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Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 18. Januar 1929.

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Freitag, den 18. Januar "AZ am Abend" Nr. 15


Der Einbruch

Novelle von Axel Rasmussen

[Spaltenumbruch]

Marga erwachte von einem kühlen Luft-
zug, der ihr Antlitz streifte. Im selben
Augenblick hörte sie ein sanftes, klickendes
Geräusch, als bräche jemand einen spröden
Gegenstand behutsam auseinander. "Ein-
brecher," dachte sie und für einen Augenblick
hörte ihr Herz auf zu schlagen. Angst griff
nach ihrer Kehle und sie zitterte heftig. Aber
es war nur ein Augenblick. Dann raffte sie
alle ihre Kraft zusammen und begann zu
überlegen. In rasender Geschwindigkeit
huschten Gedanken und Erwägungen durch
ihr Hirn.

"Er hat," dachte sie, "den Balkon von
außen erstiegen -- wahrscheinlich ist er an
dem Weinspalier in die Höhe geklettert.
Dann hat er die Glasscheibe der Balkontür
eingedrückt und jetzt steht er dort -- ich sehe
fast, wie der Vorhang weht -- und wartet.
Er lauscht, um sich erst einmal zu verge-
wissern, ob ihn auch niemand gehört hat.

Ich habe ihn gehört! Und ich könnte hin-
überlangen nach dem Klingelknopf drüben
und das Mädchen alarmieren. Aber es ist
nicht dunkel genug -- seine Augen haben
sich wahrscheinlich an die Nacht gewöhnt und
er würde die Bewegung sehen. Und man
weiß nicht, was er dann tun würde. Solche
Menschen sind unberechenbar. Wahrscheinlich
will er bloß stehlen -- aber es könnte doch
sein, daß er, enttäuscht über seinen Miß-
erfolg, zu Gewalttaten greift, daß er mich
oder uns beide tötet. Bestimmt hat er auch
eine Waffe.

Ich darf also nicht klingeln! Anderseits --
mein ganzer Schmuck liegt in der Schale
auf dem Tisch. Der Mann hat sich den gün-
stigsten Augenblick ausgesucht nach dem Fest
gestern abend. Ich hätte die Sachen weg-
schließen sollen, gewiß. Das ist nun einmal
verabsäumt. Stelle ich mich schlafend, so
[Spaltenumbruch] nimmt er das alles: die Perlenkette, das
Brillantenkollier, alle Ringe. Meinen gan-
zen Schmuck, unser halbes Vermögen. Willy
würde mir meinen Leichtsinn niemals ver-
zeihen -- wo er ohnehin in letzter Zeit von
geschäftlichen Mißerfolgen gleichsam verfolgt
wird. Es wäre zu schrecklich ..."

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie tastete
nach dem Gesicht ihres Mannes. Ganz leise
wandte sie sich ihm zu, beobachtete ihn an-
gestrengt. Er atmete tief und regelmäßig --
kein Zweifel, daß er fest und ruhig schlief.

Da richtete sie sich plötzlich in ihrem Bett
auf. "Viktor," fragte sie flüsternd, die Augen
starr in die Ecke des Zimmers richtend, wo
sie den Eindringling vermutete. "Viktor --
bist du da?"

Es entstand eine lange Pause, dann gab
eine dunkle Männerstimme ebenso leise zu-
rück: "Ja -- ich bin ... gekommen."

Der Fremde hatte offenbar lange über-
legt, was er antworten sollte. Die Frau
stand auf, ging mit ruhigen Schritten dem
Unbekannten entgegen -- ihr Gesicht schim-
merte in der Dunkelheit so blaß und weiß
beinahe, wie das Nachtgewand, das ihren
schönen, jungen Körper lose umhüllte.

Eine Hand griff nach ihrem Arm, zwei
heiße Lippen preßten sich gierig auf ihren
Mund. Sie erschauerte -- aber bezwang sich
dennoch. "Es gilt ein gewagtes Spiel,"
dachte sie und mit einer Bewegung entblößte
sie Schulter und Brust. Es war immerhin
so dunkel, daß sie die Gesichtszüge des Ein-
dringlings nicht zu erkennen vermochte --
und auch dieser sah nur den fahlen Schim-
mer ihrer weißen, kühlen Haut.

"Es ist lieb von dir, daß du Wort ge-
halten hast!" sagte Marga wieder und
tastete mit bebenden Händen nach dem Ge-
sicht des Fremden. "Aber es wird heute nicht
[Spaltenumbruch] gehen -- wir werden unsern Plan auf einen
anderen Tag verschieben müssen."

"Warum?" fragte der Mann und gab
sich Mühe, seiner Stimme einen möglichst
indifferenten Klang zu geben.

"Ich wollte dir so gerne helfen, Liebster
-- ich hätte dir meine Perlen gegeben und
der Erlös hätte bestimmt genügt, deine
Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen.
Es sind sehr schöne und kostbare Perlen,
wirklich. Und Willy würde glauben, ein
Einbrecher hätte uns einen Besuch abge-
stattet und die Perlen gestohlen. Alles hatte
ich mir so schön ausgedacht -- nun hat mein
Mann gestern meinen Schmuck und alles in
sein Bank-Safe eingeschlossen. Er sagt, es
würde soviel gestohlen in der letzten Zeit
und es wäre besser, die Sachen nicht in der
Wohnung herumliegen zu lassen, den gan-
zen Sommer über, wo man doch keine Ge-
sellschaften mitmacht und den Schmuck nicht
braucht. Ich bin so traurig -- aber du mußt
nicht den Mut verlieren, mir wird schon
irgendeine List einfallen, die Sachen wieder
herauszubekommen."

"O Liebste," kam es zurück, "ich verliere
den Mut nicht. Wenn ich dich nur habe."
Eine Hand glitt sanft, liebkosend über ihre
Schulter. Ihr Herz schlug wahnsinnig. "Wie
ich das ertrage," dachte sie und errötete vor
sich selbst, "daß ein fremder Mann mich so
sieht, mich so betastet -- und daß ich nicht
sterbe ..."

In diesem Augenblick stöhnte der Mann
auf dem Lager hinten schwer auf -- wie
jemand, der aus dumpfen, quälenden
Träumen emportaucht ins wache Sein.

"Um Gotteswillen -- schnell, schnell --
mein Mann wacht auf," flüsterte die Frau
hastig und drängte den Fremden zur Brü-
stung des Balkons.

"Ich bin verloren, wenn er dich hier ent-
deckt. Wir sehen uns heute mittag -- da
können wir alles weitere besprechen."

Der Mann, schon mit halbem Körper über
[Spaltenumbruch] der Tiefe schwebend, wandte ihr noch ein-
mal sein Antlitz zu. "Einen Kuß nur noch,"
bettelte er, und sie beugte sich zu ihm herab
und reichte ihm ihren Mund. Eine Sekunde
später hörte man nur noch das Knacken der
Spalierhölzer, das leise Klirren von Dräh-
ten -- während der Fremde langsam, vor-
sichtig an der Außenwand des Hauses
herabkletterte.

Marga hatte kaum ihr Bett erreicht und
sich zitternd zugedeckt, als die Lampe auf
ihres Mannes Nachttisch aufflammte.

"Schläfst du, Marga?" fragte ihr Gatte,
sie unruhig betrachtend. Sie bewegte sich,
rieb sich die Augen, reckte sich wie schlaf-
trunken.

"Was ist denn?" gab sie zurück.

"Mir war's, als würde hier gesprochen."

"Ach Unsinn, du hast geträumt."

"Aber die Balkontüre ist auf -- ich spüre
den Lustzug."

"Ja, ich habe sie aufgemacht, ehe ich ein-
schlief. Es war so wahnsinnig heiß im Zim-
mer. Oder dachtest du, ich hätte Besuch
empfangen, hier? ..."

Sie versuchte zu lachen -- aber aus dem
Lachen wurde plötzlich ein wildes, krampf-
haftes Schluchzen und Weinen. Ihr Mann
hatte Mühe, sie zu beruhigen.

"Was ist dir nur, Liebling?" fragte er
immer wieder ganz erschreckt. "So sei doch
still -- ich wollte dich doch nicht kränken.
Deine Nerven sind kaputt, ich werde mit dir
ins Bad fahren, dann wird alles wieder
gut."

Sie gab keine Antwort, schlief endlich
unter Tränen ein. Und niemals hat sie ihrem
Mann erzählt, was sie in dieser Nacht für
ihn getan.

[irrelevantes Material]


[irrelevantes Material]
Freitag, den 18. Januar „AZ am Abend“ Nr. 15


Der Einbruch

Novelle von Axel Rasmuſſen

[Spaltenumbruch]

Marga erwachte von einem kühlen Luft-
zug, der ihr Antlitz ſtreifte. Im ſelben
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Geräuſch, als bräche jemand einen ſpröden
Gegenſtand behutſam auseinander. „Ein-
brecher,“ dachte ſie und für einen Augenblick
hörte ihr Herz auf zu ſchlagen. Angſt griff
nach ihrer Kehle und ſie zitterte heftig. Aber
es war nur ein Augenblick. Dann raffte ſie
alle ihre Kraft zuſammen und begann zu
überlegen. In raſender Geſchwindigkeit
huſchten Gedanken und Erwägungen durch
ihr Hirn.

„Er hat,“ dachte ſie, „den Balkon von
außen erſtiegen — wahrſcheinlich iſt er an
dem Weinſpalier in die Höhe geklettert.
Dann hat er die Glasſcheibe der Balkontür
eingedrückt und jetzt ſteht er dort — ich ſehe
faſt, wie der Vorhang weht — und wartet.
Er lauſcht, um ſich erſt einmal zu verge-
wiſſern, ob ihn auch niemand gehört hat.

Ich habe ihn gehört! Und ich könnte hin-
überlangen nach dem Klingelknopf drüben
und das Mädchen alarmieren. Aber es iſt
nicht dunkel genug — ſeine Augen haben
ſich wahrſcheinlich an die Nacht gewöhnt und
er würde die Bewegung ſehen. Und man
weiß nicht, was er dann tun würde. Solche
Menſchen ſind unberechenbar. Wahrſcheinlich
will er bloß ſtehlen — aber es könnte doch
ſein, daß er, enttäuſcht über ſeinen Miß-
erfolg, zu Gewalttaten greift, daß er mich
oder uns beide tötet. Beſtimmt hat er auch
eine Waffe.

Ich darf alſo nicht klingeln! Anderſeits —
mein ganzer Schmuck liegt in der Schale
auf dem Tiſch. Der Mann hat ſich den gün-
ſtigſten Augenblick ausgeſucht nach dem Feſt
geſtern abend. Ich hätte die Sachen weg-
ſchließen ſollen, gewiß. Das iſt nun einmal
verabſäumt. Stelle ich mich ſchlafend, ſo
[Spaltenumbruch] nimmt er das alles: die Perlenkette, das
Brillantenkollier, alle Ringe. Meinen gan-
zen Schmuck, unſer halbes Vermögen. Willy
würde mir meinen Leichtſinn niemals ver-
zeihen — wo er ohnehin in letzter Zeit von
geſchäftlichen Mißerfolgen gleichſam verfolgt
wird. Es wäre zu ſchrecklich ...“

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie taſtete
nach dem Geſicht ihres Mannes. Ganz leiſe
wandte ſie ſich ihm zu, beobachtete ihn an-
geſtrengt. Er atmete tief und regelmäßig —
kein Zweifel, daß er feſt und ruhig ſchlief.

Da richtete ſie ſich plötzlich in ihrem Bett
auf. „Viktor,“ fragte ſie flüſternd, die Augen
ſtarr in die Ecke des Zimmers richtend, wo
ſie den Eindringling vermutete. „Viktor —
biſt du da?“

Es entſtand eine lange Pauſe, dann gab
eine dunkle Männerſtimme ebenſo leiſe zu-
rück: „Ja — ich bin ... gekommen.“

Der Fremde hatte offenbar lange über-
legt, was er antworten ſollte. Die Frau
ſtand auf, ging mit ruhigen Schritten dem
Unbekannten entgegen — ihr Geſicht ſchim-
merte in der Dunkelheit ſo blaß und weiß
beinahe, wie das Nachtgewand, das ihren
ſchönen, jungen Körper loſe umhüllte.

Eine Hand griff nach ihrem Arm, zwei
heiße Lippen preßten ſich gierig auf ihren
Mund. Sie erſchauerte — aber bezwang ſich
dennoch. „Es gilt ein gewagtes Spiel,“
dachte ſie und mit einer Bewegung entblößte
ſie Schulter und Bruſt. Es war immerhin
ſo dunkel, daß ſie die Geſichtszüge des Ein-
dringlings nicht zu erkennen vermochte —
und auch dieſer ſah nur den fahlen Schim-
mer ihrer weißen, kühlen Haut.

„Es iſt lieb von dir, daß du Wort ge-
halten haſt!“ ſagte Marga wieder und
taſtete mit bebenden Händen nach dem Ge-
ſicht des Fremden. „Aber es wird heute nicht
[Spaltenumbruch] gehen — wir werden unſern Plan auf einen
anderen Tag verſchieben müſſen.“

„Warum?“ fragte der Mann und gab
ſich Mühe, ſeiner Stimme einen möglichſt
indifferenten Klang zu geben.

„Ich wollte dir ſo gerne helfen, Liebſter
— ich hätte dir meine Perlen gegeben und
der Erlös hätte beſtimmt genügt, deine
Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen.
Es ſind ſehr ſchöne und koſtbare Perlen,
wirklich. Und Willy würde glauben, ein
Einbrecher hätte uns einen Beſuch abge-
ſtattet und die Perlen geſtohlen. Alles hatte
ich mir ſo ſchön ausgedacht — nun hat mein
Mann geſtern meinen Schmuck und alles in
ſein Bank-Safe eingeſchloſſen. Er ſagt, es
würde ſoviel geſtohlen in der letzten Zeit
und es wäre beſſer, die Sachen nicht in der
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zen Sommer über, wo man doch keine Ge-
ſellſchaften mitmacht und den Schmuck nicht
braucht. Ich bin ſo traurig — aber du mußt
nicht den Mut verlieren, mir wird ſchon
irgendeine Liſt einfallen, die Sachen wieder
herauszubekommen.“

„O Liebſte,“ kam es zurück, „ich verliere
den Mut nicht. Wenn ich dich nur habe.“
Eine Hand glitt ſanft, liebkoſend über ihre
Schulter. Ihr Herz ſchlug wahnſinnig. „Wie
ich das ertrage,“ dachte ſie und errötete vor
ſich ſelbſt, „daß ein fremder Mann mich ſo
ſieht, mich ſo betaſtet — und daß ich nicht
ſterbe ...“

In dieſem Augenblick ſtöhnte der Mann
auf dem Lager hinten ſchwer auf — wie
jemand, der aus dumpfen, quälenden
Träumen emportaucht ins wache Sein.

„Um Gotteswillen — ſchnell, ſchnell —
mein Mann wacht auf,“ flüſterte die Frau
haſtig und drängte den Fremden zur Brü-
ſtung des Balkons.

„Ich bin verloren, wenn er dich hier ent-
deckt. Wir ſehen uns heute mittag — da
können wir alles weitere beſprechen.“

Der Mann, ſchon mit halbem Körper über
[Spaltenumbruch] der Tiefe ſchwebend, wandte ihr noch ein-
mal ſein Antlitz zu. „Einen Kuß nur noch,“
bettelte er, und ſie beugte ſich zu ihm herab
und reichte ihm ihren Mund. Eine Sekunde
ſpäter hörte man nur noch das Knacken der
Spalierhölzer, das leiſe Klirren von Dräh-
ten — während der Fremde langſam, vor-
ſichtig an der Außenwand des Hauſes
herabkletterte.

Marga hatte kaum ihr Bett erreicht und
ſich zitternd zugedeckt, als die Lampe auf
ihres Mannes Nachttiſch aufflammte.

„Schläfſt du, Marga?“ fragte ihr Gatte,
ſie unruhig betrachtend. Sie bewegte ſich,
rieb ſich die Augen, reckte ſich wie ſchlaf-
trunken.

„Was iſt denn?“ gab ſie zurück.

„Mir war’s, als würde hier geſprochen.“

„Ach Unſinn, du haſt geträumt.“

„Aber die Balkontüre iſt auf — ich ſpüre
den Luſtzug.“

„Ja, ich habe ſie aufgemacht, ehe ich ein-
ſchlief. Es war ſo wahnſinnig heiß im Zim-
mer. Oder dachteſt du, ich hätte Beſuch
empfangen, hier? ...“

Sie verſuchte zu lachen — aber aus dem
Lachen wurde plötzlich ein wildes, krampf-
haftes Schluchzen und Weinen. Ihr Mann
hatte Mühe, ſie zu beruhigen.

„Was iſt dir nur, Liebling?“ fragte er
immer wieder ganz erſchreckt. „So ſei doch
ſtill — ich wollte dich doch nicht kränken.
Deine Nerven ſind kaputt, ich werde mit dir
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gut.“

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Mann erzählt, was ſie in dieſer Nacht für
ihn getan.

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[7/0007] Freitag, den 18. Januar „AZ am Abend“ Nr. 15 Der Einbruch Novelle von Axel Rasmuſſen Marga erwachte von einem kühlen Luft- zug, der ihr Antlitz ſtreifte. Im ſelben Augenblick hörte ſie ein ſanftes, klickendes Geräuſch, als bräche jemand einen ſpröden Gegenſtand behutſam auseinander. „Ein- brecher,“ dachte ſie und für einen Augenblick hörte ihr Herz auf zu ſchlagen. Angſt griff nach ihrer Kehle und ſie zitterte heftig. Aber es war nur ein Augenblick. Dann raffte ſie alle ihre Kraft zuſammen und begann zu überlegen. In raſender Geſchwindigkeit huſchten Gedanken und Erwägungen durch ihr Hirn. „Er hat,“ dachte ſie, „den Balkon von außen erſtiegen — wahrſcheinlich iſt er an dem Weinſpalier in die Höhe geklettert. Dann hat er die Glasſcheibe der Balkontür eingedrückt und jetzt ſteht er dort — ich ſehe faſt, wie der Vorhang weht — und wartet. Er lauſcht, um ſich erſt einmal zu verge- wiſſern, ob ihn auch niemand gehört hat. Ich habe ihn gehört! Und ich könnte hin- überlangen nach dem Klingelknopf drüben und das Mädchen alarmieren. Aber es iſt nicht dunkel genug — ſeine Augen haben ſich wahrſcheinlich an die Nacht gewöhnt und er würde die Bewegung ſehen. Und man weiß nicht, was er dann tun würde. Solche Menſchen ſind unberechenbar. Wahrſcheinlich will er bloß ſtehlen — aber es könnte doch ſein, daß er, enttäuſcht über ſeinen Miß- erfolg, zu Gewalttaten greift, daß er mich oder uns beide tötet. Beſtimmt hat er auch eine Waffe. Ich darf alſo nicht klingeln! Anderſeits — mein ganzer Schmuck liegt in der Schale auf dem Tiſch. Der Mann hat ſich den gün- ſtigſten Augenblick ausgeſucht nach dem Feſt geſtern abend. Ich hätte die Sachen weg- ſchließen ſollen, gewiß. Das iſt nun einmal verabſäumt. Stelle ich mich ſchlafend, ſo nimmt er das alles: die Perlenkette, das Brillantenkollier, alle Ringe. Meinen gan- zen Schmuck, unſer halbes Vermögen. Willy würde mir meinen Leichtſinn niemals ver- zeihen — wo er ohnehin in letzter Zeit von geſchäftlichen Mißerfolgen gleichſam verfolgt wird. Es wäre zu ſchrecklich ...“ Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie taſtete nach dem Geſicht ihres Mannes. Ganz leiſe wandte ſie ſich ihm zu, beobachtete ihn an- geſtrengt. Er atmete tief und regelmäßig — kein Zweifel, daß er feſt und ruhig ſchlief. Da richtete ſie ſich plötzlich in ihrem Bett auf. „Viktor,“ fragte ſie flüſternd, die Augen ſtarr in die Ecke des Zimmers richtend, wo ſie den Eindringling vermutete. „Viktor — biſt du da?“ Es entſtand eine lange Pauſe, dann gab eine dunkle Männerſtimme ebenſo leiſe zu- rück: „Ja — ich bin ... gekommen.“ Der Fremde hatte offenbar lange über- legt, was er antworten ſollte. Die Frau ſtand auf, ging mit ruhigen Schritten dem Unbekannten entgegen — ihr Geſicht ſchim- merte in der Dunkelheit ſo blaß und weiß beinahe, wie das Nachtgewand, das ihren ſchönen, jungen Körper loſe umhüllte. Eine Hand griff nach ihrem Arm, zwei heiße Lippen preßten ſich gierig auf ihren Mund. Sie erſchauerte — aber bezwang ſich dennoch. „Es gilt ein gewagtes Spiel,“ dachte ſie und mit einer Bewegung entblößte ſie Schulter und Bruſt. Es war immerhin ſo dunkel, daß ſie die Geſichtszüge des Ein- dringlings nicht zu erkennen vermochte — und auch dieſer ſah nur den fahlen Schim- mer ihrer weißen, kühlen Haut. „Es iſt lieb von dir, daß du Wort ge- halten haſt!“ ſagte Marga wieder und taſtete mit bebenden Händen nach dem Ge- ſicht des Fremden. „Aber es wird heute nicht gehen — wir werden unſern Plan auf einen anderen Tag verſchieben müſſen.“ „Warum?“ fragte der Mann und gab ſich Mühe, ſeiner Stimme einen möglichſt indifferenten Klang zu geben. „Ich wollte dir ſo gerne helfen, Liebſter — ich hätte dir meine Perlen gegeben und der Erlös hätte beſtimmt genügt, deine Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Es ſind ſehr ſchöne und koſtbare Perlen, wirklich. Und Willy würde glauben, ein Einbrecher hätte uns einen Beſuch abge- ſtattet und die Perlen geſtohlen. Alles hatte ich mir ſo ſchön ausgedacht — nun hat mein Mann geſtern meinen Schmuck und alles in ſein Bank-Safe eingeſchloſſen. Er ſagt, es würde ſoviel geſtohlen in der letzten Zeit und es wäre beſſer, die Sachen nicht in der Wohnung herumliegen zu laſſen, den gan- zen Sommer über, wo man doch keine Ge- ſellſchaften mitmacht und den Schmuck nicht braucht. Ich bin ſo traurig — aber du mußt nicht den Mut verlieren, mir wird ſchon irgendeine Liſt einfallen, die Sachen wieder herauszubekommen.“ „O Liebſte,“ kam es zurück, „ich verliere den Mut nicht. Wenn ich dich nur habe.“ Eine Hand glitt ſanft, liebkoſend über ihre Schulter. Ihr Herz ſchlug wahnſinnig. „Wie ich das ertrage,“ dachte ſie und errötete vor ſich ſelbſt, „daß ein fremder Mann mich ſo ſieht, mich ſo betaſtet — und daß ich nicht ſterbe ...“ In dieſem Augenblick ſtöhnte der Mann auf dem Lager hinten ſchwer auf — wie jemand, der aus dumpfen, quälenden Träumen emportaucht ins wache Sein. „Um Gotteswillen — ſchnell, ſchnell — mein Mann wacht auf,“ flüſterte die Frau haſtig und drängte den Fremden zur Brü- ſtung des Balkons. „Ich bin verloren, wenn er dich hier ent- deckt. Wir ſehen uns heute mittag — da können wir alles weitere beſprechen.“ Der Mann, ſchon mit halbem Körper über der Tiefe ſchwebend, wandte ihr noch ein- mal ſein Antlitz zu. „Einen Kuß nur noch,“ bettelte er, und ſie beugte ſich zu ihm herab und reichte ihm ihren Mund. Eine Sekunde ſpäter hörte man nur noch das Knacken der Spalierhölzer, das leiſe Klirren von Dräh- ten — während der Fremde langſam, vor- ſichtig an der Außenwand des Hauſes herabkletterte. Marga hatte kaum ihr Bett erreicht und ſich zitternd zugedeckt, als die Lampe auf ihres Mannes Nachttiſch aufflammte. „Schläfſt du, Marga?“ fragte ihr Gatte, ſie unruhig betrachtend. Sie bewegte ſich, rieb ſich die Augen, reckte ſich wie ſchlaf- trunken. „Was iſt denn?“ gab ſie zurück. „Mir war’s, als würde hier geſprochen.“ „Ach Unſinn, du haſt geträumt.“ „Aber die Balkontüre iſt auf — ich ſpüre den Luſtzug.“ „Ja, ich habe ſie aufgemacht, ehe ich ein- ſchlief. Es war ſo wahnſinnig heiß im Zim- mer. Oder dachteſt du, ich hätte Beſuch empfangen, hier? ...“ Sie verſuchte zu lachen — aber aus dem Lachen wurde plötzlich ein wildes, krampf- haftes Schluchzen und Weinen. Ihr Mann hatte Mühe, ſie zu beruhigen. „Was iſt dir nur, Liebling?“ fragte er immer wieder ganz erſchreckt. „So ſei doch ſtill — ich wollte dich doch nicht kränken. Deine Nerven ſind kaputt, ich werde mit dir ins Bad fahren, dann wird alles wieder gut.“ Sie gab keine Antwort, ſchlief endlich unter Tränen ein. Und niemals hat ſie ihrem Mann erzählt, was ſie in dieſer Nacht für ihn getan. _ _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-03-29T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 18. Januar 1929, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine15_1929/7>, abgerufen am 21.11.2024.