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Allgemeine Zeitung, Nr. 160, 8. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] Regierung Neapels nicht werth sey Sicilien länger zu beherrschen. Der
Berfasser dieses Artikels hat wohl keinen Plan der Stadt Palermo vor Au-
gen gehabt, sonst würde er auf den ersten Blick gesehen haben daß die In-
furgenten einen Angriff auf die Citadellen nur aus dem Innern der Stadt
unternehmen konnten, daß also den Neapolitanern, wenn sie sich vertheidi-
gen wollten -- und dazu hatten sie doch wohl ein Recht -- nichts übrig blieb
als von ihren Forts und Schiffen aus auf die Stadt zu schießen. Wozu
noch kommt daß die Bevölkerung derselben für Garibaldi thätlich Partei ge-
nommen hatte. -- Garibaldi ist jetzt in England begreiflicher Weise mehr
als je der Held des Tags. "Garibaldi," sagt die Times, "hat sich sei-
nen Platz in der Geschichte errungen, als einer der außerordentlichsten mili-
tärischen Befehlshaber welche unser Jahrhundert hervorgebracht hat. Jenes
Kriegsgenie das er zuerst während der Belagerung Roms zeigte, und wel-
ches durch seine Kraft und Kühnheit voriges Jahr die Oesterreicher aus der
Fassung brachte, hat nun das neapolitanische Königreich gesprengt, und wird
ohne Zweifel zuletzt dem ganzen Süditalien die Freiheit erobern. Vielleicht
ist die Capitulation die beste Art den Kampf zu Ende zu bringen. Wir
zweifeln nicht daß Garibaldi das Ehrgefühl der königl. Truppen gern so we-
nig als möglich verletzen möchte. Die gestern seine Feinde waren, können
morgen seine Freunde werden. Nach einem Bericht giengen während des
Kampfs in der Stadt drei Regimenter über (?), und es kann dahin kommen
daß die Armee, welche die Sicilianer niederhalten sollte, binnen kurzem den
Thron ihres Herrn gefährdet. ... Garibaldi's Erscheinen in Calabrien
wäre jetzt das Signal zu einem eben so wüthenden Aufstand wie der sicili-
sche war. Mit 5000 Mann, gleich denen die Palermo stürmten, könnte er
in einem Monat von der Meerenge bis Neapel marschiren."

Sir Rowland Hill, der verdienstvolle Gründer der Penny-Briefpost,
ist von einem Familienunglück betroffen, das in England freilich nicht zu den
Seltenheiten gehört: seine Tochter Miß Clara ist mit einem Liebhaber durch-
gegangen, wie es schein einem Lehrer der Reitkunst, bei welchem die junge
Dame Unterricht genommen hatte. Sie hinterließ in ihrem Schlafzimmer
ein Briefchen, worin sie Papa und Mama bat nicht auf sie zu warten, denn
mittlerweile sey sie aus der Miß Hill eine Mistreß N. N. geworden. Das
Pfarrbuch einer benachbarten Kirche bestätigte die lakonische Notiz. "Sir
Rowland und Lady Hill," meldet der Sun, "sind untröstlich." Die Ro-
mantik der Entführungen blüht nur noch in Altengland.

Das bonapartistische M. Chronicle erscheint jetzt, seinem Versprechen
gemäß, zu dem Preise von 2 Pence auf trefflichem Papier und in vergrößertem
Format, ja mit einer Beilage die zur Hälfte mit französischen Anzeigen
bedeckt ist. Im ersten Leitartikel erklärt es sich mit Betonung als "Journal
of the People" (oder Journal du peuple, wenn man will) für die radicalste
Reform im Innern, da jetzt das Unterhaus nicht den sechsten Theil des Volks
vertrete; also für "Suffrage universel;" für Codification des Statutarrechts,
Einführung eines Justizministers, eines öffentlichen Anklägers und anderer
Reformen. Seine auswärtige Politik sey "eine Allianz der Völker vermittelst
der materiellen Interessen" anzubahnen, vor allem aber die innigste Freund-
schaft mit jenem Volk "das uns die Vorsehung zum Nachbar gab," mit Frank-
reich, zu pflegen.

Frankreich.

Ungescheut war, wie bereits erwähnt, in der letzten Zeit wieder, na-
mentlich durch die Broschüre "Die alten Parteien" von Prevost Paradol, die
Nothwendigkeit liberaler Institutionen, vor allem eines Parlaments, ange-
regt worden, freilich in einer Form welcher durch Einschreiten gegen die Per-
sonen nahe zu treten auch die Allgewalt des gegenwärtigen Regime's sich
scheuen mußte. Unangenehm und beachtenswerth war es für die Regierung
immerhin, sie darf ja nirgends einen Punkt dulden um den sich ein Wider-
stand gegen sie krystallisiren könnte. Daher ist der leidenschaftliche Ton der
officiösen Blätter, womit sie gegen jene Ansichten auftraten, nicht zu ver-
wundern; indirect thaten es der Constitutionnel und die Patrie, indem sie
das parlamentarische Regime, beziehungsweise die Juliusmonarchie, die das
Ideal jener Politiker gewesen, in den Staub zu ziehen und als das nationale
Unglück Frankreichs darzustellen suchten; direct thut es die Opinion na-
tionale,
welche das Verlangen nach parlamentarischen Discussionen ge-
radezu zurückweist. Die Art wie sie dem Despotismus das Wort redet, ist
wirklich naiv. Sie sagt: "Auch wir mögen nicht das Land ewig unter Vormund-
schaft sehen, und wir werden nie hinter jemand zurückstehen um eine noch größere
Freiheit zu verlangen; aber wenn zufällig an der Spitze ein überlegener,
energischer Mann steht, der geeignet ist das Land in dem mittlern Sinn der
großen Principien, die ihm theuer sind, zu regieren, so verwerfen wir das
unruhige Mißtrauen und das Bedürfniß selbst Hand anlegen zu wollen, von dem
wir viele Leute ergriffen sehen. Wir halten uns mehr an das Resultat als
an die Mittel." Unglück darf freilich eine solche Staatsvorsehung nie haben.
-- Der Constitutionel begünstigt in der Angelegenheit der sicilischen Re-
volution entschieden die Ausständischen, und wenn es von dem neuen Princip,
[Spaltenumbruch] welches die ganze Welt anerkennen und wonach sich die Politik überall rich-
ten sollte, redet, so werden wir bald die ekle Komödie des suffrage univer-
sel
wieder zu erleben haben, und da sich dann als Gränznachbar Frankreichs
ein noch mächtigerer Staat zu constituiren versucht, wo wird dann Frankreich
Schutz gegen ihn und eine Entschädigung gegen diese Uebermacht suchen?
Mit Ausnahme seiner kleinen Excurse gegen Neapel und die Schweiz ist der
Constitutionnel mit wahrer Hingebung beschäftigt der Beruhigungsnote des
Moniteur durch seine nationalökonomischen Artikel Folie zu verleihen. So
theilt er in neuester Zeit einige Angaben über die Arbeiten des höhern Han-
delsraths mit, der sich bekanntlich der Nationalprüfung unterzogen hat,
deren Zweck ist die Regierung bei Ausführung des Handelsvertrags mit Eng-
land über die wirklichen Interessen des Landes zu unterrichten. Die metallur-
gische Industrie ist zuerst vernommen worden, und alle Vertreter derselben
konnten sich mit aller Unabhängigkeit aussprechen. Es ließen sich Aussagen
anführen die länger als zwei Stunden gedauert haben. Dreizehn Sitzungen,
deren jede 5 bis 6 Stunden gedauert hat, sind bereits der Eisenindustrie und
den mit dieser in Verbindung stehenden Industrien gewidmet worden. Die-
selben wurden vom Handelsminister Rouher und einige von Hrn. Baroche
präsidirt. Es sind 150 Industrievertreter vernommen worden. Der Han-
delsrath richtete zuerst seine Fragen in Bezug auf die Mineralien, und hierauf
kam er auf das verarbeitete Product. Augenblicklich beschäftigt man sich mit
den industriellen Anwendungen des Schmiedeisens. -- Der Siecle da-
gegen setzt seine Expectorationen über die Nothwendigkeit der Vertreibung der
Bourbonen und der Verpflanzung der Insurrection in Sicilien auf den Sü-
den Italiens fort. Die Broschüre: "Ungarn unddie europäische Krisis," welche
zum Aufruhr in Ungarn auffordert, ist nun auch erschienen. Quousque
tandem
...!

Einer der höchsten Beamten des Ardennen-Departements wurde, wie
das "Journal de l'Aisne" berichtet, abgesetzt, weil er falsche Papiere anfertigte
um die Legalität des sich beigelegten Adels zu beweisen.

Der Prinz von Joinville ist in New-York angekommen, wo er seinen
Sohn in einer Seeschule unterbringt.

Das Tagesereigniß ist die unerwartete Abreise des
Fürsten Metternich nach Fontainebleau, um, wie es heißt, beim Kaiser das
Mediationsgesuch des Königs von Neapel zu unterstützen, und die Vorschläge
Oesterreichs ihm mitzutheilen. Die Börse, welche seit dem Waffenstillstand
erwartet die Diplomatie werde mit Erfolg interveniren, wurde in dieser Hoff-
nung bestärkt, und hielt sich ziemlich gut. Am Ministerium des Auswärtigen
glaubt man der Kampf in Palermo werde morgen, am 7 Juni, wieder begin-
nen, und nicht ruhen bis Sicilien für den König verloren ist. Die officiösen
Blätter schreien um die Wette, und als wenn sie dafür bezahlt würden: nach
Neapel! nieder mit dem Bourbonen! In staatsmännischen Kreisen glaubt
man daß das was sich von Villafranca bis Zürich und von da bis zu den defi-
nitiven Annexionen an Sardinien und Frankreich zugetragen hat, ungefähr
auch wieder der Gang und der Ausgang der vermittelnden Politik Frankreichs
in Bezug auf Neapel seyn wird.

Italien.

In einem der "Presse" mitgetheilten Brief aus Palermo, 30 Mai liest
man: Sonntag den 27 um 4 U. etwa liefen wir Sturm; die Truppen vertheidig-
ten sich mit der Energie der Verzweiflung, und wenn das Volk von Palermo
uns nicht zu Hülfe gekommen wäre, so glaube ich wäre es uns nicht geglückt.
Es war ein furchtbares Handgemenge! die Toledostraße war mit Leichnamen
besäet, bis an die Knöchel watete man in Blut. Ich sah Frauen, junge
Mädchen mit Beilen, andere mit Sensen, Bajonnetten, Picken auf die Trup-
pen losstürzen und sie von Haus zu Haus treiben. Nach sechsstündigem
heißen Kampf wurde parlamentirt; dann nach zweistündiger Ruhe begann
der Kampf mit neuer Wuth. Endlich ziehen sich die Truppen in Unordnung
zurück. Um 4-Uhr steckt das Volk den königl. Palast in Brand, nachdem die
Truppen abgezogen waren. Die Stadt war genommen.

= Weßhalb mögen sich gewisse Leute, in Florenz
wie in Turin, so sehr mit der "toscanischen Autonomie" quälen? Der
Graf Cavour hat es ja schon wiederholt erklärt, die Autonomie ist nichts als
eine Galgenfrist; er hat so eben noch seinem Vorgänger und Gegner, Rat-
tazzi, die Freude gemacht auszusprechen der schlimme Erfolg der Einführung
Rattazz'scher Gesetze in der Lombardei sey für die Regierung eine gute Lehre
gewesen vorsichtiger zu seyn; vorsichtiger werde sie in Toscana seyn und das
neue Land allmählich piemontisiren. Schon könne man sich an den Fort-
schritten laben. Der Marchese Ridolsi, einer der Senats-Vicepräsidenten in
der neuen Hauptstadt, und andere Gleichgesinnte welche mit ihm, wie wir
einst berichteten, sich vermaßen Toscana werde Piemont und den Rest geistig
dominiren, mögen sich das gesagt seyn lassen. Allerdings sind die Fortschritte
bemerkbar, und wir wissen nicht ob das Toscanischreden der hiesigen Depu-
tirten und Senatoren im subalpinischen Parlament, wo sie sich meist sträflich
langweilen sollen, gleichen Erfolg für die Sprachcorrection an Po und
Dora haben wird, wie die piemontesischen Gesetze am Arno. Während in

[Spaltenumbruch] Regierung Neapels nicht werth ſey Sicilien länger zu beherrſchen. Der
Berfaſſer dieſes Artikels hat wohl keinen Plan der Stadt Palermo vor Au-
gen gehabt, ſonſt würde er auf den erſten Blick geſehen haben daß die In-
furgenten einen Angriff auf die Citadellen nur aus dem Innern der Stadt
unternehmen konnten, daß alſo den Neapolitanern, wenn ſie ſich vertheidi-
gen wollten — und dazu hatten ſie doch wohl ein Recht — nichts übrig blieb
als von ihren Forts und Schiffen aus auf die Stadt zu ſchießen. Wozu
noch kommt daß die Bevölkerung derſelben für Garibaldi thätlich Partei ge-
nommen hatte. — Garibaldi iſt jetzt in England begreiflicher Weiſe mehr
als je der Held des Tags. „Garibaldi,“ ſagt die Times, „hat ſich ſei-
nen Platz in der Geſchichte errungen, als einer der außerordentlichſten mili-
täriſchen Befehlshaber welche unſer Jahrhundert hervorgebracht hat. Jenes
Kriegsgenie das er zuerſt während der Belagerung Roms zeigte, und wel-
ches durch ſeine Kraft und Kühnheit voriges Jahr die Oeſterreicher aus der
Faſſung brachte, hat nun das neapolitaniſche Königreich geſprengt, und wird
ohne Zweifel zuletzt dem ganzen Süditalien die Freiheit erobern. Vielleicht
iſt die Capitulation die beſte Art den Kampf zu Ende zu bringen. Wir
zweifeln nicht daß Garibaldi das Ehrgefühl der königl. Truppen gern ſo we-
nig als möglich verletzen möchte. Die geſtern ſeine Feinde waren, können
morgen ſeine Freunde werden. Nach einem Bericht giengen während des
Kampfs in der Stadt drei Regimenter über (?), und es kann dahin kommen
daß die Armee, welche die Sicilianer niederhalten ſollte, binnen kurzem den
Thron ihres Herrn gefährdet. ... Garibaldi’s Erſcheinen in Calabrien
wäre jetzt das Signal zu einem eben ſo wüthenden Aufſtand wie der ſicili-
ſche war. Mit 5000 Mann, gleich denen die Palermo ſtürmten, könnte er
in einem Monat von der Meerenge bis Neapel marſchiren.“

Sir Rowland Hill, der verdienſtvolle Gründer der Penny-Briefpoſt,
iſt von einem Familienunglück betroffen, das in England freilich nicht zu den
Seltenheiten gehört: ſeine Tochter Miß Clara iſt mit einem Liebhaber durch-
gegangen, wie es ſchein einem Lehrer der Reitkunſt, bei welchem die junge
Dame Unterricht genommen hatte. Sie hinterließ in ihrem Schlafzimmer
ein Briefchen, worin ſie Papa und Mama bat nicht auf ſie zu warten, denn
mittlerweile ſey ſie aus der Miß Hill eine Miſtreß N. N. geworden. Das
Pfarrbuch einer benachbarten Kirche beſtätigte die lakoniſche Notiz. „Sir
Rowland und Lady Hill,“ meldet der Sun, „ſind untröſtlich.“ Die Ro-
mantik der Entführungen blüht nur noch in Altengland.

Das bonapartiſtiſche M. Chronicle erſcheint jetzt, ſeinem Verſprechen
gemäß, zu dem Preiſe von 2 Pence auf trefflichem Papier und in vergrößertem
Format, ja mit einer Beilage die zur Hälfte mit franzöſiſchen Anzeigen
bedeckt iſt. Im erſten Leitartikel erklärt es ſich mit Betonung als „Journal
of the People“ (oder Journal du peuple, wenn man will) für die radicalſte
Reform im Innern, da jetzt das Unterhaus nicht den ſechsten Theil des Volks
vertrete; alſo für „Suffrage univerſel;“ für Codification des Statutarrechts,
Einführung eines Juſtizminiſters, eines öffentlichen Anklägers und anderer
Reformen. Seine auswärtige Politik ſey „eine Allianz der Völker vermittelſt
der materiellen Intereſſen“ anzubahnen, vor allem aber die innigſte Freund-
ſchaft mit jenem Volk „das uns die Vorſehung zum Nachbar gab,“ mit Frank-
reich, zu pflegen.

Frankreich.

Ungeſcheut war, wie bereits erwähnt, in der letzten Zeit wieder, na-
mentlich durch die Broſchüre „Die alten Parteien“ von Prevoſt Paradol, die
Nothwendigkeit liberaler Inſtitutionen, vor allem eines Parlaments, ange-
regt worden, freilich in einer Form welcher durch Einſchreiten gegen die Per-
ſonen nahe zu treten auch die Allgewalt des gegenwärtigen Régime’s ſich
ſcheuen mußte. Unangenehm und beachtenswerth war es für die Regierung
immerhin, ſie darf ja nirgends einen Punkt dulden um den ſich ein Wider-
ſtand gegen ſie kryſtalliſiren könnte. Daher iſt der leidenſchaftliche Ton der
officiöſen Blätter, womit ſie gegen jene Anſichten auftraten, nicht zu ver-
wundern; indirect thaten es der Conſtitutionnel und die Patrie, indem ſie
das parlamentariſche Régime, beziehungsweiſe die Juliusmonarchie, die das
Ideal jener Politiker geweſen, in den Staub zu ziehen und als das nationale
Unglück Frankreichs darzuſtellen ſuchten; direct thut es die Opinion na-
tionale,
welche das Verlangen nach parlamentariſchen Discuſſionen ge-
radezu zurückweist. Die Art wie ſie dem Deſpotismus das Wort redet, iſt
wirklich naiv. Sie ſagt: „Auch wir mögen nicht das Land ewig unter Vormund-
ſchaft ſehen, und wir werden nie hinter jemand zurückſtehen um eine noch größere
Freiheit zu verlangen; aber wenn zufällig an der Spitze ein überlegener,
energiſcher Mann ſteht, der geeignet iſt das Land in dem mittlern Sinn der
großen Principien, die ihm theuer ſind, zu regieren, ſo verwerfen wir das
unruhige Mißtrauen und das Bedürfniß ſelbſt Hand anlegen zu wollen, von dem
wir viele Leute ergriffen ſehen. Wir halten uns mehr an das Reſultat als
an die Mittel.“ Unglück darf freilich eine ſolche Staatsvorſehung nie haben.
— Der Conſtitutionel begünſtigt in der Angelegenheit der ſiciliſchen Re-
volution entſchieden die Auſſtändiſchen, und wenn es von dem neuen Princip,
[Spaltenumbruch] welches die ganze Welt anerkennen und wonach ſich die Politik überall rich-
ten ſollte, redet, ſo werden wir bald die ekle Komödie des suffrage univer-
sel
wieder zu erleben haben, und da ſich dann als Gränznachbar Frankreichs
ein noch mächtigerer Staat zu conſtituiren verſucht, wo wird dann Frankreich
Schutz gegen ihn und eine Entſchädigung gegen dieſe Uebermacht ſuchen?
Mit Ausnahme ſeiner kleinen Excurſe gegen Neapel und die Schweiz iſt der
Conſtitutionnel mit wahrer Hingebung beſchäftigt der Beruhigungsnote des
Moniteur durch ſeine nationalökonomiſchen Artikel Folie zu verleihen. So
theilt er in neueſter Zeit einige Angaben über die Arbeiten des höhern Han-
delsraths mit, der ſich bekanntlich der Nationalprüfung unterzogen hat,
deren Zweck iſt die Regierung bei Ausführung des Handelsvertrags mit Eng-
land über die wirklichen Intereſſen des Landes zu unterrichten. Die metallur-
giſche Induſtrie iſt zuerſt vernommen worden, und alle Vertreter derſelben
konnten ſich mit aller Unabhängigkeit ausſprechen. Es ließen ſich Ausſagen
anführen die länger als zwei Stunden gedauert haben. Dreizehn Sitzungen,
deren jede 5 bis 6 Stunden gedauert hat, ſind bereits der Eiſeninduſtrie und
den mit dieſer in Verbindung ſtehenden Induſtrien gewidmet worden. Die-
ſelben wurden vom Handelsminiſter Rouher und einige von Hrn. Baroche
präſidirt. Es ſind 150 Induſtrievertreter vernommen worden. Der Han-
delsrath richtete zuerſt ſeine Fragen in Bezug auf die Mineralien, und hierauf
kam er auf das verarbeitete Product. Augenblicklich beſchäftigt man ſich mit
den induſtriellen Anwendungen des Schmiedeiſens. — Der Siècle da-
gegen ſetzt ſeine Expectorationen über die Nothwendigkeit der Vertreibung der
Bourbonen und der Verpflanzung der Inſurrection in Sicilien auf den Sü-
den Italiens fort. Die Broſchüre: „Ungarn unddie europäiſche Kriſis,“ welche
zum Aufruhr in Ungarn auffordert, iſt nun auch erſchienen. Quousque
tandem
...!

Einer der höchſten Beamten des Ardennen-Departements wurde, wie
das „Journal de l’Aisne“ berichtet, abgeſetzt, weil er falſche Papiere anfertigte
um die Legalität des ſich beigelegten Adels zu beweiſen.

Der Prinz von Joinville iſt in New-York angekommen, wo er ſeinen
Sohn in einer Seeſchule unterbringt.

Das Tagesereigniß iſt die unerwartete Abreiſe des
Fürſten Metternich nach Fontainebleau, um, wie es heißt, beim Kaiſer das
Mediationsgeſuch des Königs von Neapel zu unterſtützen, und die Vorſchläge
Oeſterreichs ihm mitzutheilen. Die Börſe, welche ſeit dem Waffenſtillſtand
erwartet die Diplomatie werde mit Erfolg interveniren, wurde in dieſer Hoff-
nung beſtärkt, und hielt ſich ziemlich gut. Am Miniſterium des Auswärtigen
glaubt man der Kampf in Palermo werde morgen, am 7 Juni, wieder begin-
nen, und nicht ruhen bis Sicilien für den König verloren iſt. Die officiöſen
Blätter ſchreien um die Wette, und als wenn ſie dafür bezahlt würden: nach
Neapel! nieder mit dem Bourbonen! In ſtaatsmänniſchen Kreiſen glaubt
man daß das was ſich von Villafranca bis Zürich und von da bis zu den defi-
nitiven Annexionen an Sardinien und Frankreich zugetragen hat, ungefähr
auch wieder der Gang und der Ausgang der vermittelnden Politik Frankreichs
in Bezug auf Neapel ſeyn wird.

Italien.

In einem der „Preſſe“ mitgetheilten Brief aus Palermo, 30 Mai liest
man: Sonntag den 27 um 4 U. etwa liefen wir Sturm; die Truppen vertheidig-
ten ſich mit der Energie der Verzweiflung, und wenn das Volk von Palermo
uns nicht zu Hülfe gekommen wäre, ſo glaube ich wäre es uns nicht geglückt.
Es war ein furchtbares Handgemenge! die Toledoſtraße war mit Leichnamen
beſäet, bis an die Knöchel watete man in Blut. Ich ſah Frauen, junge
Mädchen mit Beilen, andere mit Senſen, Bajonnetten, Picken auf die Trup-
pen losſtürzen und ſie von Haus zu Haus treiben. Nach ſechsſtündigem
heißen Kampf wurde parlamentirt; dann nach zweiſtündiger Ruhe begann
der Kampf mit neuer Wuth. Endlich ziehen ſich die Truppen in Unordnung
zurück. Um 4-Uhr ſteckt das Volk den königl. Palaſt in Brand, nachdem die
Truppen abgezogen waren. Die Stadt war genommen.

= Weßhalb mögen ſich gewiſſe Leute, in Florenz
wie in Turin, ſo ſehr mit der „toscaniſchen Autonomie“ quälen? Der
Graf Cavour hat es ja ſchon wiederholt erklärt, die Autonomie iſt nichts als
eine Galgenfriſt; er hat ſo eben noch ſeinem Vorgänger und Gegner, Rat-
tazzi, die Freude gemacht auszuſprechen der ſchlimme Erfolg der Einführung
Rattazz’ſcher Geſetze in der Lombardei ſey für die Regierung eine gute Lehre
geweſen vorſichtiger zu ſeyn; vorſichtiger werde ſie in Toscana ſeyn und das
neue Land allmählich piemontiſiren. Schon könne man ſich an den Fort-
ſchritten laben. Der Marcheſe Ridolſi, einer der Senats-Vicepräſidenten in
der neuen Hauptſtadt, und andere Gleichgeſinnte welche mit ihm, wie wir
einſt berichteten, ſich vermaßen Toscana werde Piemont und den Reſt geiſtig
dominiren, mögen ſich das geſagt ſeyn laſſen. Allerdings ſind die Fortſchritte
bemerkbar, und wir wiſſen nicht ob das Toscaniſchreden der hieſigen Depu-
tirten und Senatoren im ſubalpiniſchen Parlament, wo ſie ſich meiſt ſträflich
langweilen ſollen, gleichen Erfolg für die Sprachcorrection an Po und
Dora haben wird, wie die piemonteſiſchen Geſetze am Arno. Während in

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[2670/0006] Regierung Neapels nicht werth ſey Sicilien länger zu beherrſchen. Der Berfaſſer dieſes Artikels hat wohl keinen Plan der Stadt Palermo vor Au- gen gehabt, ſonſt würde er auf den erſten Blick geſehen haben daß die In- furgenten einen Angriff auf die Citadellen nur aus dem Innern der Stadt unternehmen konnten, daß alſo den Neapolitanern, wenn ſie ſich vertheidi- gen wollten — und dazu hatten ſie doch wohl ein Recht — nichts übrig blieb als von ihren Forts und Schiffen aus auf die Stadt zu ſchießen. Wozu noch kommt daß die Bevölkerung derſelben für Garibaldi thätlich Partei ge- nommen hatte. — Garibaldi iſt jetzt in England begreiflicher Weiſe mehr als je der Held des Tags. „Garibaldi,“ ſagt die Times, „hat ſich ſei- nen Platz in der Geſchichte errungen, als einer der außerordentlichſten mili- täriſchen Befehlshaber welche unſer Jahrhundert hervorgebracht hat. Jenes Kriegsgenie das er zuerſt während der Belagerung Roms zeigte, und wel- ches durch ſeine Kraft und Kühnheit voriges Jahr die Oeſterreicher aus der Faſſung brachte, hat nun das neapolitaniſche Königreich geſprengt, und wird ohne Zweifel zuletzt dem ganzen Süditalien die Freiheit erobern. Vielleicht iſt die Capitulation die beſte Art den Kampf zu Ende zu bringen. Wir zweifeln nicht daß Garibaldi das Ehrgefühl der königl. Truppen gern ſo we- nig als möglich verletzen möchte. Die geſtern ſeine Feinde waren, können morgen ſeine Freunde werden. Nach einem Bericht giengen während des Kampfs in der Stadt drei Regimenter über (?), und es kann dahin kommen daß die Armee, welche die Sicilianer niederhalten ſollte, binnen kurzem den Thron ihres Herrn gefährdet. ... Garibaldi’s Erſcheinen in Calabrien wäre jetzt das Signal zu einem eben ſo wüthenden Aufſtand wie der ſicili- ſche war. Mit 5000 Mann, gleich denen die Palermo ſtürmten, könnte er in einem Monat von der Meerenge bis Neapel marſchiren.“ Sir Rowland Hill, der verdienſtvolle Gründer der Penny-Briefpoſt, iſt von einem Familienunglück betroffen, das in England freilich nicht zu den Seltenheiten gehört: ſeine Tochter Miß Clara iſt mit einem Liebhaber durch- gegangen, wie es ſchein einem Lehrer der Reitkunſt, bei welchem die junge Dame Unterricht genommen hatte. Sie hinterließ in ihrem Schlafzimmer ein Briefchen, worin ſie Papa und Mama bat nicht auf ſie zu warten, denn mittlerweile ſey ſie aus der Miß Hill eine Miſtreß N. N. geworden. Das Pfarrbuch einer benachbarten Kirche beſtätigte die lakoniſche Notiz. „Sir Rowland und Lady Hill,“ meldet der Sun, „ſind untröſtlich.“ Die Ro- mantik der Entführungen blüht nur noch in Altengland. Das bonapartiſtiſche M. Chronicle erſcheint jetzt, ſeinem Verſprechen gemäß, zu dem Preiſe von 2 Pence auf trefflichem Papier und in vergrößertem Format, ja mit einer Beilage die zur Hälfte mit franzöſiſchen Anzeigen bedeckt iſt. Im erſten Leitartikel erklärt es ſich mit Betonung als „Journal of the People“ (oder Journal du peuple, wenn man will) für die radicalſte Reform im Innern, da jetzt das Unterhaus nicht den ſechsten Theil des Volks vertrete; alſo für „Suffrage univerſel;“ für Codification des Statutarrechts, Einführung eines Juſtizminiſters, eines öffentlichen Anklägers und anderer Reformen. Seine auswärtige Politik ſey „eine Allianz der Völker vermittelſt der materiellen Intereſſen“ anzubahnen, vor allem aber die innigſte Freund- ſchaft mit jenem Volk „das uns die Vorſehung zum Nachbar gab,“ mit Frank- reich, zu pflegen. Frankreich. Paris, 6 Jun. Ungeſcheut war, wie bereits erwähnt, in der letzten Zeit wieder, na- mentlich durch die Broſchüre „Die alten Parteien“ von Prevoſt Paradol, die Nothwendigkeit liberaler Inſtitutionen, vor allem eines Parlaments, ange- regt worden, freilich in einer Form welcher durch Einſchreiten gegen die Per- ſonen nahe zu treten auch die Allgewalt des gegenwärtigen Régime’s ſich ſcheuen mußte. Unangenehm und beachtenswerth war es für die Regierung immerhin, ſie darf ja nirgends einen Punkt dulden um den ſich ein Wider- ſtand gegen ſie kryſtalliſiren könnte. Daher iſt der leidenſchaftliche Ton der officiöſen Blätter, womit ſie gegen jene Anſichten auftraten, nicht zu ver- wundern; indirect thaten es der Conſtitutionnel und die Patrie, indem ſie das parlamentariſche Régime, beziehungsweiſe die Juliusmonarchie, die das Ideal jener Politiker geweſen, in den Staub zu ziehen und als das nationale Unglück Frankreichs darzuſtellen ſuchten; direct thut es die Opinion na- tionale, welche das Verlangen nach parlamentariſchen Discuſſionen ge- radezu zurückweist. Die Art wie ſie dem Deſpotismus das Wort redet, iſt wirklich naiv. Sie ſagt: „Auch wir mögen nicht das Land ewig unter Vormund- ſchaft ſehen, und wir werden nie hinter jemand zurückſtehen um eine noch größere Freiheit zu verlangen; aber wenn zufällig an der Spitze ein überlegener, energiſcher Mann ſteht, der geeignet iſt das Land in dem mittlern Sinn der großen Principien, die ihm theuer ſind, zu regieren, ſo verwerfen wir das unruhige Mißtrauen und das Bedürfniß ſelbſt Hand anlegen zu wollen, von dem wir viele Leute ergriffen ſehen. Wir halten uns mehr an das Reſultat als an die Mittel.“ Unglück darf freilich eine ſolche Staatsvorſehung nie haben. — Der Conſtitutionel begünſtigt in der Angelegenheit der ſiciliſchen Re- volution entſchieden die Auſſtändiſchen, und wenn es von dem neuen Princip, welches die ganze Welt anerkennen und wonach ſich die Politik überall rich- ten ſollte, redet, ſo werden wir bald die ekle Komödie des suffrage univer- sel wieder zu erleben haben, und da ſich dann als Gränznachbar Frankreichs ein noch mächtigerer Staat zu conſtituiren verſucht, wo wird dann Frankreich Schutz gegen ihn und eine Entſchädigung gegen dieſe Uebermacht ſuchen? Mit Ausnahme ſeiner kleinen Excurſe gegen Neapel und die Schweiz iſt der Conſtitutionnel mit wahrer Hingebung beſchäftigt der Beruhigungsnote des Moniteur durch ſeine nationalökonomiſchen Artikel Folie zu verleihen. So theilt er in neueſter Zeit einige Angaben über die Arbeiten des höhern Han- delsraths mit, der ſich bekanntlich der Nationalprüfung unterzogen hat, deren Zweck iſt die Regierung bei Ausführung des Handelsvertrags mit Eng- land über die wirklichen Intereſſen des Landes zu unterrichten. Die metallur- giſche Induſtrie iſt zuerſt vernommen worden, und alle Vertreter derſelben konnten ſich mit aller Unabhängigkeit ausſprechen. Es ließen ſich Ausſagen anführen die länger als zwei Stunden gedauert haben. Dreizehn Sitzungen, deren jede 5 bis 6 Stunden gedauert hat, ſind bereits der Eiſeninduſtrie und den mit dieſer in Verbindung ſtehenden Induſtrien gewidmet worden. Die- ſelben wurden vom Handelsminiſter Rouher und einige von Hrn. Baroche präſidirt. Es ſind 150 Induſtrievertreter vernommen worden. Der Han- delsrath richtete zuerſt ſeine Fragen in Bezug auf die Mineralien, und hierauf kam er auf das verarbeitete Product. 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Die Börſe, welche ſeit dem Waffenſtillſtand erwartet die Diplomatie werde mit Erfolg interveniren, wurde in dieſer Hoff- nung beſtärkt, und hielt ſich ziemlich gut. Am Miniſterium des Auswärtigen glaubt man der Kampf in Palermo werde morgen, am 7 Juni, wieder begin- nen, und nicht ruhen bis Sicilien für den König verloren iſt. Die officiöſen Blätter ſchreien um die Wette, und als wenn ſie dafür bezahlt würden: nach Neapel! nieder mit dem Bourbonen! In ſtaatsmänniſchen Kreiſen glaubt man daß das was ſich von Villafranca bis Zürich und von da bis zu den defi- nitiven Annexionen an Sardinien und Frankreich zugetragen hat, ungefähr auch wieder der Gang und der Ausgang der vermittelnden Politik Frankreichs in Bezug auf Neapel ſeyn wird. Italien. 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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 160, 8. Juni 1860, S. 2670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine160_1860/6>, abgerufen am 21.11.2024.