlage. Unter Tage<lb/> arbeiten die Bergleute 8 Stunden und mehr,<lb/> vor den Feuern die Eiſenarbeiter 10 Stun-<lb/> den, die Arbeitszeit der Beamten iſt auf<lb/> 54 Stunden erhöht, der Beamtenabbau mit<lb/> tragiſchen Opfern an Familienglück im<lb/> Gange; Steuern werden erhoben, die nicht<lb/> ohne tiefe Eingriffe in die Subſtanz und da-<lb/> mit nicht ohne Minderung des künftigen<lb/> Ertrages geleiſtet werden können. Die<lb/> Preiſe ſind vielfach ſtark geſunken. Viel zu<lb/> tief freilich iſt die Umſchichtung gegangen,<lb/> als daß Verluſte, die man längſt hingenom-<lb/> men hat, wieder ausgeglichen werden könn-<lb/> ten, als daß, was nach unten geackert wurde,<lb/> wieder nach oben geackert werden könnte.<lb/> Wohl muß der Staat trachten, jede <hi rendition="#g">ver-<lb/> meidbare Ungerechtigkeit zu<lb/> vermeiden</hi>, aber das Entſcheidende iſt,<lb/> der Wirtſchaft überhaupt wieder einen feſten<lb/> Boden zu geben. Auf dieſem aber heißt es<lb/> mehr arbeiten und mehr ſparen; mehr ar-<lb/> beiten gerade zur Ueberwindung der Ar-<lb/> beitsloſigkeit, denn die Arbeit iſt kein<lb/> Kuchen, von dem die Stücke um ſo kleiner<lb/> werden, je mehr davon zehren ſollen, ſon-<lb/> dern ſie iſt ein Quell, der um ſo reicher<lb/> fließt, je tiefer man den Schacht bohrt.</p><lb/> <p>So ſind wir auf der ganzen Linie auf<lb/> dem Wege zurück zu <hi rendition="#g">bürgerlicher<lb/> Wirtſchaftsauffaſſung</hi>. Der Mar-<lb/> xismus hat in ſeinen weſentlichſten und<lb/> eigenſten Teilen Kraft und Glauben ver-<lb/> loren. Eben deshalb iſt mindeſtens ſo wich-<lb/> tig als ſeine Widerlegung das andere, daß<lb/> wir <hi rendition="#g">nicht in der Negative ſtehen<lb/> bleiben</hi>. Freie Entfaltung der Wirt-<lb/> ſchaftskraft und Schutz der Lebenskräftigen<lb/> gegen Erdrückung durch Uebermacht weniger<lb/> iſt ebenſowohl bürgerliche Wirtſchaftsauffaſ-<lb/> ſung wie das andere, daß der, der nach ehr-<lb/> licher Anſtrengung ſeiner Arbeitskraft in<lb/> Invalidität oder Krankheit verfällt, nicht<lb/><cb/> dem Mitleid anheimgegeben wird, vielmehr<lb/> ein Recht auf die kärgliche Fürſorge haben<lb/> ſoll, die die verarmte Gemeinſchaft unſerer<lb/> Wirtſchaft aufzubringen imſtande iſt.</p><lb/> <p>5. Das führt zur letzten großen Gemein-<lb/> ſamkeit, der Forderung: Ueber allem Ar-<lb/> beiten und Wirtſchaften darf der Deutſche<lb/> am wenigſten es vergeſſen, daß das höchſte<lb/> Ziel unſeres Volks- und Einzellebens jen-<lb/> ſeits des Wirtſchaftszweckhaften liegt, in<lb/> der <hi rendition="#g">Entfaltung der Seele</hi>. Tauſen-<lb/> den iſt die Berufsarbeit ſelbſt reicher <hi rendition="#g">In-<lb/> halt</hi> geiſtigen Lebens, anderen gibt ſie,<lb/> trotz des ſittlichen Wertes jeder Arbeit, im<lb/> weſentlichen nur <hi rendition="#g">Unterhalt</hi>. Auch dieſen<lb/> aber ſchulden wir, weil ſie Menſchen ſind<lb/> und unentbehrlich zu Aufſtieg und Vertie-<lb/> fung des deutſchen Volkes im ganzen, die<lb/> Darreichung und Pflege geiſtiger Güter.<lb/> Die Zeit iſt wenig dazu angetan. Aber wenn<lb/> die Jahre der Reichtumſammlung unter<lb/> Wilhelm <hi rendition="#aq">II.</hi> vielfach in Materialismus auf-<lb/> gingen, ſo mag nun die Zeit der äußeren<lb/> Verarmung die Zeit der Pflege geiſtiger<lb/> Beſitztümer ſein. Die Menſchen hungern<lb/> danach und ſehnen ſich, daß Licht und Wärme<lb/> in den Seelen einkehre. Für Kirche und<lb/> Schule, für alle, die Geiſtiges geben können,<lb/> fließen daraus große Aufgaben. Konſerva-<lb/> tive Achtung vor ererbtem geiſtigen Väter-<lb/> beſitz, liberale Pflege eines ſich ſelbſt ſittlich<lb/> frei beſtimmenden Menſchentums ſollen in<lb/> Wetteifer und in Verſöhnung auf dieſem<lb/> Felde ſich finden.</p><lb/> <p>Dieſe Ausführungen ſollten und wollten<lb/> im allgemeinen bleiben. Sie wollten zeigen,<lb/> wieviel an Grundauffaſſungen weithin ge-<lb/> meinſam ſind, weit über die Grenzen einer<lb/> Partei, ſo zwar, daß dieſe Grenzen vielfach<lb/> unnatürlich und willkürlich geworden ſind.<lb/> Noch ſcheut man ſich überall, die alten For-<lb/> men zu zerſchlagen, nicht ſo faſt aus Ueber-<lb/> ſchätzung dieſer Formen, als aus zaghaftem<lb/> Zweifel überhaupt, ob aus Parteigründun-<lb/> gen noch Großes erſtehen könne. Da aber<lb/> Parteien ihre Aufgabe der politiſchen Wil-<lb/> lensbildung offenbar noch weiterführen müſ-<lb/> ſen, ſo iſt es um ſo wichtiger, wenigſtens<lb/> von Partei zu Partei und zu den vielen<lb/> außerhalb der Parteien <hi rendition="#g">das Gemein-<lb/> ſame zu betonen</hi>, damit wir alle, die<lb/> wir den Eigenvorteil einer Schicht und<lb/> einer Partei, wie den vermeintlichen Vorteil<lb/> heimatlichen Landes vorbehaltlos den Le-<lb/> bensrechten und Lebenserforderniſſen der<lb/> deutſchen Nation unterordnen wollen, uns<lb/> in Stunden der Not als <hi rendition="#g">Bürger eines<lb/> Reiches</hi> finden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> </div> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das Wohlfahrtsamt München</hi> </head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#aq">II.</hi> </p> </argument><lb/> <p>Für Zwecke der <hi rendition="#g">Armenpflege</hi> iſt die Stadt<lb/> in 85 Bezirke eingeteilt, in denen je ein Ausſchuß<lb/> tätig iſt. Dieſe Ausſchüſſe, Bezirkspflegeaus.<lb/> ſchüſſe genannt, ſind wieder in 12 Kreisausſchüſſe<lb/> zuſammengefaßt; beim Armenrat ſelbſt arbeiten<lb/> zur Vorberatung der Angelegenheiten, die von der<lb/> Vollverſammlung zu erledigen ſind, 3 Zentral-<lb/> unterausſchüſſe. Für die Angelegenheiten der<lb/> allgemeinen Abteilung der Bezirkswohlfahrts-<lb/> ämter beſtehen 12 Bezirkswohlfahrtsausſchüſſe und<lb/> bei der Zentrale der Fürſorgeſenat, für die<lb/> Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenenfürſorge<lb/> arbeitet ein Beirat der Fürſorgeſtelle mit einem<lb/> Unterausſchuß und je einem Sonderausſchuß bei<lb/> den Bezirkswohlfahrtsämtern. Zur Beratung all-<lb/> gemeiner Fragen der Fürſorge zur Aufſtellung<lb/> von Richtlinien der Wohlfahrtspflege zum Zwecke<lb/> der Zuſammenarbeit mit der privaten Fürſorge<lb/> iſt der <hi rendition="#g">Hauptwohlfahrtsausſchuß</hi> ge-<lb/> bildet worden, in welchem neben dem Wohlfahrts-<lb/> amt auch andere Referate, die Fürſorge üben,<lb/> vertreten ſind, insbeſondere aber alle Richtungen<lb/> der kirchlichen und privaten Wohlfahrtspflege.</p><lb/> <p>Im Dezember 1923 ſtanden in <hi rendition="#g">Dauerfür-<lb/> ſorge</hi> bei der <hi rendition="#g">Armenpflege</hi> noch 4896 Er-<lb/> wachſene und 1757 Kinder. Dazu müſſen aber<lb/> gerade in der Armenpflege noch in ungezählten<lb/> Fällen infolge augenblicklicher Not Unterſtützun-<lb/> gen an Perſonen gegeben werden, die ſonſt nicht<lb/> in Fürſorge ſtehen, insbeſondere müſſen Kranken-<lb/> hauskoſten, Beerdigungskoſten uſw. in zahlreichen<lb/> Fällen von der Armenpflege getragen werden. In<lb/> der <hi rendition="#g">Sozialrentnerfürſorge</hi> befanden ſich<lb/> um dieſe Zeit 10 651 Rentner mit 963 unterſtützten<lb/> Ehefrauen und Kindern, in der <hi rendition="#g">Kleinrent-<lb/> nerfürſorge</hi> 4 869 Rentner mit 618 Ehe-<lb/> frauen und Kindern. Zuſatzrenten in der <hi rendition="#g">Kriegs-<lb/> beſchädigten</hi>. und <hi rendition="#g">Hinterbliebenen-<lb/> fürſorge</hi> bezogen um dieſe Zeit 11 122 Per-<lb/> ſonen. In der <hi rendition="#g">Gebrechlichenfürſorge</hi>,<lb/> alſo in der Fürſorge für Geiſteskranke, dauernd<lb/> Unheilbare uſw. zählen wir zurzeit etwa 1700<lb/> Fälle. Dazu ſind auf Koſten der Stadt in den<lb/><hi rendition="#g">Armenverſorgungsanſtalten</hi> und in<lb/> den <hi rendition="#g">Spitälern</hi> und den <hi rendition="#g">Anſtalten pri-<lb/> vater Organiſationen</hi> 2020 Perſonen<lb/> untergebracht. Der Vollſtändigkeit halber ſei auch<lb/> mitgeteilt, daß im Dezember in <hi rendition="#g">Erwerbslo-<lb/> ſenfürſorge</hi> ſtanden 26 000 Erwerbsloſe mit<lb/> 16 000 unterſtützten Angehörigen und 52 000 Kurz-<lb/> arbeiter. In der <hi rendition="#g">Jugendfürſorge</hi> ſtanden<lb/> etwa 10 000 Perſonen. Im ganzen befanden ſich<lb/> ſo etwa</p><lb/> <p>140 000 Perſonen in öffentlicher Fürſorge<lb/> oder etwa 23 Prozent der geſamten Bevölkerung<lb/> Münchens. Das iſt eine ganz ungeheuerliche Zahl<lb/><cb/> und läßt ermeſſen, welche Arbeit gerade in dieſer<lb/> ſchwierigen Zeit vom Wohlfahrtsamt und den<lb/> übrigen Fürſorgeſtellen der Stadt zu leiſten war.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Aufwendungen</hi> zur Durchführung der<lb/> Fürſorge ſind ſelbſtverſtändlich ganz erheblich.<lb/> Nach dem derzeitigen Stand der Dinge werden<lb/> die Ausgaben des Jahres 1923 betragen:</p><lb/> <p>in der Armenpflege etwa 1 Goldmillion,<lb/> in der Sozial- und Kleinrentnerfürſorge über<lb/> 2 Goldmillionen,</p><lb/> <p>in der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenen-<lb/> fürſorge ohne die Zuſatzrenten, die ganz vom<lb/> Reich getragen, aber von der Gemeinde ausge-<lb/> zahlt werden, etwa 85 000 Goldmark.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Verwaltungskoſten</hi> hat die Ge-<lb/> meinde in der Hauptſache allein zu tragen, wie die<lb/> Koſten für die Armenpflege; bei den Koſten der<lb/> geſetzlichen Sozial- und Kleinrentnerfürſorge iſt<lb/> das Reich mit vier Fünftel beteiligt, an der für<lb/> die Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenenfür-<lb/> ſorge das Reich zu acht Zehntel, das Land zu<lb/> ein Zehntel. Vielfach haben die geſetzlichen Unter-<lb/> ſtützungsſätze zur Deckung des notwendigſten Be-<lb/> darfes aber nicht ausgereicht, die Zuſatzunter-<lb/> ſtützungen in Geld und Sachen gehen auch hier<lb/> zu Laſten der Stadt.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Leiſtungen an die einzelnen<lb/> Fürſorgeempfänger</hi> im Monat Dezember<lb/> ſind unter Zugrundelegung der Höchſtſätze fol-<lb/> gende:</p><lb/> <p>bei der Armenpflege: M 21.60 (laufende Geld-<lb/> unterſtützung),</p><lb/> <p>bei der Sozialrentnerfürſorge: M 33.— (lau-<lb/> fende Geldunterſtützung, hierzu noch 2 M<lb/> Rente durch die Poſt),</p><lb/> <p>bei der Kleinrentnerfürſorge: M 35.— (laufende<lb/> Geldunterſtützung),</p><lb/> <p>bei der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebe-<lb/> nenfürſorge M 30.80 (Zuſatzrenten).</p><lb/> <p>In der Armenpflege kann der Höchſtſatz im Be-<lb/> darfsfalle überſchritten werden. Dazu werden in<lb/> der Armenpflege Sonderleiſtungen im größeren<lb/> Umfange gewährt, als in der übrigen Fürſorge.</p><lb/> <p>Außerdem führt das Wohlfahrtsamt <hi rendition="#g">Unter-<lb/> ſtützungsaktionen</hi> durch, in denen die vor-<lb/> erwähnten dauernd Unterſtützten (bei der Milch-<lb/> verbilligung unter gewiſſen Vorausſetzungen) teil-<lb/> nehmen:</p><lb/> <p>Milchverbilligung für etwa 10 000 Liter täglich<lb/> und etwa 19 000 Perſonen mit einem Mo-<lb/> natsaufwand von ca. M 35 000.—,</p><lb/> <p>unentgeltliche Brotabgabe an etwa 130—140 000<lb/> Perſonen und 6 Pfund für den Monat mit<lb/> einem Aufwand von monatl. M 160 000.—,</p><lb/> <p>für Gas, und Stromverbilligung werden Be-<lb/> träge von M 1.50 bis M 1.80 pro Haus-<lb/> halt in der Regel an Dauerunterſtützte ge-<lb/> geben bei dem Monatsaufwand von<lb/> M 31 000.—</p><lb/> <cb/> <p>An die Armen, die Sozial- und Kleinrentner,<lb/> bei letzteren unter teilweiſer Deckung der Koſten<lb/> durch Kürzung der Geldunterſtützungen werden im<lb/> Laufe des Winters verteilt je ⅜ Ster Holz und<lb/> 3 Zentner Kohlen, im ganzen etwa 8000 Ster<lb/> Holz und 75 000 Zentner Kohlen. Zur koſten-<lb/> loſen Verteilung kamen ferner aus Spenden und<lb/> Sammlungen um nur das Hauptſächlichſte zu<lb/> nennen: 30 000 Pfund Fett. 1200 Zentner Mehl,<lb/> 13 000 Zentner Kartoffel, 14 000 Zentner Torf u. a.</p><lb/> <p>Die Leiſtungen des Wohlfahrtsamtes ſind nicht<lb/><cb/> immer, aber im Dezember 1923 an Geld und<lb/> Waren höher geweſen, als die Reichungen der<lb/> Armenpflege in Friedenszeit. Die Not iſt trotz<lb/> aller Anſtrengungen von Reich, Staat und Ge-<lb/> meinde furchtbar. Darum hat das Wohlfahrts-<lb/> amt immer wieder in Stadt und Land zu frei-<lb/> williger Hilfeleiſtung aufgefordert, zuletzt im<lb/> Hilfswerk 1923. Die Gebefreudigkeit darf nicht<lb/> erlahmen! Wer kann, der helfe dem Wohlfahrts-<lb/> amt München ſeine ſchwere und wichtige Aufgabe<lb/> erfüllen, die Not ſo vieler Tauſenden zu lindern.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Filmkritik und Publikum</hi> </head><lb/> <p>Die Filmkritik will ſich nicht auf Inhaltsan-<lb/> gabe oder auf Lob und Tadel der einzelnen Lei-<lb/> ſtungen beſchränken. Sie will durch ſachliche Be-<lb/> gründung ihres Urteils zugleich die Grundlagen<lb/> für die Urteilsbildung beim Publikum ſchaffen<lb/> und deſſen Geſchmack in Richtung auf den künſt-<lb/> leriſchen Film hin orientieren helfen. Es wird,<lb/> ſolange der Film noch in ſo ſcharfer Entwicklung<lb/> begriffen iſt, ſolange eine Aeſthetik des Films in-<lb/> folge der rapiden, noch längſt nicht auf der Höhe<lb/> angelangten Vervollkommung der techniſchen<lb/> Hilfsmittel kaum erſt in Umriſſen erkennbar iſt,<lb/> zunächſt darauf ankommen, die bis dahin erreich-<lb/> baren und erreichten künſtleriſchen und techniſchen<lb/><hi rendition="#g">Möglichkeiten</hi> dem Publikum erkennbar zu<lb/> machen und an den einzelnen Filmſchöpfungen<lb/> aufzuzeigen. Dadurch ſoll erreicht werden, daß<lb/> das Publikum auch ſeinerſeits, über den Genuß<lb/> an den <hi rendition="#g">einzelnen</hi> Schönheiten des Films, wie<lb/> an Bildern, Darſtellung, Aufmachung uſw. hinaus<lb/> Freude an ſeinen <hi rendition="#g">inneren</hi> Werten, an ſeinem<lb/> künſtleriſchen Gehalt und den techniſchen Wun-<lb/> dertaten, ſowie Verſtändnis für den künſtleriſchen<lb/> Aufbau, für künſtleriſche und techniſche Mängel<lb/> im engeren Sinne bekommt und ſich ſchließlich<lb/> auch ein eigenes Bild von deren Entwicklung<lb/> machen kann. Es ſoll nicht nur ſehen, ſondern<lb/> auch erleben, wie man andere Kunſtwerke erlebt,<lb/> ſoll ſich nicht allein unterhalten und ſinnlich oder<lb/> gefühlsmäßig berühren, ſondern auch hinreißen<lb/> und erſchüttern laſſen.</p><lb/> <p>Es war von vornherein ein Fehler, vom „Film-<lb/><hi rendition="#g">drama</hi>“ zu ſprechen, dadurch ſind Herſteller und<lb/> Publikum auf falſche Fährte geführt und in den<lb/> engen Bezirk des Epiſodalen eingezwängt worden,<lb/> deſſen Ueberwindung koſtbare Jahre erforderte.<lb/> Man hat überſehen, daß es ſich beim Film weit<lb/> mehr um Epiſches als um Dramatiſches handelt.<lb/> Dieſe falſche Einſtellung mit den übeln Folgen<lb/> der langweiligen Paſſagen, des Selbſtzweckhaften<lb/> von Senſation und Spannung aus Mangel an<lb/> Stoff, des Kitſchigen als Konſequenz der Nach-<lb/> ahmung einer ungeeigneten Kunſtform und jener<lb/><cb/> hypernaturaliſtiſchen Darſtellungsweiſe, die uns<lb/> die Ueberdeutlichkeit des Ausdrucks als ſchein-<lb/> baren Erſatz für die beherrſchende Stellung des<lb/> Wortes im Drama beſcherte, haben unheilvolle<lb/> Verwirrung angerichtet, dem Film den Ruf des<lb/> Kitſches und einer unmöglich ernſt zu nehmen-<lb/> den Unterhaltungsgelegenheit eingebracht. Wie<lb/> ſchwer ausrottbar dieſe Folgen ſind, iſt daran zu<lb/> erkennen, daß oft künſtleriſch wertvolle Filme<lb/> das Publikum gleichgültig laſſen oder daß hohe<lb/> künſtleriſche Werte in großen, auch vom Publikum<lb/> anerkannten Filmen, dieſem gar nicht bewußt<lb/> werden.</p><lb/> <p>Das Publikum iſt zuweilen auffallend genüg-<lb/> ſam. Ein paar ſchöne, groß aufgemachte Bilder,<lb/> pompöſe Ausſtattung genügen. Zugegeben: das<lb/> Bildhafte iſt das Primäre im Film. Nicht minder<lb/> wichtig aber iſt das epiſche Geſchehen, die in den<lb/> Bildern Ausdruck findende <hi rendition="#g">innere</hi> Entwicklung<lb/> einer Idee oder auch nur einer Tendenz. Dieſes<lb/> eigentlich Stoffliche des Films iſt geſtaltet in<lb/> Stimmung, Milieu und Handlung, und als Ver-<lb/> bindung gewiſſermaßen zwiſchen Stoff und Ge-<lb/> ſtalt ſteht das Wort, der Text oder „Titel“, künſt-<lb/> leriſch nicht weniger bedeutſam — leider in dieſer<lb/> Beziehung noch vernachläßigt —, als die übrigen<lb/> künſtleriſchen Elemente. Die Viſion als Ausdruck<lb/> pſychologiſcher Vorgänge ſowie die Muſik als ſol-<lb/> cher des ſtimmungsmäßigen Gehalts werden<lb/> gleichfalls eine bedeutſame Rolle zu ſpielen haben.</p><lb/> <p>Es konnte ſich im Rahmen dieſer Darlegungen<lb/> nur um Andeutungen für die künſtleriſche und<lb/> techniſche Erfaſſung einer Filmſchöpfung durch<lb/> Kritik und Publikum handeln, nur um Hinweiſe<lb/> auf das, was bis jetzt zu wenig, falſch oder gar<lb/> nicht betrachtet worden iſt, und was doch, vor<lb/> allem in Hinſicht auf die Notwendigkeit für die<lb/> deutſche Produktion, Qualitätsarbeit zu leiſten,<lb/> auch in wirtſchaftlicher Beziehung ausſchlaggebend<lb/> für die Zukunft des deutſchen Filmes ſein wird.<lb/> Der deutſche Geiſt war in ſo vielem ſchon rich-<lb/> tunggebend und bahnbrechend, hier iſt ein Gebiet,<lb/> das der Eroberung für die ganze Welt wert iſt.<lb/> Möge auch das Filmpublikum durch verſtändnis-<lb/> volles Mitgehen den Weg für die Unternehmer<lb/> und Künſtler ebnen helfen.</p><lb/> <byline> <hi rendition="#aq">E. L.</hi> </byline> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [7/0007]
Mittwoch, den 16. Januar 1924. Allgemeine Zeitung Nr. 15
Was wir wollen und müſſen *)
Von
Ed. Hamm, M. d. R.,
Reichswirtschaftsminister
II.
3. Die Einheit unſeres Staates iſt im In-
nern wiederum, wie ſo oft in der deutſchen
Geſchichte, in Meinungsverſchiedenheiten
um die Verteilung ſtaatlichen Rechts
zwiſchen dem Reiche und ſeinen
Gliedſtaaten befangen. Wer das deut-
ſche Volk ſo, wie es in ſeiner Geſchichte
wurde, als etwas Naturwüchſiges betrach-
tet, deſſen weitere Entwicklung ſich nach
den Geſetzen dieſes Wuchſes geſtalten ſoll,
wer die unendliche Mannigfaltigkeit der
deutſchen Kultur in ihrer engen Verbunden-
heit mit einzelſtaatlichen Kräften begriffen
hat, der kann nicht in die Verſuchung eines
mechaniſchen und einförmigen Zentralis-
mus kommen; das gilt beſonders für den,
der das Zuſammenwachſen verſchiedener
Stämme zum bayeriſchen Staate im 19.
Jahrhundert als einen Gewinn für alle Be-
teiligten zu betrachten gewöhnt iſt und
dieſen bayeriſchen Staat als Staat zu be-
greifen und zu ſchätzen gelernt hat. Wer ſo
die Dinge betrachtet, dem iſt es ein Erfor-
dernis organiſcher, geſchichtlicher Demo-
kratie, die Freiheit der Teile zu erhalten
und zu möglichſt ſtarker Selbſtführung und
Selbſtverantwortung zu entfalten. Aber
wer vor allem deutſch ſein will, und —
nach einem bekannten, guten Wort eines
bayeriſchen Königs — nie Bayer zum Scha-
den Deutſchlands, der muß ſich gewöhnen,
dieſe Fragen vor allem als geſamt-
deutſche Fragen zu ſehen. Gab im
alten Reiche die monarchiſch-konſtitutionelle
Verfaſſung der Gliedſtaaten Gewähr gegen
Sprünge und Brüche in der politiſchen Ent-
wicklung der Einzelſtaaten, ſo iſt heute je
nach der politiſch-wirtſchaftlichen Lage des
Einzelſtaates eine völlig verſchiedenartige
Geſtaltung durchaus geſetzmäßig möglich,
wie die Entwicklung einerſeits in Bayern,
andrerſeits in Sachſen zeigt. Stand hinter
dem deutſchen Kaiſertum vormals die
Hausmacht des Königs von Preußen, ſo
muß heute, da das Reich keine Haus-
macht hat, das Recht des Reiches
ſtärker ſein, wenn gegenüber gegenſätzlich-
ſten Entwicklungsmöglichkeiten den deut-
ſchen Staatsbürgern ein gewiſſes Maß von
Rechtsgleichheit und Rechtsſchutz in den
wichtigſten Rechtsgütern der perſönlichen
Freiheit, des Eigentums, der Freiheit der
Meinungsäußerung, der religiöſen Beſtäti-
gung uſw. geſichert werden ſoll. Ueber das
Ausmaß im einzelnen iſt viel Für und Wider
zu ſagen. An Zentraliſierung iſt ſicher zu
viel geſchehen und Abbau davon iſt not-
wendig und im Gange. Aber es iſt doch
auch nicht ſo, als ſei das Urſprüngliche in
der deutſchen Geſchichte die Unabhängigkeit
der Einzelſtaaten geweſen. In Wirklichkeit
war es doch der Fluch der deutſchen Ge-
ſchichte, daß, während England und Frank-
reich die Zerſplitterung überwanden, in
Deutſchland Reichsrecht und Reichsmacht
von den deutſchen Fürſten zerriſſen wur-
den, am meiſten juſt dann, wenn der Fran-
zoſe am Rhein, der Türke vor Wien ſtand.
Die „teutſche Libertät“ von 1648, das Wort
von „Les Allemagnes“ da, wo wir das
eine Deutſchland an der Maas bis an die
Memel wollen, ſind Tatſachen aus vergan-
gener deutſcher Geſchichte. Darum muß auf
beiden Seiten alle Klugheit, alle Verant-
wortlichkeit, alle ſtaatspolitiſche Voraus-
ſicht und Geſtaltungskraft darangeſetzt wer-
den, zwiſchen Reich und Ländern zu einer
von beiden Seiten bejahten Regelung zu
kommen, die in der möglichſt entwickelten
Freiheit der Teile die Sicherheit des Gan-
zen als das erſte Erfordernis bewahren
will.
4. Wir müſſen unſere Wirtſchaft in
Ordnung bringen. Sie iſt nicht Selbſtzweck,
ſondern dienendes Glied zum Wohle der
Nation. Sie trägt ihre Geſetze zum großen
Teil in ſich, die niemand ungeſtraft verletzt.
Heute iſt dieſe Auffaſſung überall aner-
kannt. Die Zeit der Vergewaltigung der
Wirtſchaft durch die Politik, durch einzelne
Klaſſen oder Gewalthaber iſt vorüber.
Freilich, die alten Zeiten kommen nicht
wieder. Eine ungeheure Umſchichtung iſt
über das Land gegangen. Beſte, wertvollſte
Kreiſe haben Beſitz und Stellung verloren.
Was obenauf kam, verdiente es nicht immer.
Sachwerte wurden erhalten, da und dort
auch gemehrt; wer aber Privaten oder gar
dem Staat Kredit gab, verlor Ererbtes und
Erſpartes. Sparen wurde ſinnlos. Die In-
flation verzehrte Kapital und Zinſen. Nun
iſt ſie mit einem Ruck zum Stillſtand ge-
kommen. Damit es dabei bleibt, iſt not-
wendig Ordnung im Staatshaus-
halt und Fruchtbarkeit der Wirt-
ſchaft. Das aber wieder erfordert:
a) Abbau der Staatsausgaben und des-
halb der Staatsaufgaben, Abbau der
Beamtenrüſtung;
b) höchſte Steuerleiſtung zum Ausgleich
der notwendigen Ausgaben;
c) Mehrung der Arbeitsleiſtung aus In-
tenſität wie auch der Arbeitszeit;
d) Wegfall der unproduktiven Arbeiten;
e) möglichſt billige Preisbemeſſung zur
Wiederherſtellung der Wettbewerbs-
fähigkeit mit dem Ausland und zum
Ausgleich der geſunkenen Kaufkraft;
f) Kapitalbildung durch Verbrauchsein-
ſchränkung und Sparen zur Ueberwin-
dung der Kreditnot.
Hierfür iſt in den letzten Wochen Weſent-
liches erreicht worden: ſeit ſieben Wochen
hat die Mark einen feſten Stand, Löhne und
Preiſe eine ſichere Unterlage. Unter Tage
arbeiten die Bergleute 8 Stunden und mehr,
vor den Feuern die Eiſenarbeiter 10 Stun-
den, die Arbeitszeit der Beamten iſt auf
54 Stunden erhöht, der Beamtenabbau mit
tragiſchen Opfern an Familienglück im
Gange; Steuern werden erhoben, die nicht
ohne tiefe Eingriffe in die Subſtanz und da-
mit nicht ohne Minderung des künftigen
Ertrages geleiſtet werden können. Die
Preiſe ſind vielfach ſtark geſunken. Viel zu
tief freilich iſt die Umſchichtung gegangen,
als daß Verluſte, die man längſt hingenom-
men hat, wieder ausgeglichen werden könn-
ten, als daß, was nach unten geackert wurde,
wieder nach oben geackert werden könnte.
Wohl muß der Staat trachten, jede ver-
meidbare Ungerechtigkeit zu
vermeiden, aber das Entſcheidende iſt,
der Wirtſchaft überhaupt wieder einen feſten
Boden zu geben. Auf dieſem aber heißt es
mehr arbeiten und mehr ſparen; mehr ar-
beiten gerade zur Ueberwindung der Ar-
beitsloſigkeit, denn die Arbeit iſt kein
Kuchen, von dem die Stücke um ſo kleiner
werden, je mehr davon zehren ſollen, ſon-
dern ſie iſt ein Quell, der um ſo reicher
fließt, je tiefer man den Schacht bohrt.
So ſind wir auf der ganzen Linie auf
dem Wege zurück zu bürgerlicher
Wirtſchaftsauffaſſung. Der Mar-
xismus hat in ſeinen weſentlichſten und
eigenſten Teilen Kraft und Glauben ver-
loren. Eben deshalb iſt mindeſtens ſo wich-
tig als ſeine Widerlegung das andere, daß
wir nicht in der Negative ſtehen
bleiben. Freie Entfaltung der Wirt-
ſchaftskraft und Schutz der Lebenskräftigen
gegen Erdrückung durch Uebermacht weniger
iſt ebenſowohl bürgerliche Wirtſchaftsauffaſ-
ſung wie das andere, daß der, der nach ehr-
licher Anſtrengung ſeiner Arbeitskraft in
Invalidität oder Krankheit verfällt, nicht
dem Mitleid anheimgegeben wird, vielmehr
ein Recht auf die kärgliche Fürſorge haben
ſoll, die die verarmte Gemeinſchaft unſerer
Wirtſchaft aufzubringen imſtande iſt.
5. Das führt zur letzten großen Gemein-
ſamkeit, der Forderung: Ueber allem Ar-
beiten und Wirtſchaften darf der Deutſche
am wenigſten es vergeſſen, daß das höchſte
Ziel unſeres Volks- und Einzellebens jen-
ſeits des Wirtſchaftszweckhaften liegt, in
der Entfaltung der Seele. Tauſen-
den iſt die Berufsarbeit ſelbſt reicher In-
halt geiſtigen Lebens, anderen gibt ſie,
trotz des ſittlichen Wertes jeder Arbeit, im
weſentlichen nur Unterhalt. Auch dieſen
aber ſchulden wir, weil ſie Menſchen ſind
und unentbehrlich zu Aufſtieg und Vertie-
fung des deutſchen Volkes im ganzen, die
Darreichung und Pflege geiſtiger Güter.
Die Zeit iſt wenig dazu angetan. Aber wenn
die Jahre der Reichtumſammlung unter
Wilhelm II. vielfach in Materialismus auf-
gingen, ſo mag nun die Zeit der äußeren
Verarmung die Zeit der Pflege geiſtiger
Beſitztümer ſein. Die Menſchen hungern
danach und ſehnen ſich, daß Licht und Wärme
in den Seelen einkehre. Für Kirche und
Schule, für alle, die Geiſtiges geben können,
fließen daraus große Aufgaben. Konſerva-
tive Achtung vor ererbtem geiſtigen Väter-
beſitz, liberale Pflege eines ſich ſelbſt ſittlich
frei beſtimmenden Menſchentums ſollen in
Wetteifer und in Verſöhnung auf dieſem
Felde ſich finden.
Dieſe Ausführungen ſollten und wollten
im allgemeinen bleiben. Sie wollten zeigen,
wieviel an Grundauffaſſungen weithin ge-
meinſam ſind, weit über die Grenzen einer
Partei, ſo zwar, daß dieſe Grenzen vielfach
unnatürlich und willkürlich geworden ſind.
Noch ſcheut man ſich überall, die alten For-
men zu zerſchlagen, nicht ſo faſt aus Ueber-
ſchätzung dieſer Formen, als aus zaghaftem
Zweifel überhaupt, ob aus Parteigründun-
gen noch Großes erſtehen könne. Da aber
Parteien ihre Aufgabe der politiſchen Wil-
lensbildung offenbar noch weiterführen müſ-
ſen, ſo iſt es um ſo wichtiger, wenigſtens
von Partei zu Partei und zu den vielen
außerhalb der Parteien das Gemein-
ſame zu betonen, damit wir alle, die
wir den Eigenvorteil einer Schicht und
einer Partei, wie den vermeintlichen Vorteil
heimatlichen Landes vorbehaltlos den Le-
bensrechten und Lebenserforderniſſen der
deutſchen Nation unterordnen wollen, uns
in Stunden der Not als Bürger eines
Reiches finden.
Das Wohlfahrtsamt München
II.
Für Zwecke der Armenpflege iſt die Stadt
in 85 Bezirke eingeteilt, in denen je ein Ausſchuß
tätig iſt. Dieſe Ausſchüſſe, Bezirkspflegeaus.
ſchüſſe genannt, ſind wieder in 12 Kreisausſchüſſe
zuſammengefaßt; beim Armenrat ſelbſt arbeiten
zur Vorberatung der Angelegenheiten, die von der
Vollverſammlung zu erledigen ſind, 3 Zentral-
unterausſchüſſe. Für die Angelegenheiten der
allgemeinen Abteilung der Bezirkswohlfahrts-
ämter beſtehen 12 Bezirkswohlfahrtsausſchüſſe und
bei der Zentrale der Fürſorgeſenat, für die
Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenenfürſorge
arbeitet ein Beirat der Fürſorgeſtelle mit einem
Unterausſchuß und je einem Sonderausſchuß bei
den Bezirkswohlfahrtsämtern. Zur Beratung all-
gemeiner Fragen der Fürſorge zur Aufſtellung
von Richtlinien der Wohlfahrtspflege zum Zwecke
der Zuſammenarbeit mit der privaten Fürſorge
iſt der Hauptwohlfahrtsausſchuß ge-
bildet worden, in welchem neben dem Wohlfahrts-
amt auch andere Referate, die Fürſorge üben,
vertreten ſind, insbeſondere aber alle Richtungen
der kirchlichen und privaten Wohlfahrtspflege.
Im Dezember 1923 ſtanden in Dauerfür-
ſorge bei der Armenpflege noch 4896 Er-
wachſene und 1757 Kinder. Dazu müſſen aber
gerade in der Armenpflege noch in ungezählten
Fällen infolge augenblicklicher Not Unterſtützun-
gen an Perſonen gegeben werden, die ſonſt nicht
in Fürſorge ſtehen, insbeſondere müſſen Kranken-
hauskoſten, Beerdigungskoſten uſw. in zahlreichen
Fällen von der Armenpflege getragen werden. In
der Sozialrentnerfürſorge befanden ſich
um dieſe Zeit 10 651 Rentner mit 963 unterſtützten
Ehefrauen und Kindern, in der Kleinrent-
nerfürſorge 4 869 Rentner mit 618 Ehe-
frauen und Kindern. Zuſatzrenten in der Kriegs-
beſchädigten. und Hinterbliebenen-
fürſorge bezogen um dieſe Zeit 11 122 Per-
ſonen. In der Gebrechlichenfürſorge,
alſo in der Fürſorge für Geiſteskranke, dauernd
Unheilbare uſw. zählen wir zurzeit etwa 1700
Fälle. Dazu ſind auf Koſten der Stadt in den
Armenverſorgungsanſtalten und in
den Spitälern und den Anſtalten pri-
vater Organiſationen 2020 Perſonen
untergebracht. Der Vollſtändigkeit halber ſei auch
mitgeteilt, daß im Dezember in Erwerbslo-
ſenfürſorge ſtanden 26 000 Erwerbsloſe mit
16 000 unterſtützten Angehörigen und 52 000 Kurz-
arbeiter. In der Jugendfürſorge ſtanden
etwa 10 000 Perſonen. Im ganzen befanden ſich
ſo etwa
140 000 Perſonen in öffentlicher Fürſorge
oder etwa 23 Prozent der geſamten Bevölkerung
Münchens. Das iſt eine ganz ungeheuerliche Zahl
und läßt ermeſſen, welche Arbeit gerade in dieſer
ſchwierigen Zeit vom Wohlfahrtsamt und den
übrigen Fürſorgeſtellen der Stadt zu leiſten war.
Die Aufwendungen zur Durchführung der
Fürſorge ſind ſelbſtverſtändlich ganz erheblich.
Nach dem derzeitigen Stand der Dinge werden
die Ausgaben des Jahres 1923 betragen:
in der Armenpflege etwa 1 Goldmillion,
in der Sozial- und Kleinrentnerfürſorge über
2 Goldmillionen,
in der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenen-
fürſorge ohne die Zuſatzrenten, die ganz vom
Reich getragen, aber von der Gemeinde ausge-
zahlt werden, etwa 85 000 Goldmark.
Die Verwaltungskoſten hat die Ge-
meinde in der Hauptſache allein zu tragen, wie die
Koſten für die Armenpflege; bei den Koſten der
geſetzlichen Sozial- und Kleinrentnerfürſorge iſt
das Reich mit vier Fünftel beteiligt, an der für
die Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenenfür-
ſorge das Reich zu acht Zehntel, das Land zu
ein Zehntel. Vielfach haben die geſetzlichen Unter-
ſtützungsſätze zur Deckung des notwendigſten Be-
darfes aber nicht ausgereicht, die Zuſatzunter-
ſtützungen in Geld und Sachen gehen auch hier
zu Laſten der Stadt.
Die Leiſtungen an die einzelnen
Fürſorgeempfänger im Monat Dezember
ſind unter Zugrundelegung der Höchſtſätze fol-
gende:
bei der Armenpflege: M 21.60 (laufende Geld-
unterſtützung),
bei der Sozialrentnerfürſorge: M 33.— (lau-
fende Geldunterſtützung, hierzu noch 2 M
Rente durch die Poſt),
bei der Kleinrentnerfürſorge: M 35.— (laufende
Geldunterſtützung),
bei der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebe-
nenfürſorge M 30.80 (Zuſatzrenten).
In der Armenpflege kann der Höchſtſatz im Be-
darfsfalle überſchritten werden. Dazu werden in
der Armenpflege Sonderleiſtungen im größeren
Umfange gewährt, als in der übrigen Fürſorge.
Außerdem führt das Wohlfahrtsamt Unter-
ſtützungsaktionen durch, in denen die vor-
erwähnten dauernd Unterſtützten (bei der Milch-
verbilligung unter gewiſſen Vorausſetzungen) teil-
nehmen:
Milchverbilligung für etwa 10 000 Liter täglich
und etwa 19 000 Perſonen mit einem Mo-
natsaufwand von ca. M 35 000.—,
unentgeltliche Brotabgabe an etwa 130—140 000
Perſonen und 6 Pfund für den Monat mit
einem Aufwand von monatl. M 160 000.—,
für Gas, und Stromverbilligung werden Be-
träge von M 1.50 bis M 1.80 pro Haus-
halt in der Regel an Dauerunterſtützte ge-
geben bei dem Monatsaufwand von
M 31 000.—
An die Armen, die Sozial- und Kleinrentner,
bei letzteren unter teilweiſer Deckung der Koſten
durch Kürzung der Geldunterſtützungen werden im
Laufe des Winters verteilt je ⅜ Ster Holz und
3 Zentner Kohlen, im ganzen etwa 8000 Ster
Holz und 75 000 Zentner Kohlen. Zur koſten-
loſen Verteilung kamen ferner aus Spenden und
Sammlungen um nur das Hauptſächlichſte zu
nennen: 30 000 Pfund Fett. 1200 Zentner Mehl,
13 000 Zentner Kartoffel, 14 000 Zentner Torf u. a.
Die Leiſtungen des Wohlfahrtsamtes ſind nicht
immer, aber im Dezember 1923 an Geld und
Waren höher geweſen, als die Reichungen der
Armenpflege in Friedenszeit. Die Not iſt trotz
aller Anſtrengungen von Reich, Staat und Ge-
meinde furchtbar. Darum hat das Wohlfahrts-
amt immer wieder in Stadt und Land zu frei-
williger Hilfeleiſtung aufgefordert, zuletzt im
Hilfswerk 1923. Die Gebefreudigkeit darf nicht
erlahmen! Wer kann, der helfe dem Wohlfahrts-
amt München ſeine ſchwere und wichtige Aufgabe
erfüllen, die Not ſo vieler Tauſenden zu lindern.
Filmkritik und Publikum
Die Filmkritik will ſich nicht auf Inhaltsan-
gabe oder auf Lob und Tadel der einzelnen Lei-
ſtungen beſchränken. Sie will durch ſachliche Be-
gründung ihres Urteils zugleich die Grundlagen
für die Urteilsbildung beim Publikum ſchaffen
und deſſen Geſchmack in Richtung auf den künſt-
leriſchen Film hin orientieren helfen. Es wird,
ſolange der Film noch in ſo ſcharfer Entwicklung
begriffen iſt, ſolange eine Aeſthetik des Films in-
folge der rapiden, noch längſt nicht auf der Höhe
angelangten Vervollkommung der techniſchen
Hilfsmittel kaum erſt in Umriſſen erkennbar iſt,
zunächſt darauf ankommen, die bis dahin erreich-
baren und erreichten künſtleriſchen und techniſchen
Möglichkeiten dem Publikum erkennbar zu
machen und an den einzelnen Filmſchöpfungen
aufzuzeigen. Dadurch ſoll erreicht werden, daß
das Publikum auch ſeinerſeits, über den Genuß
an den einzelnen Schönheiten des Films, wie
an Bildern, Darſtellung, Aufmachung uſw. hinaus
Freude an ſeinen inneren Werten, an ſeinem
künſtleriſchen Gehalt und den techniſchen Wun-
dertaten, ſowie Verſtändnis für den künſtleriſchen
Aufbau, für künſtleriſche und techniſche Mängel
im engeren Sinne bekommt und ſich ſchließlich
auch ein eigenes Bild von deren Entwicklung
machen kann. Es ſoll nicht nur ſehen, ſondern
auch erleben, wie man andere Kunſtwerke erlebt,
ſoll ſich nicht allein unterhalten und ſinnlich oder
gefühlsmäßig berühren, ſondern auch hinreißen
und erſchüttern laſſen.
Es war von vornherein ein Fehler, vom „Film-
drama“ zu ſprechen, dadurch ſind Herſteller und
Publikum auf falſche Fährte geführt und in den
engen Bezirk des Epiſodalen eingezwängt worden,
deſſen Ueberwindung koſtbare Jahre erforderte.
Man hat überſehen, daß es ſich beim Film weit
mehr um Epiſches als um Dramatiſches handelt.
Dieſe falſche Einſtellung mit den übeln Folgen
der langweiligen Paſſagen, des Selbſtzweckhaften
von Senſation und Spannung aus Mangel an
Stoff, des Kitſchigen als Konſequenz der Nach-
ahmung einer ungeeigneten Kunſtform und jener
hypernaturaliſtiſchen Darſtellungsweiſe, die uns
die Ueberdeutlichkeit des Ausdrucks als ſchein-
baren Erſatz für die beherrſchende Stellung des
Wortes im Drama beſcherte, haben unheilvolle
Verwirrung angerichtet, dem Film den Ruf des
Kitſches und einer unmöglich ernſt zu nehmen-
den Unterhaltungsgelegenheit eingebracht. Wie
ſchwer ausrottbar dieſe Folgen ſind, iſt daran zu
erkennen, daß oft künſtleriſch wertvolle Filme
das Publikum gleichgültig laſſen oder daß hohe
künſtleriſche Werte in großen, auch vom Publikum
anerkannten Filmen, dieſem gar nicht bewußt
werden.
Das Publikum iſt zuweilen auffallend genüg-
ſam. Ein paar ſchöne, groß aufgemachte Bilder,
pompöſe Ausſtattung genügen. Zugegeben: das
Bildhafte iſt das Primäre im Film. Nicht minder
wichtig aber iſt das epiſche Geſchehen, die in den
Bildern Ausdruck findende innere Entwicklung
einer Idee oder auch nur einer Tendenz. Dieſes
eigentlich Stoffliche des Films iſt geſtaltet in
Stimmung, Milieu und Handlung, und als Ver-
bindung gewiſſermaßen zwiſchen Stoff und Ge-
ſtalt ſteht das Wort, der Text oder „Titel“, künſt-
leriſch nicht weniger bedeutſam — leider in dieſer
Beziehung noch vernachläßigt —, als die übrigen
künſtleriſchen Elemente. Die Viſion als Ausdruck
pſychologiſcher Vorgänge ſowie die Muſik als ſol-
cher des ſtimmungsmäßigen Gehalts werden
gleichfalls eine bedeutſame Rolle zu ſpielen haben.
Es konnte ſich im Rahmen dieſer Darlegungen
nur um Andeutungen für die künſtleriſche und
techniſche Erfaſſung einer Filmſchöpfung durch
Kritik und Publikum handeln, nur um Hinweiſe
auf das, was bis jetzt zu wenig, falſch oder gar
nicht betrachtet worden iſt, und was doch, vor
allem in Hinſicht auf die Notwendigkeit für die
deutſche Produktion, Qualitätsarbeit zu leiſten,
auch in wirtſchaftlicher Beziehung ausſchlaggebend
für die Zukunft des deutſchen Filmes ſein wird.
Der deutſche Geiſt war in ſo vielem ſchon rich-
tunggebend und bahnbrechend, hier iſt ein Gebiet,
das der Eroberung für die ganze Welt wert iſt.
Möge auch das Filmpublikum durch verſtändnis-
volles Mitgehen den Weg für die Unternehmer
und Künſtler ebnen helfen.
E. L.
*) Der Aufſatz iſt vor dem Erſcheinen der
bayeriſchen Denkſchrift geſchrieben.
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(2022-12-19T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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