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Allgemeine Zeitung, Nr. 165, 13. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] Entstehen begriffene Vertrauen zwischen den deutschen Regierungen und
Stämmen im Keim zu ersticken. Es ist ein öffentliches Geheimniß daß die
Zusammenkunft deutscher Fürsten in Baden-Baden Folge eben jenes sich bil-
denden Vertrauens und der Dringlichkeit der Umstände war. Gelingt es
Louis Napoleon diese Zusammenkunft zu stören, sie sogar zu einer Quelle
des Mißtrauens zu machen, so ist für ihn die sicherste Aussicht zum Siege.
Daß sich der zweite December in diesen deutschen Fürstentag eindrängt, als
gelte es einen neuen Rheinbund unter seinem Protectorat zu bilden, ist ein
überaus geschickter Zug, aber wir hoffen daß er eben an seiner übergroßen
Feinheit scheitern wird. Es ist wahr, wir Deutschen sind allmählich argwöh-
nisch geworden, und liefert leider auch unsere Geschichte der Gründe genug
um es zu seyn; andererseits sind wir wenig zur That geneigt, und zufrieden
unsere Apathie und politische Trägheit hinter den Zusicherungen des Gegners
verbergen zu können. Aber der zweite December irrt doch; eben weil er
unser Mißtrauen so fein zu erregen, unsere Thatenlosigkeit so geschickt aus-
zubeuten trachtet, darum vertrauen wir mehr denn je, darum werden hoffent-
lich alle Deutschen thätiger als sonst seyn. Der Prinz-Regent hat mit seinen
patriotischen Worten in Deutschland keine tauben Ohren und Herzen gefun-
den; wer es mit dem Vaterland ehrlich und treu meint, der wird gerade jetzt
alles aufbieten um zu beweisen daß, wie groß auch die Meinungsverschiedenheit
über innere Fragen seyn mag, sie doch weit zurücktritt und verschwindet wo
es die Unabhängigkeit und Freiheit des großen deutschen Vaterlandes und des
deutschen Volkes gilt. Jedes Bedenken, jedes Schwanken, jede Spur eines
Zweifels gränzt hier nahe an Verrath. Wir hoffen daß man in Wien eben-
so denkt, daß man in London weiß wie man den unliebsamen Besuch in
Baden-Baden aufzunehmen hat. Was auch französische Zeitungen darüber
berichten mögen, an der Donau wie an der Themse soll man niemanden
glauben als reindeutschen Quellen. Der Zweck des Prinz-Regenten, als er
deutsche Fürsten zur Zusammenkunft nach Baden-Baden einlud, war sicher
ein guter, ehrlicher, patriotischer; der Schritt verdiente den Dank des deutschen Vol-
kes. Wahrscheinlich wird der Zusammenkunft ein allgemeiner deutscher Fürsten-
tag, wenigstens eine Zusammenkunft zwischen dem Prinz Regenten und dem Kai-
ser von Oesterreich folgen. Wir können jetzt darauf wohl mit Gewißheit
rechnen, nicht um Deutschlands willen, wir sind gewiß dieses wird sich nicht
von dem schlauen Gegner täuschen lassen, aber um des Auslands willen.
Dieses urtheilt nur zu leicht nach dem äußern Schein; es muß belehrt wer-
den daß der äußere Schein im vorliegenden Fall trügt, es muß darüber be-
lehrt werden durch einen offenkundigen nicht mißzuverstehenden Schritt. Gälte
es nur die Cabinette des Auslands aufzuklären, so wäre eine Zusammenkunft
der Herrscher der deutschen Großstaaten weniger nöthig, aber, vergessen wir's
nicht, es gilt auch in der öffentlichen Meinung des Auslands jeder Möglich-
keit eines Irrthums vorzubeugen. Gewiß hoffen wir nicht vergebens, wenn
wir die Erwartung hegen daß die ganze deutsche Presse ihre Anstrengungen
zur Erreichung dieses Ziels vereinen wird. Aber die zweite Pflicht derselben
ist nicht minder dringend. Mehr denn je ist es jetzt für sie geboten daran zu
erinnern daß zu dem Vertrauen nach innen das Mißtrauen nach außen sich
gesellen muß; Worte bleiben Worte: hören wir sie an, aber glauben wir ihnen
nicht. Auch Frankreich hat geglaubt, und die Folge davon ist daß es jeden
Schimmer von Freiheit verloren hat, ja daß man es sogar gezwungen diesen
Verlust zu bejubeln. Wer mit solcher Gleichgültigkeit sich über das gegebene
Wort hinwegsetzt, wer dem eigenen Volk das geschenkte Vertrauen so lohnt,
wer den Orleaus für die von ihnen gespendete Gnade also dankt, wer die
feierlichsten Verträge unter dem hohlsten Vorwand bricht in dem Augenblick
fast wo sie geschlossen, wer so die Gewalt, die Corruption, den Wortbruch
und die Treulosigkeit in sich verkörpert, der darf sich nicht wundern wenn er
selbst bei den Deutschen zuletzt taube Ohren findet. Man sagt den Bour-
bonen nach: "sie hätten nichts gelernt und nichts vergessen;" zeigen wir der
Welt daß wir endlich beginnen die trüben Erfahrungen unserer Geschichte
auszunützen. Was sind Worte, was wiegen Zusicherungen? Sind sie nicht
eben ein Beweis daß hier die Täuschung Absicht, daß unsere Unabhängigkeit
und Freiheit bedroht ist? Trauen wir hinfort niemand als der eigenen Kraft, und
bieten wir alles auf sie zu entwickeln. Eines steht über allen Zweifel fest, der Blin-
deste muß es erkennen, der Taubste hat es vernommen, der Gefühlloseste es em-
pfunden. Seit 1852 hat Europa keinen Augenblick Frieden gehabt. Immer
größer ist der Verlust an Blut und Kräften geworden, immer mehr sind die
bestehenden Zustände in ihrem ganzen Bestande gelockert und bedroht wor-
den. Wenn je, so hat der zweite December des deutschen Sängers Worte
bewahrheitet: "Das eben ist der Fluch der bösen That daß sie fortzeugend böses
muß gebären!" -- Der "Courrier de Paris" verkündet, wie der "Siecle", offen
daß das ganze alte Regime Europa's sich überlebt hat. An die Stelle der
legitimen Monarchien sollen die des allgemeinen Stimmrechts, an die Stelle
der Gesetze und des Rechts die durch "den nationalen Willen" sanctionirten
Staatsstreiche, an die Stelle der Selbstregierung die unite du pouvoir tre-
ten. "Europa muß sich an das legitime Uebergewicht Frankreichs gewöh-
nen," sagte der officiöse "Constitutionnel." Der "Courrier" von gestern
[Spaltenumbruch] fügt hinzu: "Der Kaiser Louis Napoleon hat 1856 den Frieden mit Ruß-
land fest geschlossen, und man weiß mit welchen neuen furchtbaren Gefahren die
orientalische Frage seitdem Europa bedroht. Der Kaiser hat 1859 unerwar-
tet den Frieden von Villafranca geschlossen, und seitdem lehrt uns jeder Tag
wie weit die italienische Frage von jeder Lösung entfernt ist. Es scheint uns
fast unmöglich anzunehmen daß es auf der Welt eine Macht oder einen Mann
gibt, im Stande Europa in seinem Gange gegen die vermiedenen oder verspä-
teten Lösungen aufrecht zu erhalten."

Was diese Lösungen sind das wissen wir: es ist die Herstellung der Gränzen
des ersten Kaiserreichs, also der Verlust der deutschen Lande jenseits des Rheins,
die allgemeine Unterordnung Europo's unter den zweiten December und die
Adoption seines Regime's. Die Zeit der Blindheit ist endlich vorüber. Wir
glauben keinen Worten mehr, wir glauben nur Thaten. Thaten aber sind
für den zweiten December in diesem Sinne: Entwaffnung, Herstellung der
Freiheit der Presse und der Kammern. Solange Louis Napoleon im Stande
ist "ohne zu rüsten" mit 250,000 Mann auf vollem Kriegsfuß in benachbarte
Länder einzufallen, solange die Sicherheitsgesetze, also die Handhabung des
Rechts durch die Verwaltung besteht, solange die Preßfreiheit nicht wieder
hergestellt ist und das Volk jeder Theilnahme an der Regierung entbehrt, so-
lange die unite du pouvoir das leitende Regime ist, so lange ist Deutschlands
Unabhängigkeit und Freiheit, ist seine Gegenwart wie seine Zukunft bedroht.
Wir diesseits des Rheins sind es vor allem unsern Brüdern jenseits des
Rheins schuldig auf nichts zu bauen als auf unsere eigene Kraft, ja im Ge-
gentheil jeden Versuch uns von der Entwicklung unserer Widerstandskraft ab-
zuhalten, nur als einen Beweis mehr zu betrachten wie sehr wir bedroht sind.
Was der zweite December will, das vermögen wir nur zu vermuthen; was
er aber kann, das sind wir im Stande zu beweisen. Unsere Unabhängigkeit
und Freiheit sind aber nur dann gesichert wenn er sie nicht gefährden kann; ob
er es dann will oder nicht, ist durchaus gleichgültig. Wenn er es aber kann,
dann hängt unsere Unabhängigkeit vom Wollen, vom Belieben, von der
Tageslaune des zweiten Decembers ab, und pfui! über ein Volk wie das
deutsche, wenn es seine höchsten Güter der Gnade einer Macht überantworten
wollte welche die Gewalt zur Basis und die Corruption zum Princip hat.

Der Constitutionnel enthält nachstehendes Mitgetheilt: "Ein aus-
wärtiges Journal veröffentlicht ein Schreiben welches ihm von dem Verfasser
einer kürzlich in Paris im Handel erschienenen Broschüre zugieng, und worin
behauptet wird daß der österreichische Gesandte am Tuilerien-Hof officielle
Schritte gethan habe um sich dieser Veröffentlichung zu widersetzen. Die
Behauptung ist völlig ungenau. Der Moniteur brachte jüngst in einer offi-
ciellen Note die gegenseitige Stellung zwischen der Regierung und den Schrift-
stellern in Erinnerung, wie das Gesetz vom 21 October 1814 sie bedingt.
Ist die Bedingung der "Declaration" und der "Hinterlegung" nach Artikel
14 dieses Gesetzes erfüllt, so ist es erlaubt jede Art von Broschüre zu ver-
öffentlichen. Nur wenn sie durch die Art des behandelten Gegenstandes Be-
denken erregt, glaubt die Regierung ihre Ansicht dem Verfasser mittheilen zu
können: sie ertheilt einen Rath -- sie legt nie einen Zwang auf. Bleibt
diese völlig freundschaftliche Intervention ohne Erfolg, so macht die Behörde
vom Recht der Beschlagnahme erst Gebrauch wenn die Schrift die im Gesetz
vorhergesehenen Vergehen enthält. Die Behörde blieb auch im vorliegenden
Fall dieser Richtschnur treu. Aus eigenem Antrieb und unter dem Einfluß
ihrer guten Beziehungen mit einer benachbarten Macht hat die Regierung den
Verfasser der Schrift benachrichtigen lassen daß seine Broschüre ihr unange-
messen erscheint. Indem sie so handelte, bewies sie neuerdings wie sie das
Gesetz achtet, und wacht über alles was die internationalen Beziehungen be-
trifft." Es gilt diese Bemerkung offenbar der Broschüre: La Hongrie devant
l'Europe,
der neuesten Broschüre gegen Oesterreich; wir werden gelegentlich
auf das erbärmliche Machwerk zurückkommen. Gutem Vernehmen nach ist
dieselbe, wie bekannt, von Hrn. Joel Eichhorn, dem Rabbiner einer Reform-
gemeinde, unter den Inspirationen eines Sectionschefs des Preßbureau's im
Auftrag der Tuilerien gefertigt.

Wir haben bei dem ersten Artikel des Libells Philarete Chasles' gegen
Alexander v. Humboldt als Ursache die Stelle im Brief 172 Humboldts an
Varnhagen vom 28 Januar 1856 genannt: "Aber welch Skandal -- der
Schall Philarete im Journ. des Debats! Ich schrieb nach Paris: "vulgaire
dans les idees comme dans les formes du langage, indigne d'un lit-
terateur du college de France."
Wir vergaßen aber daß es noch eine
zweite Stelle gibt, und wir tragen sie hier in Folge des zweiten Artikels des
erbärmlichen Machwerks nach. Sie findet sich im Brief Nr. 62 vom 28 Fe-
bruar 1842, wo es heißt: "Dienstags, mit dem Feuilleton des Journal des
Debats, worin Philarete Chasles auf eine gemeine Weise die deutsche Litte-
ratur und die größten deutschen Schriftsteller höhnt und schmäht, schrieb
Humboldt folgende Worte: Und dieser Elende ist unter dem Guizot'schen
Ministerium Professeur des langues du Nord (litt. anglaise, allemande)
au College de France
geworden. Behalten Sie nur das alberne Bu-
benstück."

[Spaltenumbruch] Entſtehen begriffene Vertrauen zwiſchen den deutſchen Regierungen und
Stämmen im Keim zu erſticken. Es iſt ein öffentliches Geheimniß daß die
Zuſammenkunft deutſcher Fürſten in Baden-Baden Folge eben jenes ſich bil-
denden Vertrauens und der Dringlichkeit der Umſtände war. Gelingt es
Louis Napoleon dieſe Zuſammenkunft zu ſtören, ſie ſogar zu einer Quelle
des Mißtrauens zu machen, ſo iſt für ihn die ſicherſte Ausſicht zum Siege.
Daß ſich der zweite December in dieſen deutſchen Fürſtentag eindrängt, als
gelte es einen neuen Rheinbund unter ſeinem Protectorat zu bilden, iſt ein
überaus geſchickter Zug, aber wir hoffen daß er eben an ſeiner übergroßen
Feinheit ſcheitern wird. Es iſt wahr, wir Deutſchen ſind allmählich argwöh-
niſch geworden, und liefert leider auch unſere Geſchichte der Gründe genug
um es zu ſeyn; andererſeits ſind wir wenig zur That geneigt, und zufrieden
unſere Apathie und politiſche Trägheit hinter den Zuſicherungen des Gegners
verbergen zu können. Aber der zweite December irrt doch; eben weil er
unſer Mißtrauen ſo fein zu erregen, unſere Thatenloſigkeit ſo geſchickt aus-
zubeuten trachtet, darum vertrauen wir mehr denn je, darum werden hoffent-
lich alle Deutſchen thätiger als ſonſt ſeyn. Der Prinz-Regent hat mit ſeinen
patriotiſchen Worten in Deutſchland keine tauben Ohren und Herzen gefun-
den; wer es mit dem Vaterland ehrlich und treu meint, der wird gerade jetzt
alles aufbieten um zu beweiſen daß, wie groß auch die Meinungsverſchiedenheit
über innere Fragen ſeyn mag, ſie doch weit zurücktritt und verſchwindet wo
es die Unabhängigkeit und Freiheit des großen deutſchen Vaterlandes und des
deutſchen Volkes gilt. Jedes Bedenken, jedes Schwanken, jede Spur eines
Zweifels gränzt hier nahe an Verrath. Wir hoffen daß man in Wien eben-
ſo denkt, daß man in London weiß wie man den unliebſamen Beſuch in
Baden-Baden aufzunehmen hat. Was auch franzöſiſche Zeitungen darüber
berichten mögen, an der Donau wie an der Themſe ſoll man niemanden
glauben als reindeutſchen Quellen. Der Zweck des Prinz-Regenten, als er
deutſche Fürſten zur Zuſammenkunft nach Baden-Baden einlud, war ſicher
ein guter, ehrlicher, patriotiſcher; der Schritt verdiente den Dank des deutſchen Vol-
kes. Wahrſcheinlich wird der Zuſammenkunft ein allgemeiner deutſcher Fürſten-
tag, wenigſtens eine Zuſammenkunft zwiſchen dem Prinz Regenten und dem Kai-
ſer von Oeſterreich folgen. Wir können jetzt darauf wohl mit Gewißheit
rechnen, nicht um Deutſchlands willen, wir ſind gewiß dieſes wird ſich nicht
von dem ſchlauen Gegner täuſchen laſſen, aber um des Auslands willen.
Dieſes urtheilt nur zu leicht nach dem äußern Schein; es muß belehrt wer-
den daß der äußere Schein im vorliegenden Fall trügt, es muß darüber be-
lehrt werden durch einen offenkundigen nicht mißzuverſtehenden Schritt. Gälte
es nur die Cabinette des Auslands aufzuklären, ſo wäre eine Zuſammenkunft
der Herrſcher der deutſchen Großſtaaten weniger nöthig, aber, vergeſſen wir’s
nicht, es gilt auch in der öffentlichen Meinung des Auslands jeder Möglich-
keit eines Irrthums vorzubeugen. Gewiß hoffen wir nicht vergebens, wenn
wir die Erwartung hegen daß die ganze deutſche Preſſe ihre Anſtrengungen
zur Erreichung dieſes Ziels vereinen wird. Aber die zweite Pflicht derſelben
iſt nicht minder dringend. Mehr denn je iſt es jetzt für ſie geboten daran zu
erinnern daß zu dem Vertrauen nach innen das Mißtrauen nach außen ſich
geſellen muß; Worte bleiben Worte: hören wir ſie an, aber glauben wir ihnen
nicht. Auch Frankreich hat geglaubt, und die Folge davon iſt daß es jeden
Schimmer von Freiheit verloren hat, ja daß man es ſogar gezwungen dieſen
Verluſt zu bejubeln. Wer mit ſolcher Gleichgültigkeit ſich über das gegebene
Wort hinwegſetzt, wer dem eigenen Volk das geſchenkte Vertrauen ſo lohnt,
wer den Orleaus für die von ihnen geſpendete Gnade alſo dankt, wer die
feierlichſten Verträge unter dem hohlſten Vorwand bricht in dem Augenblick
faſt wo ſie geſchloſſen, wer ſo die Gewalt, die Corruption, den Wortbruch
und die Treuloſigkeit in ſich verkörpert, der darf ſich nicht wundern wenn er
ſelbſt bei den Deutſchen zuletzt taube Ohren findet. Man ſagt den Bour-
bonen nach: „ſie hätten nichts gelernt und nichts vergeſſen;“ zeigen wir der
Welt daß wir endlich beginnen die trüben Erfahrungen unſerer Geſchichte
auszunützen. Was ſind Worte, was wiegen Zuſicherungen? Sind ſie nicht
eben ein Beweis daß hier die Täuſchung Abſicht, daß unſere Unabhängigkeit
und Freiheit bedroht iſt? Trauen wir hinfort niemand als der eigenen Kraft, und
bieten wir alles auf ſie zu entwickeln. Eines ſteht über allen Zweifel feſt, der Blin-
deſte muß es erkennen, der Taubſte hat es vernommen, der Gefühlloſeſte es em-
pfunden. Seit 1852 hat Europa keinen Augenblick Frieden gehabt. Immer
größer iſt der Verluſt an Blut und Kräften geworden, immer mehr ſind die
beſtehenden Zuſtände in ihrem ganzen Beſtande gelockert und bedroht wor-
den. Wenn je, ſo hat der zweite December des deutſchen Sängers Worte
bewahrheitet: „Das eben iſt der Fluch der böſen That daß ſie fortzeugend böſes
muß gebären!“ — Der „Courrier de Paris“ verkündet, wie der „Siècle“, offen
daß das ganze alte Régime Europa’s ſich überlebt hat. An die Stelle der
legitimen Monarchien ſollen die des allgemeinen Stimmrechts, an die Stelle
der Geſetze und des Rechts die durch „den nationalen Willen“ ſanctionirten
Staatsſtreiche, an die Stelle der Selbſtregierung die unité du pouvoir tre-
ten. „Europa muß ſich an das legitime Uebergewicht Frankreichs gewöh-
nen,“ ſagte der officiöſe „Conſtitutionnel.“ Der „Courrier“ von geſtern
[Spaltenumbruch] fügt hinzu: „Der Kaiſer Louis Napoleon hat 1856 den Frieden mit Ruß-
land feſt geſchloſſen, und man weiß mit welchen neuen furchtbaren Gefahren die
orientaliſche Frage ſeitdem Europa bedroht. Der Kaiſer hat 1859 unerwar-
tet den Frieden von Villafranca geſchloſſen, und ſeitdem lehrt uns jeder Tag
wie weit die italieniſche Frage von jeder Löſung entfernt iſt. Es ſcheint uns
faſt unmöglich anzunehmen daß es auf der Welt eine Macht oder einen Mann
gibt, im Stande Europa in ſeinem Gange gegen die vermiedenen oder verſpä-
teten Löſungen aufrecht zu erhalten.“

Was dieſe Löſungen ſind das wiſſen wir: es iſt die Herſtellung der Gränzen
des erſten Kaiſerreichs, alſo der Verluſt der deutſchen Lande jenſeits des Rheins,
die allgemeine Unterordnung Europo’s unter den zweiten December und die
Adoption ſeines Régime’s. Die Zeit der Blindheit iſt endlich vorüber. Wir
glauben keinen Worten mehr, wir glauben nur Thaten. Thaten aber ſind
für den zweiten December in dieſem Sinne: Entwaffnung, Herſtellung der
Freiheit der Preſſe und der Kammern. Solange Louis Napoleon im Stande
iſt „ohne zu rüſten“ mit 250,000 Mann auf vollem Kriegsfuß in benachbarte
Länder einzufallen, ſolange die Sicherheitsgeſetze, alſo die Handhabung des
Rechts durch die Verwaltung beſteht, ſolange die Preßfreiheit nicht wieder
hergeſtellt iſt und das Volk jeder Theilnahme an der Regierung entbehrt, ſo-
lange die unité du pouvoir das leitende Régime iſt, ſo lange iſt Deutſchlands
Unabhängigkeit und Freiheit, iſt ſeine Gegenwart wie ſeine Zukunft bedroht.
Wir dieſſeits des Rheins ſind es vor allem unſern Brüdern jenſeits des
Rheins ſchuldig auf nichts zu bauen als auf unſere eigene Kraft, ja im Ge-
gentheil jeden Verſuch uns von der Entwicklung unſerer Widerſtandskraft ab-
zuhalten, nur als einen Beweis mehr zu betrachten wie ſehr wir bedroht ſind.
Was der zweite December will, das vermögen wir nur zu vermuthen; was
er aber kann, das ſind wir im Stande zu beweiſen. Unſere Unabhängigkeit
und Freiheit ſind aber nur dann geſichert wenn er ſie nicht gefährden kann; ob
er es dann will oder nicht, iſt durchaus gleichgültig. Wenn er es aber kann,
dann hängt unſere Unabhängigkeit vom Wollen, vom Belieben, von der
Tageslaune des zweiten Decembers ab, und pfui! über ein Volk wie das
deutſche, wenn es ſeine höchſten Güter der Gnade einer Macht überantworten
wollte welche die Gewalt zur Baſis und die Corruption zum Princip hat.

Der Conſtitutionnel enthält nachſtehendes Mitgetheilt: „Ein aus-
wärtiges Journal veröffentlicht ein Schreiben welches ihm von dem Verfaſſer
einer kürzlich in Paris im Handel erſchienenen Broſchüre zugieng, und worin
behauptet wird daß der öſterreichiſche Geſandte am Tuilerien-Hof officielle
Schritte gethan habe um ſich dieſer Veröffentlichung zu widerſetzen. Die
Behauptung iſt völlig ungenau. Der Moniteur brachte jüngſt in einer offi-
ciellen Note die gegenſeitige Stellung zwiſchen der Regierung und den Schrift-
ſtellern in Erinnerung, wie das Geſetz vom 21 October 1814 ſie bedingt.
Iſt die Bedingung der „Declaration“ und der „Hinterlegung“ nach Artikel
14 dieſes Geſetzes erfüllt, ſo iſt es erlaubt jede Art von Broſchüre zu ver-
öffentlichen. Nur wenn ſie durch die Art des behandelten Gegenſtandes Be-
denken erregt, glaubt die Regierung ihre Anſicht dem Verfaſſer mittheilen zu
können: ſie ertheilt einen Rath — ſie legt nie einen Zwang auf. Bleibt
dieſe völlig freundſchaftliche Intervention ohne Erfolg, ſo macht die Behörde
vom Recht der Beſchlagnahme erſt Gebrauch wenn die Schrift die im Geſetz
vorhergeſehenen Vergehen enthält. Die Behörde blieb auch im vorliegenden
Fall dieſer Richtſchnur treu. Aus eigenem Antrieb und unter dem Einfluß
ihrer guten Beziehungen mit einer benachbarten Macht hat die Regierung den
Verfaſſer der Schrift benachrichtigen laſſen daß ſeine Broſchüre ihr unange-
meſſen erſcheint. Indem ſie ſo handelte, bewies ſie neuerdings wie ſie das
Geſetz achtet, und wacht über alles was die internationalen Beziehungen be-
trifft.“ Es gilt dieſe Bemerkung offenbar der Broſchüre: La Hongrie devant
l’Europe,
der neueſten Broſchüre gegen Oeſterreich; wir werden gelegentlich
auf das erbärmliche Machwerk zurückkommen. Gutem Vernehmen nach iſt
dieſelbe, wie bekannt, von Hrn. Joel Eichhorn, dem Rabbiner einer Reform-
gemeinde, unter den Inſpirationen eines Sectionschefs des Preßbureau’s im
Auftrag der Tuilerien gefertigt.

Wir haben bei dem erſten Artikel des Libells Philarète Chasles’ gegen
Alexander v. Humboldt als Urſache die Stelle im Brief 172 Humboldts an
Varnhagen vom 28 Januar 1856 genannt: „Aber welch Skandal — der
Schall Philarète im Journ. des Débats! Ich ſchrieb nach Paris: „vulgaire
dans les idées comme dans les formes du langage, indigne d’un lit-
térateur du collége de France.“
Wir vergaßen aber daß es noch eine
zweite Stelle gibt, und wir tragen ſie hier in Folge des zweiten Artikels des
erbärmlichen Machwerks nach. Sie findet ſich im Brief Nr. 62 vom 28 Fe-
bruar 1842, wo es heißt: „Dienſtags, mit dem Feuilleton des Journal des
Débats, worin Philarète Chasles auf eine gemeine Weiſe die deutſche Litte-
ratur und die größten deutſchen Schriftſteller höhnt und ſchmäht, ſchrieb
Humboldt folgende Worte: Und dieſer Elende iſt unter dem Guizot’ſchen
Miniſterium Professeur des langues du Nord (litt. anglaise, allemande)
au Collége de France
geworden. Behalten Sie nur das alberne Bu-
benſtück.“

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[2750/0006] Entſtehen begriffene Vertrauen zwiſchen den deutſchen Regierungen und Stämmen im Keim zu erſticken. Es iſt ein öffentliches Geheimniß daß die Zuſammenkunft deutſcher Fürſten in Baden-Baden Folge eben jenes ſich bil- denden Vertrauens und der Dringlichkeit der Umſtände war. Gelingt es Louis Napoleon dieſe Zuſammenkunft zu ſtören, ſie ſogar zu einer Quelle des Mißtrauens zu machen, ſo iſt für ihn die ſicherſte Ausſicht zum Siege. Daß ſich der zweite December in dieſen deutſchen Fürſtentag eindrängt, als gelte es einen neuen Rheinbund unter ſeinem Protectorat zu bilden, iſt ein überaus geſchickter Zug, aber wir hoffen daß er eben an ſeiner übergroßen Feinheit ſcheitern wird. Es iſt wahr, wir Deutſchen ſind allmählich argwöh- niſch geworden, und liefert leider auch unſere Geſchichte der Gründe genug um es zu ſeyn; andererſeits ſind wir wenig zur That geneigt, und zufrieden unſere Apathie und politiſche Trägheit hinter den Zuſicherungen des Gegners verbergen zu können. Aber der zweite December irrt doch; eben weil er unſer Mißtrauen ſo fein zu erregen, unſere Thatenloſigkeit ſo geſchickt aus- zubeuten trachtet, darum vertrauen wir mehr denn je, darum werden hoffent- lich alle Deutſchen thätiger als ſonſt ſeyn. Der Prinz-Regent hat mit ſeinen patriotiſchen Worten in Deutſchland keine tauben Ohren und Herzen gefun- den; wer es mit dem Vaterland ehrlich und treu meint, der wird gerade jetzt alles aufbieten um zu beweiſen daß, wie groß auch die Meinungsverſchiedenheit über innere Fragen ſeyn mag, ſie doch weit zurücktritt und verſchwindet wo es die Unabhängigkeit und Freiheit des großen deutſchen Vaterlandes und des deutſchen Volkes gilt. Jedes Bedenken, jedes Schwanken, jede Spur eines Zweifels gränzt hier nahe an Verrath. Wir hoffen daß man in Wien eben- ſo denkt, daß man in London weiß wie man den unliebſamen Beſuch in Baden-Baden aufzunehmen hat. Was auch franzöſiſche Zeitungen darüber berichten mögen, an der Donau wie an der Themſe ſoll man niemanden glauben als reindeutſchen Quellen. Der Zweck des Prinz-Regenten, als er deutſche Fürſten zur Zuſammenkunft nach Baden-Baden einlud, war ſicher ein guter, ehrlicher, patriotiſcher; der Schritt verdiente den Dank des deutſchen Vol- kes. Wahrſcheinlich wird der Zuſammenkunft ein allgemeiner deutſcher Fürſten- tag, wenigſtens eine Zuſammenkunft zwiſchen dem Prinz Regenten und dem Kai- ſer von Oeſterreich folgen. Wir können jetzt darauf wohl mit Gewißheit rechnen, nicht um Deutſchlands willen, wir ſind gewiß dieſes wird ſich nicht von dem ſchlauen Gegner täuſchen laſſen, aber um des Auslands willen. Dieſes urtheilt nur zu leicht nach dem äußern Schein; es muß belehrt wer- den daß der äußere Schein im vorliegenden Fall trügt, es muß darüber be- lehrt werden durch einen offenkundigen nicht mißzuverſtehenden Schritt. Gälte es nur die Cabinette des Auslands aufzuklären, ſo wäre eine Zuſammenkunft der Herrſcher der deutſchen Großſtaaten weniger nöthig, aber, vergeſſen wir’s nicht, es gilt auch in der öffentlichen Meinung des Auslands jeder Möglich- keit eines Irrthums vorzubeugen. Gewiß hoffen wir nicht vergebens, wenn wir die Erwartung hegen daß die ganze deutſche Preſſe ihre Anſtrengungen zur Erreichung dieſes Ziels vereinen wird. Aber die zweite Pflicht derſelben iſt nicht minder dringend. Mehr denn je iſt es jetzt für ſie geboten daran zu erinnern daß zu dem Vertrauen nach innen das Mißtrauen nach außen ſich geſellen muß; Worte bleiben Worte: hören wir ſie an, aber glauben wir ihnen nicht. Auch Frankreich hat geglaubt, und die Folge davon iſt daß es jeden Schimmer von Freiheit verloren hat, ja daß man es ſogar gezwungen dieſen Verluſt zu bejubeln. Wer mit ſolcher Gleichgültigkeit ſich über das gegebene Wort hinwegſetzt, wer dem eigenen Volk das geſchenkte Vertrauen ſo lohnt, wer den Orleaus für die von ihnen geſpendete Gnade alſo dankt, wer die feierlichſten Verträge unter dem hohlſten Vorwand bricht in dem Augenblick faſt wo ſie geſchloſſen, wer ſo die Gewalt, die Corruption, den Wortbruch und die Treuloſigkeit in ſich verkörpert, der darf ſich nicht wundern wenn er ſelbſt bei den Deutſchen zuletzt taube Ohren findet. Man ſagt den Bour- bonen nach: „ſie hätten nichts gelernt und nichts vergeſſen;“ zeigen wir der Welt daß wir endlich beginnen die trüben Erfahrungen unſerer Geſchichte auszunützen. Was ſind Worte, was wiegen Zuſicherungen? Sind ſie nicht eben ein Beweis daß hier die Täuſchung Abſicht, daß unſere Unabhängigkeit und Freiheit bedroht iſt? Trauen wir hinfort niemand als der eigenen Kraft, und bieten wir alles auf ſie zu entwickeln. Eines ſteht über allen Zweifel feſt, der Blin- deſte muß es erkennen, der Taubſte hat es vernommen, der Gefühlloſeſte es em- pfunden. Seit 1852 hat Europa keinen Augenblick Frieden gehabt. Immer größer iſt der Verluſt an Blut und Kräften geworden, immer mehr ſind die beſtehenden Zuſtände in ihrem ganzen Beſtande gelockert und bedroht wor- den. Wenn je, ſo hat der zweite December des deutſchen Sängers Worte bewahrheitet: „Das eben iſt der Fluch der böſen That daß ſie fortzeugend böſes muß gebären!“ — Der „Courrier de Paris“ verkündet, wie der „Siècle“, offen daß das ganze alte Régime Europa’s ſich überlebt hat. An die Stelle der legitimen Monarchien ſollen die des allgemeinen Stimmrechts, an die Stelle der Geſetze und des Rechts die durch „den nationalen Willen“ ſanctionirten Staatsſtreiche, an die Stelle der Selbſtregierung die unité du pouvoir tre- ten. „Europa muß ſich an das legitime Uebergewicht Frankreichs gewöh- nen,“ ſagte der officiöſe „Conſtitutionnel.“ Der „Courrier“ von geſtern fügt hinzu: „Der Kaiſer Louis Napoleon hat 1856 den Frieden mit Ruß- land feſt geſchloſſen, und man weiß mit welchen neuen furchtbaren Gefahren die orientaliſche Frage ſeitdem Europa bedroht. Der Kaiſer hat 1859 unerwar- tet den Frieden von Villafranca geſchloſſen, und ſeitdem lehrt uns jeder Tag wie weit die italieniſche Frage von jeder Löſung entfernt iſt. 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Solange Louis Napoleon im Stande iſt „ohne zu rüſten“ mit 250,000 Mann auf vollem Kriegsfuß in benachbarte Länder einzufallen, ſolange die Sicherheitsgeſetze, alſo die Handhabung des Rechts durch die Verwaltung beſteht, ſolange die Preßfreiheit nicht wieder hergeſtellt iſt und das Volk jeder Theilnahme an der Regierung entbehrt, ſo- lange die unité du pouvoir das leitende Régime iſt, ſo lange iſt Deutſchlands Unabhängigkeit und Freiheit, iſt ſeine Gegenwart wie ſeine Zukunft bedroht. Wir dieſſeits des Rheins ſind es vor allem unſern Brüdern jenſeits des Rheins ſchuldig auf nichts zu bauen als auf unſere eigene Kraft, ja im Ge- gentheil jeden Verſuch uns von der Entwicklung unſerer Widerſtandskraft ab- zuhalten, nur als einen Beweis mehr zu betrachten wie ſehr wir bedroht ſind. Was der zweite December will, das vermögen wir nur zu vermuthen; was er aber kann, das ſind wir im Stande zu beweiſen. 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Der Moniteur brachte jüngſt in einer offi- ciellen Note die gegenſeitige Stellung zwiſchen der Regierung und den Schrift- ſtellern in Erinnerung, wie das Geſetz vom 21 October 1814 ſie bedingt. Iſt die Bedingung der „Declaration“ und der „Hinterlegung“ nach Artikel 14 dieſes Geſetzes erfüllt, ſo iſt es erlaubt jede Art von Broſchüre zu ver- öffentlichen. Nur wenn ſie durch die Art des behandelten Gegenſtandes Be- denken erregt, glaubt die Regierung ihre Anſicht dem Verfaſſer mittheilen zu können: ſie ertheilt einen Rath — ſie legt nie einen Zwang auf. Bleibt dieſe völlig freundſchaftliche Intervention ohne Erfolg, ſo macht die Behörde vom Recht der Beſchlagnahme erſt Gebrauch wenn die Schrift die im Geſetz vorhergeſehenen Vergehen enthält. Die Behörde blieb auch im vorliegenden Fall dieſer Richtſchnur treu. 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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 165, 13. Juni 1860, S. 2750. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine165_1860/6>, abgerufen am 21.11.2024.