Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch] Deutschen. Sie litten und leiden an der Zerstückelung des gemeinsamen
Vaterlandes, wir an der Verquickung mit fremden Völkern, und ich weiß nicht
wie es anders werden soll. Unter solchen Umständen mußten wir allmählich
ganz entdeutscht, d. h. alles deutschen Fühlens und Anschauens verlustig
werden. Wir sind aber deßwegen nicht eine Composition geworden, etwa wie
man glauben könnte ein bißchen wälsch, ein kleinwenig ungarisch, viel slavisch
und mit dem Reste deutsch. Nein, das nicht. Wir wissen von diesen Völ-
kern kaum etwas, und es wird in unserm Staate noch vielerlei geben die erst
entdeckt werden müssen. So hat man im Jahr 1846 erst die Ruthenen er-
funden. Wir sind also ebensowenig böhmisch als deutsch, ebensowenig lom-
bardisch oder ungarisch als böhmisch. Wir sind tirolisch, steiermärkisch,
kärnthnerisch, salzburgisch, nieder- und oberösterreichisch. Das ist das eigen-
thümliche an uns daß wir in den Stämmen leben. Hierbei ist nun freilich
etwas heimliches wie in jedem kleinen Lebenskreise. Hie und da aber be-
schleicht einen das Gefühl der Verlassenheit."

Innerhalb Oberösterreichs finden wieder große Unterschiede statt zwischen
Ländlern und Gebirglern -- Innviertlern und Mühlviertlern etc.

Noch bevor der Verfasser sein Amt antrat, fand er einen andern Landes-
chef tief in Acten begraben, aber unbekannt mit dem Sturme der um ihn
vorgieng, wie Archimedes bei seinen Cirkeln. "Es kam mir sonderbar vor
daß ein Landeschef in den Sommermonaten des Jahres 1848 nichts besseres
anzufangen wisse als in den Rathssitzungen zu präsidiren und die zahllosen
Amtsstücke zu revidiren. Denn während diese Herren mit ihren Räthen an
dem grünen runden Tisch das bunte Allerlei welches die Administration bietet
zu erledigen beflissen waren, gieng außerhalb der Rathssäle alles drunter
und drüber, wuchs das Mißtrauen in die Regierung von einem Tag zum
andern, verbreitete sich der Widerstand bis in die einsamsten Thäler, und
gewannen diejenigen immer mehr an Boden die ihre regierungsfeindlichen
Absichten zur Geltung zu bringen bemüht waren."

Der unfruchtbare Fleiß des Beamten im vorliegenden Fall erscheint noch
löblich gegen die herkömmliche Faulheit so vieler anderen. Der Verfasser
charakterisirt den Schlendrian der vormärzlichen Bureaukratie in Oesterreich.
"Eine von mir vertretene Corporation hatte ein Activcapital aufzukünden,
und hiezu die Genehmigung der Regierung nöthig, um die ich auch einkam.
Obwohl im Schuldbrief, den ich dem Gesuch anschloß, die Stipulation der
halbjährigen Aufkündigung so deutlich und einfach ausgedrückt war daß sie für
jedes Schulkind verständlich gewesen wäre, hielt es der Referent doch für nöthig
vor seinem Vortrag in der Sitzung das Fiscalamt zu vernehmen ob der halb-
jährigen Aufkündigung kein vertragsmäßiges Hinderniß im Wege stehe.
Hierdurch wurde die Sache mehrere Monate verschleppt. In einem andern
Fall kaufte der Staat durch eine Unterbehörde zu irgendeinem öffentlichen
Zweck ein Haus unter Vorbehalt höherer Genehmigung, die jedoch innerhalb
eines Jahres zu geschehen hatte, widrigenfalls die Verkäuferin vom Vertrag
zurücktreten dürfte. Während nun von der Regierung die allseitige Umfrage
bei den Unter- und Nebenbehörden vor sich gieng, lief der Jahrestermin ab,
und die Verkäuferin erklärte den Rücktritt, wenn ihr nicht in einem neueren
Vertrag um 1000 fl. mehr geboten werde, wozu sich das Aerar auch ver-
stehen mußte. Das lange Abfragen kam also in diesem Fall dem Staat
theuer zu stehen. Der Badearzt von Gastein beantragte bei der Regie-
rung die Reparatur eines Fußpfades, auf dem an einer Stelle das Grund-
wasser durchsickerte, weßhalb die Damen mit ihren feinen Schuhen und
langen seidenen Kleidern nicht mehr durchkommen konnten. Der Kosten-
anschlag belief sich auf wenige Gulden. Die Regierung erachtete nun für noth-
wendig über besagten Antrag die Baudirection und die Buchhaltung zu ver-
nehmen; die Badesaison aber war längst vorüber als die Verwilligung der 5 bis
6 fl. einlief. In einem andern Fall hatte man es, statt mit Wasser, mit Feuer zu
thun. Ein Kreisvorstand ersuchte die Regierung mit Berufung auf ein angeschlos-
senes Protokoll des Kreisingenieurs um Ermächtigung zur Herstellung eines
neuen Ofens in dem Kanzleizimmer gewisser Schreibereigehülfen 20 fl. zu ver-
ausgaben, weil der alte Ofen den Rauch in das Zimmer treibe; weßhalb die
Beamten, aus Furcht die Augen zu verderben, in dem mit Rauch angefüllten
Raum nicht mehr arbeiten wollten; endlich weil dieser Ofen außerordentlich
viel Holz consumire. Die von der Regierung über diesen Antrag einvernom-
mene Baudirection vermißte im Protokoll die Würdigung der Vorfrage: ob
der alte Ofen nicht einer zweckmäßigen Reparatur empfänglich sey, und bean-
tragte bei der Regierung die nachträgliche Einvernehmung des Ingenieurs.
Der Ingenieur nahm abermals den Augenschein vor, zog einen Hafnermeister
bei, und erstattete seinen Bericht dahin daß die Repatur möglich sey, und der
Hafnermeister sich erboten habe dieselbe um 15 fl. zu übernehmen. Auf diese
Weise verlief, ehe die Bewilligung kam, ein volles Jahr; die fleißigen Beam-
ten verdarben sich die Augen, die fahrlässigen kamen selten in das Amt, der
Ofen verbrauchte um ein Klafter Holz mehr; der Vortheil aber den die Bau-
direction erzielte, betrug 5 fl.; überdieß hatte man doch nur einen alten Ofen.
Das Abfragen der Behörden wurde so leidenschaftlich betrieben, daß die Regie-
rung einst das Fiscalamt darüber einvernahm ob ihm nicht ein Gesetz bekannt
[Spaltenumbruch] sey welches auf den eben zur Entscheidung vorgelegenen Fall angewendet wer-
den könne. Manchmal erfolgen Einvernehmungen auch aus lauterer Faulheit.
So erzählte mir ein Kreiscommissär daß er, wenn ihm die Bearbeitung eines
Actenstücks gar zu lästig falle, dasselbe dem Bauamt -- mir nichts dir nichts
-- zur Begutachtung zufertige, weil er mit Gewißheit darauf rechnen könne
daß es bei diesem Amt Jahre lang liegen bl ibe. Als bei einem Kreisamt
bekannt wurde daß der Landeschef in wenigen Tagen die Provinz bereisen
werde, arbeitete ein gewisser Herr Tag und Nacht um sich auf den Besuch
Sr. Excellenz vorzubereiten. Es gab nämlich bei dem fraglichen Kreisamt
eine außerordentliche Menge von Rückständen, in welche dem Landeschef Ein-
sicht zu gestatten nicht räthlich schien. Darum that der Mann sein möglich-
stes den größten Theil der Retardaten im Geschäftsprotokoll zu tilgen, d. h.
erledigt vorzumerken, obwohl noch alle unerledigt waren. Auf diese Weise
wurde der Landeschef von seinem Kreishauptmann hinter das Licht geführt."

In Preußen, sagte der Verfasser, sey die Controle besser. "Ein Oberbeamter
in der preußischen Provinz Westfalen zog sich den Ruf eines fahrlässigen
Mannes zu, der seine Zeit, statt im Amt, auf der Jagd und mit andern Ver-
gnügen vergende. Da kam eines Tags ein Mann in die Kanzlei der nach
dem Oberbeamten fragte. Man antwortete ihm daß derselbe auf der
Jagd sey. Auch bemerkte er daß Parteien welche den Oberbeam-
ten zu sprechen herbeigekommen waren, die Kanzlei unverrichteter Dinge
verlassen mußten. Der Mann trug eine blane Blouse wie ein Fuhr-
mann; seine Schuhe waren bestaubt, kurz er sah aus als habe er die Reise
zum Amt in keinem Wagen, sondern zu Fuß gemacht. Der Blaue gieng
fort, und wartete im Gasthaus bis der Oberbeamte von der Jagd zurückkam.
Nun zeigte es sich daß in dem Staubhemd der Oberpräsident, Frhr. v. Vincke,
steckte; das Ende vom Lied aber war daß der Oberpräsident, nachdem er sich
theils mit eigenen Augen, theils durch Rücksprache mit mehreren Personen
von der Pflichtvergessenheit des Beamten überzeugt hatte, demselben die Wahl
ließ auf seinen Dienst zu verzichten oder einer Untersuchung gewärtig zu seyn.
So machte es Frhr. v. Vincke. Bei uns aber weiß jeder Beamte den Tag
an welchem der Chef eintrifft, und in Folge hievon geschehen dann die Täu-
schungen der erwähnten Art. Ueberrascht man dagegen die Behörden, und
begnügt sich nicht mit Abzählen des Ein- und Auslaufs, sondern läßt man
eine beträchtliche Anzahl von Acten herbeischaffen um genauere Einsicht zu ge-
winnen, so werden die Untersuchungen der Aemter eine ganz andere Wirkung
haben als die von Ihnen geschilderten Visitationen, die neben ihrer Nutz-
losigkeit den Landeschef nur lächerlich machen. Sobald der Landeschef über-
dieß die Sache so angreift, daß die Welt sehen muß er sey der Mann welcher
die Beschwerden der Parteien über ungehörige Gebahrung oder Saumselig-
keit der Beamten anhört, und diese zur geziemenden Verantwortung zieht, so
wird er Resulate erzielen die früher nie zum Vorschein kamen."

In diesem Sinn und Geist nun suchte Dr. Fischer das Land zu verwal-
ten. Indem er das Detail der Geschäfte Untergebenen überließ, behielt er
das Ganze der Verwaltung im Auge, reiste viel, sah alles mit eigenen Augen
an, verkehrte mit den Personen, und weckte gleichsam den lebendigen Geist
des Regierens aus dem todten Actenpapier. Und zwar sehr zur Zufrieden-
heit des Volkes. Das ursprünglich gutmüthige Volk hatte noch ein tiefes
Mißtrauen gegen die Beamten zu überwinden, faßte aber schnell Vertrauen,
sobald es das offene Entgegenkommen und den redlichen Willen sah. Der
Verfasser erzählt heitere und rührende Scenen aus seinem Verkehr mit dem
Landvolk. Es glückte ihm jahrelange Feindschaften in den Gemeinden zu
schlichten, wohlthätige Stiftungen zu veranlassen, Grollende zu versöhnen,
Leidende zu tröften, den Geist der Unzufriedenheit zu bannen, den Eifer für
alles Gemeinnützige zu entflammen. Sehr oft berief er große Versammlun-
gen, und hielt Reden vor dem Volk. "Die Eröffnung der Versammlung ge-
schah gewöhnlich mit der Erinnerung daß ich auf Befehl Sr. Maj. des Kaisers
zu ihnen komme, indem der Kaiser nicht haben wolle daß die Statthalter be-
ständig in ihren Schreibstuben säßen, und sich alles was dem Volk am Her-
zen liege schreiben oder von fremden Leuten vortragen ließen, sondern daß er
es ihnen vielmehr zur Pflicht gemacht habe sich persönlich in die Gemeinden
zu verfügen, und selbst zu sehen und zu hören was draußen noth thut."

Im Grund ist diese Art persönlichen Verkehrs der Verwaltungsbeamten
mit dem Volk die ächt volkthümliche in Deutschland, die uralte Art, die erst
seit der leidigen Renaissance und der Schreiberei aufhörte. Der Deutsche
will nicht nur ein öffentliches Gericht, sondern auch eine öffentliche Verwal-
tung. Er verlangt einen Beamten der mit ihm rede, und selbst eine hitzige
und grobe Antwort ist ihm lieber, wenn er sie nur gleich erhält, als eine kalte
schriftliche Abfertigung nach monatlangem Warten. Beamte aber welche
nicht verstehen mit den Leuten umzugehen, und dem Volk zu imponiren, indem
sie es doch zugleich sich befreunden, sollten gar keine Beamten seyn. Es ist
eine ungeheure Unnatur daß über ein großes und praktisches Volk völlig
volksunkundige, unpraktische, kleinliche Schreiberseelen regieren sollen etc.



Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges.

Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung.

[Spaltenumbruch] Deutſchen. Sie litten und leiden an der Zerſtückelung des gemeinſamen
Vaterlandes, wir an der Verquickung mit fremden Völkern, und ich weiß nicht
wie es anders werden ſoll. Unter ſolchen Umſtänden mußten wir allmählich
ganz entdeutſcht, d. h. alles deutſchen Fühlens und Anſchauens verluſtig
werden. Wir ſind aber deßwegen nicht eine Compoſition geworden, etwa wie
man glauben könnte ein bißchen wälſch, ein kleinwenig ungariſch, viel ſlaviſch
und mit dem Reſte deutſch. Nein, das nicht. Wir wiſſen von dieſen Völ-
kern kaum etwas, und es wird in unſerm Staate noch vielerlei geben die erſt
entdeckt werden müſſen. So hat man im Jahr 1846 erſt die Ruthenen er-
funden. Wir ſind alſo ebenſowenig böhmiſch als deutſch, ebenſowenig lom-
bardiſch oder ungariſch als böhmiſch. Wir ſind tiroliſch, ſteiermärkiſch,
kärnthneriſch, ſalzburgiſch, nieder- und oberöſterreichiſch. Das iſt das eigen-
thümliche an uns daß wir in den Stämmen leben. Hierbei iſt nun freilich
etwas heimliches wie in jedem kleinen Lebenskreiſe. Hie und da aber be-
ſchleicht einen das Gefühl der Verlaſſenheit.“

Innerhalb Oberöſterreichs finden wieder große Unterſchiede ſtatt zwiſchen
Ländlern und Gebirglern — Innviertlern und Mühlviertlern ꝛc.

Noch bevor der Verfaſſer ſein Amt antrat, fand er einen andern Landes-
chef tief in Acten begraben, aber unbekannt mit dem Sturme der um ihn
vorgieng, wie Archimedes bei ſeinen Cirkeln. „Es kam mir ſonderbar vor
daß ein Landeschef in den Sommermonaten des Jahres 1848 nichts beſſeres
anzufangen wiſſe als in den Rathsſitzungen zu präſidiren und die zahlloſen
Amtsſtücke zu revidiren. Denn während dieſe Herren mit ihren Räthen an
dem grünen runden Tiſch das bunte Allerlei welches die Adminiſtration bietet
zu erledigen befliſſen waren, gieng außerhalb der Rathsſäle alles drunter
und drüber, wuchs das Mißtrauen in die Regierung von einem Tag zum
andern, verbreitete ſich der Widerſtand bis in die einſamſten Thäler, und
gewannen diejenigen immer mehr an Boden die ihre regierungsfeindlichen
Abſichten zur Geltung zu bringen bemüht waren.“

Der unfruchtbare Fleiß des Beamten im vorliegenden Fall erſcheint noch
löblich gegen die herkömmliche Faulheit ſo vieler anderen. Der Verfaſſer
charakteriſirt den Schlendrian der vormärzlichen Bureaukratie in Oeſterreich.
„Eine von mir vertretene Corporation hatte ein Activcapital aufzukünden,
und hiezu die Genehmigung der Regierung nöthig, um die ich auch einkam.
Obwohl im Schuldbrief, den ich dem Geſuch anſchloß, die Stipulation der
halbjährigen Aufkündigung ſo deutlich und einfach ausgedrückt war daß ſie für
jedes Schulkind verſtändlich geweſen wäre, hielt es der Referent doch für nöthig
vor ſeinem Vortrag in der Sitzung das Fiscalamt zu vernehmen ob der halb-
jährigen Aufkündigung kein vertragsmäßiges Hinderniß im Wege ſtehe.
Hierdurch wurde die Sache mehrere Monate verſchleppt. In einem andern
Fall kaufte der Staat durch eine Unterbehörde zu irgendeinem öffentlichen
Zweck ein Haus unter Vorbehalt höherer Genehmigung, die jedoch innerhalb
eines Jahres zu geſchehen hatte, widrigenfalls die Verkäuferin vom Vertrag
zurücktreten dürfte. Während nun von der Regierung die allſeitige Umfrage
bei den Unter- und Nebenbehörden vor ſich gieng, lief der Jahrestermin ab,
und die Verkäuferin erklärte den Rücktritt, wenn ihr nicht in einem neueren
Vertrag um 1000 fl. mehr geboten werde, wozu ſich das Aerar auch ver-
ſtehen mußte. Das lange Abfragen kam alſo in dieſem Fall dem Staat
theuer zu ſtehen. Der Badearzt von Gaſtein beantragte bei der Regie-
rung die Reparatur eines Fußpfades, auf dem an einer Stelle das Grund-
waſſer durchſickerte, weßhalb die Damen mit ihren feinen Schuhen und
langen ſeidenen Kleidern nicht mehr durchkommen konnten. Der Koſten-
anſchlag belief ſich auf wenige Gulden. Die Regierung erachtete nun für noth-
wendig über beſagten Antrag die Baudirection und die Buchhaltung zu ver-
nehmen; die Badeſaiſon aber war längſt vorüber als die Verwilligung der 5 bis
6 fl. einlief. In einem andern Fall hatte man es, ſtatt mit Waſſer, mit Feuer zu
thun. Ein Kreisvorſtand erſuchte die Regierung mit Berufung auf ein angeſchloſ-
ſenes Protokoll des Kreisingenieurs um Ermächtigung zur Herſtellung eines
neuen Ofens in dem Kanzleizimmer gewiſſer Schreibereigehülfen 20 fl. zu ver-
ausgaben, weil der alte Ofen den Rauch in das Zimmer treibe; weßhalb die
Beamten, aus Furcht die Augen zu verderben, in dem mit Rauch angefüllten
Raum nicht mehr arbeiten wollten; endlich weil dieſer Ofen außerordentlich
viel Holz conſumire. Die von der Regierung über dieſen Antrag einvernom-
mene Baudirection vermißte im Protokoll die Würdigung der Vorfrage: ob
der alte Ofen nicht einer zweckmäßigen Reparatur empfänglich ſey, und bean-
tragte bei der Regierung die nachträgliche Einvernehmung des Ingenieurs.
Der Ingenieur nahm abermals den Augenſchein vor, zog einen Hafnermeiſter
bei, und erſtattete ſeinen Bericht dahin daß die Repatur möglich ſey, und der
Hafnermeiſter ſich erboten habe dieſelbe um 15 fl. zu übernehmen. Auf dieſe
Weiſe verlief, ehe die Bewilligung kam, ein volles Jahr; die fleißigen Beam-
ten verdarben ſich die Augen, die fahrläſſigen kamen ſelten in das Amt, der
Ofen verbrauchte um ein Klafter Holz mehr; der Vortheil aber den die Bau-
direction erzielte, betrug 5 fl.; überdieß hatte man doch nur einen alten Ofen.
Das Abfragen der Behörden wurde ſo leidenſchaftlich betrieben, daß die Regie-
rung einſt das Fiscalamt darüber einvernahm ob ihm nicht ein Geſetz bekannt
[Spaltenumbruch] ſey welches auf den eben zur Entſcheidung vorgelegenen Fall angewendet wer-
den könne. Manchmal erfolgen Einvernehmungen auch aus lauterer Faulheit.
So erzählte mir ein Kreiscommiſſär daß er, wenn ihm die Bearbeitung eines
Actenſtücks gar zu läſtig falle, dasſelbe dem Bauamt — mir nichts dir nichts
— zur Begutachtung zufertige, weil er mit Gewißheit darauf rechnen könne
daß es bei dieſem Amt Jahre lang liegen bl ibe. Als bei einem Kreisamt
bekannt wurde daß der Landeschef in wenigen Tagen die Provinz bereiſen
werde, arbeitete ein gewiſſer Herr Tag und Nacht um ſich auf den Beſuch
Sr. Excellenz vorzubereiten. Es gab nämlich bei dem fraglichen Kreisamt
eine außerordentliche Menge von Rückſtänden, in welche dem Landeschef Ein-
ſicht zu geſtatten nicht räthlich ſchien. Darum that der Mann ſein möglich-
ſtes den größten Theil der Retardaten im Geſchäftsprotokoll zu tilgen, d. h.
erledigt vorzumerken, obwohl noch alle unerledigt waren. Auf dieſe Weiſe
wurde der Landeschef von ſeinem Kreishauptmann hinter das Licht geführt.“

In Preußen, ſagte der Verfaſſer, ſey die Controle beſſer. „Ein Oberbeamter
in der preußiſchen Provinz Weſtfalen zog ſich den Ruf eines fahrläſſigen
Mannes zu, der ſeine Zeit, ſtatt im Amt, auf der Jagd und mit andern Ver-
gnügen vergende. Da kam eines Tags ein Mann in die Kanzlei der nach
dem Oberbeamten fragte. Man antwortete ihm daß derſelbe auf der
Jagd ſey. Auch bemerkte er daß Parteien welche den Oberbeam-
ten zu ſprechen herbeigekommen waren, die Kanzlei unverrichteter Dinge
verlaſſen mußten. Der Mann trug eine blane Blouſe wie ein Fuhr-
mann; ſeine Schuhe waren beſtaubt, kurz er ſah aus als habe er die Reiſe
zum Amt in keinem Wagen, ſondern zu Fuß gemacht. Der Blaue gieng
fort, und wartete im Gaſthaus bis der Oberbeamte von der Jagd zurückkam.
Nun zeigte es ſich daß in dem Staubhemd der Oberpräſident, Frhr. v. Vincke,
ſteckte; das Ende vom Lied aber war daß der Oberpräſident, nachdem er ſich
theils mit eigenen Augen, theils durch Rückſprache mit mehreren Perſonen
von der Pflichtvergeſſenheit des Beamten überzeugt hatte, demſelben die Wahl
ließ auf ſeinen Dienſt zu verzichten oder einer Unterſuchung gewärtig zu ſeyn.
So machte es Frhr. v. Vincke. Bei uns aber weiß jeder Beamte den Tag
an welchem der Chef eintrifft, und in Folge hievon geſchehen dann die Täu-
ſchungen der erwähnten Art. Ueberraſcht man dagegen die Behörden, und
begnügt ſich nicht mit Abzählen des Ein- und Auslaufs, ſondern läßt man
eine beträchtliche Anzahl von Acten herbeiſchaffen um genauere Einſicht zu ge-
winnen, ſo werden die Unterſuchungen der Aemter eine ganz andere Wirkung
haben als die von Ihnen geſchilderten Viſitationen, die neben ihrer Nutz-
loſigkeit den Landeschef nur lächerlich machen. Sobald der Landeschef über-
dieß die Sache ſo angreift, daß die Welt ſehen muß er ſey der Mann welcher
die Beſchwerden der Parteien über ungehörige Gebahrung oder Saumſelig-
keit der Beamten anhört, und dieſe zur geziemenden Verantwortung zieht, ſo
wird er Reſulate erzielen die früher nie zum Vorſchein kamen.“

In dieſem Sinn und Geiſt nun ſuchte Dr. Fiſcher das Land zu verwal-
ten. Indem er das Detail der Geſchäfte Untergebenen überließ, behielt er
das Ganze der Verwaltung im Auge, reiste viel, ſah alles mit eigenen Augen
an, verkehrte mit den Perſonen, und weckte gleichſam den lebendigen Geiſt
des Regierens aus dem todten Actenpapier. Und zwar ſehr zur Zufrieden-
heit des Volkes. Das urſprünglich gutmüthige Volk hatte noch ein tiefes
Mißtrauen gegen die Beamten zu überwinden, faßte aber ſchnell Vertrauen,
ſobald es das offene Entgegenkommen und den redlichen Willen ſah. Der
Verfaſſer erzählt heitere und rührende Scenen aus ſeinem Verkehr mit dem
Landvolk. Es glückte ihm jahrelange Feindſchaften in den Gemeinden zu
ſchlichten, wohlthätige Stiftungen zu veranlaſſen, Grollende zu verſöhnen,
Leidende zu tröften, den Geiſt der Unzufriedenheit zu bannen, den Eifer für
alles Gemeinnützige zu entflammen. Sehr oft berief er große Verſammlun-
gen, und hielt Reden vor dem Volk. „Die Eröffnung der Verſammlung ge-
ſchah gewöhnlich mit der Erinnerung daß ich auf Befehl Sr. Maj. des Kaiſers
zu ihnen komme, indem der Kaiſer nicht haben wolle daß die Statthalter be-
ſtändig in ihren Schreibſtuben ſäßen, und ſich alles was dem Volk am Her-
zen liege ſchreiben oder von fremden Leuten vortragen ließen, ſondern daß er
es ihnen vielmehr zur Pflicht gemacht habe ſich perſönlich in die Gemeinden
zu verfügen, und ſelbſt zu ſehen und zu hören was draußen noth thut.“

Im Grund iſt dieſe Art perſönlichen Verkehrs der Verwaltungsbeamten
mit dem Volk die ächt volkthümliche in Deutſchland, die uralte Art, die erſt
ſeit der leidigen Renaiſſance und der Schreiberei aufhörte. Der Deutſche
will nicht nur ein öffentliches Gericht, ſondern auch eine öffentliche Verwal-
tung. Er verlangt einen Beamten der mit ihm rede, und ſelbſt eine hitzige
und grobe Antwort iſt ihm lieber, wenn er ſie nur gleich erhält, als eine kalte
ſchriftliche Abfertigung nach monatlangem Warten. Beamte aber welche
nicht verſtehen mit den Leuten umzugehen, und dem Volk zu imponiren, indem
ſie es doch zugleich ſich befreunden, ſollten gar keine Beamten ſeyn. Es iſt
eine ungeheure Unnatur daß über ein großes und praktiſches Volk völlig
volksunkundige, unpraktiſche, kleinliche Schreiberſeelen regieren ſollen ꝛc.



Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges.

Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="jFeuilleton" n="1">
              <div type="jArticle" n="2">
                <p>
                  <cit>
                    <quote><pb facs="#f0014" n="2794"/><cb/>
Deut&#x017F;chen. Sie litten und leiden an der Zer&#x017F;tückelung des gemein&#x017F;amen<lb/>
Vaterlandes, wir an der Verquickung mit fremden Völkern, und ich weiß nicht<lb/>
wie es anders werden &#x017F;oll. Unter &#x017F;olchen Um&#x017F;tänden mußten wir allmählich<lb/>
ganz entdeut&#x017F;cht, d. h. alles deut&#x017F;chen Fühlens und An&#x017F;chauens verlu&#x017F;tig<lb/>
werden. Wir &#x017F;ind aber deßwegen nicht eine Compo&#x017F;ition geworden, etwa wie<lb/>
man glauben könnte ein bißchen wäl&#x017F;ch, ein kleinwenig ungari&#x017F;ch, viel &#x017F;lavi&#x017F;ch<lb/>
und mit dem Re&#x017F;te deut&#x017F;ch. Nein, das nicht. Wir wi&#x017F;&#x017F;en von die&#x017F;en Völ-<lb/>
kern kaum etwas, und es wird in un&#x017F;erm Staate noch vielerlei geben die er&#x017F;t<lb/>
entdeckt werden mü&#x017F;&#x017F;en. So hat man im Jahr 1846 er&#x017F;t die Ruthenen er-<lb/>
funden. Wir &#x017F;ind al&#x017F;o eben&#x017F;owenig böhmi&#x017F;ch als deut&#x017F;ch, eben&#x017F;owenig lom-<lb/>
bardi&#x017F;ch oder ungari&#x017F;ch als böhmi&#x017F;ch. Wir &#x017F;ind tiroli&#x017F;ch, &#x017F;teiermärki&#x017F;ch,<lb/>
kärnthneri&#x017F;ch, &#x017F;alzburgi&#x017F;ch, nieder- und oberö&#x017F;terreichi&#x017F;ch. Das i&#x017F;t das eigen-<lb/>
thümliche an uns daß wir in den Stämmen leben. Hierbei i&#x017F;t nun freilich<lb/>
etwas heimliches wie in jedem kleinen Lebenskrei&#x017F;e. Hie und da aber be-<lb/>
&#x017F;chleicht einen das Gefühl der Verla&#x017F;&#x017F;enheit.&#x201C;</quote>
                  </cit>
                </p><lb/>
                <p>Innerhalb Oberö&#x017F;terreichs finden wieder große Unter&#x017F;chiede &#x017F;tatt zwi&#x017F;chen<lb/>
Ländlern und Gebirglern &#x2014; Innviertlern und Mühlviertlern &#xA75B;c.</p><lb/>
                <p>Noch bevor der Verfa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ein Amt antrat, fand er einen andern Landes-<lb/>
chef tief in Acten begraben, aber unbekannt mit dem Sturme der um ihn<lb/>
vorgieng, wie Archimedes bei &#x017F;einen Cirkeln. <cit><quote>&#x201E;Es kam mir &#x017F;onderbar vor<lb/>
daß ein Landeschef in den Sommermonaten des Jahres 1848 nichts be&#x017F;&#x017F;eres<lb/>
anzufangen wi&#x017F;&#x017F;e als in den Raths&#x017F;itzungen zu prä&#x017F;idiren und die zahllo&#x017F;en<lb/>
Amts&#x017F;tücke zu revidiren. Denn während die&#x017F;e Herren mit ihren Räthen an<lb/>
dem grünen runden Ti&#x017F;ch das bunte Allerlei welches die Admini&#x017F;tration bietet<lb/>
zu erledigen befli&#x017F;&#x017F;en waren, gieng außerhalb der Raths&#x017F;äle alles drunter<lb/>
und drüber, wuchs das Mißtrauen in die Regierung von einem Tag zum<lb/>
andern, verbreitete &#x017F;ich der Wider&#x017F;tand bis in die ein&#x017F;am&#x017F;ten Thäler, und<lb/>
gewannen diejenigen immer mehr an Boden die ihre regierungsfeindlichen<lb/>
Ab&#x017F;ichten zur Geltung zu bringen bemüht waren.&#x201C;</quote></cit></p><lb/>
                <p>Der unfruchtbare Fleiß des Beamten im vorliegenden Fall er&#x017F;cheint noch<lb/>
löblich gegen die herkömmliche Faulheit &#x017F;o vieler anderen. Der Verfa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
charakteri&#x017F;irt den Schlendrian der vormärzlichen Bureaukratie in Oe&#x017F;terreich.<lb/><cit><quote>&#x201E;Eine von mir vertretene Corporation hatte ein Activcapital aufzukünden,<lb/>
und hiezu die Genehmigung der Regierung nöthig, um die ich auch einkam.<lb/>
Obwohl im Schuldbrief, den ich dem Ge&#x017F;uch an&#x017F;chloß, die Stipulation der<lb/>
halbjährigen Aufkündigung &#x017F;o deutlich und einfach ausgedrückt war daß &#x017F;ie für<lb/>
jedes Schulkind ver&#x017F;tändlich gewe&#x017F;en wäre, hielt es der Referent doch für nöthig<lb/>
vor &#x017F;einem Vortrag in der Sitzung das Fiscalamt zu vernehmen ob der halb-<lb/>
jährigen Aufkündigung kein vertragsmäßiges Hinderniß im Wege &#x017F;tehe.<lb/>
Hierdurch wurde die Sache mehrere Monate ver&#x017F;chleppt. In einem andern<lb/>
Fall kaufte der Staat durch eine Unterbehörde zu irgendeinem öffentlichen<lb/>
Zweck ein Haus unter Vorbehalt höherer Genehmigung, die jedoch innerhalb<lb/>
eines Jahres zu ge&#x017F;chehen hatte, widrigenfalls die Verkäuferin vom Vertrag<lb/>
zurücktreten dürfte. Während nun von der Regierung die all&#x017F;eitige Umfrage<lb/>
bei den Unter- und Nebenbehörden vor &#x017F;ich gieng, lief der Jahrestermin ab,<lb/>
und die Verkäuferin erklärte den Rücktritt, wenn ihr nicht in einem neueren<lb/>
Vertrag um 1000 fl. mehr geboten werde, wozu &#x017F;ich das Aerar auch ver-<lb/>
&#x017F;tehen mußte. Das lange Abfragen kam al&#x017F;o in die&#x017F;em Fall dem Staat<lb/>
theuer zu &#x017F;tehen. Der Badearzt von Ga&#x017F;tein beantragte bei der Regie-<lb/>
rung die Reparatur eines Fußpfades, auf dem an einer Stelle das Grund-<lb/>
wa&#x017F;&#x017F;er durch&#x017F;ickerte, weßhalb die Damen mit ihren feinen Schuhen und<lb/>
langen &#x017F;eidenen Kleidern nicht mehr durchkommen konnten. Der Ko&#x017F;ten-<lb/>
an&#x017F;chlag belief &#x017F;ich auf wenige Gulden. Die Regierung erachtete nun für noth-<lb/>
wendig über be&#x017F;agten Antrag die Baudirection und die Buchhaltung zu ver-<lb/>
nehmen; die Bade&#x017F;ai&#x017F;on aber war läng&#x017F;t vorüber als die Verwilligung der 5 bis<lb/>
6 fl. einlief. In einem andern Fall hatte man es, &#x017F;tatt mit Wa&#x017F;&#x017F;er, mit Feuer zu<lb/>
thun. Ein Kreisvor&#x017F;tand er&#x017F;uchte die Regierung mit Berufung auf ein ange&#x017F;chlo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enes Protokoll des Kreisingenieurs um Ermächtigung zur Her&#x017F;tellung eines<lb/>
neuen Ofens in dem Kanzleizimmer gewi&#x017F;&#x017F;er Schreibereigehülfen 20 fl. zu ver-<lb/>
ausgaben, weil der alte Ofen den Rauch in das Zimmer treibe; weßhalb die<lb/>
Beamten, aus Furcht die Augen zu verderben, in dem mit Rauch angefüllten<lb/>
Raum nicht mehr arbeiten wollten; endlich weil die&#x017F;er Ofen außerordentlich<lb/>
viel Holz con&#x017F;umire. Die von der Regierung über die&#x017F;en Antrag einvernom-<lb/>
mene Baudirection vermißte im Protokoll die Würdigung der Vorfrage: ob<lb/>
der alte Ofen nicht einer zweckmäßigen Reparatur empfänglich &#x017F;ey, und bean-<lb/>
tragte bei der Regierung die nachträgliche Einvernehmung des Ingenieurs.<lb/>
Der Ingenieur nahm abermals den Augen&#x017F;chein vor, zog einen Hafnermei&#x017F;ter<lb/>
bei, und er&#x017F;tattete &#x017F;einen Bericht dahin daß die Repatur möglich &#x017F;ey, und der<lb/>
Hafnermei&#x017F;ter &#x017F;ich erboten habe die&#x017F;elbe um 15 fl. zu übernehmen. Auf die&#x017F;e<lb/>
Wei&#x017F;e verlief, ehe die Bewilligung kam, ein volles Jahr; die fleißigen Beam-<lb/>
ten verdarben &#x017F;ich die Augen, die fahrlä&#x017F;&#x017F;igen kamen &#x017F;elten in das Amt, der<lb/>
Ofen verbrauchte um ein Klafter Holz mehr; der Vortheil aber den die Bau-<lb/>
direction erzielte, betrug 5 fl.; überdieß hatte man doch nur einen alten Ofen.<lb/>
Das Abfragen der Behörden wurde &#x017F;o leiden&#x017F;chaftlich betrieben, daß die Regie-<lb/>
rung ein&#x017F;t das Fiscalamt darüber einvernahm ob ihm nicht ein Ge&#x017F;etz bekannt<lb/><cb/>
&#x017F;ey welches auf den eben zur Ent&#x017F;cheidung vorgelegenen Fall angewendet wer-<lb/>
den könne. Manchmal erfolgen Einvernehmungen auch aus lauterer Faulheit.<lb/>
So erzählte mir ein Kreiscommi&#x017F;&#x017F;är daß er, wenn ihm die Bearbeitung eines<lb/>
Acten&#x017F;tücks gar zu lä&#x017F;tig falle, das&#x017F;elbe dem Bauamt &#x2014; mir nichts dir nichts<lb/>
&#x2014; zur Begutachtung zufertige, weil er mit Gewißheit darauf rechnen könne<lb/>
daß es bei die&#x017F;em Amt Jahre lang liegen bl ibe. Als bei einem Kreisamt<lb/>
bekannt wurde daß der Landeschef in wenigen Tagen die Provinz berei&#x017F;en<lb/>
werde, arbeitete ein gewi&#x017F;&#x017F;er Herr Tag und Nacht um &#x017F;ich auf den Be&#x017F;uch<lb/>
Sr. Excellenz vorzubereiten. Es gab nämlich bei dem fraglichen Kreisamt<lb/>
eine außerordentliche Menge von Rück&#x017F;tänden, in welche dem Landeschef Ein-<lb/>
&#x017F;icht zu ge&#x017F;tatten nicht räthlich &#x017F;chien. Darum that der Mann &#x017F;ein möglich-<lb/>
&#x017F;tes den größten Theil der Retardaten im Ge&#x017F;chäftsprotokoll zu tilgen, d. h.<lb/>
erledigt vorzumerken, obwohl noch alle unerledigt waren. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e<lb/>
wurde der Landeschef von &#x017F;einem Kreishauptmann hinter das Licht geführt.&#x201C;</quote></cit><lb/>
In Preußen, &#x017F;agte der Verfa&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;ey die Controle be&#x017F;&#x017F;er. <cit><quote>&#x201E;Ein Oberbeamter<lb/>
in der preußi&#x017F;chen Provinz We&#x017F;tfalen zog &#x017F;ich den Ruf eines fahrlä&#x017F;&#x017F;igen<lb/>
Mannes zu, der &#x017F;eine Zeit, &#x017F;tatt im Amt, auf der Jagd und mit andern Ver-<lb/>
gnügen vergende. Da kam eines Tags ein Mann in die Kanzlei der nach<lb/>
dem Oberbeamten fragte. Man antwortete ihm daß der&#x017F;elbe auf der<lb/>
Jagd &#x017F;ey. Auch bemerkte er daß Parteien welche den Oberbeam-<lb/>
ten zu &#x017F;prechen herbeigekommen waren, die Kanzlei unverrichteter Dinge<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en mußten. Der Mann trug eine blane Blou&#x017F;e wie ein Fuhr-<lb/>
mann; &#x017F;eine Schuhe waren be&#x017F;taubt, kurz er &#x017F;ah aus als habe er die Rei&#x017F;e<lb/>
zum Amt in keinem Wagen, &#x017F;ondern zu Fuß gemacht. Der Blaue gieng<lb/>
fort, und wartete im Ga&#x017F;thaus bis der Oberbeamte von der Jagd zurückkam.<lb/>
Nun zeigte es &#x017F;ich daß in dem Staubhemd der Oberprä&#x017F;ident, Frhr. v. Vincke,<lb/>
&#x017F;teckte; das Ende vom Lied aber war daß der Oberprä&#x017F;ident, nachdem er &#x017F;ich<lb/>
theils mit eigenen Augen, theils durch Rück&#x017F;prache mit mehreren Per&#x017F;onen<lb/>
von der Pflichtverge&#x017F;&#x017F;enheit des Beamten überzeugt hatte, dem&#x017F;elben die Wahl<lb/>
ließ auf &#x017F;einen Dien&#x017F;t zu verzichten oder einer Unter&#x017F;uchung gewärtig zu &#x017F;eyn.<lb/>
So machte es Frhr. v. Vincke. Bei uns aber weiß jeder Beamte den Tag<lb/>
an welchem der Chef eintrifft, und in Folge hievon ge&#x017F;chehen dann die Täu-<lb/>
&#x017F;chungen der erwähnten Art. Ueberra&#x017F;cht man dagegen die Behörden, und<lb/>
begnügt &#x017F;ich nicht mit Abzählen des Ein- und Auslaufs, &#x017F;ondern läßt man<lb/>
eine beträchtliche Anzahl von Acten herbei&#x017F;chaffen um genauere Ein&#x017F;icht zu ge-<lb/>
winnen, &#x017F;o werden die Unter&#x017F;uchungen der Aemter eine ganz andere Wirkung<lb/>
haben als die von Ihnen ge&#x017F;childerten Vi&#x017F;itationen, die neben ihrer Nutz-<lb/>
lo&#x017F;igkeit den Landeschef nur lächerlich machen. Sobald der Landeschef über-<lb/>
dieß die Sache &#x017F;o angreift, daß die Welt &#x017F;ehen muß er &#x017F;ey der Mann welcher<lb/>
die Be&#x017F;chwerden der Parteien über ungehörige Gebahrung oder Saum&#x017F;elig-<lb/>
keit der Beamten anhört, und die&#x017F;e zur geziemenden Verantwortung zieht, &#x017F;o<lb/>
wird er Re&#x017F;ulate erzielen die früher nie zum Vor&#x017F;chein kamen.&#x201C;</quote></cit></p><lb/>
                <p>In die&#x017F;em Sinn und Gei&#x017F;t nun &#x017F;uchte <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Fi&#x017F;cher das Land zu verwal-<lb/>
ten. Indem er das Detail der Ge&#x017F;chäfte Untergebenen überließ, behielt er<lb/>
das Ganze der Verwaltung im Auge, reiste viel, &#x017F;ah alles mit eigenen Augen<lb/>
an, verkehrte mit den Per&#x017F;onen, und weckte gleich&#x017F;am den lebendigen Gei&#x017F;t<lb/>
des Regierens aus dem todten Actenpapier. Und zwar &#x017F;ehr zur Zufrieden-<lb/>
heit des Volkes. Das ur&#x017F;prünglich gutmüthige Volk hatte noch ein tiefes<lb/>
Mißtrauen gegen die Beamten zu überwinden, faßte aber &#x017F;chnell Vertrauen,<lb/>
&#x017F;obald es das offene Entgegenkommen und den redlichen Willen &#x017F;ah. Der<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;er erzählt heitere und rührende Scenen aus &#x017F;einem Verkehr mit dem<lb/>
Landvolk. Es glückte ihm jahrelange Feind&#x017F;chaften in den Gemeinden zu<lb/>
&#x017F;chlichten, wohlthätige Stiftungen zu veranla&#x017F;&#x017F;en, Grollende zu ver&#x017F;öhnen,<lb/>
Leidende zu tröften, den Gei&#x017F;t der Unzufriedenheit zu bannen, den Eifer für<lb/>
alles Gemeinnützige zu entflammen. Sehr oft berief er große Ver&#x017F;ammlun-<lb/>
gen, und hielt Reden vor dem Volk. <cit><quote>&#x201E;Die Eröffnung der Ver&#x017F;ammlung ge-<lb/>
&#x017F;chah gewöhnlich mit der Erinnerung daß ich auf Befehl Sr. Maj. des Kai&#x017F;ers<lb/>
zu ihnen komme, indem der Kai&#x017F;er nicht haben wolle daß die Statthalter be-<lb/>
&#x017F;tändig in ihren Schreib&#x017F;tuben &#x017F;äßen, und &#x017F;ich alles was dem Volk am Her-<lb/>
zen liege &#x017F;chreiben oder von fremden Leuten vortragen ließen, &#x017F;ondern daß er<lb/>
es ihnen vielmehr zur Pflicht gemacht habe &#x017F;ich per&#x017F;önlich in die Gemeinden<lb/>
zu verfügen, und &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;ehen und zu hören was draußen noth thut.&#x201C;</quote></cit></p><lb/>
                <p>Im Grund i&#x017F;t die&#x017F;e Art per&#x017F;önlichen Verkehrs der Verwaltungsbeamten<lb/>
mit dem Volk die ächt volkthümliche in Deut&#x017F;chland, die uralte Art, die er&#x017F;t<lb/>
&#x017F;eit der leidigen Renai&#x017F;&#x017F;ance und der Schreiberei aufhörte. Der Deut&#x017F;che<lb/>
will nicht nur ein öffentliches Gericht, &#x017F;ondern auch eine öffentliche Verwal-<lb/>
tung. Er verlangt einen Beamten der mit ihm rede, und &#x017F;elb&#x017F;t eine hitzige<lb/>
und grobe Antwort i&#x017F;t ihm lieber, wenn er &#x017F;ie nur gleich erhält, als eine kalte<lb/>
&#x017F;chriftliche Abfertigung nach monatlangem Warten. Beamte aber welche<lb/>
nicht ver&#x017F;tehen mit den Leuten umzugehen, und dem Volk zu imponiren, indem<lb/>
&#x017F;ie es doch zugleich &#x017F;ich befreunden, &#x017F;ollten gar keine Beamten &#x017F;eyn. Es i&#x017F;t<lb/>
eine ungeheure Unnatur daß über ein großes und prakti&#x017F;ches Volk völlig<lb/>
volksunkundige, unprakti&#x017F;che, kleinliche Schreiber&#x017F;eelen regieren &#x017F;ollen &#xA75B;c.</p>
              </div>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <div type="jEditorialStaff" n="1">
              <p> <hi rendition="#c">Verantwortliche Redaction: <hi rendition="#aq">Dr.</hi> G. <hi rendition="#g">Kolb.</hi> <hi rendition="#aq">Dr.</hi> A. J. <hi rendition="#g">Altenhöfer.</hi> <hi rendition="#aq">Dr.</hi> H. <hi rendition="#g">Orges.</hi></hi> </p>
            </div><lb/>
            <div type="imprint" n="1">
              <p> <hi rendition="#c">Verlag der J. G. <hi rendition="#g">Cotta</hi>&#x2019;&#x017F;chen Buchhandlung.</hi> </p>
            </div><lb/>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2794/0014] Deutſchen. Sie litten und leiden an der Zerſtückelung des gemeinſamen Vaterlandes, wir an der Verquickung mit fremden Völkern, und ich weiß nicht wie es anders werden ſoll. Unter ſolchen Umſtänden mußten wir allmählich ganz entdeutſcht, d. h. alles deutſchen Fühlens und Anſchauens verluſtig werden. Wir ſind aber deßwegen nicht eine Compoſition geworden, etwa wie man glauben könnte ein bißchen wälſch, ein kleinwenig ungariſch, viel ſlaviſch und mit dem Reſte deutſch. Nein, das nicht. Wir wiſſen von dieſen Völ- kern kaum etwas, und es wird in unſerm Staate noch vielerlei geben die erſt entdeckt werden müſſen. So hat man im Jahr 1846 erſt die Ruthenen er- funden. Wir ſind alſo ebenſowenig böhmiſch als deutſch, ebenſowenig lom- bardiſch oder ungariſch als böhmiſch. Wir ſind tiroliſch, ſteiermärkiſch, kärnthneriſch, ſalzburgiſch, nieder- und oberöſterreichiſch. Das iſt das eigen- thümliche an uns daß wir in den Stämmen leben. Hierbei iſt nun freilich etwas heimliches wie in jedem kleinen Lebenskreiſe. Hie und da aber be- ſchleicht einen das Gefühl der Verlaſſenheit.“ Innerhalb Oberöſterreichs finden wieder große Unterſchiede ſtatt zwiſchen Ländlern und Gebirglern — Innviertlern und Mühlviertlern ꝛc. Noch bevor der Verfaſſer ſein Amt antrat, fand er einen andern Landes- chef tief in Acten begraben, aber unbekannt mit dem Sturme der um ihn vorgieng, wie Archimedes bei ſeinen Cirkeln. „Es kam mir ſonderbar vor daß ein Landeschef in den Sommermonaten des Jahres 1848 nichts beſſeres anzufangen wiſſe als in den Rathsſitzungen zu präſidiren und die zahlloſen Amtsſtücke zu revidiren. Denn während dieſe Herren mit ihren Räthen an dem grünen runden Tiſch das bunte Allerlei welches die Adminiſtration bietet zu erledigen befliſſen waren, gieng außerhalb der Rathsſäle alles drunter und drüber, wuchs das Mißtrauen in die Regierung von einem Tag zum andern, verbreitete ſich der Widerſtand bis in die einſamſten Thäler, und gewannen diejenigen immer mehr an Boden die ihre regierungsfeindlichen Abſichten zur Geltung zu bringen bemüht waren.“ Der unfruchtbare Fleiß des Beamten im vorliegenden Fall erſcheint noch löblich gegen die herkömmliche Faulheit ſo vieler anderen. Der Verfaſſer charakteriſirt den Schlendrian der vormärzlichen Bureaukratie in Oeſterreich. „Eine von mir vertretene Corporation hatte ein Activcapital aufzukünden, und hiezu die Genehmigung der Regierung nöthig, um die ich auch einkam. Obwohl im Schuldbrief, den ich dem Geſuch anſchloß, die Stipulation der halbjährigen Aufkündigung ſo deutlich und einfach ausgedrückt war daß ſie für jedes Schulkind verſtändlich geweſen wäre, hielt es der Referent doch für nöthig vor ſeinem Vortrag in der Sitzung das Fiscalamt zu vernehmen ob der halb- jährigen Aufkündigung kein vertragsmäßiges Hinderniß im Wege ſtehe. Hierdurch wurde die Sache mehrere Monate verſchleppt. In einem andern Fall kaufte der Staat durch eine Unterbehörde zu irgendeinem öffentlichen Zweck ein Haus unter Vorbehalt höherer Genehmigung, die jedoch innerhalb eines Jahres zu geſchehen hatte, widrigenfalls die Verkäuferin vom Vertrag zurücktreten dürfte. Während nun von der Regierung die allſeitige Umfrage bei den Unter- und Nebenbehörden vor ſich gieng, lief der Jahrestermin ab, und die Verkäuferin erklärte den Rücktritt, wenn ihr nicht in einem neueren Vertrag um 1000 fl. mehr geboten werde, wozu ſich das Aerar auch ver- ſtehen mußte. Das lange Abfragen kam alſo in dieſem Fall dem Staat theuer zu ſtehen. Der Badearzt von Gaſtein beantragte bei der Regie- rung die Reparatur eines Fußpfades, auf dem an einer Stelle das Grund- waſſer durchſickerte, weßhalb die Damen mit ihren feinen Schuhen und langen ſeidenen Kleidern nicht mehr durchkommen konnten. Der Koſten- anſchlag belief ſich auf wenige Gulden. Die Regierung erachtete nun für noth- wendig über beſagten Antrag die Baudirection und die Buchhaltung zu ver- nehmen; die Badeſaiſon aber war längſt vorüber als die Verwilligung der 5 bis 6 fl. einlief. In einem andern Fall hatte man es, ſtatt mit Waſſer, mit Feuer zu thun. Ein Kreisvorſtand erſuchte die Regierung mit Berufung auf ein angeſchloſ- ſenes Protokoll des Kreisingenieurs um Ermächtigung zur Herſtellung eines neuen Ofens in dem Kanzleizimmer gewiſſer Schreibereigehülfen 20 fl. zu ver- ausgaben, weil der alte Ofen den Rauch in das Zimmer treibe; weßhalb die Beamten, aus Furcht die Augen zu verderben, in dem mit Rauch angefüllten Raum nicht mehr arbeiten wollten; endlich weil dieſer Ofen außerordentlich viel Holz conſumire. Die von der Regierung über dieſen Antrag einvernom- mene Baudirection vermißte im Protokoll die Würdigung der Vorfrage: ob der alte Ofen nicht einer zweckmäßigen Reparatur empfänglich ſey, und bean- tragte bei der Regierung die nachträgliche Einvernehmung des Ingenieurs. Der Ingenieur nahm abermals den Augenſchein vor, zog einen Hafnermeiſter bei, und erſtattete ſeinen Bericht dahin daß die Repatur möglich ſey, und der Hafnermeiſter ſich erboten habe dieſelbe um 15 fl. zu übernehmen. Auf dieſe Weiſe verlief, ehe die Bewilligung kam, ein volles Jahr; die fleißigen Beam- ten verdarben ſich die Augen, die fahrläſſigen kamen ſelten in das Amt, der Ofen verbrauchte um ein Klafter Holz mehr; der Vortheil aber den die Bau- direction erzielte, betrug 5 fl.; überdieß hatte man doch nur einen alten Ofen. Das Abfragen der Behörden wurde ſo leidenſchaftlich betrieben, daß die Regie- rung einſt das Fiscalamt darüber einvernahm ob ihm nicht ein Geſetz bekannt ſey welches auf den eben zur Entſcheidung vorgelegenen Fall angewendet wer- den könne. Manchmal erfolgen Einvernehmungen auch aus lauterer Faulheit. So erzählte mir ein Kreiscommiſſär daß er, wenn ihm die Bearbeitung eines Actenſtücks gar zu läſtig falle, dasſelbe dem Bauamt — mir nichts dir nichts — zur Begutachtung zufertige, weil er mit Gewißheit darauf rechnen könne daß es bei dieſem Amt Jahre lang liegen bl ibe. Als bei einem Kreisamt bekannt wurde daß der Landeschef in wenigen Tagen die Provinz bereiſen werde, arbeitete ein gewiſſer Herr Tag und Nacht um ſich auf den Beſuch Sr. Excellenz vorzubereiten. Es gab nämlich bei dem fraglichen Kreisamt eine außerordentliche Menge von Rückſtänden, in welche dem Landeschef Ein- ſicht zu geſtatten nicht räthlich ſchien. Darum that der Mann ſein möglich- ſtes den größten Theil der Retardaten im Geſchäftsprotokoll zu tilgen, d. h. erledigt vorzumerken, obwohl noch alle unerledigt waren. Auf dieſe Weiſe wurde der Landeschef von ſeinem Kreishauptmann hinter das Licht geführt.“ In Preußen, ſagte der Verfaſſer, ſey die Controle beſſer. „Ein Oberbeamter in der preußiſchen Provinz Weſtfalen zog ſich den Ruf eines fahrläſſigen Mannes zu, der ſeine Zeit, ſtatt im Amt, auf der Jagd und mit andern Ver- gnügen vergende. Da kam eines Tags ein Mann in die Kanzlei der nach dem Oberbeamten fragte. Man antwortete ihm daß derſelbe auf der Jagd ſey. Auch bemerkte er daß Parteien welche den Oberbeam- ten zu ſprechen herbeigekommen waren, die Kanzlei unverrichteter Dinge verlaſſen mußten. Der Mann trug eine blane Blouſe wie ein Fuhr- mann; ſeine Schuhe waren beſtaubt, kurz er ſah aus als habe er die Reiſe zum Amt in keinem Wagen, ſondern zu Fuß gemacht. Der Blaue gieng fort, und wartete im Gaſthaus bis der Oberbeamte von der Jagd zurückkam. Nun zeigte es ſich daß in dem Staubhemd der Oberpräſident, Frhr. v. Vincke, ſteckte; das Ende vom Lied aber war daß der Oberpräſident, nachdem er ſich theils mit eigenen Augen, theils durch Rückſprache mit mehreren Perſonen von der Pflichtvergeſſenheit des Beamten überzeugt hatte, demſelben die Wahl ließ auf ſeinen Dienſt zu verzichten oder einer Unterſuchung gewärtig zu ſeyn. So machte es Frhr. v. Vincke. Bei uns aber weiß jeder Beamte den Tag an welchem der Chef eintrifft, und in Folge hievon geſchehen dann die Täu- ſchungen der erwähnten Art. Ueberraſcht man dagegen die Behörden, und begnügt ſich nicht mit Abzählen des Ein- und Auslaufs, ſondern läßt man eine beträchtliche Anzahl von Acten herbeiſchaffen um genauere Einſicht zu ge- winnen, ſo werden die Unterſuchungen der Aemter eine ganz andere Wirkung haben als die von Ihnen geſchilderten Viſitationen, die neben ihrer Nutz- loſigkeit den Landeschef nur lächerlich machen. Sobald der Landeschef über- dieß die Sache ſo angreift, daß die Welt ſehen muß er ſey der Mann welcher die Beſchwerden der Parteien über ungehörige Gebahrung oder Saumſelig- keit der Beamten anhört, und dieſe zur geziemenden Verantwortung zieht, ſo wird er Reſulate erzielen die früher nie zum Vorſchein kamen.“ In dieſem Sinn und Geiſt nun ſuchte Dr. Fiſcher das Land zu verwal- ten. Indem er das Detail der Geſchäfte Untergebenen überließ, behielt er das Ganze der Verwaltung im Auge, reiste viel, ſah alles mit eigenen Augen an, verkehrte mit den Perſonen, und weckte gleichſam den lebendigen Geiſt des Regierens aus dem todten Actenpapier. Und zwar ſehr zur Zufrieden- heit des Volkes. Das urſprünglich gutmüthige Volk hatte noch ein tiefes Mißtrauen gegen die Beamten zu überwinden, faßte aber ſchnell Vertrauen, ſobald es das offene Entgegenkommen und den redlichen Willen ſah. Der Verfaſſer erzählt heitere und rührende Scenen aus ſeinem Verkehr mit dem Landvolk. Es glückte ihm jahrelange Feindſchaften in den Gemeinden zu ſchlichten, wohlthätige Stiftungen zu veranlaſſen, Grollende zu verſöhnen, Leidende zu tröften, den Geiſt der Unzufriedenheit zu bannen, den Eifer für alles Gemeinnützige zu entflammen. Sehr oft berief er große Verſammlun- gen, und hielt Reden vor dem Volk. „Die Eröffnung der Verſammlung ge- ſchah gewöhnlich mit der Erinnerung daß ich auf Befehl Sr. Maj. des Kaiſers zu ihnen komme, indem der Kaiſer nicht haben wolle daß die Statthalter be- ſtändig in ihren Schreibſtuben ſäßen, und ſich alles was dem Volk am Her- zen liege ſchreiben oder von fremden Leuten vortragen ließen, ſondern daß er es ihnen vielmehr zur Pflicht gemacht habe ſich perſönlich in die Gemeinden zu verfügen, und ſelbſt zu ſehen und zu hören was draußen noth thut.“ Im Grund iſt dieſe Art perſönlichen Verkehrs der Verwaltungsbeamten mit dem Volk die ächt volkthümliche in Deutſchland, die uralte Art, die erſt ſeit der leidigen Renaiſſance und der Schreiberei aufhörte. Der Deutſche will nicht nur ein öffentliches Gericht, ſondern auch eine öffentliche Verwal- tung. Er verlangt einen Beamten der mit ihm rede, und ſelbſt eine hitzige und grobe Antwort iſt ihm lieber, wenn er ſie nur gleich erhält, als eine kalte ſchriftliche Abfertigung nach monatlangem Warten. Beamte aber welche nicht verſtehen mit den Leuten umzugehen, und dem Volk zu imponiren, indem ſie es doch zugleich ſich befreunden, ſollten gar keine Beamten ſeyn. Es iſt eine ungeheure Unnatur daß über ein großes und praktiſches Volk völlig volksunkundige, unpraktiſche, kleinliche Schreiberſeelen regieren ſollen ꝛc. Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine167_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine167_1860/14
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860, S. 2794. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine167_1860/14>, abgerufen am 21.11.2024.