Allgemeine Zeitung, Nr. 163, 11. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
hörig gehalten wurde. Er verweigerte sich vor der Behörde zu stellen, in- Turin, 7 Jun. Graf Cavour ist übel gelaunt in Folge der Auf- ^ Genua, 6 Jun. Es läßt sich leicht denken daß hier alles in größ- # Aus Nordsavoyen, 7 Jun. Der Senat in Turin scheint x Mailand, 6 Jun. Gestern reiste Marschall Baillant mit meh- Dänemark. x Aus Dänemark, 6 Jun. Die von 100 Reichstagsmännern aus- [Spaltenumbruch]
hörig gehalten wurde. Er verweigerte ſich vor der Behörde zu ſtellen, in- ⊙ Turin, 7 Jun. Graf Cavour iſt übel gelaunt in Folge der Auf- △ Genua, 6 Jun. Es läßt ſich leicht denken daß hier alles in größ- □ Aus Nordſavoyen, 7 Jun. Der Senat in Turin ſcheint × Mailand, 6 Jun. Geſtern reiste Marſchall Baillant mit meh- Dänemark. × Aus Dänemark, 6 Jun. Die von 100 Reichstagsmännern aus- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0007" n="2719"/><cb/> hörig gehalten wurde. Er verweigerte ſich vor der Behörde zu ſtellen, in-<lb/> dem er erklärte daß er nichts mit der piemonteſiſchen Regierung zu ſchaffen<lb/> habe; worauf der Sicherheitscommiſſär ſich bemüſſigt glaubte demſelben die<lb/> Daumenſchrauben anlegen zu laſſen. Der „Corriere del Po“ behauptet:<lb/> man habe geheime auf Verſchwörung zielende Papiere bei ihm aufgefunden.<lb/> — Die „Armonia“ läßt ſich aus Paris ſchreiben daß eine daſelbſt weilende<lb/> ſavoyiſche Deputation des Klerus, beſtehend aus den Biſchöfen von St. Jeau<lb/> de Maurienne und Mouſtier, vom Kaiſer ſehr gnädig aufgenommen worden ſey.<lb/> Der Kaiſer ſoll den Prälaten die Verſicherung gegeben haben daß die Civil<lb/> ehe vorderband in Savoyen nicht ingeſührt werde, und daß auch die Zahl<lb/> der Biſchöfe nicht werde vermindert werden. — Die Kammer hat in ihrer<lb/> geſtrigen Sitzung das Geſetz für die Aushebung der Altersclaſſe von 1840<lb/> dahin abgeändert daß ſie die von der Regierung vorgeſchlagenen 15,000<lb/> Mann auf 17,000 erhöhte. — Die „Gazzetta di Torino“ glaubt verſichern<lb/> zu können daß General Lanza und der größte Theil der Officiere gegen<lb/> die Fortſetzung des brudermörderiſchen Kampfes proteſtiren. Auch die Trup-<lb/> pen hätten ſich geweigert nochmals in Kampf zu gehen. Es wurde daher<lb/> eine neue Capitulation nach Neapel geſandt. <hi rendition="#g">Nachſchrift</hi>. Heute Nacht<lb/> wurde ein Domherr der hieſigen Metropolitankirche verhaftet. Man fand in<lb/> ſeinem Haus eine geheime Druckerei, auch wurden Druckpapiere und Manu-<lb/> ſcripte vorgefunden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>⊙ <hi rendition="#b">Turin,</hi> 7 Jun.</dateline> <p>Graf Cavour iſt übel gelaunt in Folge der Auf-<lb/> nahme welche ſeine Notiſication an die andern europäiſchen Höfe von den<lb/> thatſächlich vollbrachten Einverleibungen von Toscana, Modena und Parma,<lb/> dann dem die Romagna begreifenden Theil des Kirchenſtaats in das König-<lb/> reich Sardinien bei mehreren derſelben gefunden hat. Er und ſeine Satelliten<lb/> ſuchen zwar die Sache möglichſt geheim zu halten und zu vertuſchen. Deſſen-<lb/> ungeachtet iſt dieſe Heimlichthuerei doch vergebens. Daß Oeſterreich förm-<lb/> lichen Proteſt gegen dieſe Einverleibungen von Ländern in deren Mehrzahl es<lb/> ein vertragsmäßiges Succeſſionsrecht beſitzt, einlegen werde, wie es dieſes<lb/> denn auch wirklich gethan hat, das kam niemanden hier unerwartet. Dagegen<lb/> hatte Graf Cavour ſich mit der Hoffnung geſchmeichelt von Berlin her eine das<lb/> Vorſchreiten Piemonts anerkennende Antwort zu erhalten. Statt deſſen kam<lb/> von Berlin eine ausdrückliche Anerkennung der vollen Begründung der von den<lb/> für den Augenblick gewaltſam vertriebenen italieniſchen Fürſten erhobenen<lb/> Proteſtation und feierlichen Verwahrung ihrer Rechte, und eine Berufung auf<lb/> die noch immer rechtskräftig beſtehenden Berträge, mit welchen die factiſchen<lb/> Einverleibungen in entſchiedenſtem Widerſpruch ſtehen, und weßhalb daher<lb/> dieſe als zu Recht beſtehend nicht anerkannt werden könnten. Auch von<lb/> mehreren deutſchen Mittelſtaaten ſind Antworten im gleichen Sinn einge-<lb/> laufen, namentlich auch von Bayern. Auch dieſes erkennt die Proteſtation<lb/> der vertriebenen italieniſchen Fürſten als vollkommen rechtlich begründet an,<lb/> und erblickt in der Einverleibung der Staaten derſelben in das Königreich<lb/> Sardinien eine Verletzung der Verträge. Namentlich ſpricht ſich die Ant-<lb/> wort Bayerns auch ſehr beſtimmt gegen die an der weltlichen Herrſchaft des<lb/> heil. Baters und deſſen rechtmäßigem Beſitzſtand verübte Gewaltthat aus, die<lb/> um ſo weniger zu rechtſertigen ſey, als in der ungeſchmälerten weltlichen<lb/> Herrſchaft des Papſtes die einzige ſichere Gewähr für die vollkommen freie<lb/> und unabhängige Ausübung auch ſeines kirchlichen Oberhirtenamtes über die<lb/> geſammte katholiſche Chriſtenheit liege. Am unangenehmſten aber, weil<lb/> gerade von dieſer Seite am wenigſten erwartet, kam dem Grafen Cavour die<lb/> Haltung Rußlands gegenüber der ſardiniſchen Einverleibungspolitik. Auch<lb/> nach St. Petersburg war die Notiſication der vollbrachten Einverleibungen<lb/> ergangen. Allein das ruſſiſche Cabinet verweigerte ſogar die Annahme dieſer<lb/> Notiſication, und eine Antwort darauf ſiel ſomit von ſelbſt weg.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>△ <hi rendition="#b">Genua,</hi> 6 Jun.</dateline> <p>Es läßt ſich leicht denken daß hier alles in größ-<lb/> ter Auſregung iſt. Die Via nuova, Carlo Alberto und andere Straßen und<lb/> Plätze prangen im Feſtſchmuck. Ueberall Fahnen, Blumen, Inſchriften,<lb/> Teppiche u. dgl.; ſeit zwei Abenden iſt der größte Theil der Stadt beleuchtet.<lb/> Der „Movimento“ bringt die Nachricht daß der Dampfer „Utile“ mit 800 M.<lb/> für Garibaldi bei Marſala gelandet habe. Andererſeits verſichert man daß<lb/> binnen wenigen Tagen von hier eine zweite Expedition nach Sicilien abgehen<lb/> wird, an deren Spitze Oberſt Medici ſtehen ſoll. Zwei amerikaniſche Dampfer<lb/> welche hier im Hafen liegen — ſagt man mir weiter — ſeyen zu Aufnahme<lb/> der Freiſchaaren beſtimmt, und die Schiffe ſtarren bereits von Munition<lb/> und Waffen. Oberſt Zambianchi ſoll bloß verhaftet worden ſeyn, weil er<lb/> es gar zu öffentlich trieb. Indeſſen meldet man aus Turin daß er ſchon auf<lb/> freiem Fuß ſey. Die Stadt wimmelt von „Geſtalten“ in Garibaldihüten<lb/> und Blouſen. Die „Garibaldi-Subſcription“ hat im Lauf der letzten Tage<lb/> ſehr bedeutende Beiträge erhalten. Man iſt hier der allgemeinen Anſicht daß<lb/> nach der Revolution in Sicilien die in Neapel an die Reihe kommen ſoll.<lb/> Der letzte Stoß würde der weltlichen Herrſchaft des Papſtes gelten, der bloß<lb/> auf die Stadt Rom beſchränkt bliebe. In Turin ſoll eine „reactionäre“ Ver-<lb/> ſchwörung entdeckt worden ſeyn. Man habe, heißt es, viele Verhaftungen<lb/> vorgenommen und wichtige Papiere mit Beſchlag belegt.</p><lb/> <cb/> </div> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">□ Aus Nordſavoyen,</hi> 7 Jun.</dateline> <p>Der Senat in Turin ſcheint<lb/> gottesſürchtiger zu ſeyn als die zweite Kammer. Geſtern war der kaiſerliche<lb/> Commiſſarius Laity in Chambery angelangt um den Nachmittag des heutigen<lb/> volksreichen Fronleichnamstags noch zu einem Volksfeſt ob der Annexions-<lb/> ratiſication zu ſtempeln. Da berichtete der Telegraph daß die erſte Kammer<lb/> wegen des Kirchenfeſtes erſt morgen Sitzung halte, und die Savoyarden<lb/> haben nun das Unglück bis zum nächſten Sonntag nur erſt halb der großen<lb/> Nation anzugehören. Wie man hört, werden die Senatoren Pallavicini-<lb/> Trivulzio und Linati gegen die Annexirung ſprechen. Unter der Gränzberei-<lb/> nigungscommiſſion herrſcht Uneinigkeit. Es verbreitet ſich neuerdings das<lb/> Gerücht: die franzöſiſche Regierung habe der Schweiz den Fetzen Land von St.<lb/> Gingolph bis Meillerie angeboten. Die Antwort darauf läßt ſich vorausſehen.<lb/> Von den 160 Oſficieren der ſavoyiſchen Brigade verbleiben 42 in italieniſchen<lb/> Dienſten; an die ausſcheidenden iſt der Lazarusorden ſehr freigebig ertheilt<lb/> worden. Bei der Erledigung des Bisthums Annecy hat ein Schweizer Geiſt-<lb/> licher, der Abt und Weihbiſchof von St. Moriz, die dießjährige Firmelung<lb/> auf dem linken Lemanufer vorgenommen. Auf den erſten Juli veranſtaltet<lb/> die „Prinzeſſin“ Solms ein Volksfeſt nebſt Armentheater in Aix le Bains.<lb/> Die Intendanz hofft dadurch die Badeliſte zu mehren, auf welcher gegenwärtig<lb/> die Mutter der genannten Napoleonidin, eine Tochter Lucians, paradirt;<lb/> deßgleichen einige Phanarioten und Türken. 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Dieſer Vorfall<lb/> macht|hier ſehr viel von ſich reden. — Nach einer Depeſche aus Turin faßte<lb/> das Parlament in der Sitzung vom 5 d. folgende Beſchlüſſe: 1) die Regie-<lb/> rung des Königs iſt ermächtigt die Aushebung der Altersclaffe 1839 in den<lb/> alten Provinzen des Staats, in den Provinzen Bologna, Ferrara, Forli<lb/> und Ravenna vorzunehmen; 2) im Fall drohender Gefahr iſt die Regierung<lb/> des Königs ermächtigt auch das Contingent der Altersclaſſe 1840 in jenen<lb/> Provinzen auszuheben in welchen dieſe Aushebung noch nicht geſchehen; 3) das<lb/> Contingent der genannten Provinzen für das Jahr 1839 iſt auf 70,000<lb/> Mann feſtgeſetzt, das Contingent für 1840 auf 17,000 Mann. 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Nachmittags halb 4 Uhr verließ der von dem Ar-<lb/> beiterverein in Verbindung mit den „Waffenbrüdern“ angeordnete große Feſtzug<lb/> den Exercierplatz, und begab ſich auf ſeinem Weg nach Tivoli vor das Chri-<lb/> ſtiansborger Schloß, um dem König den Dank des Volks für die Gabe der<lb/> freien Verſaſſung zu bringen. Die Reden hatten dießmal einen paſſenden<lb/> Gegenſtand in den „politiſchen Briefen,“ welche den Vortheil gewähren daß<lb/> die Redner|nicht nöthig haben aus Mangel an anderm Stoff die ſkandinavi-<lb/> ſchen und die deutſchfeindlichen Gefühle anzuregen, und daß die Schmähungen<lb/> gegen Wahlgeſetz und Volksthing zu eingehenden Betrachtungen über die An-<lb/> wendung der verliehenen Freiheit geradezu herausfordern. — In der Nr. 155<lb/> der Allg. Zeitung leſe ich in einer der D. A. Z. entnommenen Correſpondenz<lb/> aus Flensburg die Aeußerung: „Die meiſten däniſchen tonangebenden Blätter<lb/> ſchwärmen für das Bündniß mit Napoleon.“ Dieß iſt mehr als Uebertrei-<lb/> bung. Aus täglichem Leſen der „tonangebenden Blätter“ kann ich verſichern<lb/> daß ſich dieſelben überhaupt nur ſehr wenig und mit großer Zurückhaltung<lb/> über ein Bündniß mit Napoleon ausgeſprochen haben; daß die wenigen Aeuße-<lb/> rungen von dem Gefühl des Schwärmens weit entfernt geweſen ſind, viel-<lb/> mehr die betreffenden Blätter nur von einem unter Umſtänden möglichen An-<lb/> ſchluß an Frankreich geſprochen, und die große Gefahr welche in der offenen<lb/> Herausforderung Deutſchlands liegen würde keineswegs verkannt haben. So<lb/> toll iſt denn doch keiner der tonangebenden Zeitungsredactoren daß er nicht ein<lb/> friedliches Vernehmen mit Deutſchland unter erträglichen Bedingungen einem<lb/> Kriege mit demſelben auf Leben und Tod, der jenem Bündniß in der Zeiten<lb/> Erfüllung entſpringen würde, vorzöge, namentlich da die große Maſſe des<lb/> Volks bis jetzt noch keine Luſt zu einem neuen Kriege gezeigt hat. Daß<lb/> mancher trotzdem, bei der Bewegung die in Deutſchland in Folge der Nach-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2719/0007]
hörig gehalten wurde. Er verweigerte ſich vor der Behörde zu ſtellen, in-
dem er erklärte daß er nichts mit der piemonteſiſchen Regierung zu ſchaffen
habe; worauf der Sicherheitscommiſſär ſich bemüſſigt glaubte demſelben die
Daumenſchrauben anlegen zu laſſen. Der „Corriere del Po“ behauptet:
man habe geheime auf Verſchwörung zielende Papiere bei ihm aufgefunden.
— Die „Armonia“ läßt ſich aus Paris ſchreiben daß eine daſelbſt weilende
ſavoyiſche Deputation des Klerus, beſtehend aus den Biſchöfen von St. Jeau
de Maurienne und Mouſtier, vom Kaiſer ſehr gnädig aufgenommen worden ſey.
Der Kaiſer ſoll den Prälaten die Verſicherung gegeben haben daß die Civil
ehe vorderband in Savoyen nicht ingeſührt werde, und daß auch die Zahl
der Biſchöfe nicht werde vermindert werden. — Die Kammer hat in ihrer
geſtrigen Sitzung das Geſetz für die Aushebung der Altersclaſſe von 1840
dahin abgeändert daß ſie die von der Regierung vorgeſchlagenen 15,000
Mann auf 17,000 erhöhte. — Die „Gazzetta di Torino“ glaubt verſichern
zu können daß General Lanza und der größte Theil der Officiere gegen
die Fortſetzung des brudermörderiſchen Kampfes proteſtiren. Auch die Trup-
pen hätten ſich geweigert nochmals in Kampf zu gehen. Es wurde daher
eine neue Capitulation nach Neapel geſandt. Nachſchrift. Heute Nacht
wurde ein Domherr der hieſigen Metropolitankirche verhaftet. Man fand in
ſeinem Haus eine geheime Druckerei, auch wurden Druckpapiere und Manu-
ſcripte vorgefunden.
⊙ Turin, 7 Jun. Graf Cavour iſt übel gelaunt in Folge der Auf-
nahme welche ſeine Notiſication an die andern europäiſchen Höfe von den
thatſächlich vollbrachten Einverleibungen von Toscana, Modena und Parma,
dann dem die Romagna begreifenden Theil des Kirchenſtaats in das König-
reich Sardinien bei mehreren derſelben gefunden hat. Er und ſeine Satelliten
ſuchen zwar die Sache möglichſt geheim zu halten und zu vertuſchen. Deſſen-
ungeachtet iſt dieſe Heimlichthuerei doch vergebens. Daß Oeſterreich förm-
lichen Proteſt gegen dieſe Einverleibungen von Ländern in deren Mehrzahl es
ein vertragsmäßiges Succeſſionsrecht beſitzt, einlegen werde, wie es dieſes
denn auch wirklich gethan hat, das kam niemanden hier unerwartet. Dagegen
hatte Graf Cavour ſich mit der Hoffnung geſchmeichelt von Berlin her eine das
Vorſchreiten Piemonts anerkennende Antwort zu erhalten. Statt deſſen kam
von Berlin eine ausdrückliche Anerkennung der vollen Begründung der von den
für den Augenblick gewaltſam vertriebenen italieniſchen Fürſten erhobenen
Proteſtation und feierlichen Verwahrung ihrer Rechte, und eine Berufung auf
die noch immer rechtskräftig beſtehenden Berträge, mit welchen die factiſchen
Einverleibungen in entſchiedenſtem Widerſpruch ſtehen, und weßhalb daher
dieſe als zu Recht beſtehend nicht anerkannt werden könnten. Auch von
mehreren deutſchen Mittelſtaaten ſind Antworten im gleichen Sinn einge-
laufen, namentlich auch von Bayern. Auch dieſes erkennt die Proteſtation
der vertriebenen italieniſchen Fürſten als vollkommen rechtlich begründet an,
und erblickt in der Einverleibung der Staaten derſelben in das Königreich
Sardinien eine Verletzung der Verträge. Namentlich ſpricht ſich die Ant-
wort Bayerns auch ſehr beſtimmt gegen die an der weltlichen Herrſchaft des
heil. Baters und deſſen rechtmäßigem Beſitzſtand verübte Gewaltthat aus, die
um ſo weniger zu rechtſertigen ſey, als in der ungeſchmälerten weltlichen
Herrſchaft des Papſtes die einzige ſichere Gewähr für die vollkommen freie
und unabhängige Ausübung auch ſeines kirchlichen Oberhirtenamtes über die
geſammte katholiſche Chriſtenheit liege. Am unangenehmſten aber, weil
gerade von dieſer Seite am wenigſten erwartet, kam dem Grafen Cavour die
Haltung Rußlands gegenüber der ſardiniſchen Einverleibungspolitik. Auch
nach St. Petersburg war die Notiſication der vollbrachten Einverleibungen
ergangen. Allein das ruſſiſche Cabinet verweigerte ſogar die Annahme dieſer
Notiſication, und eine Antwort darauf ſiel ſomit von ſelbſt weg.
△ Genua, 6 Jun. Es läßt ſich leicht denken daß hier alles in größ-
ter Auſregung iſt. Die Via nuova, Carlo Alberto und andere Straßen und
Plätze prangen im Feſtſchmuck. Ueberall Fahnen, Blumen, Inſchriften,
Teppiche u. dgl.; ſeit zwei Abenden iſt der größte Theil der Stadt beleuchtet.
Der „Movimento“ bringt die Nachricht daß der Dampfer „Utile“ mit 800 M.
für Garibaldi bei Marſala gelandet habe. Andererſeits verſichert man daß
binnen wenigen Tagen von hier eine zweite Expedition nach Sicilien abgehen
wird, an deren Spitze Oberſt Medici ſtehen ſoll. Zwei amerikaniſche Dampfer
welche hier im Hafen liegen — ſagt man mir weiter — ſeyen zu Aufnahme
der Freiſchaaren beſtimmt, und die Schiffe ſtarren bereits von Munition
und Waffen. Oberſt Zambianchi ſoll bloß verhaftet worden ſeyn, weil er
es gar zu öffentlich trieb. Indeſſen meldet man aus Turin daß er ſchon auf
freiem Fuß ſey. Die Stadt wimmelt von „Geſtalten“ in Garibaldihüten
und Blouſen. Die „Garibaldi-Subſcription“ hat im Lauf der letzten Tage
ſehr bedeutende Beiträge erhalten. Man iſt hier der allgemeinen Anſicht daß
nach der Revolution in Sicilien die in Neapel an die Reihe kommen ſoll.
Der letzte Stoß würde der weltlichen Herrſchaft des Papſtes gelten, der bloß
auf die Stadt Rom beſchränkt bliebe. In Turin ſoll eine „reactionäre“ Ver-
ſchwörung entdeckt worden ſeyn. Man habe, heißt es, viele Verhaftungen
vorgenommen und wichtige Papiere mit Beſchlag belegt.
□ Aus Nordſavoyen, 7 Jun. Der Senat in Turin ſcheint
gottesſürchtiger zu ſeyn als die zweite Kammer. Geſtern war der kaiſerliche
Commiſſarius Laity in Chambery angelangt um den Nachmittag des heutigen
volksreichen Fronleichnamstags noch zu einem Volksfeſt ob der Annexions-
ratiſication zu ſtempeln. Da berichtete der Telegraph daß die erſte Kammer
wegen des Kirchenfeſtes erſt morgen Sitzung halte, und die Savoyarden
haben nun das Unglück bis zum nächſten Sonntag nur erſt halb der großen
Nation anzugehören. Wie man hört, werden die Senatoren Pallavicini-
Trivulzio und Linati gegen die Annexirung ſprechen. Unter der Gränzberei-
nigungscommiſſion herrſcht Uneinigkeit. Es verbreitet ſich neuerdings das
Gerücht: die franzöſiſche Regierung habe der Schweiz den Fetzen Land von St.
Gingolph bis Meillerie angeboten. Die Antwort darauf läßt ſich vorausſehen.
Von den 160 Oſficieren der ſavoyiſchen Brigade verbleiben 42 in italieniſchen
Dienſten; an die ausſcheidenden iſt der Lazarusorden ſehr freigebig ertheilt
worden. Bei der Erledigung des Bisthums Annecy hat ein Schweizer Geiſt-
licher, der Abt und Weihbiſchof von St. Moriz, die dießjährige Firmelung
auf dem linken Lemanufer vorgenommen. Auf den erſten Juli veranſtaltet
die „Prinzeſſin“ Solms ein Volksfeſt nebſt Armentheater in Aix le Bains.
Die Intendanz hofft dadurch die Badeliſte zu mehren, auf welcher gegenwärtig
die Mutter der genannten Napoleonidin, eine Tochter Lucians, paradirt;
deßgleichen einige Phanarioten und Türken. Ob dieſes Vortreten der Prin-
zeſſin mit oder gegen den Willen des kaiſerlichen Vetters geſchieht, läßt ſich
bei der häuſigen Spannung zwiſchen dem Imperator und der Schriftſtellerin
nicht wohl ermitteln.
× Mailand, 6 Jun. Geſtern reiste Marſchall Baillant mit meh-
reren Officieren ſeines Generalſtabs nach Venedig ab. Seine Rückkehr wird
noch in dieſer Woche erfolgen. — Graf Annoni ſoll ſeine Entlaſſung als
General der Nationalgarde Mailands eingereicht haben. Dieſer Vorfall
macht|hier ſehr viel von ſich reden. — Nach einer Depeſche aus Turin faßte
das Parlament in der Sitzung vom 5 d. folgende Beſchlüſſe: 1) die Regie-
rung des Königs iſt ermächtigt die Aushebung der Altersclaffe 1839 in den
alten Provinzen des Staats, in den Provinzen Bologna, Ferrara, Forli
und Ravenna vorzunehmen; 2) im Fall drohender Gefahr iſt die Regierung
des Königs ermächtigt auch das Contingent der Altersclaſſe 1840 in jenen
Provinzen auszuheben in welchen dieſe Aushebung noch nicht geſchehen; 3) das
Contingent der genannten Provinzen für das Jahr 1839 iſt auf 70,000
Mann feſtgeſetzt, das Contingent für 1840 auf 17,000 Mann. Dieſe Be-
ſchlüſſe erſtrecken ſich alſo nicht auf Toscana, Parma, Modena und die
Lombardei.
Dänemark.
× Aus Dänemark, 6 Jun. Die von 100 Reichstagsmännern aus-
gegangene Beifallsadreſſe für die Minorität der ſchleswigiſchen Ständever-
ſammlung ſoll jetzt, nachdem die ausgeſandten Exemplare rings aus dem
Lande größtentheils eingegangen ſind, an Lauritz Skau zur Mittheilung an
ſeine Genoſſen geſchickt werden; ſie hat aus dem ganzen Lande gegen 50,000
Unterſchriften erhalten. — Die geſtrige Feier der Grundgeſetzverleihung ward
vom ſchönſten Wetter begünſtigt. Vom frühen Morgen an war in den
Straßen Kopenhagens große Bewegung; Muſikcorps zogen umher, und unter
den öffentlichen Plätzen war vorzüglich der Königsneumarkt ſchön mit Fahnen
und Flaggen ausgeſchmückt. Nachmittags halb 4 Uhr verließ der von dem Ar-
beiterverein in Verbindung mit den „Waffenbrüdern“ angeordnete große Feſtzug
den Exercierplatz, und begab ſich auf ſeinem Weg nach Tivoli vor das Chri-
ſtiansborger Schloß, um dem König den Dank des Volks für die Gabe der
freien Verſaſſung zu bringen. Die Reden hatten dießmal einen paſſenden
Gegenſtand in den „politiſchen Briefen,“ welche den Vortheil gewähren daß
die Redner|nicht nöthig haben aus Mangel an anderm Stoff die ſkandinavi-
ſchen und die deutſchfeindlichen Gefühle anzuregen, und daß die Schmähungen
gegen Wahlgeſetz und Volksthing zu eingehenden Betrachtungen über die An-
wendung der verliehenen Freiheit geradezu herausfordern. — In der Nr. 155
der Allg. Zeitung leſe ich in einer der D. A. Z. entnommenen Correſpondenz
aus Flensburg die Aeußerung: „Die meiſten däniſchen tonangebenden Blätter
ſchwärmen für das Bündniß mit Napoleon.“ Dieß iſt mehr als Uebertrei-
bung. Aus täglichem Leſen der „tonangebenden Blätter“ kann ich verſichern
daß ſich dieſelben überhaupt nur ſehr wenig und mit großer Zurückhaltung
über ein Bündniß mit Napoleon ausgeſprochen haben; daß die wenigen Aeuße-
rungen von dem Gefühl des Schwärmens weit entfernt geweſen ſind, viel-
mehr die betreffenden Blätter nur von einem unter Umſtänden möglichen An-
ſchluß an Frankreich geſprochen, und die große Gefahr welche in der offenen
Herausforderung Deutſchlands liegen würde keineswegs verkannt haben. So
toll iſt denn doch keiner der tonangebenden Zeitungsredactoren daß er nicht ein
friedliches Vernehmen mit Deutſchland unter erträglichen Bedingungen einem
Kriege mit demſelben auf Leben und Tod, der jenem Bündniß in der Zeiten
Erfüllung entſpringen würde, vorzöge, namentlich da die große Maſſe des
Volks bis jetzt noch keine Luſt zu einem neuen Kriege gezeigt hat. Daß
mancher trotzdem, bei der Bewegung die in Deutſchland in Folge der Nach-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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