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Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860.

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Außerordentl. Beilage zu Nr. 166 der Allg. Zeitung.
14 Junius 1860.
[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Das Lager von Chalons. -- Deutschland. (Wien: Die Adelszeitung.
Nachträgliche Recrimination gegen Baron Bruck. Die Reise des Großwesirs.
Die Montenegriner. Militär-Turnanstalten.) -- Schweiz. (Bern: Der
"Berner Hof." Genf: Zum Perrier'schen Proceß. Die Stellung der eid-
genössischen Truppen.) -- Italien. (Florenz: Widerstreben der Geistlich-
keit bei der Gedenkfeier von Curtatone. Il Contemporaneo. Ein Brief Maz-
zini's. Beiträge für Sicilien. Das Fronleichnamsfest. Municipale Apathie
gegen Sicilien. Neue Insurgentenausschiffung in Marsala. Die Presse in
Neapel und in dem Römischen.) -- Griechenland. (Athen: Schluß der Kam-
mersitzungen. Finanzminister Kumunduros sucht seine Enthebung nach.
Wahrscheinliche Ergänzung des Ministeriums. Zustände an der Nordgränze.
Ausgrabungen in Eleusis. Aus Kreta.)



Das Lager von Chalons.

Eine Zweigbahn führt in
beinahe nördlicher Richtung von Chalons ab nach dem kleinen Oertchen Pe-
tit-Mourmelon, welches eigentlich nur aus weitläuftigen Magazinen, den
Stationsgebäuden für den Bahnbetrieb und einigen Restaurants besteht.
Zwischen diesem Ort und dem östlich gelegenen etwas größern Dorf -- dem
Grand-Mourmelon -- dehnt sich die weite Fläche aus, wovon ein Theil seit ge-
raumer Zeit zum sogenannten Lager von Chalons bestimmt ist. Die Bo-
dencultur -- sonst so üppig in der Champagne -- hat da natürlich fast ganz
aufgehört; die kalkige Oberfläche erzeugt kaum hie und da noch spärlichen
Graswuchs; Fuß- und Huftritte haben die Vegetation längst mit der Wur-
zel ausgerottet -- und außer einigen Baumpflanzungen, unter deren Schutz
fich noch etwas Wiesengrund erhalten hat, welcher von fließendem Wasser
durchschnitten und theilweise überschwemmt ist, bietet die Ebene dem Auge nichts
als gelblichweißen Lehm- und Kalkgrund und darauf eine Stadt von Zelten
und Barracken. Die Ausdehnung des Lagers ist bedeutend. Wenn man
der Straße folgt welche den Petit- mit dem Grand-Mourmelon verbindet, so
hat man zur Rechten dieser Straße die ersie Linie der Lagerformation, in
welcher der größte Theil der Truppen liegt; zur Linken der Straße ist der
rückenartige Theil des Lagers, wo in geräumigen barrackenartigen Etablisse-
ments die Lagerbedürfnisse, die Lebensmittelvorräthe und sonstiger Bedarf
untergebracht sind, wo die Trainequipagen und die Ambulanzwagen stehen,
und von Truppen nur ein geringer Theil der Infanterie als Bedeckung in
Zelten liegt.

Das Ganze fängt nach und nach an das Ansehen der Permanenz zu
gewinnen; denn natürlich, je länger sich die jährlichen Uebungslager er-
halten, um so mehr trachtet man darnach die Ansprüche nicht nur der
Zweckmäßigkeit, sondern selbst des Comforts zu befriedigen; so entstehen ne-
ben den Barracken der Militärverwaltung eine Menge von lustigen Bauten
der Privatspeculation, in welchen Lebeusbedürfnisse, Bequemlichkeit und Ver-
gnügungen in buntem Gemisch und reichlicher Menge -- wenn auch nicht
immer in der besten Auswahl -- nebeneinander debitirt werden.

Der franzöfische Soldat ist lebenslustig; das Ideal des richtigen Ge-
nusses ist ihm, wie allen Franzosen, das Pariser Leben. Das Lager ist we-
nigstens nicht so weit von Paris, daß man nicht noch einigen Schimmer
von jenem Leben in die Lustbarkeiten, welche für die Lagerzeit hier aufge-
schlagen werden, hineinfallen lassen könnte, und so wird doch ein Abklatsch
oder Aufguß des Pariser Treibens geboten -- wenn auch ein matter. In
der That gibt es Cafes chantants und Concerts in Fülle, wo auf einem drei
Metres breiten erhöhten Podium ein Bauchredner, ein Wilder und einige
zahme Schönen ihre Künste produciren, pauken und singen, wozu einige
Trompeter oder, wo die Militärmusik nicht ausreicht, ein paar alte Geiger ein
jämmerliches Orchester abgeben; auch ein Tivoli, ja selbst ein Ball im
Freien -- eine Art von Bal-Mabille -- darf nicht fehlen, und alles ist Im-
perial oder a la Parisienne, wie es die Umstände erfordern. Mit tricolo-
ren Fahnen, mit oder ohne die Inschrift: "Vive l'empereur!" oder
"Vive Napoleon III!"
schwendung getrieben.

Der Ort Grand-Mourmelon, vorher unbedeutend genug und kaum mehr
als ein Klümpchen ärmlicher Hütien, setzt in der Richtung gegen das
Lager zu ganz neue Gassen an; freilich sind die Bauten meist nur aus Rie-
gelwänden leicht anfgeführt, aber die Ausdehnung ist jetzt schon beträchtlich.

Nicht weniger, wohl noch weit umfangreicher, sind aber die Arbei-
ten welche die Militäradministration ausführen läßt, und deren Betrieb eben
noch im geschäftigsten Gang ist. Außer den genannten Magazinen und
Etablissements in der hintern Lagerlinie, außer dem Genie- und Artil-
[Spaltenumbruch] leriepark, den Wohnungs- und Stallbarracken für die Commandanten und
mehreren Spitälern in der mittlern Linie, entsteht eine ganze Ortschaft von
Infanteriebarracken in der vordersten Lagerreihe, eine förmliche Ortschaft
wie gesagt -- aus getrockneten Ziegeln und Tramwerk leicht aufgebaut --
die jetzt schon etwa 240 Nummern, wenn nicht mehr, zählen dürste. In der
mittlern breiten Straße, welche diesen Barrackencompler in zwei Hälsten
scheidet, ist ein eiserner Schienenweg angelegt, um die Herschaffung des Bau-
materials zu erleichtern und so die Arbeit zu beschleunigen. Die vordere
Stirnseite dieser Barrackenreihe entlang, welche die erste Linie des Lagers
bildet, ist eine breite Straße angelegt und zum Theil schon ausgeführt, die
den Namen Rue de Solferino trägt. Links in der Verlängerung der Bar-
rackenlinie steht noch eine lange Reihe von Zelten für die Infanterie und die
Jäger. Rechts von den Barracken fängt das Cavallerielager an, zuerst iu
gleicher Richtung fortlaufend, dann im eingehenden Winkel in der Richtung
auf den Bahnhof des Petit-Mourmelon zu vortretend. In weiterer Fort-
setzung schließen sich an die Cavalleriezelte, die somit das Centrum der
ersten Lagerlinie bilden, noch lange Reihen von Infanteriezelten an. In
der zweiten Linie sind zuerst die Barracken der Commandanten, dann der
Genie- und Artilleriepark und die Spitäler; rückwärts der Straße endlich,
wie schon erwähnt, Train und Magazine mit ihrer Bedeckung. Vor der
ersten Lagerlinie ist ein weites Terrain für die Formation der Truppen, für
Revuen und Manövers. Dieses Terrain steigt nur allmählich an bis zu
einer ziemlich flachen und geräumigen Kuppe, welche den sogenannten Pa-
villon Imperial trägt, Gruppen von Häuschen aus Fachwerk, die für das
Hauptquartier des Lagercommandanten, seine Kanzleien und Stallungen den
nöthigen Raum geben, und im Fall der Anwesenheit des Kaisers von ihm
und seinem Gefolge bewohnt werden. Dort ist auch auf einer Estrade das
mit Fahnen geschmückte Capellenzelt aufgeschlagen, in welchem bei festlichen
Anlässen die Feldmesse gelesen wird. Junge Pflanzungen von Nadelholz
fassen die gartenähnlich abgetheilten Wiesenplätze vor und um den Kaiser-
Pavillon ein. Ein System von breiten und guten macadamisirten Colon-
nenwegen wird von hier aus nach den Hauptpunkten des Lagers und durch
dasselbe geführt.

Die vorderste Lagerlinie ist des Nachts durch zwei große Leuchtthürme
mit Hohlspiegeln markirt.

Die Truppen von welchen das Lager bis jetzt bezogen ist, habe ich Ihnen
seiner Zeit genannt; ich kann also voraussetzen daß Ihnen die Zusammen-
setzung des Lagers bekannt ist; die Artillerie ist im Lager noch nicht eingerückt,
die übrigen Truppen sind abtheilungsweise im Laufe der letzten vier Wochen
eingetroffen. Die Infanterieregimenter sind zum größern Theil nur mit zwei
Bataillonen, die Jägerbataillone mit sechs Compagnien, die Cavallerie mit
vier Schwadronen per Regiment da; man kann die Ziffer auf 30 bis 35,000
Mann annehmen; Raum ist wenigstens für die doppelte Zahl.

Die Cavalleriedivision des Generals Dalmas de Perouze, welche aus
dem 4. und 7. Chasseur- und dem 1. und 5. Husarenregiment besteht, enthält
ausgesuchte Regimenter, die alle vorher in Afrika gedient haben, und durch-
aus mit Berberhengsten remontirt sind. Namentlich ist das 1. Husarenregi-
ment außerordentlich gut und schön beritten. Die Ausdauer und Willigkeit
dieser Pferde in Strapazen ist unübertrefflich. Im Lager und im Felde zeigt
sich am deutlichsten die Ueberlegenheit des orientalischen Pferds über seinen
Schößling -- das englische. Das orientalische Pferd verlangt keine Pflege,
es geht unermüdet den ganzen Tag bei kargem Futter und bei jedem Wetter,
verträgt Temperaturwechsel, Hunger und Durst -- es ist das Pferd zu allen
Unternehmungen, für alle Wege und für alle Fatiguen. Das englische Pferd
läßt sich wohl zu bestimmten Leistungen künstlich heranziehen, deren Höhe das
orientalische Originalpferd nie erreicht; aber welchen Aufwand von Sorge
verlangt es! Es ist nicht minder empfindlich als ein künstliches Uhrwerk; über
die Eigenschaften beider Pferde als Kriegspferde dürfte übrigens der Krim-
feldzug die besten Erfahrungen gegeben haben, die man in der Zucht und Re-
montirung beherzigen sollte.

Diese kleinen Hengste, welche im Stall und an der Halfter sehr tractabel
sind, haben im Lager nicht wenig zu schaffen gemacht. Sie haben die freie
Luft und noch dazu die Lust des Monats Mai, wo die ganze Natur erwacht,
getrunken, und diese scheint ihnen zu Kopf gestiegen zu seyn; sie wurden so un-
gebärdig daß man genöthigt war ihnen die Eisen abzureißen, um sie nicht der
Gefahr auszusetzen daß sie sich in ihrem Uebermuth gegenseitig zu Krüppeln
schlagen. Sie stehen unter freiem Himmel; senkrecht auf die Lagerlinie ist ein
starkes Tau gezogen an welches Fußfesseln für je 60 Pferde angeknüpft wer-
den. Durch die Fußfessel wird das Pferd angehängt, die Stallhalfter behält
es am Kopf, der Riemen derselben ist aber aufgebunden. Jede Pferdereihe
sieht zwischen zwei Zeltreihen, so daß acht Reihen Pferde mit sechzehn Reiheu

Donnerſtag
Außerordentl. Beilage zu Nr. 166 der Allg. Zeitung.
14 Junius 1860.
[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Das Lager von Châlons. — Deutſchland. (Wien: Die Adelszeitung.
Nachträgliche Recrimination gegen Baron Bruck. Die Reiſe des Großweſirs.
Die Montenegriner. Militär-Turnanſtalten.) — Schweiz. (Bern: Der
„Berner Hof.“ Genf: Zum Perrier’ſchen Proceß. Die Stellung der eid-
genöſſiſchen Truppen.) — Italien. (Florenz: Widerſtreben der Geiſtlich-
keit bei der Gedenkfeier von Curtatone. Il Contemporaneo. Ein Brief Maz-
zini’s. Beiträge für Sicilien. Das Fronleichnamsfeſt. Municipale Apathie
gegen Sicilien. Neue Inſurgentenausſchiffung in Marſala. Die Preſſe in
Neapel und in dem Römiſchen.) — Griechenland. (Athen: Schluß der Kam-
merſitzungen. Finanzminiſter Kumunduros ſucht ſeine Enthebung nach.
Wahrſcheinliche Ergänzung des Miniſteriums. Zuſtände an der Nordgränze.
Ausgrabungen in Eleuſis. Aus Kreta.)



Das Lager von Châlons.

Eine Zweigbahn führt in
beinahe nördlicher Richtung von Châlons ab nach dem kleinen Oertchen Pe-
tit-Mourmelon, welches eigentlich nur aus weitläuftigen Magazinen, den
Stationsgebäuden für den Bahnbetrieb und einigen Reſtaurants beſteht.
Zwiſchen dieſem Ort und dem öſtlich gelegenen etwas größern Dorf — dem
Grand-Mourmelon — dehnt ſich die weite Fläche aus, wovon ein Theil ſeit ge-
raumer Zeit zum ſogenannten Lager von Châlons beſtimmt iſt. Die Bo-
dencultur — ſonſt ſo üppig in der Champagne — hat da natürlich faſt ganz
aufgehört; die kalkige Oberfläche erzeugt kaum hie und da noch ſpärlichen
Graswuchs; Fuß- und Huftritte haben die Vegetation längſt mit der Wur-
zel ausgerottet — und außer einigen Baumpflanzungen, unter deren Schutz
fich noch etwas Wieſengrund erhalten hat, welcher von fließendem Waſſer
durchſchnitten und theilweiſe überſchwemmt iſt, bietet die Ebene dem Auge nichts
als gelblichweißen Lehm- und Kalkgrund und darauf eine Stadt von Zelten
und Barracken. Die Ausdehnung des Lagers iſt bedeutend. Wenn man
der Straße folgt welche den Petit- mit dem Grand-Mourmelon verbindet, ſo
hat man zur Rechten dieſer Straße die erſie Linie der Lagerformation, in
welcher der größte Theil der Truppen liegt; zur Linken der Straße iſt der
rückenartige Theil des Lagers, wo in geräumigen barrackenartigen Etabliſſe-
ments die Lagerbedürfniſſe, die Lebensmittelvorräthe und ſonſtiger Bedarf
untergebracht ſind, wo die Trainequipagen und die Ambulanzwagen ſtehen,
und von Truppen nur ein geringer Theil der Infanterie als Bedeckung in
Zelten liegt.

Das Ganze fängt nach und nach an das Anſehen der Permanenz zu
gewinnen; denn natürlich, je länger ſich die jährlichen Uebungslager er-
halten, um ſo mehr trachtet man darnach die Anſprüche nicht nur der
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ben den Barracken der Militärverwaltung eine Menge von luſtigen Bauten
der Privatſpeculation, in welchen Lebeusbedürfniſſe, Bequemlichkeit und Ver-
gnügungen in buntem Gemiſch und reichlicher Menge — wenn auch nicht
immer in der beſten Auswahl — nebeneinander debitirt werden.

Der franzöfiſche Soldat iſt lebensluſtig; das Ideal des richtigen Ge-
nuſſes iſt ihm, wie allen Franzoſen, das Pariſer Leben. Das Lager iſt we-
nigſtens nicht ſo weit von Paris, daß man nicht noch einigen Schimmer
von jenem Leben in die Luſtbarkeiten, welche für die Lagerzeit hier aufge-
ſchlagen werden, hineinfallen laſſen könnte, und ſo wird doch ein Abklatſch
oder Aufguß des Pariſer Treibens geboten — wenn auch ein matter. In
der That gibt es Cafés chantants und Concerts in Fülle, wo auf einem drei
Mètres breiten erhöhten Podium ein Bauchredner, ein Wilder und einige
zahme Schönen ihre Künſte produciren, pauken und ſingen, wozu einige
Trompeter oder, wo die Militärmuſik nicht ausreicht, ein paar alte Geiger ein
jämmerliches Orcheſter abgeben; auch ein Tivoli, ja ſelbſt ein Ball im
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périal oder à la Pariſienne, wie es die Umſtände erfordern. Mit tricolo-
ren Fahnen, mit oder ohne die Inſchrift: „Vive l’empereur!“ oder
„Vive Napoléon III!“
ſchwendung getrieben.

Der Ort Grand-Mourmelon, vorher unbedeutend genug und kaum mehr
als ein Klümpchen ärmlicher Hütien, ſetzt in der Richtung gegen das
Lager zu ganz neue Gaſſen an; freilich ſind die Bauten meiſt nur aus Rie-
gelwänden leicht anfgeführt, aber die Ausdehnung iſt jetzt ſchon beträchtlich.

Nicht weniger, wohl noch weit umfangreicher, ſind aber die Arbei-
ten welche die Militäradminiſtration ausführen läßt, und deren Betrieb eben
noch im geſchäftigſten Gang iſt. Außer den genannten Magazinen und
Etabliſſements in der hintern Lagerlinie, außer dem Genie- und Artil-
[Spaltenumbruch] leriepark, den Wohnungs- und Stallbarracken für die Commandanten und
mehreren Spitälern in der mittlern Linie, entſteht eine ganze Ortſchaft von
Infanteriebarracken in der vorderſten Lagerreihe, eine förmliche Ortſchaft
wie geſagt — aus getrockneten Ziegeln und Tramwerk leicht aufgebaut —
die jetzt ſchon etwa 240 Nummern, wenn nicht mehr, zählen dürſte. In der
mittlern breiten Straße, welche dieſen Barrackencompler in zwei Hälſten
ſcheidet, iſt ein eiſerner Schienenweg angelegt, um die Herſchaffung des Bau-
materials zu erleichtern und ſo die Arbeit zu beſchleunigen. Die vordere
Stirnſeite dieſer Barrackenreihe entlang, welche die erſte Linie des Lagers
bildet, iſt eine breite Straße angelegt und zum Theil ſchon ausgeführt, die
den Namen Rue de Solferino trägt. Links in der Verlängerung der Bar-
rackenlinie ſteht noch eine lange Reihe von Zelten für die Infanterie und die
Jäger. Rechts von den Barracken fängt das Cavallerielager an, zuerſt iu
gleicher Richtung fortlaufend, dann im eingehenden Winkel in der Richtung
auf den Bahnhof des Petit-Mourmelon zu vortretend. In weiterer Fort-
ſetzung ſchließen ſich an die Cavalleriezelte, die ſomit das Centrum der
erſten Lagerlinie bilden, noch lange Reihen von Infanteriezelten an. In
der zweiten Linie ſind zuerſt die Barracken der Commandanten, dann der
Genie- und Artilleriepark und die Spitäler; rückwärts der Straße endlich,
wie ſchon erwähnt, Train und Magazine mit ihrer Bedeckung. Vor der
erſten Lagerlinie iſt ein weites Terrain für die Formation der Truppen, für
Revuen und Manövers. Dieſes Terrain ſteigt nur allmählich an bis zu
einer ziemlich flachen und geräumigen Kuppe, welche den ſogenannten Pa-
villon Impérial trägt, Gruppen von Häuschen aus Fachwerk, die für das
Hauptquartier des Lagercommandanten, ſeine Kanzleien und Stallungen den
nöthigen Raum geben, und im Fall der Anweſenheit des Kaiſers von ihm
und ſeinem Gefolge bewohnt werden. Dort iſt auch auf einer Eſtrade das
mit Fahnen geſchmückte Capellenzelt aufgeſchlagen, in welchem bei feſtlichen
Anläſſen die Feldmeſſe geleſen wird. Junge Pflanzungen von Nadelholz
faſſen die gartenähnlich abgetheilten Wieſenplätze vor und um den Kaiſer-
Pavillon ein. Ein Syſtem von breiten und guten macadamiſirten Colon-
nenwegen wird von hier aus nach den Hauptpunkten des Lagers und durch
dasſelbe geführt.

Die vorderſte Lagerlinie iſt des Nachts durch zwei große Leuchtthürme
mit Hohlſpiegeln markirt.

Die Truppen von welchen das Lager bis jetzt bezogen iſt, habe ich Ihnen
ſeiner Zeit genannt; ich kann alſo vorausſetzen daß Ihnen die Zuſammen-
ſetzung des Lagers bekannt iſt; die Artillerie iſt im Lager noch nicht eingerückt,
die übrigen Truppen ſind abtheilungsweiſe im Laufe der letzten vier Wochen
eingetroffen. Die Infanterieregimenter ſind zum größern Theil nur mit zwei
Bataillonen, die Jägerbataillone mit ſechs Compagnien, die Cavallerie mit
vier Schwadronen per Regiment da; man kann die Ziffer auf 30 bis 35,000
Mann annehmen; Raum iſt wenigſtens für die doppelte Zahl.

Die Cavalleriediviſion des Generals Dalmas de Pérouze, welche aus
dem 4. und 7. Chaſſeur- und dem 1. und 5. Huſarenregiment beſteht, enthält
ausgeſuchte Regimenter, die alle vorher in Afrika gedient haben, und durch-
aus mit Berberhengſten remontirt ſind. Namentlich iſt das 1. Huſarenregi-
ment außerordentlich gut und ſchön beritten. Die Ausdauer und Willigkeit
dieſer Pferde in Strapazen iſt unübertrefflich. Im Lager und im Felde zeigt
ſich am deutlichſten die Ueberlegenheit des orientaliſchen Pferds über ſeinen
Schößling — das engliſche. Das orientaliſche Pferd verlangt keine Pflege,
es geht unermüdet den ganzen Tag bei kargem Futter und bei jedem Wetter,
verträgt Temperaturwechſel, Hunger und Durſt — es iſt das Pferd zu allen
Unternehmungen, für alle Wege und für alle Fatiguen. Das engliſche Pferd
läßt ſich wohl zu beſtimmten Leiſtungen künſtlich heranziehen, deren Höhe das
orientaliſche Originalpferd nie erreicht; aber welchen Aufwand von Sorge
verlangt es! Es iſt nicht minder empfindlich als ein künſtliches Uhrwerk; über
die Eigenſchaften beider Pferde als Kriegspferde dürfte übrigens der Krim-
feldzug die beſten Erfahrungen gegeben haben, die man in der Zucht und Re-
montirung beherzigen ſollte.

Dieſe kleinen Hengſte, welche im Stall und an der Halfter ſehr tractabel
ſind, haben im Lager nicht wenig zu ſchaffen gemacht. Sie haben die freie
Luft und noch dazu die Luſt des Monats Mai, wo die ganze Natur erwacht,
getrunken, und dieſe ſcheint ihnen zu Kopf geſtiegen zu ſeyn; ſie wurden ſo un-
gebärdig daß man genöthigt war ihnen die Eiſen abzureißen, um ſie nicht der
Gefahr auszuſetzen daß ſie ſich in ihrem Uebermuth gegenſeitig zu Krüppeln
ſchlagen. Sie ſtehen unter freiem Himmel; ſenkrecht auf die Lagerlinie iſt ein
ſtarkes Tau gezogen an welches Fußfeſſeln für je 60 Pferde angeknüpft wer-
den. Durch die Fußfeſſel wird das Pferd angehängt, die Stallhalfter behält
es am Kopf, der Riemen derſelben iſt aber aufgebunden. Jede Pferdereihe
ſieht zwiſchen zwei Zeltreihen, ſo daß acht Reihen Pferde mit ſechzehn Reiheu

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[0017] Donnerſtag Außerordentl. Beilage zu Nr. 166 der Allg. Zeitung. 14 Junius 1860. Ueberſicht. Das Lager von Châlons. — Deutſchland. (Wien: Die Adelszeitung. Nachträgliche Recrimination gegen Baron Bruck. Die Reiſe des Großweſirs. Die Montenegriner. Militär-Turnanſtalten.) — Schweiz. (Bern: Der „Berner Hof.“ Genf: Zum Perrier’ſchen Proceß. Die Stellung der eid- genöſſiſchen Truppen.) — Italien. (Florenz: Widerſtreben der Geiſtlich- keit bei der Gedenkfeier von Curtatone. Il Contemporaneo. Ein Brief Maz- zini’s. Beiträge für Sicilien. Das Fronleichnamsfeſt. Municipale Apathie gegen Sicilien. Neue Inſurgentenausſchiffung in Marſala. Die Preſſe in Neapel und in dem Römiſchen.) — Griechenland. (Athen: Schluß der Kam- merſitzungen. Finanzminiſter Kumunduros ſucht ſeine Enthebung nach. Wahrſcheinliche Ergänzung des Miniſteriums. Zuſtände an der Nordgränze. Ausgrabungen in Eleuſis. Aus Kreta.) Das Lager von Châlons. ⋌ Châlons ſur Marne, 9 Jun. Eine Zweigbahn führt in beinahe nördlicher Richtung von Châlons ab nach dem kleinen Oertchen Pe- tit-Mourmelon, welches eigentlich nur aus weitläuftigen Magazinen, den Stationsgebäuden für den Bahnbetrieb und einigen Reſtaurants beſteht. Zwiſchen dieſem Ort und dem öſtlich gelegenen etwas größern Dorf — dem Grand-Mourmelon — dehnt ſich die weite Fläche aus, wovon ein Theil ſeit ge- raumer Zeit zum ſogenannten Lager von Châlons beſtimmt iſt. Die Bo- dencultur — ſonſt ſo üppig in der Champagne — hat da natürlich faſt ganz aufgehört; die kalkige Oberfläche erzeugt kaum hie und da noch ſpärlichen Graswuchs; Fuß- und Huftritte haben die Vegetation längſt mit der Wur- zel ausgerottet — und außer einigen Baumpflanzungen, unter deren Schutz fich noch etwas Wieſengrund erhalten hat, welcher von fließendem Waſſer durchſchnitten und theilweiſe überſchwemmt iſt, bietet die Ebene dem Auge nichts als gelblichweißen Lehm- und Kalkgrund und darauf eine Stadt von Zelten und Barracken. Die Ausdehnung des Lagers iſt bedeutend. Wenn man der Straße folgt welche den Petit- mit dem Grand-Mourmelon verbindet, ſo hat man zur Rechten dieſer Straße die erſie Linie der Lagerformation, in welcher der größte Theil der Truppen liegt; zur Linken der Straße iſt der rückenartige Theil des Lagers, wo in geräumigen barrackenartigen Etabliſſe- ments die Lagerbedürfniſſe, die Lebensmittelvorräthe und ſonſtiger Bedarf untergebracht ſind, wo die Trainequipagen und die Ambulanzwagen ſtehen, und von Truppen nur ein geringer Theil der Infanterie als Bedeckung in Zelten liegt. Das Ganze fängt nach und nach an das Anſehen der Permanenz zu gewinnen; denn natürlich, je länger ſich die jährlichen Uebungslager er- halten, um ſo mehr trachtet man darnach die Anſprüche nicht nur der Zweckmäßigkeit, ſondern ſelbſt des Comforts zu befriedigen; ſo entſtehen ne- ben den Barracken der Militärverwaltung eine Menge von luſtigen Bauten der Privatſpeculation, in welchen Lebeusbedürfniſſe, Bequemlichkeit und Ver- gnügungen in buntem Gemiſch und reichlicher Menge — wenn auch nicht immer in der beſten Auswahl — nebeneinander debitirt werden. Der franzöfiſche Soldat iſt lebensluſtig; das Ideal des richtigen Ge- nuſſes iſt ihm, wie allen Franzoſen, das Pariſer Leben. Das Lager iſt we- nigſtens nicht ſo weit von Paris, daß man nicht noch einigen Schimmer von jenem Leben in die Luſtbarkeiten, welche für die Lagerzeit hier aufge- ſchlagen werden, hineinfallen laſſen könnte, und ſo wird doch ein Abklatſch oder Aufguß des Pariſer Treibens geboten — wenn auch ein matter. In der That gibt es Cafés chantants und Concerts in Fülle, wo auf einem drei Mètres breiten erhöhten Podium ein Bauchredner, ein Wilder und einige zahme Schönen ihre Künſte produciren, pauken und ſingen, wozu einige Trompeter oder, wo die Militärmuſik nicht ausreicht, ein paar alte Geiger ein jämmerliches Orcheſter abgeben; auch ein Tivoli, ja ſelbſt ein Ball im Freien — eine Art von Bal-Mabille — darf nicht fehlen, und alles iſt Im- périal oder à la Pariſienne, wie es die Umſtände erfordern. Mit tricolo- ren Fahnen, mit oder ohne die Inſchrift: „Vive l’empereur!“ oder „Vive Napoléon III!“ ſchwendung getrieben. Der Ort Grand-Mourmelon, vorher unbedeutend genug und kaum mehr als ein Klümpchen ärmlicher Hütien, ſetzt in der Richtung gegen das Lager zu ganz neue Gaſſen an; freilich ſind die Bauten meiſt nur aus Rie- gelwänden leicht anfgeführt, aber die Ausdehnung iſt jetzt ſchon beträchtlich. Nicht weniger, wohl noch weit umfangreicher, ſind aber die Arbei- ten welche die Militäradminiſtration ausführen läßt, und deren Betrieb eben noch im geſchäftigſten Gang iſt. Außer den genannten Magazinen und Etabliſſements in der hintern Lagerlinie, außer dem Genie- und Artil- leriepark, den Wohnungs- und Stallbarracken für die Commandanten und mehreren Spitälern in der mittlern Linie, entſteht eine ganze Ortſchaft von Infanteriebarracken in der vorderſten Lagerreihe, eine förmliche Ortſchaft wie geſagt — aus getrockneten Ziegeln und Tramwerk leicht aufgebaut — die jetzt ſchon etwa 240 Nummern, wenn nicht mehr, zählen dürſte. In der mittlern breiten Straße, welche dieſen Barrackencompler in zwei Hälſten ſcheidet, iſt ein eiſerner Schienenweg angelegt, um die Herſchaffung des Bau- materials zu erleichtern und ſo die Arbeit zu beſchleunigen. Die vordere Stirnſeite dieſer Barrackenreihe entlang, welche die erſte Linie des Lagers bildet, iſt eine breite Straße angelegt und zum Theil ſchon ausgeführt, die den Namen Rue de Solferino trägt. Links in der Verlängerung der Bar- rackenlinie ſteht noch eine lange Reihe von Zelten für die Infanterie und die Jäger. Rechts von den Barracken fängt das Cavallerielager an, zuerſt iu gleicher Richtung fortlaufend, dann im eingehenden Winkel in der Richtung auf den Bahnhof des Petit-Mourmelon zu vortretend. In weiterer Fort- ſetzung ſchließen ſich an die Cavalleriezelte, die ſomit das Centrum der erſten Lagerlinie bilden, noch lange Reihen von Infanteriezelten an. In der zweiten Linie ſind zuerſt die Barracken der Commandanten, dann der Genie- und Artilleriepark und die Spitäler; rückwärts der Straße endlich, wie ſchon erwähnt, Train und Magazine mit ihrer Bedeckung. Vor der erſten Lagerlinie iſt ein weites Terrain für die Formation der Truppen, für Revuen und Manövers. Dieſes Terrain ſteigt nur allmählich an bis zu einer ziemlich flachen und geräumigen Kuppe, welche den ſogenannten Pa- villon Impérial trägt, Gruppen von Häuschen aus Fachwerk, die für das Hauptquartier des Lagercommandanten, ſeine Kanzleien und Stallungen den nöthigen Raum geben, und im Fall der Anweſenheit des Kaiſers von ihm und ſeinem Gefolge bewohnt werden. Dort iſt auch auf einer Eſtrade das mit Fahnen geſchmückte Capellenzelt aufgeſchlagen, in welchem bei feſtlichen Anläſſen die Feldmeſſe geleſen wird. Junge Pflanzungen von Nadelholz faſſen die gartenähnlich abgetheilten Wieſenplätze vor und um den Kaiſer- Pavillon ein. Ein Syſtem von breiten und guten macadamiſirten Colon- nenwegen wird von hier aus nach den Hauptpunkten des Lagers und durch dasſelbe geführt. Die vorderſte Lagerlinie iſt des Nachts durch zwei große Leuchtthürme mit Hohlſpiegeln markirt. Die Truppen von welchen das Lager bis jetzt bezogen iſt, habe ich Ihnen ſeiner Zeit genannt; ich kann alſo vorausſetzen daß Ihnen die Zuſammen- ſetzung des Lagers bekannt iſt; die Artillerie iſt im Lager noch nicht eingerückt, die übrigen Truppen ſind abtheilungsweiſe im Laufe der letzten vier Wochen eingetroffen. Die Infanterieregimenter ſind zum größern Theil nur mit zwei Bataillonen, die Jägerbataillone mit ſechs Compagnien, die Cavallerie mit vier Schwadronen per Regiment da; man kann die Ziffer auf 30 bis 35,000 Mann annehmen; Raum iſt wenigſtens für die doppelte Zahl. Die Cavalleriediviſion des Generals Dalmas de Pérouze, welche aus dem 4. und 7. Chaſſeur- und dem 1. und 5. Huſarenregiment beſteht, enthält ausgeſuchte Regimenter, die alle vorher in Afrika gedient haben, und durch- aus mit Berberhengſten remontirt ſind. Namentlich iſt das 1. Huſarenregi- ment außerordentlich gut und ſchön beritten. Die Ausdauer und Willigkeit dieſer Pferde in Strapazen iſt unübertrefflich. 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Sie haben die freie Luft und noch dazu die Luſt des Monats Mai, wo die ganze Natur erwacht, getrunken, und dieſe ſcheint ihnen zu Kopf geſtiegen zu ſeyn; ſie wurden ſo un- gebärdig daß man genöthigt war ihnen die Eiſen abzureißen, um ſie nicht der Gefahr auszuſetzen daß ſie ſich in ihrem Uebermuth gegenſeitig zu Krüppeln ſchlagen. Sie ſtehen unter freiem Himmel; ſenkrecht auf die Lagerlinie iſt ein ſtarkes Tau gezogen an welches Fußfeſſeln für je 60 Pferde angeknüpft wer- den. Durch die Fußfeſſel wird das Pferd angehängt, die Stallhalfter behält es am Kopf, der Riemen derſelben iſt aber aufgebunden. Jede Pferdereihe ſieht zwiſchen zwei Zeltreihen, ſo daß acht Reihen Pferde mit ſechzehn Reiheu

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine166_1860/17>, abgerufen am 24.11.2024.