Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.
Innerhalb Oberösterreichs finden wieder große Unterschiede statt zwischen Noch bevor der Verfasser sein Amt antrat, fand er einen andern Landes- Der unfruchtbare Fleiß des Beamten im vorliegenden Fall erscheint noch In diesem Sinn und Geist nun suchte Dr. Fischer das Land zu verwal- Im Grund ist diese Art persönlichen Verkehrs der Verwaltungsbeamten Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges. Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung.
Innerhalb Oberöſterreichs finden wieder große Unterſchiede ſtatt zwiſchen Noch bevor der Verfaſſer ſein Amt antrat, fand er einen andern Landes- Der unfruchtbare Fleiß des Beamten im vorliegenden Fall erſcheint noch In dieſem Sinn und Geiſt nun ſuchte Dr. Fiſcher das Land zu verwal- Im Grund iſt dieſe Art perſönlichen Verkehrs der Verwaltungsbeamten Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p> <cit> <quote><pb facs="#f0014" n="2794"/><cb/> Deutſchen. Sie litten und leiden an der Zerſtückelung des gemeinſamen<lb/> Vaterlandes, wir an der Verquickung mit fremden Völkern, und ich weiß nicht<lb/> wie es anders werden ſoll. Unter ſolchen Umſtänden mußten wir allmählich<lb/> ganz entdeutſcht, d. h. alles deutſchen Fühlens und Anſchauens verluſtig<lb/> werden. Wir ſind aber deßwegen nicht eine Compoſition geworden, etwa wie<lb/> man glauben könnte ein bißchen wälſch, ein kleinwenig ungariſch, viel ſlaviſch<lb/> und mit dem Reſte deutſch. Nein, das nicht. Wir wiſſen von dieſen Völ-<lb/> kern kaum etwas, und es wird in unſerm Staate noch vielerlei geben die erſt<lb/> entdeckt werden müſſen. So hat man im Jahr 1846 erſt die Ruthenen er-<lb/> funden. Wir ſind alſo ebenſowenig böhmiſch als deutſch, ebenſowenig lom-<lb/> bardiſch oder ungariſch als böhmiſch. Wir ſind tiroliſch, ſteiermärkiſch,<lb/> kärnthneriſch, ſalzburgiſch, nieder- und oberöſterreichiſch. Das iſt das eigen-<lb/> thümliche an uns daß wir in den Stämmen leben. Hierbei iſt nun freilich<lb/> etwas heimliches wie in jedem kleinen Lebenskreiſe. Hie und da aber be-<lb/> ſchleicht einen das Gefühl der Verlaſſenheit.“</quote> </cit> </p><lb/> <p>Innerhalb Oberöſterreichs finden wieder große Unterſchiede ſtatt zwiſchen<lb/> Ländlern und Gebirglern — Innviertlern und Mühlviertlern ꝛc.</p><lb/> <p>Noch bevor der Verfaſſer ſein Amt antrat, fand er einen andern Landes-<lb/> chef tief in Acten begraben, aber unbekannt mit dem Sturme der um ihn<lb/> vorgieng, wie Archimedes bei ſeinen Cirkeln. <cit><quote>„Es kam mir ſonderbar vor<lb/> daß ein Landeschef in den Sommermonaten des Jahres 1848 nichts beſſeres<lb/> anzufangen wiſſe als in den Rathsſitzungen zu präſidiren und die zahlloſen<lb/> Amtsſtücke zu revidiren. Denn während dieſe Herren mit ihren Räthen an<lb/> dem grünen runden Tiſch das bunte Allerlei welches die Adminiſtration bietet<lb/> zu erledigen befliſſen waren, gieng außerhalb der Rathsſäle alles drunter<lb/> und drüber, wuchs das Mißtrauen in die Regierung von einem Tag zum<lb/> andern, verbreitete ſich der Widerſtand bis in die einſamſten Thäler, und<lb/> gewannen diejenigen immer mehr an Boden die ihre regierungsfeindlichen<lb/> Abſichten zur Geltung zu bringen bemüht waren.“</quote></cit></p><lb/> <p>Der unfruchtbare Fleiß des Beamten im vorliegenden Fall erſcheint noch<lb/> löblich gegen die herkömmliche Faulheit ſo vieler anderen. Der Verfaſſer<lb/> charakteriſirt den Schlendrian der vormärzlichen Bureaukratie in Oeſterreich.<lb/><cit><quote>„Eine von mir vertretene Corporation hatte ein Activcapital aufzukünden,<lb/> und hiezu die Genehmigung der Regierung nöthig, um die ich auch einkam.<lb/> Obwohl im Schuldbrief, den ich dem Geſuch anſchloß, die Stipulation der<lb/> halbjährigen Aufkündigung ſo deutlich und einfach ausgedrückt war daß ſie für<lb/> jedes Schulkind verſtändlich geweſen wäre, hielt es der Referent doch für nöthig<lb/> vor ſeinem Vortrag in der Sitzung das Fiscalamt zu vernehmen ob der halb-<lb/> jährigen Aufkündigung kein vertragsmäßiges Hinderniß im Wege ſtehe.<lb/> Hierdurch wurde die Sache mehrere Monate verſchleppt. In einem andern<lb/> Fall kaufte der Staat durch eine Unterbehörde zu irgendeinem öffentlichen<lb/> Zweck ein Haus unter Vorbehalt höherer Genehmigung, die jedoch innerhalb<lb/> eines Jahres zu geſchehen hatte, widrigenfalls die Verkäuferin vom Vertrag<lb/> zurücktreten dürfte. Während nun von der Regierung die allſeitige Umfrage<lb/> bei den Unter- und Nebenbehörden vor ſich gieng, lief der Jahrestermin ab,<lb/> und die Verkäuferin erklärte den Rücktritt, wenn ihr nicht in einem neueren<lb/> Vertrag um 1000 fl. mehr geboten werde, wozu ſich das Aerar auch ver-<lb/> ſtehen mußte. Das lange Abfragen kam alſo in dieſem Fall dem Staat<lb/> theuer zu ſtehen. Der Badearzt von Gaſtein beantragte bei der Regie-<lb/> rung die Reparatur eines Fußpfades, auf dem an einer Stelle das Grund-<lb/> waſſer durchſickerte, weßhalb die Damen mit ihren feinen Schuhen und<lb/> langen ſeidenen Kleidern nicht mehr durchkommen konnten. Der Koſten-<lb/> anſchlag belief ſich auf wenige Gulden. Die Regierung erachtete nun für noth-<lb/> wendig über beſagten Antrag die Baudirection und die Buchhaltung zu ver-<lb/> nehmen; die Badeſaiſon aber war längſt vorüber als die Verwilligung der 5 bis<lb/> 6 fl. einlief. In einem andern Fall hatte man es, ſtatt mit Waſſer, mit Feuer zu<lb/> thun. Ein Kreisvorſtand erſuchte die Regierung mit Berufung auf ein angeſchloſ-<lb/> ſenes Protokoll des Kreisingenieurs um Ermächtigung zur Herſtellung eines<lb/> neuen Ofens in dem Kanzleizimmer gewiſſer Schreibereigehülfen 20 fl. zu ver-<lb/> ausgaben, weil der alte Ofen den Rauch in das Zimmer treibe; weßhalb die<lb/> Beamten, aus Furcht die Augen zu verderben, in dem mit Rauch angefüllten<lb/> Raum nicht mehr arbeiten wollten; endlich weil dieſer Ofen außerordentlich<lb/> viel Holz conſumire. Die von der Regierung über dieſen Antrag einvernom-<lb/> mene Baudirection vermißte im Protokoll die Würdigung der Vorfrage: ob<lb/> der alte Ofen nicht einer zweckmäßigen Reparatur empfänglich ſey, und bean-<lb/> tragte bei der Regierung die nachträgliche Einvernehmung des Ingenieurs.<lb/> Der Ingenieur nahm abermals den Augenſchein vor, zog einen Hafnermeiſter<lb/> bei, und erſtattete ſeinen Bericht dahin daß die Repatur möglich ſey, und der<lb/> Hafnermeiſter ſich erboten habe dieſelbe um 15 fl. zu übernehmen. Auf dieſe<lb/> Weiſe verlief, ehe die Bewilligung kam, ein volles Jahr; die fleißigen Beam-<lb/> ten verdarben ſich die Augen, die fahrläſſigen kamen ſelten in das Amt, der<lb/> Ofen verbrauchte um ein Klafter Holz mehr; der Vortheil aber den die Bau-<lb/> direction erzielte, betrug 5 fl.; überdieß hatte man doch nur einen alten Ofen.<lb/> Das Abfragen der Behörden wurde ſo leidenſchaftlich betrieben, daß die Regie-<lb/> rung einſt das Fiscalamt darüber einvernahm ob ihm nicht ein Geſetz bekannt<lb/><cb/> ſey welches auf den eben zur Entſcheidung vorgelegenen Fall angewendet wer-<lb/> den könne. Manchmal erfolgen Einvernehmungen auch aus lauterer Faulheit.<lb/> So erzählte mir ein Kreiscommiſſär daß er, wenn ihm die Bearbeitung eines<lb/> Actenſtücks gar zu läſtig falle, dasſelbe dem Bauamt — mir nichts dir nichts<lb/> — zur Begutachtung zufertige, weil er mit Gewißheit darauf rechnen könne<lb/> daß es bei dieſem Amt Jahre lang liegen bl ibe. Als bei einem Kreisamt<lb/> bekannt wurde daß der Landeschef in wenigen Tagen die Provinz bereiſen<lb/> werde, arbeitete ein gewiſſer Herr Tag und Nacht um ſich auf den Beſuch<lb/> Sr. Excellenz vorzubereiten. Es gab nämlich bei dem fraglichen Kreisamt<lb/> eine außerordentliche Menge von Rückſtänden, in welche dem Landeschef Ein-<lb/> ſicht zu geſtatten nicht räthlich ſchien. Darum that der Mann ſein möglich-<lb/> ſtes den größten Theil der Retardaten im Geſchäftsprotokoll zu tilgen, d. h.<lb/> erledigt vorzumerken, obwohl noch alle unerledigt waren. Auf dieſe Weiſe<lb/> wurde der Landeschef von ſeinem Kreishauptmann hinter das Licht geführt.“</quote></cit><lb/> In Preußen, ſagte der Verfaſſer, ſey die Controle beſſer. <cit><quote>„Ein Oberbeamter<lb/> in der preußiſchen Provinz Weſtfalen zog ſich den Ruf eines fahrläſſigen<lb/> Mannes zu, der ſeine Zeit, ſtatt im Amt, auf der Jagd und mit andern Ver-<lb/> gnügen vergende. Da kam eines Tags ein Mann in die Kanzlei der nach<lb/> dem Oberbeamten fragte. Man antwortete ihm daß derſelbe auf der<lb/> Jagd ſey. Auch bemerkte er daß Parteien welche den Oberbeam-<lb/> ten zu ſprechen herbeigekommen waren, die Kanzlei unverrichteter Dinge<lb/> verlaſſen mußten. Der Mann trug eine blane Blouſe wie ein Fuhr-<lb/> mann; ſeine Schuhe waren beſtaubt, kurz er ſah aus als habe er die Reiſe<lb/> zum Amt in keinem Wagen, ſondern zu Fuß gemacht. Der Blaue gieng<lb/> fort, und wartete im Gaſthaus bis der Oberbeamte von der Jagd zurückkam.<lb/> Nun zeigte es ſich daß in dem Staubhemd der Oberpräſident, Frhr. v. Vincke,<lb/> ſteckte; das Ende vom Lied aber war daß der Oberpräſident, nachdem er ſich<lb/> theils mit eigenen Augen, theils durch Rückſprache mit mehreren Perſonen<lb/> von der Pflichtvergeſſenheit des Beamten überzeugt hatte, demſelben die Wahl<lb/> ließ auf ſeinen Dienſt zu verzichten oder einer Unterſuchung gewärtig zu ſeyn.<lb/> So machte es Frhr. v. Vincke. Bei uns aber weiß jeder Beamte den Tag<lb/> an welchem der Chef eintrifft, und in Folge hievon geſchehen dann die Täu-<lb/> ſchungen der erwähnten Art. Ueberraſcht man dagegen die Behörden, und<lb/> begnügt ſich nicht mit Abzählen des Ein- und Auslaufs, ſondern läßt man<lb/> eine beträchtliche Anzahl von Acten herbeiſchaffen um genauere Einſicht zu ge-<lb/> winnen, ſo werden die Unterſuchungen der Aemter eine ganz andere Wirkung<lb/> haben als die von Ihnen geſchilderten Viſitationen, die neben ihrer Nutz-<lb/> loſigkeit den Landeschef nur lächerlich machen. Sobald der Landeschef über-<lb/> dieß die Sache ſo angreift, daß die Welt ſehen muß er ſey der Mann welcher<lb/> die Beſchwerden der Parteien über ungehörige Gebahrung oder Saumſelig-<lb/> keit der Beamten anhört, und dieſe zur geziemenden Verantwortung zieht, ſo<lb/> wird er Reſulate erzielen die früher nie zum Vorſchein kamen.“</quote></cit></p><lb/> <p>In dieſem Sinn und Geiſt nun ſuchte <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Fiſcher das Land zu verwal-<lb/> ten. Indem er das Detail der Geſchäfte Untergebenen überließ, behielt er<lb/> das Ganze der Verwaltung im Auge, reiste viel, ſah alles mit eigenen Augen<lb/> an, verkehrte mit den Perſonen, und weckte gleichſam den lebendigen Geiſt<lb/> des Regierens aus dem todten Actenpapier. Und zwar ſehr zur Zufrieden-<lb/> heit des Volkes. Das urſprünglich gutmüthige Volk hatte noch ein tiefes<lb/> Mißtrauen gegen die Beamten zu überwinden, faßte aber ſchnell Vertrauen,<lb/> ſobald es das offene Entgegenkommen und den redlichen Willen ſah. Der<lb/> Verfaſſer erzählt heitere und rührende Scenen aus ſeinem Verkehr mit dem<lb/> Landvolk. Es glückte ihm jahrelange Feindſchaften in den Gemeinden zu<lb/> ſchlichten, wohlthätige Stiftungen zu veranlaſſen, Grollende zu verſöhnen,<lb/> Leidende zu tröften, den Geiſt der Unzufriedenheit zu bannen, den Eifer für<lb/> alles Gemeinnützige zu entflammen. Sehr oft berief er große Verſammlun-<lb/> gen, und hielt Reden vor dem Volk. <cit><quote>„Die Eröffnung der Verſammlung ge-<lb/> ſchah gewöhnlich mit der Erinnerung daß ich auf Befehl Sr. Maj. des Kaiſers<lb/> zu ihnen komme, indem der Kaiſer nicht haben wolle daß die Statthalter be-<lb/> ſtändig in ihren Schreibſtuben ſäßen, und ſich alles was dem Volk am Her-<lb/> zen liege ſchreiben oder von fremden Leuten vortragen ließen, ſondern daß er<lb/> es ihnen vielmehr zur Pflicht gemacht habe ſich perſönlich in die Gemeinden<lb/> zu verfügen, und ſelbſt zu ſehen und zu hören was draußen noth thut.“</quote></cit></p><lb/> <p>Im Grund iſt dieſe Art perſönlichen Verkehrs der Verwaltungsbeamten<lb/> mit dem Volk die ächt volkthümliche in Deutſchland, die uralte Art, die erſt<lb/> ſeit der leidigen Renaiſſance und der Schreiberei aufhörte. Der Deutſche<lb/> will nicht nur ein öffentliches Gericht, ſondern auch eine öffentliche Verwal-<lb/> tung. Er verlangt einen Beamten der mit ihm rede, und ſelbſt eine hitzige<lb/> und grobe Antwort iſt ihm lieber, wenn er ſie nur gleich erhält, als eine kalte<lb/> ſchriftliche Abfertigung nach monatlangem Warten. Beamte aber welche<lb/> nicht verſtehen mit den Leuten umzugehen, und dem Volk zu imponiren, indem<lb/> ſie es doch zugleich ſich befreunden, ſollten gar keine Beamten ſeyn. Es iſt<lb/> eine ungeheure Unnatur daß über ein großes und praktiſches Volk völlig<lb/> volksunkundige, unpraktiſche, kleinliche Schreiberſeelen regieren ſollen ꝛc.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jEditorialStaff" n="1"> <p> <hi rendition="#c">Verantwortliche Redaction: <hi rendition="#aq">Dr.</hi> G. <hi rendition="#g">Kolb.</hi> <hi rendition="#aq">Dr.</hi> A. J. <hi rendition="#g">Altenhöfer.</hi> <hi rendition="#aq">Dr.</hi> H. <hi rendition="#g">Orges.</hi></hi> </p> </div><lb/> <div type="imprint" n="1"> <p> <hi rendition="#c">Verlag der J. G. <hi rendition="#g">Cotta</hi>’ſchen Buchhandlung.</hi> </p> </div><lb/> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2794/0014]
Deutſchen. Sie litten und leiden an der Zerſtückelung des gemeinſamen
Vaterlandes, wir an der Verquickung mit fremden Völkern, und ich weiß nicht
wie es anders werden ſoll. Unter ſolchen Umſtänden mußten wir allmählich
ganz entdeutſcht, d. h. alles deutſchen Fühlens und Anſchauens verluſtig
werden. Wir ſind aber deßwegen nicht eine Compoſition geworden, etwa wie
man glauben könnte ein bißchen wälſch, ein kleinwenig ungariſch, viel ſlaviſch
und mit dem Reſte deutſch. Nein, das nicht. Wir wiſſen von dieſen Völ-
kern kaum etwas, und es wird in unſerm Staate noch vielerlei geben die erſt
entdeckt werden müſſen. So hat man im Jahr 1846 erſt die Ruthenen er-
funden. Wir ſind alſo ebenſowenig böhmiſch als deutſch, ebenſowenig lom-
bardiſch oder ungariſch als böhmiſch. Wir ſind tiroliſch, ſteiermärkiſch,
kärnthneriſch, ſalzburgiſch, nieder- und oberöſterreichiſch. Das iſt das eigen-
thümliche an uns daß wir in den Stämmen leben. Hierbei iſt nun freilich
etwas heimliches wie in jedem kleinen Lebenskreiſe. Hie und da aber be-
ſchleicht einen das Gefühl der Verlaſſenheit.“
Innerhalb Oberöſterreichs finden wieder große Unterſchiede ſtatt zwiſchen
Ländlern und Gebirglern — Innviertlern und Mühlviertlern ꝛc.
Noch bevor der Verfaſſer ſein Amt antrat, fand er einen andern Landes-
chef tief in Acten begraben, aber unbekannt mit dem Sturme der um ihn
vorgieng, wie Archimedes bei ſeinen Cirkeln. „Es kam mir ſonderbar vor
daß ein Landeschef in den Sommermonaten des Jahres 1848 nichts beſſeres
anzufangen wiſſe als in den Rathsſitzungen zu präſidiren und die zahlloſen
Amtsſtücke zu revidiren. Denn während dieſe Herren mit ihren Räthen an
dem grünen runden Tiſch das bunte Allerlei welches die Adminiſtration bietet
zu erledigen befliſſen waren, gieng außerhalb der Rathsſäle alles drunter
und drüber, wuchs das Mißtrauen in die Regierung von einem Tag zum
andern, verbreitete ſich der Widerſtand bis in die einſamſten Thäler, und
gewannen diejenigen immer mehr an Boden die ihre regierungsfeindlichen
Abſichten zur Geltung zu bringen bemüht waren.“
Der unfruchtbare Fleiß des Beamten im vorliegenden Fall erſcheint noch
löblich gegen die herkömmliche Faulheit ſo vieler anderen. Der Verfaſſer
charakteriſirt den Schlendrian der vormärzlichen Bureaukratie in Oeſterreich.
„Eine von mir vertretene Corporation hatte ein Activcapital aufzukünden,
und hiezu die Genehmigung der Regierung nöthig, um die ich auch einkam.
Obwohl im Schuldbrief, den ich dem Geſuch anſchloß, die Stipulation der
halbjährigen Aufkündigung ſo deutlich und einfach ausgedrückt war daß ſie für
jedes Schulkind verſtändlich geweſen wäre, hielt es der Referent doch für nöthig
vor ſeinem Vortrag in der Sitzung das Fiscalamt zu vernehmen ob der halb-
jährigen Aufkündigung kein vertragsmäßiges Hinderniß im Wege ſtehe.
Hierdurch wurde die Sache mehrere Monate verſchleppt. In einem andern
Fall kaufte der Staat durch eine Unterbehörde zu irgendeinem öffentlichen
Zweck ein Haus unter Vorbehalt höherer Genehmigung, die jedoch innerhalb
eines Jahres zu geſchehen hatte, widrigenfalls die Verkäuferin vom Vertrag
zurücktreten dürfte. Während nun von der Regierung die allſeitige Umfrage
bei den Unter- und Nebenbehörden vor ſich gieng, lief der Jahrestermin ab,
und die Verkäuferin erklärte den Rücktritt, wenn ihr nicht in einem neueren
Vertrag um 1000 fl. mehr geboten werde, wozu ſich das Aerar auch ver-
ſtehen mußte. Das lange Abfragen kam alſo in dieſem Fall dem Staat
theuer zu ſtehen. Der Badearzt von Gaſtein beantragte bei der Regie-
rung die Reparatur eines Fußpfades, auf dem an einer Stelle das Grund-
waſſer durchſickerte, weßhalb die Damen mit ihren feinen Schuhen und
langen ſeidenen Kleidern nicht mehr durchkommen konnten. Der Koſten-
anſchlag belief ſich auf wenige Gulden. Die Regierung erachtete nun für noth-
wendig über beſagten Antrag die Baudirection und die Buchhaltung zu ver-
nehmen; die Badeſaiſon aber war längſt vorüber als die Verwilligung der 5 bis
6 fl. einlief. In einem andern Fall hatte man es, ſtatt mit Waſſer, mit Feuer zu
thun. Ein Kreisvorſtand erſuchte die Regierung mit Berufung auf ein angeſchloſ-
ſenes Protokoll des Kreisingenieurs um Ermächtigung zur Herſtellung eines
neuen Ofens in dem Kanzleizimmer gewiſſer Schreibereigehülfen 20 fl. zu ver-
ausgaben, weil der alte Ofen den Rauch in das Zimmer treibe; weßhalb die
Beamten, aus Furcht die Augen zu verderben, in dem mit Rauch angefüllten
Raum nicht mehr arbeiten wollten; endlich weil dieſer Ofen außerordentlich
viel Holz conſumire. Die von der Regierung über dieſen Antrag einvernom-
mene Baudirection vermißte im Protokoll die Würdigung der Vorfrage: ob
der alte Ofen nicht einer zweckmäßigen Reparatur empfänglich ſey, und bean-
tragte bei der Regierung die nachträgliche Einvernehmung des Ingenieurs.
Der Ingenieur nahm abermals den Augenſchein vor, zog einen Hafnermeiſter
bei, und erſtattete ſeinen Bericht dahin daß die Repatur möglich ſey, und der
Hafnermeiſter ſich erboten habe dieſelbe um 15 fl. zu übernehmen. Auf dieſe
Weiſe verlief, ehe die Bewilligung kam, ein volles Jahr; die fleißigen Beam-
ten verdarben ſich die Augen, die fahrläſſigen kamen ſelten in das Amt, der
Ofen verbrauchte um ein Klafter Holz mehr; der Vortheil aber den die Bau-
direction erzielte, betrug 5 fl.; überdieß hatte man doch nur einen alten Ofen.
Das Abfragen der Behörden wurde ſo leidenſchaftlich betrieben, daß die Regie-
rung einſt das Fiscalamt darüber einvernahm ob ihm nicht ein Geſetz bekannt
ſey welches auf den eben zur Entſcheidung vorgelegenen Fall angewendet wer-
den könne. Manchmal erfolgen Einvernehmungen auch aus lauterer Faulheit.
So erzählte mir ein Kreiscommiſſär daß er, wenn ihm die Bearbeitung eines
Actenſtücks gar zu läſtig falle, dasſelbe dem Bauamt — mir nichts dir nichts
— zur Begutachtung zufertige, weil er mit Gewißheit darauf rechnen könne
daß es bei dieſem Amt Jahre lang liegen bl ibe. Als bei einem Kreisamt
bekannt wurde daß der Landeschef in wenigen Tagen die Provinz bereiſen
werde, arbeitete ein gewiſſer Herr Tag und Nacht um ſich auf den Beſuch
Sr. Excellenz vorzubereiten. Es gab nämlich bei dem fraglichen Kreisamt
eine außerordentliche Menge von Rückſtänden, in welche dem Landeschef Ein-
ſicht zu geſtatten nicht räthlich ſchien. Darum that der Mann ſein möglich-
ſtes den größten Theil der Retardaten im Geſchäftsprotokoll zu tilgen, d. h.
erledigt vorzumerken, obwohl noch alle unerledigt waren. Auf dieſe Weiſe
wurde der Landeschef von ſeinem Kreishauptmann hinter das Licht geführt.“
In Preußen, ſagte der Verfaſſer, ſey die Controle beſſer. „Ein Oberbeamter
in der preußiſchen Provinz Weſtfalen zog ſich den Ruf eines fahrläſſigen
Mannes zu, der ſeine Zeit, ſtatt im Amt, auf der Jagd und mit andern Ver-
gnügen vergende. Da kam eines Tags ein Mann in die Kanzlei der nach
dem Oberbeamten fragte. Man antwortete ihm daß derſelbe auf der
Jagd ſey. Auch bemerkte er daß Parteien welche den Oberbeam-
ten zu ſprechen herbeigekommen waren, die Kanzlei unverrichteter Dinge
verlaſſen mußten. Der Mann trug eine blane Blouſe wie ein Fuhr-
mann; ſeine Schuhe waren beſtaubt, kurz er ſah aus als habe er die Reiſe
zum Amt in keinem Wagen, ſondern zu Fuß gemacht. Der Blaue gieng
fort, und wartete im Gaſthaus bis der Oberbeamte von der Jagd zurückkam.
Nun zeigte es ſich daß in dem Staubhemd der Oberpräſident, Frhr. v. Vincke,
ſteckte; das Ende vom Lied aber war daß der Oberpräſident, nachdem er ſich
theils mit eigenen Augen, theils durch Rückſprache mit mehreren Perſonen
von der Pflichtvergeſſenheit des Beamten überzeugt hatte, demſelben die Wahl
ließ auf ſeinen Dienſt zu verzichten oder einer Unterſuchung gewärtig zu ſeyn.
So machte es Frhr. v. Vincke. Bei uns aber weiß jeder Beamte den Tag
an welchem der Chef eintrifft, und in Folge hievon geſchehen dann die Täu-
ſchungen der erwähnten Art. Ueberraſcht man dagegen die Behörden, und
begnügt ſich nicht mit Abzählen des Ein- und Auslaufs, ſondern läßt man
eine beträchtliche Anzahl von Acten herbeiſchaffen um genauere Einſicht zu ge-
winnen, ſo werden die Unterſuchungen der Aemter eine ganz andere Wirkung
haben als die von Ihnen geſchilderten Viſitationen, die neben ihrer Nutz-
loſigkeit den Landeschef nur lächerlich machen. Sobald der Landeschef über-
dieß die Sache ſo angreift, daß die Welt ſehen muß er ſey der Mann welcher
die Beſchwerden der Parteien über ungehörige Gebahrung oder Saumſelig-
keit der Beamten anhört, und dieſe zur geziemenden Verantwortung zieht, ſo
wird er Reſulate erzielen die früher nie zum Vorſchein kamen.“
In dieſem Sinn und Geiſt nun ſuchte Dr. Fiſcher das Land zu verwal-
ten. Indem er das Detail der Geſchäfte Untergebenen überließ, behielt er
das Ganze der Verwaltung im Auge, reiste viel, ſah alles mit eigenen Augen
an, verkehrte mit den Perſonen, und weckte gleichſam den lebendigen Geiſt
des Regierens aus dem todten Actenpapier. Und zwar ſehr zur Zufrieden-
heit des Volkes. Das urſprünglich gutmüthige Volk hatte noch ein tiefes
Mißtrauen gegen die Beamten zu überwinden, faßte aber ſchnell Vertrauen,
ſobald es das offene Entgegenkommen und den redlichen Willen ſah. Der
Verfaſſer erzählt heitere und rührende Scenen aus ſeinem Verkehr mit dem
Landvolk. Es glückte ihm jahrelange Feindſchaften in den Gemeinden zu
ſchlichten, wohlthätige Stiftungen zu veranlaſſen, Grollende zu verſöhnen,
Leidende zu tröften, den Geiſt der Unzufriedenheit zu bannen, den Eifer für
alles Gemeinnützige zu entflammen. Sehr oft berief er große Verſammlun-
gen, und hielt Reden vor dem Volk. „Die Eröffnung der Verſammlung ge-
ſchah gewöhnlich mit der Erinnerung daß ich auf Befehl Sr. Maj. des Kaiſers
zu ihnen komme, indem der Kaiſer nicht haben wolle daß die Statthalter be-
ſtändig in ihren Schreibſtuben ſäßen, und ſich alles was dem Volk am Her-
zen liege ſchreiben oder von fremden Leuten vortragen ließen, ſondern daß er
es ihnen vielmehr zur Pflicht gemacht habe ſich perſönlich in die Gemeinden
zu verfügen, und ſelbſt zu ſehen und zu hören was draußen noth thut.“
Im Grund iſt dieſe Art perſönlichen Verkehrs der Verwaltungsbeamten
mit dem Volk die ächt volkthümliche in Deutſchland, die uralte Art, die erſt
ſeit der leidigen Renaiſſance und der Schreiberei aufhörte. Der Deutſche
will nicht nur ein öffentliches Gericht, ſondern auch eine öffentliche Verwal-
tung. Er verlangt einen Beamten der mit ihm rede, und ſelbſt eine hitzige
und grobe Antwort iſt ihm lieber, wenn er ſie nur gleich erhält, als eine kalte
ſchriftliche Abfertigung nach monatlangem Warten. Beamte aber welche
nicht verſtehen mit den Leuten umzugehen, und dem Volk zu imponiren, indem
ſie es doch zugleich ſich befreunden, ſollten gar keine Beamten ſeyn. Es iſt
eine ungeheure Unnatur daß über ein großes und praktiſches Volk völlig
volksunkundige, unpraktiſche, kleinliche Schreiberſeelen regieren ſollen ꝛc.
Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges.
Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |